Fortbildung

Mit Haut und Hirn

Eindrücke vom Fortbildungskongress der Bundesapothekerkammer in Meran

du/ck | Die Bundesapothekerkammer veranstaltet im Jahr zwei große Fortbildungskongresse, bislang traditionsgemäß im Winter in Davos, im Frühjahr in Meran. Sie erfreuen sich bei einem festen Stamm älterer Kollegen großer Beliebtheit, doch um zu überleben, müssen auch jüngere den Weg dorthin finden. Neue Konzepte sind gefragt.

So wird im nächsten Jahr der Winterkongress im österreichischen Schladming stattfinden. Geworben wird mit einem attraktiven Skigebiet und einem im Vergleich zu Davos niedrigeren Preisniveau. Zudem werden gezielt Studenten eingeladen. Beim Pharmacon Meran, der vom 25. bis zum 30. Mai 2014 stattfand, waren es rund 80 angehende Apothekerinnen und Apotheker von den Universitäten Bonn, Frankfurt und Düsseldorf. Und jüngere Approbierte konnten eine Woche Fortbildung in Meran gewinnen.

Geboten wurde den Teilnehmern ein facettenreiches Fortbildungsprogramm, bei dem Hormone, Haut und Hirn im Mittelpunkt standen. Moderiert wurde der Kongress von den pharmazeutischen Hochschullehrern Prof Dr. Theo Dingermann, Frankfurt, und Prof. Dr. Rolf Daniels, Tübingen. Viele Vorträge wurden von Medizinern bestritten, die sich immer wieder über volle Säle auch an sonnigen Tagen wunderten. Die Teilnehmer konnten eine Fülle von Anregungen mit nach Hause nehmen, wir haben einige davon zusammengestellt.

Fotos: DAZ/ck/du

Nebenwirkungen entscheiden

1% der Bevölkerung leidet unter Schizophrenie, sie zählt zu den zehn schwersten Erkrankungen und beginnt in der Regel zwischen dem 25. und 35. Lebensjahr. Behandelt wird mit Antipsychotika, die in Lehrbüchern eingeteilt werden in Typika und Atypika. Priv.-Doz. Dr. Alkomiet Hasan von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität München, machte deutlich, dass diese Einteilung überholt ist. Die Grenzen zwischen den Substanzen sind fließend. Es gibt Typika mit atypischen und Atypika mit typischen Eigenschaften. Substanzen mit überlegener antipsychotischer Wirkung lassen sich nicht ausmachen. Entscheidend für die Wahl des Antipsychotikums ist sein Nebenwirkungsspektrum. Das wird sich auch in einer in Kürze erscheinenden neuen S3-Leitlinie widerspiegeln.

Problem Gewichtszunahme

Ein Problem ist die Gewichtszunahme im Rahmen der Erkrankung. Sie trägt entscheidend dazu bei, dass die Lebenserwartung bei Schizophrenie um 20 Jahre verkürzt ist. Ursachen dafür gibt es viele, Komorbiditäten wie Diabetes mellitus und Hypertonie und damit kardiovaskuläre Erkrankungen haben einen entscheidenden Anteil. Aber auch eine Gewichtszunahme unter Antipsychotika ist nicht zu vernachlässigen. Sie ist am stärksten unter Olanzapin ausgeprägt, am wenigsten unter Haloperidol.

Problem Clozapin

Dr. Otto Dietmaier, Apotheker am Zentrum für Psychiatrie am Klinikum am Weißenhof, beleuchtete das Interaktionsspektrum der Psychopharmaka und sensibilisierte vor allem für Substanzen mit geringer therapeutischer Breite, zu denen neben Lithium und Carbamazepin vor allem Clozapin zählt. Bei Clozapin wird ein Wirkspiegel von 350 bis 600 ng/ml angestrebt. Es wird über das Cytchrom-P450-1A2-Isoenzym verstoffwechselt. Inhibitoren dieses Systems wie Fluvoxamin, Coffein und Ciprofloxacin lassen die Plasmaspiegel von Clozapin steigen, schnell werden toxische Werte erreicht. Dietmaier empfahl die Interaktionsdatenbanken PSIAC und MediQ, die in der täglichen Praxis sehr hilfreich seien.

Zu gut gepflegte Datenbank?

