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„Apotheke 2030“
Eine Analyse des überarbeiteten Leitbild-Entwurfs
STUTTGART (wes) | Der Leitbild-Prozess hat die nächste Stufe erreicht: In den ersten Entwurf, den der Leitbild-Konvent erarbeitet hatte (s. DAZ 2014, Nr. 19), wurden nun die Anregungen und Kommentare aus der zweiten Online-Diskussionsrunde, die bis zum 14. Mai lief, eingearbeitet. Laut ABDA-Angaben hatten sich rund 4400 Apothekerinnen und Apotheker diesen ersten Entwurf im Internet angesehen. Anschließend hat am 22. Mai der ABDA-Gesamtvorstand über die Aufnahme der rund 1300 Kommentare in das Papier diskutiert, die Pressestelle und die ABDA-Geschäftsführung übernahmen dann den sprachlichen „Feinschliff“. Am 6. Juni wurde diese Fassung als Beschlussvorlage an die Mitgliedsorganisationen der ABDA versandt, um eine Vorbereitung auf die ABDA-Mitgliederversammlung am 25. Juni zu ermöglichen. Die Meldung im Wortlaut finden Sie auf DAZ.online, Tagesnews 10.6.2014.
Schaut man sich den finalen Entwurf genauer an, so fällt auf, dass etliche sprachliche Ungenauigkeiten verschwunden sind, insgesamt wirkt das jetzt als Perspektivpapier fungierende Leitbild gestrafft. So wurde beispielsweise der erste Satz der Präambel so umformuliert, dass er keine Fußnote mehr benötigt – auch grammatikalisch ist er nun korrekt. Auf der anderen Seite ist der Tenor des ersten Entwurfs erhalten geblieben: der Patient und seine Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt allen apothekerlichen Tuns. Ebenfalls erhalten geblieben ist der grundsätzliche Aufbau: „Präambel“, „Hintergrund“, „Näher am Patienten“, „Leistungen und Angebote“ und „Heilberuflicher Auftrag“.
Präambel
In der Präambel wird betont, dass die Apotheker die Experten für Arzneimittel sind. Die Formulierung des ersten Entwurfs hatte noch das in der Apotheke beschäftigte pharmazeutische Personal eingeschlossen. Auch auf den gesetzlichen Auftrag der Apotheken, nämlich die ordnungsgemäße Versorgung mit Arzneimitteln, wird hingewiesen. Allerdings wird hier ausdrücklich erwähnt, dass diese Versorgung flächendeckend sein muss – und dass sich die Apothekerschaft den Herausforderungen und der Verantwortung stellt, die sich aus diesem Auftrag ergeben.
Hintergrund
Dieses Kapitel beleuchtet den Hintergrund, vor dem sich die Weiterentwicklung des Berufs vollzieht: der demografische Wandel, eine tiefgreifende Veränderung des Lebensstils in unserer Gesellschaft und eine zunehmende Urbanisierung bedingen erhebliche Herausforderungen für das Gesundheitssystem. Dazu kommen eine zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens und ein immer komplexer werdendes Therapiegeschehen. Diese Tendenzen erfordern von den Patienten immer mehr „Informations- und Entscheidungskompetenz“, wobei sie „Orientierung, Unterstützung und persönliche Zuwendung“ benötigen. Diese zu liefern sei die „zentrale Aufgabe“ der öffentlichen Apotheke.
Näher am Patienten
Zu diesem Zweck muss der Beruf aber näher an den Patienten heran. Deshalb folgt im nächsten Kapitel der Kernsatz des Perspektivpapiers: „Das Wohl des Patienten steht im Mittelpunkt des Handelns in der öffentlichen Apotheke.“ Die Aufgabe der Apotheke wird folgerichtig darin gesehen, die individuellen Bedürfnisse des Patienten „zu erkennen, empathisch und kompetent darauf zu reagieren“, um so den Patienten noch aktiver in die Therapie integrieren zu können. Wesentlicher Aspekt dabei ist ein Vertrauensverhältnis zwischen Apotheker und Patient. Der Apotheker setzt seine soziale wie fachliche Kompetenz dazu ein, die Fähigkeiten des Patienten zur „Mitwirkung und Mitbestimmung“ zu stärken. Das Perspektivpapier geht also von einem mündigen und informierten Patienten aus, seine Beratung und Betreuung richtet sich folgerichtig in Inhalt und Umfang nach den Bedürfnissen des Patienten. Die Versorgung ist dabei „individuell und grundsätzlich evidenzbasiert“.
Voraussetzung für dieses Vertrauensverhältnis sind die Kompetenz und die Unabhängigkeit der Apotheker. Konsequenterweise werden diese an mehreren Stellen des Papiers betont und näher definiert.
