Klinische Pharmazie

Mehr oder weniger?

Besonderheiten der Arzneimitteltherapie von Säuglingen, Kleinkindern und Kindern

Von Antje Neubert und Sebastian Botzenhardt | Kinder gelten als „therapeutische Waisen“, da ihnen nur in begrenztem Umfang eine evidenzbasierte Arzneimitteltherapie zur Verfügung steht [1]. Der folgende Beitrag erörtert die Problematik des Off-label-Gebrauchs von Arzneimitteln, die für Kinder und Jugendliche nicht zugelassen sind, und beschreibt einige typische Ursachen von Fehldosierungen. Er zeigt aber auch, wie Apotheker dazu beitragen können, dass Eltern bei ihren Kindern Anwendungsfehler vermeiden.

Mit dem Inkrafttreten der Kinderarzneimittelverordnung vor gut sieben Jahren wurden pharmazeutische Unternehmen verpflichtet, vor der Zulassung eines Arzneimittels der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) einen Entwicklungsplan für die Anwendung des Arzneimittels bei Kindern vorzulegen. Dies weckte die Hoffnung, dass sich die Situation bald bessern würde.

Seither ist die Zahl der klinischen Studien mit Kindern zwar angestiegen, allerdings sind es vor allem innovative Medikamente, die im Fokus der Forschung stehen. Ältere, lang etablierte Medikamente, die besonders häufig in der Kinder- und Jugendmedizin eingesetzt werden, sind dagegen aufgrund eines fehlenden wirtschaftlichen Anreizes von der Forschung durch pharmazeutische Unternehmen noch immer weitestgehend ausgenommen [2]. Demzufolge werden evidenzbasierte Antworten auf die Frage nach der richtigen Anwendung dieser Medikamente bei Kindern und Jugendlichen auch zukünftig für viele Fälle ausbleiben.

Off-label-Gebrauch und Off-label-Dosierungen

Ein Off-label-Gebrauch von Arzneimitteln bei Kindern erhöht das Risiko unerwünschter Arzneimittelwirkungen [3, 4]. Internationale Studien gehen davon aus, dass im stationären Bereich 42 bis 100% aller Kinder und Jugendlichen mit Off-label-Medikamenten behandelt werden und dass 10 bis 65% der ihnen verordneten Arzneimittel außerhalb ihrer Zulassung eingesetzt werden [5]. Im ambulanten Bereich sind die Zahlen etwas niedriger, nämlich 46 bis 64% bzw. 11 bis 31% [5].

In Deutschland machen die Off-label-Verordnungen bei Kindern im ambulanten Bereich 3 bis 13% aus [6, 7]. Im stationären Bereich wird etwa die Hälfte aller Kinder mit Off-label-Medikamenten behandelt, und etwa ein Drittel aller Verordnungen ist außerhalb der Zulassung [8]. Diese Daten sind jedoch zu relativieren, da es sich um die Auswertung von Verordnungsdaten handelt und der Zulassungsstatus nur nach dem Alter der Patienten, nicht aber nach der Indikation oder der Dosierung der Arzneimittel bewertet wurde.

Eine Studie, die das Robert Koch-Institut in Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendklinik Erlangen unlängst veröffentlichte [9], analysierte Daten der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) in Hinblick auf den Off-label-Einsatz von Arzneimitteln [10]. Es wurden 17.450 Kinder und Jugendliche nach der Einnahme von Arzneimitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln in den letzten sieben Tagen befragt. Die Studienautoren haben bei jedem ärztlich verordneten oder im Rahmen der Selbstmedikation eingenommenen Arzneimittel dessen Zulassungsstatus (zugelassen oder off-label) hinsichtlich Indikation, Alter und Dosierung bewertet und die Off-label-Dosierungen in Unter- und Überdosierung unterteilt.

