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SPD offen für Apothekenbus

DAZ-Interview mit Hilde Mattheis

BERLIN (jz/lk) | Die SPD ist offenbar bereit, die Grenzen zwischen Apothekern, Ärzten und Krankenhäusern bei der Abgabe von Arzneimitteln und anderen heilberuflichen Tätigkeiten neu zu ziehen. Im Gespräch mit der Deutschen Apotheker Zeitung (DAZ) erklärte die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion, Hilde Mattheis, sie halte solche Debatten für sehr hilfreich, wenn es um die Versorgungsqualität und die Versorgungssicherheit gehe. Mattheis zeigte sich dabei auch offen für die Diskussion über einen Apothekenbus für ländliche Gebiete und die Arzneimittelabgabe durch Ärzte. „Wir sind da sehr aufgeschlossen“, sagte sie mit Blick auf anstehende Gesetzesberatungen.

DAZ: Die Diskussion um die Entlassung der „Pille danach“ aus der Verschreibungspflicht scheint in einer Sackgasse zu stecken. Opposition und SPD wollen eine Freigabe – die Union und der Gesundheitsminister sind strikt dagegen. Wie geht es jetzt weiter?

Mattheis: Unsere Position ist ja bekannt. Was mich dabei allerdings wundert ist, dass die Apotheker bei dieser Diskussion nicht mehr Sturm laufen. Warum ist das so? In meinem Wahlkreis habe ich die Stellungnahme von Ärzten und Apothekern – und die Apotheker sagen: Lasst es doch bitte die Ärzte machen. Da bin ich völlig irritiert. Vielleicht sind das aber auch nur vereinzelte Stimmen.

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Hilde Mattheis, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, im Gespräch mit den DAZ-Hauptstadtredakteuren Juliane Ziegler und Lothar Klein.

DAZ: Irgendwann muss aber doch eine Entscheidung her?

Mattheis: Die Entscheidung fällt ja nicht im Bundestag. Die Verschreibungspflicht wird in einer Rechtsverordnung der Bundesregierung geregelt, die die Zustimmung der Länder braucht. Derzeit versuchen die Länder über diesen Weg die Verschreibungspflicht der PiDaNa® aufzuheben. Wir werden sehen, ob sie damit Erfolg haben werden. Parallel dazu läuft auf europäischer Ebene ein Verfahren, um ein anderes Präparat mit dem Wirkstoff Ulipristal europaweit aus der Rezeptpflicht zu entlassen. Ich gehe davon aus, dass, wenn dieses Verfahren erfolgreich abgeschlossen wird, das Problem in Deutschland im Sinne der Frauen vom Tisch sein wird.

DAZ: Thema Substitutionsausschlussliste – offenbar ist das Vertrauen in der Koalition nicht vorhanden, noch auf eine Einigungsbereitschaft der Selbstverwaltung zu setzen, weshalb es jetzt dem Gemeinsamen Bundesausschuss aufgetragen wird.

Mattheis: So haben wir das jetzt über einen Änderungsantrag im 14. SGB V-Änderungsgesetz geregelt. Wir haben uns das natürlich im Vorfeld des Änderungsantrags genau angeschaut. Es ist aber wichtig, die Entscheidung in einem einigermaßen zeitlichen Fenster hinzubekommen. Und im Moment gibt es eine Einigung zwischen Kassen und Apothekern ja erst für zwei Wirkstoffe auf der Liste. In den Koalitionsvertrag haben wir das geschrieben, weil es der Stand der Debatte war. Ich glaube, dass der Schiedsspruch die Handlungs- und Einigungsfähigkeit der Selbstverwaltung demonstrieren soll. Wir nehmen das so zur Kenntnis, aber die Erfahrung hat uns gelehrt. Und das Verfahren muss einfach beschleunigt werden. Wir hoffen natürlich, dass der G-BA wesentlich zeitnaher entscheiden wird. In jedem Fall gibt es für die Ausnahmeliste eine gesetzliche Frist bis zum 30. September. Falls bis dahin nichts vorliegt, wird in der Begründung zu der neuen Regelung ja bereits auf die Ersatzvornahme hingewiesen.