Ein eigenes Unterkapitel widmet sich der Zusammenarbeit mit anderen Heil- und Gesundheitsberufen. Betont wird dabei die regionale und arbeitsteilige Organisation dieser Zusammenarbeit, den Rahmen dazu soll aber der Gesetzgeber schaffen: „Das heilberufliche Netzwerk hat einen definierten ordnungspolitischen Rahmen.“ In diesen Netzwerken soll sich jeder der Beteiligten auf seine Kernkompetenz konzentrieren; die des Apothekers ist die pharmazeutische Verantwortung für die Optimierung und Sicherheit der Arzneimitteltherapie. Die Schnittstellen zu den anderen Berufen im Netzwerk wollen die Apotheker selbst definieren. Und noch etwas wird klargestellt: Diese Leistungen müssen Bestandteil des Leistungskatalogs der GKV werden, und auch die PKV muss sie bezahlen.
Leistungen und Angebote
Dieses Kapitel beginnt mit einem Satz, der wie in der Präambel die Brücke schlägt zum gesetzlichen Auftrag der öffentlichen Apotheken, nämlich der Sicherstellung der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung. Er stellt klar, dass es die Apothekerschaft als ihre Aufgabe ansieht, die flächendeckende Versorgung sicherzustellen. Sie werde Instrumente entwickeln, dies auch in Zukunft qualitativ hochwertig und effizient zu tun. Die Apothekerschaft bekennt sich zu einer wohnortnahen Versorgung rund um die Uhr.
In den folgenden Unterpunkten „Beratung und Arzneimitteltherapiesicherheit“, „Medikationsanalyse und Medikationsmanagement“, „Arzneimittelsicherheit und Pharmakovigilanz“, „Individuelle Arzneimittel“, „Prävention“ und „Weiterentwicklung des Leistungsangebotes“ wird näher ausgeführt, wie diese Versorgung aussehen soll. Hierbei wird – wie schon im vorangegangenen Entwurf – unmissverständlich klar, dass mit der ordnungsgemäßen Versorgung in Zukunft nicht mehr nur gemeint sein kann, dass jeder Bürger schnell und zuverlässig sein Arzneimittel erhält. Es geht vielmehr um Optimierung und Sicherheit der Arzneimitteltherapie, darum, dass Patienten ihre Arzneimittel richtig anwenden bzw. einnehmen und dass Arzneimittel-bezogene Probleme erkannt und behoben werden. Selbstverständlich ersetzen diese Aufgaben die bisherigen – von Logistik über Pharmakovigilanz bis zur Rezeptur- und Defekturherstellung – nicht, sondern treten neben sie.
Eine größere Bedeutung, auch wirtschaftlich, soll die Prävention einnehmen. Diese Rolle soll in Zukunft auch politisch anerkannt und legitimiert sein – und vergütet werden. Bemerkenswert: Der im ersten Entwurf enthaltene Abschnitt über „Waren und Dienstleistungen außerhalb der Arzneimittelversorgung“ fehlt im finalen Entwurf. Einige Aspekte aus diesem Abschnitt finden sich nun im Unterkapitel „Weiterentwicklung des Leistungsangebots“ wieder – auch der Hinweis, dass diese Weiterentwicklung die heilberufliche Stellung und das Vertrauensverhältnis zum Patienten nicht gefährden darf.
Heilberuflicher Auftrag
Dieses Kapitel betont die Stellung der Apotheker als freier Heilberuf. Als solcher arbeitet er gemeinwohlorientiert und unabhängig von den Interessen Dritter. Damit ist zum einen die Unabhängigkeit von Kapitalgebern und ihren Direktiven gemeint, zum Anderen von den (Eigen-)Interessen von Herstellern, Großhändlern und anderen Marktpartnern – bis hin zu den Krankenkassen oder dem Staat. Das Handeln der Apotheker wird vom Interesse des Patienten geleitet, nur so rechtfertigt sich das Privileg der Freiberuflichkeit. Erinnert wird auch daran, dass diese Unabhängigkeit eine wichtige Voraussetzung hat: Sie muss vom Staat gewährleistet werden, indem er auskömmliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen vorgibt.
Die beiden folgenden Absätze erinnern die Apotheker – und ihre Standesvertretung – daran, dass Freie Berufe auch eine gesellschaftliche Aufgabe wahrnehmen und sich an den entsprechenden Debatten beteiligen (müssen), um wichtige Entwicklungen mitgestalten zu können. Ein wesentliches Element der Freiberuflichkeit ist dabei die Selbstverwaltung. Der letzte Satz verpflichtet diese, die Prozesse und Instrumente mitzugestalten, die die Apothekerschaft für ihre Aufgaben braucht.