In der Diskussion wurde das Thema ABDA-Datenbank angesprochen, in der sehr sorgfältig alle bekannten Interaktionsmöglichkeiten eingepflegt worden seien. Danach scheint so gut wie jedes Antibiotikum für einen mit Clozapin behandelten Patienten kontraindiziert zu sein. Es herrschte eine gewisse Ratlosigkeit, wie hier behandelt werden soll.

Mobile in Schieflage

Viele Psychopharmaka werden missbräuchlich verwendet und machen abhängig. Doch wer ist wie durch welche Substanz gefährdet? Dazu müsste man einen tieferen Einblick ins Gehirn haben, das sich jedoch nach den Ausführungen von Prof. Dr. Dr. Dr. Felix Tretter vom Kompetenzzentrum Sucht des Klinikums München Ost immer noch als Black Box erweist. Er betrachtet das Zusammenspiel der unterschiedlichsten Neurotransmitter wie ein neurochemisches Mobile, dass durch Psychopharmaka in Schieflage geraten kann. Je nach Disposition wird Missbrauch und Abhängigkeit begünstigt. Und: „nur gute Mittel machen manche Menschen süchtig!“ Als Beispiel nannte er das GABA-Analogon Pregabalin, das von Drogensüchtigen missbraucht wird. Der Einsatz im Rahmen einer Entzugstherapie zur Linderung von Entzugssymptomen ist problematisch. Der Weg in den Missbrauch scheint vorprogrammiert, da Pregabalin sowohl die Methadon- also auch die Heroin-Wirkung steigern kann.

Krankheit der Leistungsträger

Nach wie vor wird darüber gestritten, ob Burn-out eine Modekrankheit ist, ob es überhaupt ein eigenständiges Krankheitsbild Burn-out gibt und wie es von einer Depression abzugrenzen ist. Prof. Dr. Kristina Friedland (geb. Leuner) vom Institut für Molekulare und Klinische Pharmazie der Universität Erlangen machte deutlich, dass es in unserer Gesellschaft weniger stigmatisierend ist, an Burn-out als an einer Depression zu leiden. Burn-out sei eine Erkrankung der Leistungsträger, die Depression eine Erkrankung der Schwachen. Bei der Therapie des Burn-out steht der Arbeitsplatz und seine Analyse verbunden mit einer Verhaltenstherapie im Vordergrund. Friedland wies auch auf eine Studie mit Rosenwurz hin, die positive Effekte in der Therapie des Burn-out gezeigt haben soll.

Irritierend viele Tabletten

Einen für die Apothekenpraxis wichtigen Aspekt im Rahmen der Behandlung des Morbus Menière sprach Dr. Carolin Muth vom Schwindelzentrum München an. Hier wird eine Hochdosistherapie mit Betahistin mit in der Regel 3 x 48 mg täglich eingesetzt, sie kann in Ausnahmefällen sogar noch höher sein. Bei Tabletten in Stärken von 6 mg oder 12 mg sind das zwölf bis 24 Tabletten täglich, eine Menge, die in Apotheken laut Muth immer wieder für Irritationen sorgt.

Enzymtests nicht für jede Frau sinnvoll

Der selektive Östrogenrezeptor-Modulator Tamoxifen wird zur Behandlung des Hormonrezeptor-positiven Mammakarzinoms bei prä- und postmenopausalen Patientinnen eingesetzt. Tamoxifen ist ein Prodrug, das durch das Cytochrom-P450-Enzym CYP2D6 in den wirksamen Metaboliten Endoxifen umgewandelt wird. Endoxifen hat im Vergleich zu Tamoxifen eine 100-fach höhere Rezeptoraffinität und es werden fünf- bis zehnfach höhere Plasmakonzentrationen erreicht. In Studien wurde ein starker Gen-Dosiseffekt für CYP2D6 bei der Bildung von Endoxifen gezeigt. Das CYP2D6-Gen weist zahlreiche genetische Polymorphismen auf. Etwa 7% der europäischen Bevölkerung besitzen keinerlei CYP2D6-Enzymaktivität (poor metabolizer). Obwohl die aktuelle Studienlage nicht eindeutig ist, hält Prof. Dr. Matthias Schwab vom Dr. Magarete Fischer-Bosch-Institut für klinische Pharmakologie, Stuttgart, eine CYP2D6-Genotypisierung vor einer Tamoxifen-Therapie für sinnvoll. Er schränkte aber auch ein, dass das nur für postmenopausale Frauen gelte: Frauen vor der Menopause hätten keine therapeutische Wahl, bei ihnen können – auch wenn sie poor metabolizer sind und die Wirksamkeit von Tamoxifen eingeschränkt ist – keine Aromataseinhibitoren eingesetzt werden.