Die Hälfte aller Kinder- und Jugendlichen nahm innerhalb einer Woche mindestens ein Medikament ein. Von diesen erhielten 40,2% mindestens ein Medikament außerhalb der Zulassung. Insgesamt wurden 30% aller Medikamente außerhalb ihrer Zulassung angewendet. Gründe für die Off-label-Anwendung waren bei 4,3% die Indikation, bei 3,8% das Alter, bei 4,6% eine Überdosierung und bei 17,4% eine Unterdosierung. Kinder ohne Migrationshintergrund und mit höherem sozialem Status wurden häufiger off-label behandelt als andere Kinder. Ein Grund könnte die vermehrte Selbstmedikation bei Kindern aus den höheren sozialen Schichten sein, was auch schon in einer anderen Studie des Robert Koch-Instituts gezeigt wurde [11].

Die Tatsache, dass 17,4% der Arzneimittel als unterdosiert bewertet wurden, weckt Aufmerksamkeit. Bislang waren vor allem Überdosierungen und toxische Reaktionen mit dem Off-label-Gebrauch in Zusammenhang gebracht worden. Aber auch die Unterdosierung stellt ein nicht zu unterschätzendes Problem dar, vor allem bei Arzneistoffen mit einer sehr geringen therapeutischen Breite, wie Antiepileptika und Immunsuppressiva. Hier können Krampfanfälle oder eine Transplantatabstoßung die Folge sein.

In der Gruppe der Antibiotika, von denen in benannter Studie 19% unterdosiert wurden, sind Unterdosierungen sogar kritischer zu sehen als Überdosierungen. Trotz fehlender Wirksamkeit kann es im Falle der Unterdosierung zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) und Sensibilisierung kommen [12–14]. Auch die Bildung von Resistenzen wird gefördert.

OTC-Arzneimittel wurden häufiger unterdosiert als verschreibungspflichtige Arzneimittel. Daraus folgt, dass der Apotheker bei der Selbstmedikation seine Beratungspflicht stärker wahrnehmen muss. Auch im Fall einer ärztlichen Off-label-Verordnung sollte der Apotheker die Eltern bei Fragen zu Dosierung und Indikation beraten können. Um diese Aufgabe zu erfüllen, sind Grundkenntnisse zur Pharmakologie bei Kindern und Jugendlichen und Wissen zu häufigen Dosierungsproblemen notwendig.

Besonderheiten der pädiatrischen Pharmakologie

Der Schweizer Entwicklungspsychologe Jean Piaget hat schon Anfang des 20. Jahrhunderts festgestellt, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind. Aus pharmakologischer Sicht sind Neugeborene und Kinder unreife Individuen, die sich durch Reifungsprozesse ständig verändern (Definition der Altersgruppen in Tab. 1).

Bei Neugeborenen sind viele Organfunktionen, die an der Pharmakokinetik (Aufnahme, Verteilung, Metabolisierung und Ausscheidung) von Arzneistoffen beteiligt sind, erst unvollständig entwickelt [15–19]. Bei Kleinkindern ist die Metabolisierung dagegen deutlich erhöht, da die Leber im Verhältnis zum Körpergewicht und zur Körpergröße relativ groß ist. Eine Übersicht zu den pharmakokinetischen Besonderheiten von Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern und deren Auswirkungen auf die Wirksamkeit bestimmter Arzneimittel gibt Tabelle 2.

Resorption

Ein praxisrelevantes Beispiel für Unterschiede in der Resorption von Arzneistoffen ist das α-Sympathomimetikum Xylometazolin. Abschwellende Nasentropfen mit diesem Wirkstoff sind nicht verschreibungspflichtig und auch für Säuglinge und Kleinkinder zugelassen, weshalb viele Eltern sie leichtfertig bei ihren Kindern anwenden.

Gerade in den ersten Lebensmonaten, wenn die Blut-Hirn-Schranke noch nicht vollständig ausgebildet ist, penetriert Xylometazolin leichter ins zentrale Nervensystem (ZNS). Durch die Aktivierung von α2-Rezeptoren im ZNS kann es zu Atemdepression, Bradykardie und komatösen Zuständen kommen [20]. Schon 2006 berichteten Kollegen aus der Heidelberger Kinderklinik im Deutschen Ärzteblatt über drei Neugeborene, die nach der Gabe üblicher Dosierungen ins Koma gefallen waren [21]. Ein ähnlicher Fall wurde 2013 aus der Kinder- und Jugendklinik Erlangen berichtet [20].