Unter „Qualifikation“ ist eine noch im Entwurf zum Leitbild vorgesehene Formulierung, nach der Apothekerinnen und Apotheker sowie das nicht-approbierte pharmazeutische Personal ihr Fachwissen „nachweislich“ stets auf dem aktuellen Stand halten, geändert worden. „Nachweislich“ wurde gestrichen, so dass sich aus dieser Formulierung keine Pflichtweiterbildung mehr ableiten lassen kann. Prominente Standesvertreter fordern diese Pflicht weiterhin – zuletzt die ehemalige BAK-Präsidentin Erika Fink bei ihrer Dankesrede anlässlich der Verleihung der höchsten Auszeichnung der deutschen Apothekerschaft, der Lesmüller-Medaille. Auch ABDA-Präsident Friedemann Schmidt sagte kürzlich auf der Bundesverbandstagung des Verbands der Pharmaziestudierenden BPhD, er präferiere eine Fort- und Weiterbildungspflicht wie bei den Ärzten.
Betont wird, dass auch weiterhin ein Hochschulstudium mit Staatsexamen die Voraussetzung für den Apothekerberuf bilden soll. Die Inhalte dieses Studiums sollen „in Umfang und Inhalt kontinuierlich“ angepasst werden.
Im abschließenden Unterkapitel „Qualität und Wirtschaftlichkeit“ wird noch einmal auf die Bedeutung der Freiberuflichkeit verwiesen. Bei aller unternehmerischer Freiheit steht immer der Gemeinwohlauftrag im Vordergrund. Dazu benötigt der Apotheker aber angemessene inner- wie außerbetriebliche Rahmenbedingungen: einen qualifizierten Mitarbeiterstab und eine adäquate Ausstattung – die auch bezahlt werden können müssen. Deswegen fordert das Leitbild eine „leistungsgerechte, dynamisierte und faire Honorierung über eine einheitliche, staatliche Vergütungsordnung“.
Auch der finale Entwurf endet mit einem Zitat – nun jedoch nicht mehr von George Bernard Shaw, sondern von Theodor Fontane, immerhin approbierter Apotheker: „Alles Alte, soweit es den Anspruch darauf verdient hat, sollen wir lieben; aber für das Neue sollen wir eigentlich leben.“
Das Haar in der guten Suppe
Ein Kommentar von Thomas Müller-Bohn
Die zahlreichen Kommentare zum Leitbildentwurf zu verarbeiten war gewiss eine große Herausforderung. Doch das Ergebnis zeigt, dass die ABDA die konstruktive Kritik ernst genommen hat. Im Perspektivpapier wurden viele Schwachpunkte des Leitbildes verbessert. Auf diesem weit entwickelten Stand richtet sich der Blick zwangsläufig auf das Haar in der durchaus schmackhaften Suppe – und da fallen mir zwei Aspekte auf.
Erstens bedauere ich im Interesse der Pharmazie als Wissenschaft, dass weiterhin der pharmazeutische Fortschritt nicht ausdrücklich als Quelle künftiger Neuerungen genannt wird. Stattdessen wird er im Abschnitt über die „Weiterentwicklung des Leistungsangebotes“ hinter der allgemeinen Floskel der wissenschaftlich-technischen Entwicklungen verbrämt. Die Pharmazie als Grundlage der apothekerlichen Tätigkeit und neue Arzneimittel mit neuen Herausforderungen für die Therapie hätten mehr Würdigung verdient.
Zweitens irritiert mich ein Satz im Abschnitt über das heilberufliche Netzwerk. Im Leitbildentwurf wurde dort unglücklich formuliert die „wirtschaftlich wirksame und patientenorientierte Arzneimittelversorgung“ angesprochen. Doch die Überarbeitung provoziert meines Erachtens dasselbe Missverständnis. Der neue Satz „So stellen sie eine wirksame und patientenorientierte Arzneimittelversorgung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sicher“ würde - aus dem Zusammenhang gerissen - bedeuten, dass die Arbeit der Apotheker trotz aller Bemühungen um den Patienten letztlich auf die Wirtschaftlichkeit zielt. Dies könnte die langen Ausführungen um das Patientenwohl mit einem Satz zunichte machen oder zumindest stark relativieren. Daher vermute ich, dass bei der Umformulierung ein redaktionelles Versehen stattgefunden hat. Ergänzt man nur das Wort „auch“ und schreibt „auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten“, könnte niemand am (richtigen) Sinn zweifeln.
Dann wäre die Wirtschaftlichkeit auf einem wichtigen, aber nicht auf dem ersten Platz. Wie wichtig die Wirtschaftlichkeit ist, beschreibt das Perspektivpapier treffend im neuen letzten Abschnitt. Dass dort die Bedeutung einer qualitativ hochwertigen und wirtschaftlichen Arzneimittelversorgung für die Zukunftsfähigkeit des ganzen Gesundheitswesens betont wird, halte ich für sehr wichtig und gut gelungen.
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