Aknetherapie

Prof. Dr. Klaus Degitz, Hautarzt aus München, besprach mit der Akne ein Problem, das rund 80% aller Jugendlichen betrifft. Die Therapieansätze sind Verminderung der Talgproduktion, Keratolyse, Antibiose und zunehmend die Therapie mit Entzündungshemmern. Der Trend geht dabei zu fixen Kombinationen, die einfach zu applizieren sind und auch mit weiteren Präparaten und Kosmetika kombiniert werden können. Degitz nannte als Kombinationen mit belegter Wirksamkeit Benzoylperoxid + Adapalen (Epiduo®), Benzoylperoxid + Clindamycin (Duac®), Erythromycin + Isitretinoin (Isotrexin®), Erythromycin + Tretinoin (Aknemycin plus®) und Clindamycin + Tretinoin (Acnatac®). Als obsolet gelten die topische Anwendung von Zink, Schieferöl, Hexachlorophen oder Hefeextrakten. Orales Zink wird als Monotherapeutikum bei Akne nicht empfohlen. Aber es kann bei Unverträglichkeit in Kombination mit topischer Therapie angewendet werden. Die Empfehlung von Degitz: 50 mg Zink-Aspartat dreimal täglich, das entspricht 30 mg Zn2+, zu den Mahlzeiten eingenommen, da gastrointestinale Symptome auftreten können.

Sonnenbrand unter Amiodaron

Über unerwünschte Arzneimittelreaktionen an der Haut sprach Prof. Dr. Burkhardt Kleuser von der Universität Potsdam. Er zeigte, dass etwa 3% der Patienten eine kutane Arzneimittelreaktion entwickeln. Dabei gilt die Urtikaria mit 30% als eine der häufigsten Arzneimittelreaktionen. Da es eine Sofortreaktion ist, kann der auslösende Arzneistoff meist leicht identifiziert werden. Antibiotika, Virustatika (z.B. Aciclovir, Zidovudin), Antimykotika (z.B. Ketoconazol und Miconazol), Antiepileptika (z.B. Carbamazepin, Ethosuximid), Amiodaron, Methotrexat oder die Schilddrüsentherapeutika Thiamazol und Thiouracil werden häufiger für eine Urtikaria verantwortlich gemacht. Als häufigste verzögert auftretende Reaktion der Haut nannte Kleuser makulopapulöse Exantheme, die ca. 40% aller unerwünschten Arzneimittelwirkungen an der Haut ausmachen. Da sich Symptome oft erst zeigen, wenn der Arzneistoff schon abgesetzt wurde, ist es im Gegensatz zur Urtikaria schwer, den Auslöser zu identifizieren. Für fast alle Medikamente ist das Auftreten makulöser und makulopapulöser Exantheme beschrieben worden. Das Risiko ist jedoch deutlich erhöht bei Antibiotika und hier bei Aminopenicillinen, Sulfonamiden oder Cephalosporinen. Kleuser wies darauf hin, dass auch Phototoxizitäten auftreten können. Er nannte das Antiarrhythmikum Amiodaron, bei dem vor allem bei hellhäutigen Personen, bei hoher Dosis und Dauerinfusion eine erhöhte Sonnenbrandgefahr besteht. Direkte Sonnenbestrahlung und Solarien sollten gemieden werden, ein Lichtschutz sei unbedingt erforderlich, auch nach dem Absetzen. Dagegen, so Kleuser, werde das Risiko für Phototoxizität unter der Anwendung von Johanniskraut-Präparaten oft überschätzt.

