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Fragen aus der Praxis

Johanniskraut bei Depression

Wann zahlt die Kasse die Therapie?

Seit dem 1. April 2009 sind Johanniskraut-haltige Präparate teilweise verschreibungspflichtig, sofern sie zur Behandlung mittelschwerer Depressionen eingesetzt werden sollen. Präparate mit anderen Anwendungsgebieten, etwa gegen leichte depressive Verstimmungen, sind weiterhin ohne Rezept erhältlich. Bis zum 28. Mai 2009 wurden apothekenpflichtige, nicht-verschreibungspflichtige Johanniskraut-Präparate noch durch die Ziffer 22 der OTC-Übersicht (Anlage I der Arzneimittel-Richtlinie, OTC-Ausnahmeliste) erfasst.

Frage

Frau G., eine ältere Stammkundin, überreicht ein Kassenrezept über Laif 900 Balance® 60 Filmtabletten. Der Arzt habe es ihr verschrieben, da sie in letzter Zeit häufiger unter Antriebslosigkeit, Schlafproblemen und einer gedrückten Stimmungslage gelitten habe.

Die ältere Dame hält schon einen 5€-Schein bereit, um die gesetzliche Zuzahlung zu entrichten; dennoch müssen Sie ihr nun mitteilen, dass sie das Präparat komplett selbst zahlen muss. Preis (Lauer-Taxe, Stand 15.04.2014): 37,90 €. Doch warum ist das Präparat privat zu zahlen? Und gibt es Alternativen, die zulasten der Kasse verordnungsfähig sind?

Bei dem Präparat handelt es sich um ein apothekenpflichtiges Arzneimittel, welches zugelassen ist zur Behandlung von „leichten vorübergehenden depressiven Störungen“. Pro Tablette enthält das Arzneimittel 900 mg Johanniskraut-Trockenextrakt.

Was sagen klinische Studien?

In zahlreichen klinischen Studien wurde die Wirksamkeit von Johanniskrautextrakt bei leichten bis mittelschweren Depressionen untersucht [1, 2, 4]. Die Anwendung kann demnach die Aktivität bestimmter Neurotransmitter (Serotonin, Dopamin, Noradrenalin, L-Glutamat, GABA) in Gehirnregionen steigern, welche durch die Pathophysiologie der Depression gestört sind. Diese Wirkungen werden den Inhaltsstoffen Hypericin und Hyperforin sowie den enthaltenen Flavonoiden zugeschrieben, wobei die Wirkstärke bei den isolierten Substanzen im Vergleich zum Gesamtextrakt schwächer war. Somit muss der Johanniskrautextrakt in seiner Gesamtheit als wirksames Prinzip angesehen werden [3].

Cochrane-Review

Wissenschaftler der Cochrane Collaboration hatten im Jahr 2008 nach Studien zu Johanniskraut-Präparaten gesucht, um herauszufinden, ob sie Depressionen bei Erwachsenen lindern können und wie sie im Vergleich zu anderen Medikamenten abschneiden. Sie werteten insgesamt 29 Studien mit rund 5500 Teilnehmenden aus. In zwölf Studien wurde Johanniskraut mit Placebo verglichen, in elf mit einem anderen Antidepressivum und in sechs Studien sowohl mit Placebo als auch mit einem anderen Antidepressivum. Die Studien dauerten zwischen vier und zwölf Wochen und prüften verschiedenste Johanniskraut-Produkte in unterschiedlichen Dosierungen. An den meisten Studien nahmen Personen mit einer leichten oder mittelschweren Depression teil, an einigen auch Menschen mit schweren Depressionen. Die in den Studien eingesetzten Johanniskraut-Extrakte konnten die Beschwerden von Studienteilnehmern mit einer leichten bis mittelschweren Depression stärker lindern als ein Placebo. Die Studien, in denen Johanniskraut mit anderen Antidepressiva verglichen wurde, zeigen für beide Mittel eine vergleichbare Wirkung. Zu bemängeln ist, dass die Teilnehmenden der Studien nur für einige Wochen beobachtet wurden. Depressionen dauern jedoch häufig länger an oder kehren nach einiger Zeit mit einer weiteren Episode zurück. Ob Mittel mit Johanniskraut längerfristig wirksam sind oder weiteren Episoden vorbeugen können, sind daher Fragen, die von den betrachteten Studien nicht abschließend beantwortet werden können [4].