Verteilung

Die Verteilung von Arzneistoffen unterscheidet sich bei Kindern unter zwei Jahren sehr von älteren Kindern und Erwachsenen. Das Antidiarrhoikum und Opioid Loperamid beispielsweise unterliegt einem hohen First-pass-Effekt in der Leber und wird durch den Effluxtransporter P-Glykoprotein durch die Blut-Hirn-Schranke zurücktransportiert, sodass es im ZNS nicht bioverfügbar ist. Es wirkt daher rein peripher und ist für die kurzfristige antidiarrhoische Anwendung bei Jugendlichen und Erwachsenen zugelassen und rezeptfrei erhältlich. Bei Kindern unter zwei Jahren sind die beiden genannten Mechanismen jedoch noch nicht voll entwickelt, sodass Loperamid schwere zentralnervöse UAW wie Lethargie und Bewusstlosigkeit auslösen kann [22–24]. Daher ist Loperamid für die Anwendung bei Kindern unter zwei Jahren kontraindiziert, bei älteren Kindern bis zwölf Jahren darf die Behandlung nur unter ärztlicher Aufsicht erfolgen.

Diese Problematik ist auch der Grund für den eingeschränkten Einsatz des D2-Rezeptor-Antagonisten Metoclopramid bei Kindern. Das Antiemetikum und Prokinetikum kann vor allem bei Kindern unter einem Jahr rasch die Blut-Hirn-Schranke überwinden und Dopaminrezeptoren im ZNS blockieren. Dabei kommt es zu extrapyramidalen Nebenwirkungen wie Dyskinesien und Akathisien. Davor warnte auch die EMA im Juni 2013 und empfahl, die Zulassung einzuschränken und für Kinder und Erwachsene eine Tagesmaximaldosis von 0,5 mg/kg KG bzw. 30 mg über höchstens fünf Tage festzusetzen [25]. Dieser Empfehlung folgte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im April 2014 und widerrief die Zulassung aller in Deutschland zugelassenen Tropfenzubereitungen wegen der Gefahr einer Überdosierung. Metoclopramid ist bei Kindern unter einem Jahr seitdem kontraindiziert und darf bei Kindern zwischen 1 und 18 Jahren nur noch als Zweitlinienoption bei Übelkeit und Erbrechen durch Chemotherapie oder nach Operationen angewendet werden.

Auch die zur Selbstmedikation von Übelkeit und Erbrechen häufig eingesetzten Antihistaminika, wie Dimenhydrinat (z.B. Vomex®) und Diphenhydramin (z.B. Emesan®), können bei Säuglingen und Kleinkindern zu schweren UAW führen. Durch die Hemmung der zentralen H1-Rezeptoren kommt es zu starker Sedierung bis hin zu Atemstörungen. Durch die ebenfalls blockierten muscarinischen Acetylcholinrezeptoren kann es auch zu schweren anticholinergen Nebenwirkungen wie Tachykardien mit QT-Zeit-Verlängerung und sogar Todesfolge kommen [26, 27]. Bei diesen rezeptfrei erhältlichen Medikamenten ist die Aufklärung der Eltern durch den Apotheker essenziell, damit sie bei den Kindern die empfohlenen Dosierungen einhalten oder – noch besser – einen Arzt konsultieren.

Metabolismus

Viele Leberenzyme sind in den ersten Lebenstagen noch unreif und werden erst in den folgenden Wochen und Monaten aktiv. Das gilt auch für die meisten arzneistoffabbauenden Enzyme, die erst nach 12 (bis 24) Monaten die metabolische Leistung eines Erwachsenen erbringen. Andererseits müssen viele Arzneistoffe bei Kindern aufgrund des niedrigen Körpergewichtes relativ hoch dosiert werden (mg/kg KG), da sonst nur unzureichende Wirkspiegel erreicht werden.