Gegen das Jucken von der Socke bis zur Locke

Chronischer Pruritus ist ein schwer behandelbares Symptom verschiedener Erkrankungen, wie Prof. Dr. Sonja Ständer vom Kompetenzzentrum chronischer Pruritus, Münster, zeigte. Pruritus bewirkt Kratzen, starkes Kratzen verursacht Schmerz, reduziert kurzfristig die Juckwahrnehmung und fördert damit weiteres Kratzen. Durch ausdauerndes oder starkes Kratzen wird die Haut geschädigt, es kommt zu Entzündungen, die wiederum Pruritus fördern – ein Circulus vitiosus. Eine allgemeine, einheitliche Therapie gibt es nicht. Je nach Therapie kann es bis zum Ansprechen zwischen einer und sechs Wochen dauern, auch darf beim Sistieren des Pruritus die Therapie nicht zu schnell abgesetzt werden – darauf sollte der Patient hingewiesen werden. Ständer hob den Nutzen einer dermatologischen Basistherapie hervor. Durch sie kann der Juckreiz reduziert werden, unabhängig von der Grunderkrankung. Sie gilt als der erste Schritt der Pruritustherapie. Dabei hat auch die verwendete Grundlage eine Eigenwirkung auf die Haut. Ständer gab Tipps, was Patienten unbedingt vermeiden sollten: Faktoren, die die Hauttrockenheit fördern wie Hitze (Sauna), alkoholische Umschläge, Eispackungen, häufiges Baden, sehr heißes und stark gewürztes Essen, Alkohol, Aufregung, Anspannung, negativer Stress. Auch vom Melkfett rät Ständer ab: das störe nur die Lipidproduktion der Haut. Achten sollte man auf Sorbit, das als ein Induktor von Juckreiz gilt. Es ist in vielen Arzneimitteln und Lebensmitteln enthalten. 

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Interview: Gute Mischung

Die Veranstalter des Pharmacon suchen nach neuen Wegen, auch jüngere Apothekerinnen und Apotheker für den Fortbildungskongress zu begeistern. Apothekerin Elisabeth Pfister hat bei einem Preisausschreiben eine Woche Fortbildung in Meran gewonnen. Wir haben sie am Ende des Kongresses nach ihren Eindrücken gefragt.

Elisabeth Pfister

DAZ: Frau Pfister, Sie sind zum ersten Mal hier in Meran, wie ist Ihr Gesamteindruck?

Pfister: Sehr schön finde ich das Ambiente, Meran selbst, aber auch den Kursaal.

DAZ: Und das Fortbildungsangebot?

Pfister: Mir hat die Mischung gefallen. Man hat einen guten Überblick über aktuelle Erkenntnisse bekommen; neue Studien und Leitlinien wurden miteinbezogen. Vieles lässt sich sicher gut in der Praxis anwenden. Die Vorträge waren in der Regel gut strukturiert und verständlich.

DAZ: Was könnte besser sein?

Pfister: Viele Vorträge waren sehr wissenschaftlich, was ich grundsätzlich gut finde. Da hier vor allem Offizinapotheker sind, wäre zum Teil ein noch stärkerer Praxisbezug wünschenswert, konkret also mehr Tipps für die Offizin.

DAZ: Sie stehen am Anfang Ihrer Berufstätigkeit und zurzeit wird viel über die Etablierung eines Medikationsmanagements in der Apotheke diskutiert. Wie stehen Sie dazu?

Pfister: Für mich ist das Medikationsmanagement die Herausforderung für die Zukunft. An den Universitäten sind wir darauf nur unzureichend vorbereitet worden. Da gibt es noch viel zu tun. Ich versuche, mich auf diesem Gebiet weiterzubilden, so habe ich mich in das ApoAMTS-Projekt der Kammer Westfalen-Lippe eingeschrieben.

DAZ: War der Pharmacon Meran in dieser Sache hilfreich?

Pfister: Sicher wurden hier immer wieder Aspekte angesprochen, die auch für ein Medikationsmanagement von Interesse sein können. Für eine strukturierte Weiterbildung in Sachen Medikationsmanagement war dieser Kongress weniger geeignet. Aber das war auch sicher nicht die Intention.

DAZ: Kommen Sie wieder nach Meran?

Pfister: Gerne werde ich den Kongress wieder besuchen, vielleicht nicht jedes Jahr, denn das ist ja sehr Zeit- und Kosten-intensiv, aber sicher in den nächsten drei oder vier Jahren.

DAZ: Frau Pfister, vielen Dank für das Gespräch. 

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