Bei leichteren Depressionen greifen viele Personen gerne zunächst zu „schonenden“ pflanzlichen Mitteln, viele davon enthalten Johanniskraut-Extrakte. Wie für die meisten Phytotherapeutika gilt auch für Mittel mit Johanniskraut: Im Handel ist eine Vielfalt an Produkten erhältlich, die sich in ihrer Stärke und Zusammensetzung zum Teil erheblich unterscheiden. Johanniskraut-Produkte, die in Studien zum Einsatz kamen, können somit bzgl. ihrer Wirksamkeit nicht direkt mit anderen zur Verfügung stehenden Präparaten gleichgesetzt werden.

Seit dem 1. April 2009 sind Johanniskraut-haltige Präparate teilweise verschreibungspflichtig, sofern sie zur Behandlung mittelschwerer Depressionen eingesetzt werden sollen. Präparate mit anderen Anwendungsgebieten, etwa gegen leichte depressive Verstimmungen, sind weiterhin ohne Rezept erhältlich. Bis zum 28. Mai 2009 wurden apothekenpflichtige, nicht-verschreibungspflichtige Johanniskraut-Präparate noch durch die Ziffer 22 der OTC-Übersicht (Anlage I der Arzneimittel-Richtlinie, OTC-Ausnahmeliste) erfasst. Die Regelung zur Verordnungsfähigkeit lautete: „Hypericum perforatum-Extrakt (hydroalkoholischer Extrakt, mindestens 300 mg pro Applikationsform) nur zur Behandlung mittelschwerer depressiver Episoden“ [5]. Infolge der geänderten Regelungen zur Verschreibungspflicht entfiel die entsprechende Ziffer. Verordnet werden können demnach nur noch Rx-Präparate.

Antwort kurz gefasst

  • Für Erwachsene sind nur verschreibungspflichtige Johanniskraut-Präparate verordnungsfähig.
  • Die Ausnahme „Kinder bis 12 Jahre“ spielt für die OTCs keine Rolle, da die Präparate für Kinder nicht geeignet sind. Lediglich für „Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bis 18 Jahre“ kämen einzelne infrage (s. Tab.). Diese wären dann für diese Patientengruppe verordnungsfähig.

Im Falle der nicht-verschreibungspflichtigen Präparate muss zudem zwischen apothekenpflichtigen und nicht-apothekenpflichtigen Arzneimitteln unterschieden werden. Das spielt eine Rolle, wenn beispielsweise Satzungsleistungen in Anspruch genommen werden (s. auch DAZ 2014, Nr. 15, 28ff). Bei Letzteren handelt es sich häufig um sogenannte „Traditionelle Arzneimittel“. Deren Wirksamkeit wird durch Überlieferung bzw. langjährige Erfahrung belegt; klinische Studien als Beleg der Wirksamkeit müssen nicht vorgelegt werden. In Bezug auf die pharmazeutische Qualität und die Sicherheit des Arzneimittels sieht das Registrierungsverfahren allerdings keine Vereinfachungen vor, es gelten die gleichen Standards wie für andere Arzneimittel [6].

Eine Auswahl der im Handel befindlichen Präparate, ihre jeweilige Zulassung sowie die GKV-Erstattungsbedingungen zeigt die Tabelle.


