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Prisma
Ilja Rogoff 130 Jahre alt
Hommage an einen ungewöhnlichen Unternehmer
Das Geburtsdatum von Ilja Rogoff ist verbürgt: Sein Onkel und Patenonkel Elias Rogh, der als Pope in einem einsamen Gebirgstal Georgiens wirkte, hat ihn getauft und ihm seinen Namen gegeben. Die Änderung seines Namens zu „Ilja Rogoff“ ergab sich einige Jahrzehnte später aus seinen veränderten Lebensumständen. Zuvor erhielt Rogoff eine Ausbildung am Priesterseminar in Tiflis, das schon sein fünf Jahre älterer Landsmann Stalin besucht hatte, wenn auch mit weniger Erfolg. Nach einigen unerfüllten Jahren als Diakon ergriff Rogoff während des Balkankriegs 1911 die Gelegenheit, ein neues Leben zu beginnen. Er schlug sich nach Bulgarien durch und kämpfte in einer abenteuerlichen Truppe von Freischärlern, die als Wilddiebe den Umgang mit der Waffe gelernt hatten, gegen die Türken. Nachdem sein bester Kamerad gefallen war, heiratete er dessen Witwe und fristete sein weiteres Leben als Bauer in einem abgeschiedenen Dorf. Dort wäre er inmitten seiner stetig wachsenden Familie wahrscheinlich bis an sein Lebensende geblieben, wenn nicht eines Tages ein Krämer mit seinem Bauchladen durchs Dorf gezogen wäre.
Der Krämer verkaufte Scheren, Nägel, Streichhölzer, dies und das, pries aber seine Abführpillen vergeblich an. Beim Handeln ergab ein Wort das andere, der Krämer befriedigte die Neugier nach Nachrichten aus der großen, weiten Welt, er berichtete vom Leben in der Stadt, von Automobilen und elektrischem Licht ebenso wie von dem Elend der Fabrikarbeiter. Als er beim besten Willen nichts mehr verkaufen konnte, trachtete er danach, einen Teil seines Verdienstes in neuen Waren anzulegen. Wir wär’s mit Knoblauch?, fragte Rogoff, denn er hatte mehr als genug davon. Der Krämer wollte schon abwinken, dann dachte er an seine Abführpillen, die seine Frau mit dem Saft der selbst angebauten Jalapeknollen herstellte. Ja, einen Extrakt aus Knoblauchknollen könnte er wohl gebrauchen. Er wurde schnell mit Rogoff handelseinig, gab ihm Anweisung, den Knoblauch zu pressen, den Saft mit etwas Honig zu mischen und so lange stehen zu lassen, bis er, der Krämer, wiederkommt. Nach fünf Tagen war es so weit. Der Krämer hatte sich unterwegs etwas Süßholzpulver besorgt, das er nun in das zähflüssige Gemisch einarbeitete, um es anschließend in ein paar Kohlblätter zu wickeln und in seinem Rucksack zu verstauen. Was machst du nun damit?, fragte Rogoff. Ich gebe es meinen Hühnern zu fressen, dann schmecken ihre Eier besser. Rogoff war sprachlos – noch nie hatte er gesehen, dass eine Henne am Knoblauch pickt.
Als der Krämer im nächsten Jahr wieder durchs Dorf zog, hatte er Knoblauchpillen im Angebot, und plötzlich sah Rogoff sein Dorf mit anderen Augen. Lag es am Knoblauch, dass dort alle so gesund waren? Die Bauern starben an schweren Verletzungen bei Unfällen oder an körperlicher Schwäche, wenn sie aus Lebensüberdruss wochenlang die Nahrung verweigert hatten, aber niemals an einem hitzigen Fieber, an einem Schlag oder an einem nicht enden wollenden Husten. Ja, ihre Gesundheit verdankten sie wohl dem reichlichen Verzehr von rohem oder allenfalls leicht gedünstetem Knoblauch.
Die weitere Geschichte ist im Wesentlichen bekannt: Rogoff begann abermals ein neues Leben. Der Krämer wurde sein Vorbild, das er in jeder Hinsicht übertraf – als Produzent, als Händler und als Werbefachmann. Legendär sind seine Kunststücke am Reck, mit denen er seine öffentlichen Auftritte garnierte. Wer Rogoff nicht live erlebte, konnte sich immerhin darüber freuen, wenn ein hölzernes, motorgetriebenes Männchen mit Rogoffs Gesichtszügen im Schaufenster in endloser Folge Klimmzug–Überschlag–Klimmzug turnte. Lang lang ist’s her, doch was macht Rogoff heute, quasi in seinem vierten Lebensabschnitt?Auf Nachfrage teilte die Bayer AG, die derzeit die Knoblauchpillen der Marke Ilja Rogoff vertreibt, mit, dass Rogoff sämtliche Rechte an das Warenzeichen Ilja Rogoff schon „vor vielen Jahren“ abgetreten habe. Seither bestehen weder Geschäftsbeziehungen noch persönlich Kontakte, sodass der Firma nichts über den Verbleib von Rogoff bekannt ist. Auch in den unsozialen Medien findet sich keine Spur von ihm. Vielleicht ist er zu seinen Wurzeln zurückgekehrt und meditiert in einem Kloster mit Blick auf die schneebedeckten Gipfel des Kaukasus.
DAZ 2014, Nr. 13 ½, S. 8, 1. April
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