DAZ: Welche Bedeutung hat diese politische Entscheidung denn auf den Schiedsspruch – bleibt er bestehen?

Mattheis: Wir gehen alle davon aus, dass die vor dem Schiedsamt gefundene Einigung im Interesse der Patientinnen und Patienten so lange Bestand hat, bis der G-BA eine umfassendere Nachfolgeliste vorlegt.

DAZ: Das heißt, die Arbeit war umsonst?

Mattheis: Auf gar keinen Fall. Der G-BA muss doch jetzt nicht bei Null anfangen. Er wird sicher auf der Grundlage der bereits geleisteten Vorarbeiten ansetzen können. Die gesetzliche Übertragung an den G-BA soll doch nicht das Verfahren ausbremsen und von vorne beginnen lassen, sondern es soll beschleunigt werden. Deshalb wäre es doch auch ein Schildbürgerstreich, wenn die beiden Wirkstoffe, auf die sich Kassen und Apotheker mühsam verständigt haben, jetzt zunächst wieder von der Liste genommen würden. Wir sollten uns doch in erster Linie den betroffenen Patientinnen und Patienten verpflichtet fühlen und nicht den Befindlichkeiten von Verbänden und Lobbygruppen.

DAZ: Welche weiteren Themen im Arzneimittel- und Apothekenbereich müssten Ihrer Meinung nach in dieser Legislaturperiode angegangen werden?

Mattheis: Jetzt haben wir erst einmal mit dem 14. SGB V-Änderungsgesetz einiges, was wir im Koalitionsvertrag festgemacht haben, umgesetzt. Es kommen noch einige Dinge, die die Strukturen und die Krankenhausfinanzierung anbelangen – aber ich denke, was den Arzneimittelbereich angeht, haben wir schon einiges abgearbeitet. Natürlich wird aber die Debatte und ein Austausch über den Koalitionsvertrag hinaus nicht abreißen, das ist selbstverständlich.

DAZ: Jetzt hat die SPD in Brandenburg für den Landtagswahlkampf im Herbst in ihr Wahlprogramm den „Apothekenbus“ für die Arzneimittelversorgung in dünn besiedelten Regionen aufgenommen. Im Bundestagswahlkampf war das eher Thema der Union, die SPD hielt sich zurück. Wie stehen Sie zu diesem Instrument zur Versorgung auf dem Land?

Mattheis: Ich glaube, dass es wichtig ist, alle Möglichkeiten für ländliche Regionen zu nutzen. Und da ist der Apothekenbus möglicherweise ein Instrument. Man wird natürlich die Erfahrungsberichte abwarten müssen, wie das funktioniert. Aber für die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung – Brandenburg ist schließlich kein dicht besiedeltes Gebiet – kann ich mir dieses Instrument als sehr erfolgreich vorstellen. Erfahrungen mit so einem Bussystem gab es ja auch schon bei der ärztlichen Versorgung. Da haben wir bereits über eine hausärztliche Versorgung in einem Versorgungsbus debattiert. Solche neuen Dinge auszuprobieren halte ich für absolut richtig und wichtig.

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Der Apothekenbus kann aus Mattheis Sicht ein mögliches Instrument für ländliche Gebiete sein.

DAZ: Die Apothekenbetriebsordnung sieht für eine Apotheke bislang bestimmte Voraussetzungen vor, wie etwa die Mindestgröße von 110 Quadratmetern. Sie wären also bereit, entsprechende Veränderungen vorzunehmen?

Mattheis: Solche Punkte werde ich mit den Sozial- und Gesundheitsministern der A-Länder debattieren. Weil es wichtig ist, im engen Schulterschluss zwischen Bund und Ländern solche Versorgungsfragen zu besprechen. Ich glaube, dass der Koalitionspartner genauso aufgeschlossen ist, dass man sich – was die rechtlichen Rahmenbedingungen anbelangt – damit auch befasst und es unterstützt.