Beim Bronchodilatator Theophyllin spiegeln sich die altersbedingten Unterschiede im Arzneistoffmetabolismus direkt in den Dosisempfehlungen wider (Tab. 3). So benötigen Früh- und Neugeborene wegen des Mangels an CYP1A2 und dem somit verringerten Abbau von Theophyllin eine deutlich niedrigere Dosierung pro Körpergewicht als Erwachsene. Bei Kleinkindern ist die Reifung von CYP1A2 vollständig abgeschlossen und entspricht der Aktivität eines Erwachsenen; sie erhalten aufgrund ihres niedrigen Körpergewichts relativ hohe Dosierungen (mg/kg KG). Bei älteren Kindern und Jugendlichen reichen dann wieder niedrigere Dosen pro Körpergewicht aus, um therapeutische Plasmaspiegel zu erreichen.

Etwa die Hälfte aller Arzneistoffe ist Substrat für das Enzym CYP3A4, welches seine volle metabolische Kapazität erst nach dem 12. Lebensmonat erreicht [16]. Ihre Dosis muss entsprechend der mit dem Alter ansteigenden hepatischen Clearance erhöht werden, so z.B. beim Immunsuppressivum Ciclosporin [28].

Ein historisches Beispiel für die verzögerte Elimination von Arzneistoffen sind die in den 1960er Jahren aufgetretenen Todesfälle von Neugeborenen unter dem Antibiotikum Chloramphenicol. Wegen der unzureichenden Glucuronidierung durch das Enzym UDP-Glucuronosyltransferase (UGT) kam es hier zu einer eingeschränkten Elimination von Chloramphenicol und massiv erhöhten Plasmaspiegeln [29].

Auch die Clearance von Paracetamol ist in den ersten Lebensmonaten deutlich verringert, da die Glucuronidierung durch UGT1A6 und -1A9 noch nicht voll ausgereift ist. Deshalb dürfen Säuglinge und Kleinkinder unter 10 kg Körpergewicht höchstens 30 mg/kg/Tag, Kleinkinder mit 10 bis 33 kg Körpergewicht höchsten 60 mg/kg/Tag erhalten (jeweils i.v. Applikation) [30].

Elimination

Neugeborene besitzen anfangs eine glomeruläre Filtrationsrate (GFR) von etwa 2–4 ml/min/1,73 m², die in zwei Wochen auf 70 ml/min/1,73 m² ansteigt [15] und nach etwa drei Monaten der GFR von Erwachsenen entspricht oder diese sogar übersteigt [19]. So kann das Aminoglykosid Gentamicin bei Früh- und Neugeborenen nephrotoxische UAW auslösen, wenn die Dosis nicht herabgesetzt wird [31].

Dagegen müssen bei Säuglingen und Kleinkindern bestimmte renal eliminierte Medikamente höher dosiert werden, z.B. das Cephalosporin Ceftazidim: Bei einer komplizierten Haut- und Weichteilinfektion benötigt ein Kind älter als zwei Monate mit einem Körpergewicht unter 40 kg 100–150 mg/kg pro Tag, ein etwa 70 kg schwerer Erwachsener jedoch nur 40–85 mg/kg pro Tag (i.v.) [32].

Pharmakodynamik

Kinder unterscheiden sich auch in der Pharmakodynamik von Erwachsenen, was bisher jedoch noch wenig erforscht wurde [16, 33]. So haben Kinder eine andere Rezeptorsensitivität für den Vitamin-K-Antagonist Warfarin [34], und Säuglinge benötigen deutlich niedrigere Ciclosporin-Plasmaspiegel, um die Proliferation von Monozyten und die Expression von Interleukin-2 zu hemmen [35]. Zweijährige Kinder besitzen eine höhere Dichte an zerebralen GABAA-Rezeptoren als Erwachsene, sodass Benzodiazepine bei ihnen stärker wirken [36].

Ein weiteres Beispiel ist die geringe Wirksamkeit von β-adrenergen Bronchodilatatoren bei Säuglingen und Kleinkindern mit obstruktiver Bronchiolitis [37]. Gründe dafür sind vermutlich eine reduzierte Anzahl bronchialer β-Rezeptoren, aber auch die kleineren Atemwege und eine verringerte Schleimproduktion [17].