Klassifikation der Depression gemäß ICD-10

Bei den typischen leichten (F32.0), mittelgradigen (F32.1) oder schweren (F32.2 und F32.3) Episoden leidet der betroffene Patient unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität. Die Fähigkeit, Freude zu empfinden, das Interesse und die Konzentration sind vermindert. Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten. Zudem ist der Schlaf meist gestört, der Appetit vermindert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer beeinträchtigt. Sogar bei der leichten Form kommen Schuldgefühle oder Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor. Die gedrückte Stimmung verändert sich von Tag zu Tag wenig, reagiert nicht auf Lebensumstände und kann von sogenannten „somatischen“ Symptomen begleitet werden wie Interessenverlust, morgendliches Früherwachen, Morgentief, psychomotorische Hemmung, Agitiertheit, Appetitverlust, Gewichtsverlust, Libidoverlust. Abhängig von Anzahl und Schwere der Symptome ist eine depressive Episode als leicht, mittelgradig oder schwer zu bezeichnen. Gewöhnlich werden bei mittelgradigen depressiven Episoden vier oder mehr der oben angegebenen Symptome gefunden, und der betroffene Patient hat meist große Schwierigkeiten, alltägliche Aktivitäten fortzusetzen [7].

Neben- und Wechselwirkungen

Johanniskraut-Präparate können zu unerwünschten Wirkungen führen: Übelkeit, Hautirritationen, Lichtempfindlichkeit und Kopfschmerzen sind möglich. Darüber hinaus kann es zu Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten kommen. Dies gilt im Falle von Johanniskraut insbesondere für Antikoagulanzien: Die Wirkung von Phenprocoumon und Warfarin kann abgeschwächt werden und die Gefahr einer Gerinnselbildung steigen. Auch Immunsuppressiva wie Ciclosporin werden durch Johanniskraut in ihrer Wirksamkeit negativ beeinflusst. Außerdem ist zu beachten, dass die Zuverlässigkeit der Anti-Baby-Pille herabgesetzt sein kann. Frauen, die orale Kontrazeptiva einnehmen, sollten daher auf mögliche Zwischenblutungen als Folge einer Wechselwirkung hingewiesen und hinsichtlich zusätzlicher kontrazeptiver Maßnahmen beraten werden.

Fazit

Um auf unser Fallbeispiel zurückzukommen: Laif 900 Balance® hätte nicht auf Kassenrezept verordnet werden dürfen. Zulasten der GKV für Erwachsene verordnungsfähig sind nur die vier in der Tabelle genannten verschreibungspflichtigen Johanniskraut-Präparate, sofern eine entsprechende Indikation vorliegt. Darüber sollte die Apotheke den verordnenden Arzt informieren.

Literatur:

[1] Caccia S. Anti-depressant-like components of hypericum perforatum extracts: an overview of their pharmacokinetics and metabolism. Current Drug Metabolism 2005;6:531–43.

[2] Wurglics M, Schubert-Zsilavecz M. Hypericum perforatum: a “modern” herbal antidepresant: pharmacokinetics of active ingredients. Clinical Pharmacokinetics 2006;45:449–68.

[3] Reichling J, Hostanska K, Saller R. St. John’s wort (Hypericum perforatum L.) – multicompound preparations versus single substances [Johanniskraut (Hypericum perforatum L.) – Vielstoffgemische kontra phytogene Einzelstoffe]. Forschende Komplementärmedizin und Klassische Naturheilkunde 2003; 10 (suppl 1):28–32.

[4] Linde K, Berner MM, Kriston L. St John‘s wort for major depression. Cochrane Database of Systematic Reviews 2008; (4): CD000448

[5] https://www.g-ba.de/downloads/39-261-826/2009-05-28-AMR1-OTC-Johanniskraut_BAnz.pdf

[6] www.bah-bonn.de/index.php?id=162

[7] www.dimdi.de/dynamic/de/klassi/downloadcenter/icd-10-gm/version2014/systematik/x1gbp2014.zip

Autorinnen

Stanislava Dicheva, Insa Heyde, Daniela Böschen, Anna Hinrichs, Heike Peters

Apothekerinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in der Arbeitsgruppe „Arzneimittelanwendungsforschung“, Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen

Universität Bremen Zentrum für Sozialpolitik

UNICOM-Gebäude Mary-Somerville-Str. 5, 28359 Bremen

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