Arzneimittel und Therapie

Schwanger trotz hormoneller Verhütung?

Johanniskraut mal wieder unter Verdacht

Es steht außer Frage, dass ein Johanniskrautextrakt vor allem mit dem CYP3A4-Isoenzym interagiert. Inhaltsstoffe dieses Extraktes induzieren dieses Enzym, das eines der wichtigsten metabolisierenden Enzyme in unserer Leber ist. Daraus folgt, dass Substrate von CYP3A4 bei gleichzeitiger Einnahme eines Johanniskrautextrakt-Präparates ungewöhnlich schnell metabolisiert werden und für eine pharmakologische Wirkung dann nicht mehr zur Verfügung stehen.

Dies kann zu gravierenden Wechselwirkungen unter anderem mit dem Zytostatikum Irinotecan, mit diversen HIV-Medikamenten, mit oralen Antikoagulanzien und mit dem Immunsuppressivum Ciclosporin führen. Aus diesem Grund sollten HIV-Infizierte und Patienten mit einem Fremdorgan unter keinen Umständen Johanniskrautextrakt-Präparate einnehmen. Patienten, die auf die Einnahme oraler Antikoagulanzien angewiesen sind, ist nur dann nicht von der Einnahme eines Johanniskrautextrakt-Präparates abzuraten, wenn das pflanzliche Arzneimittel regelmäßig eingenommen wird, so dass man die Dosis des Antikoagulans auf die Kombination abstimmen kann. Bei einer Behandlung mit Irinotecan sind Johanniskrautextrakt-Präparate ebenfalls kontraindiziert.

Arzneimittel-Wechselwirkungen mit Johanniskrautextrakt-Präparaten sind allerdings auch mit oralen Kontrazeptiva möglich. Dies wird immer wieder in der Laienpresse thematisiert, wohl auch, weil das Thema deutlich griffiger ist als die Spezialthemen „HIV-Medikation“ und „Abstoßungsprophylaxe“. Allerdings ist die klinische Relevanz der Interaktionsproblematik im Zusammenhang mit einer hormonellen Kontrazeption nach wie vor unklar. Von Schmierblutungen wurde berichtet, aber belegte Fälle von ungewollten Schwangerschaften, verursacht durch die Einnahme eines Johanniskrautextrakt-Präparates, waren bisher kaum zuverlässig dokumentiert. Dies scheint sich jetzt geändert zu haben.

MHRA warnt

Ende letzter Woche wurde von der britischen Aufsichtsbehörde Medicines and Healthcare Agency (MHRA) ein Warnhinweis veröffentlicht, die Wirkung hormoneller Verhütungsmittel könne durch die Einnahme von Johanniskrautextrakt-Präparaten dahingehend beeinflusst werden, dass es zu ungewollten Schwangerschaften kommen könnte.

Zu dieser Warnung veranlasst fühlte sich die MHRA durch zwei Berichte während des letzten Quartals 2013 über vermutete Wechselwirkungen bei Frauen, die Etonogestrel-Implantate (Nexplanon® und Implanon®) trugen. Diese Frauen seien nach Einnahme eines Johanniskrautextrakt-Präparates ungewollt schwanger geworden.

Insgesamt sind seit 2000 19 Meldungen über vermutete Wechselwirkungen zwischen Johanniskraut und hormonellen Kontrazeptiva bei der MHRA eingegangen (vier für Verhütungsimplantate und 15 für die Pille). In 15 Fällen soll es zu ungeplanten Schwangerschaften gekommen sein. Bei den restlichen vier Fällen soll die Johanniskrautextrakt-Einnahme in Kombination mit der Pille zu Durchbruchblutungen ohne Schwangerschaften geführt haben.

Wie sollte man diese Warnung einschätzen?

Generell erscheint das Risiko einer ungewollten Schwangerschaft bei der kombinierten Einnahme eines Johanniskrautextrakt-Präparates und einer hormonellen Verhütung zwar gegeben, aber äußerst gering. Dies belegen sehr deutlich die gerade einmal 15 Fälle in 14 Jahren. Ob diese Fallfrequenz Grund genug ist, einer jungen Frau, die Johanniskrautextrakt-Präparate einnimmt, zu raten, neben der Pille auch noch eine andere Verhütungsmaßnahme in Erwägung zu ziehen, kann durchaus hinterfragt werden. Man sollte jedoch darauf hinweisen, dass es zu Schmierblutungen kommen kann, um für das Problem generell zu sensibilisieren. Denn in der Tat gibt es auch andere Gründe für eine ungewollte Schwangerschaft. So ist es sicherlich wichtiger, die zuverlässige Einnahme der Pille anzumahnen, als mit dem Restrisiko einer Interaktion mit fragwürdiger klinischer Relevanz eine junge Frau zu verunsichern, die zudem leichte psychische Probleme zu haben scheint, wenn sie nach einem Johanniskrautextrakt-Präparat verlangt oder wenn ihr ein solches Präparat verordnet wurde.

Vielleicht ist es auch interessant, eine Nachricht des MHRA aus dem Jahre 2011 bei der Bewertung des aktuellen Warnhinweises mit zu bedenken. Damals wurde berichtet, dass in Großbritannien in den vergangenen Jahren (seit 2000) knapp 600 Frauen trotz Verwendung eines Verhütungsmittels schwanger geworden sind. Die Frauen hatten sich das Implantat Implanon® in die Armbeuge einsetzen lassen, und dabei hatte es offensichtlich Unregelmäßigkeiten gegeben. Der Nationale Gesundheitsdienst (NHS) zahlte damals Medienberichten zufolge 200.000 Pfund Entschädigung an Frauen, die schwanger oder durch das Implantat verletzt wurden. 

Quelle

St John’s wort: interaction with hormonal contraceptives, including implants—reduced contraceptive effect. Drug Safety Update März 2014; www.mhra.gov.uk/Safetyinformation/DrugSafetyUpdate/CON392869.

Hunderte Frauen in Großbritannien trotz Verhütungsmittel schwanger. Deutsches Ärzteblatt online, 5. Januar 2011.

Implanon contraceptive implant: Information for women and healthcare professionals. Safety warnings and messages for medicines, 5. Januar 2011; www.mhra.gov.uk/Safetyinformation/Safetywarningsalertsandrecalls/Safetywarningsandmessagesformedicines/CON105661.

 

Prof. Dr. Theo Dingermann und Dr. Ilse Zündorf, Frankfurt

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