Ibuprofen dagegen zeigt bei Säuglingen eine bessere antipyretische Wirksamkeit als bei älteren Kindern [38]. Der Grund ist wahrscheinlich die relativ größere Körperoberfläche der Säuglinge und somit die größere Wärmeabgabe über die Haut.

Die genannten Beispiele verdeutlichen die Nichtlinearität bei der Umrechnung therapeutischer Dosierungen vom Erwachsenen auf Kinder, insbesondere unter zwei Jahre [39]. Ob die Gefahr einer Überdosierung oder einer Unterdosierung besteht, hängt von den Eigenschaften des Arzneimittels und dem Alter des Kindes ab.

Dosisberechnungen und Fehlerquellen

Bei Kindern wird die Dosierung der meisten Arzneimittel nach dem jeweiligen Alter und dem Körpergewicht berechnet. Dabei ist es wichtig, Unter- und Obergrenzen für das Körpergewicht festzulegen [15]. Bei Neugeborenen und Säuglingen besteht aufgrund der reduzierten Clearance eher die Gefahr, dass ein Medikament überdosiert wird [39]. Bei Kleinkindern dagegen sind die relative hepatische und renale Elimination häufig höher als bei Erwachsenen, sodass auch die Dosierungen proportional höher sein müssen. Absolute Höchstdosen und Obergrenzen für das Körpergewicht sollen Überdosierungen bei Jugendlichen bzw. übergewichtigen Kindern vermeiden. Umgekehrt sollen Untergrenzen für das Körpergewicht Unterdosierungen vermeiden, denn der Dosisfehler wächst mit abnehmendem Gewicht.

Eine auf der Körperoberfläche (KOF) basierte Berechnung der Dosierung, wie sie in der Onkologie üblich ist, bietet bessere Ergebnisse, da viele physiologische Prozesse mit der KOF korrelieren [15, 16]. Jedoch kann es hier bei sehr leichten Patienten und Neugeborenen zu Überdosierungen kommen [39]. Zudem ist die Berechnung der KOF relativ kompliziert und somit weniger praktikabel.

Dosisberechnungen sind sehr fehleranfällig: Ein falsch gesetztes Komma ist keine Seltenheit, ebenso das Fehlen oder die Verwechslung von Einheiten wie mg und μg [41–43]. Ein trauriges Beispiel ist die Verwechslung von Milligramm und Gramm beim Konservierungsmittel Benzalkoniumchlorid in einer Rezeptur für Augentropfen, die zu schweren Augenverletzungen bei drei Säuglingen führte [46]. Zudem werden wichtige Angaben wie Einnahmefrequenz, Einnahmezeit, Therapiedauer oder Applikationsweg beim Rezeptieren gern vergessen.

Relative Dosierungsangaben, zum Beispiel mg/kg, sollten durch den Arzt in eine absolute Dosis umgerechnet und anschließend sinnvoll gerundet werden. Hier ist vor allem die mit der Arzneiform erzielbare Dosiergenauigkeit zu beachten. Diese ist gerade bei festen Arzneiformen limitiert, denn meist kann nur durch Teilung eine für Kinder geeignete Dosis erreicht werden.

Bei vertretbarem Risiko der Über- oder Unterdosierung sollte die berechnete Dosierung auf die nächste verfügbare Wirkstärke des gewünschten Arzneimittels gerundet werden. Ansonsten kann es zu unnötig komplizierten Dosierungen, wie zum Achteln von Tabletten, kommen, die das Risiko für Medikationsfehler erhöhen. Bei Tabletten ohne Bruchkerbe sollte man möglichst auf das Teilen verzichten, da die Gleichförmigkeit der Masse nicht gewährleistet ist. Tückisch sind sogenannte Schmuckkerben, weil sie keine (!) Bruchkerben sind. Prinzipiell sollten wegen der höheren Dosiergenauigkeit Säfte oder Lösungen bevorzugt werden [40, 44].

Die Rezepturherstellung in der Apotheke spielt wegen fehlender Fertigarzneimittel in geeigneten Darreichungsformen und Wirkstärken für Kinder eine große Rolle in der Pädiatrie. Wenn möglich sollten Ärzte und Apotheker dabei auf standardisierte Rezepturen zurückgreifen (z.B. DAC/NRF). Rezepturvorschriften wie die Metoprololtartrat-Lösung 1 mg/ml (NRF 10.3) sind sehr zu begrüßen. Auch die kürzlich auf der Internetseite der Apotheke des Universitätsklinikums Heidelberg zur Verfügung gestellten Herstellungsvorschriften für pädiatrische Rezepturen können öffentliche Apotheken bei der Anfertigung unterstützen (www.klinikum.uni-heidelberg.de/Informationen-fuer-oeffentliche-Apotheken.136269.0.html) [45].

Informationsquellen für pädiatrische Dosierungen

In den Fachinformationen finden sich die zugelassenen Indikationen und Dosierungen der jeweiligen Arzneimittel. Die für Kinder zugelassenen Arzneimittel und deren Dosierungen hat die Initiative Kinderarzneimittel ZAK in einer Onlinedatenbank zusammengefasst (www.zak-kinderarzneimittel.de) [47]. Da in Fachinformationen häufig keine absoluten Altersangaben gemacht werden, ist es wichtig, die gängigen Altersdefinitionen greifbar zu haben (Tab. 1).

Wenn in der Fachinformation pädiatrische Dosierungsinformationen fehlen und keine zugelassene und therapeutisch gleichwertige Alternative besteht, ist eine Nutzen-Risiko-Abwägung für eine Off-label-Dosierung nötig. Da in Deutschland kein allgemein anerkanntes Standardwerk für pädiatrische Dosierungen existiert, sind Leitlinien oder Empfehlungen der Fachgesellschaften der erste Anlaufpunkt, z.B. das Handbuch „Infektionen bei Kindern und Jugendlichen“ der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie oder die S2k-Leitlinie zur arteriellen Hypertonie der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Kardiologie [48, 49]. In englischer Sprache bieten das „British National Formulary for Children“ und das amerikanische „Pediatric & Neonatal Dosage Handbook“ weitestgehend evidenzbasierte Dosierungen in komprimierter Form an [50, 51]. In niederländischer Sprache bietet das „Kinderformularium“ gut recherchierte und aufgearbeitete Dosierungsinformationen [52]. Das Kinderspital Zürich hat eine deutschsprachige Dosierungsdatenbank eingerichtet, für die ein swiss-rx Zugang benötigt wird [53]. Möchte man im Apothekenalltag eine ärztlich verordnete Dosierung auf ihre Plausibilität prüfen, eignet sich in vielen Fällen der Abschnitt Pädiatrie in den Wirkstoffdossiers der ABDA-Datenbank [54].

Hinweise für die Apothekenpraxis

Apotheker können dazu beitragen, dass Eltern die Arzneimittel bei ihren Kindern sicher anwenden. Ein häufiges Problem ist die Zubereitung von Antibiotika-Trockensäften, die wegen der Dosiergenauigkeit exakt nach Herstelleranweisung zu erfolgen hat. Beispielsweise haben gängige Azithromycin-Trockensäfte nach ihrer Rekonstitution ein Volumen von nur 15–30 ml, also deutlich weniger als das Volumen der Kunststoffflasche. Das könnte Eltern dazu verleiten, den Saft aufgrund der vermeintlich zu geringen Menge zusätzlich zu verdünnen. Deswegen sollten Apotheken den Eltern anbieten, das Antibiotikum gebrauchsfertig zuzubereiten.

Die leider immer noch häufig vorkommende Dosierangabe „ML“ für Messlöffel sollte in Milliliter umgerechnet werden, um Dosierfehler beim Austausch durch ein anderes Präparat zu vermeiden. Da es bei Messlöffeln häufig zu ungenauen Dosierungen kommt, kann den Eltern eine übliche Einmalspritze zur Dosierung angeboten werden (falls das Präparat keine Dosierspritze beinhaltet) [55]. Tee- oder Esslöffel sind als Messeinheiten obsolet und sollten nicht verwendet werden.

Eltern sollten darauf hingewiesen werden, Arzneimittel für Kinder nicht zu verdünnen oder umzufüllen. Auch sollten sie wissen, dass bei gleichlautenden Arzneimitteln die Wirkstoffkonzentrationen unterschiedlich sein können.

Bei den kürzlich vom Markt genommenen Metoclopramid-Lösungen (s.o.) waren selbst bei Präparaten mit gleicher Konzentration bis zu 33% mehr Tropfen notwendig, um die gleiche Dosis in Milligramm zu erhalten [40]. Probleme gab es hier insbesondere beim Austausch von Präparaten im Rahmen von Rabattverträgen oder bei der Umstellung auf Hauslisten in Kliniken. Im Zusammenspiel mit der abweichenden Pharmakokinetik kam es bei Säuglingen zu Überdosierungen mit schweren Nebenwirkungen (EMA, Assessment report „Metoclopramide only containing medicinal products“. EMEA/H/A-31/1321).

Auch der Wechsel der Darreichungsform birgt die Gefahr von Dosierungsfehlern. Beispielsweise unterscheidet sich die Einzeldosis von rektalem und oralem Paracetamol. Auch beim Wechsel von retardierten zu schnell freisetzenden Darreichungsformen ist große Vorsicht geboten.

Zu guter Letzt müssen Apotheker die Compliance fördern, d.h. die Eltern ermutigen, sich an die ärztlich verordnete oder in der Packungsbeilage angegebene Dosierung zu halten, und sie vom Nutzen der Arzneimitteltherapie überzeugen. Idealerweise sollten sie den Eltern Hinweise zur Dosierung, Anwendung und Anwendungsdauer in schriftlicher Form geben. Gemäß seinem Alter und seinen kognitiven Fähigkeiten sollten sie auch das Kind in die Arzneimitteltherapie einbeziehen. Eine für Kinder geeignete Arzneiform, die sich durch einfache Applikation, genaue Dosierbarkeit, angenehmen Geschmack und eine interessante Aufmachung auszeichnen, stärkt die Akzeptanz und minimiert gleichzeitig Dosierungsfehler [40, 44, 56].

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

  • Aus dem Mangel an Kinderarzneimitteln ergibt sich zwangsläufig die Off-label-Anwendung von Arzneimitteln bei Kindern. Dadurch steigt das Risiko von Medikationsfehlern, insbesondere von Dosierungsfehlern.
  • Neben Kinderärzten brauchen auch Apotheker ein fundiertes Wissen zu pharmakologischen Besonderheiten der pädiatrischen Arzneimitteltherapie. Das gilt insbesondere bei der Off-label-Anwendung von Medikamenten, da der pharmazeutische Unternehmer hier keine Angaben zur Anwendung und Dosierung bei Kindern macht.
  • Apotheken fungieren als letzte Instanz der Arzneimitteltherapiesicherheit und müssen jede Verordnung vor der Abgabe des Arzneimittels sorgfältig prüfen. Bei unklaren oder auffälligen Dosierungen müssen sie mit dem behandelnden Arzt Rücksprache halten.
  • Fälle von groben Medikationsfehlern, wie die fälschlicherweise einem Säugling verordneten Metildigoxin-Tabletten, zeigen, dass auch Apotheker in die Haftung genommen werden und ihren Auftrag zur Plausibilitätsprüfung jeder ärztlichen Verordnung ernst nehmen müssen [57]. 

Autoren

PD Dr. rer. nat. Antje Neubert

Zentrale für Klinische Studien in der Pädiatrie

Kinder- und Jugendklinik

Universitätsklinikum Erlangen

Loschgestraße 15, 91054 Erlangen

antje.neubert@uk-erlangen.de

Sebastian Botzenhardt

Zentrale für Klinische Studien in der Pädiatrie

Kinder- und Jugendklinik

Universitätsklinikum Erlangen

Loschgestraße 15, 91054 Erlangen

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