DAZ: Die Telekom plant derzeit mit der Versandapotheke DocMorris ein elektronisches Beratungsverfahren. Bei Ärzten ist eine solche Fernbehandlung verboten, bei Apothekern nicht. Was halten Sie von dieser neuen Idee?

Mattheis: Entscheidend ist nicht, ob ich das gut finde oder schlecht. Das Entscheidende ist meines Erachtens, ob der gesetzliche Rahmen eingehalten oder verletzt wird, ob das praktikabel ist für alle Fälle und ob das im Hinblick auf Beratungssicherheit und Qualität auch unseren Ansprüchen genügt. Solche telemedizinischen Beratungssysteme kenne ich von Greifswald, die haben ein Versuchsprogramm für psychisch Kranke gemacht und sehr, sehr positive Bilanzen vorgelegt. Solche telemedizinischen Beratungssysteme, die in einer Versuchsphase laufen und positiv zu bescheiden sind, können daher auch ein Instrument sein. Ich will mich da gar nicht sofort verschließen.

DAZ: Und wie stehen Sie zur Diskussion, die Grenzlinien zwischen Apotheker und Arzt im ländlichen Bereich aufzuheben – sollte ein Arzt auf dem Land auch das ein oder andere Arzneimittel abgeben dürfen, wenn sich in der Nähe keine Apotheke befindet, bzw. sollte der Apotheker Dienstleistungen anbieten dürfen, die nach heutiger Lesart ausschließlich den Ärzten zuzuordnen sind? Die Lebenspraxis zeigt, dass Ärzte bereits heute Medikamente abgeben, etwa am Wochenende im Notdienst.

Mattheis: … gehen Sie mal hier zur Parlamentsärztin. Da brauchen Sie nicht wieder in die Apotheke gehen. Zu dieser Frage steht ansatzweise etwas im Koalitionsvertrag. Ich halte solche Debatten immer für sehr hilfreich, wenn es um die Versorgungsqualität und die Versorgungssicherheit geht. Wir sind da sehr aufgeschlossen. Wir werden daher auch im Zusammenhang mit dem Versorgungsstrukturgesetz sehr intensiv über diese Frage diskutieren – natürlich mit den Ländern. Das haben wir uns für dieses Jahr vorgenommen, dass nach der Finanzierung die Versorgungsfragen kommen. Auch die Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf nichtärztliche Berufe ist dabei ein Thema – das wir in unterschiedlichen Koalitionen ja auch schon angepackt haben, etwa mit Modellregionen. Die Diskussion wird geführt werden, nicht zuletzt im Hinblick auf die Pflege und die Möglichkeiten der Krankenhäuser. Über die Versorgungsstrukturen der Spezialfachärzte sind wir im Moment auch nicht gerade begeistert. Wir haben im Versorgungssystem ein paar Lücken – und die Überlegung, dass Krankenhäuser noch sehr viel stärker mit einsteigen, hat durchaus etwas mit der Medikamentenvergabe zu tun. Dabei kann auch mit in die Betrachtung einbezogen werden, dass auch Ärzte Arzneimittel abgeben können. Ob das aber zielführend ist, muss die Abwägung der Argumente zeigen. Erforderlich ist eine breite Diskussion unter dem Aspekt, ob das für die Patienten eine wichtige Rolle spielt. Von daher: Aufgeschlossenheit ja – aber keine Abgeschlossenheit.

DAZ: Thema Honorar – die Apotheker wünschen sich eine Dynamisierung und eine bessere Honorierung von BtM und Rezeptur. Der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Jens Spahn, kann sich nach eigenem Bekunden ein zusätzliches Honorar für bestimmte Leistungen durchaus vorstellen.

Mattheis: Was steht dazu im Koalitionsvertrag?

DAZ: Nichts.

Mattheis: Eben. Dann halten wir uns doch mal einfach an den Koalitionsvertrag. Wir haben abgemacht, dass wir uns sehr eng an diesem Text abarbeiten. Das ist auch eine Vereinbarung mit dem Ministerium. Von daher glaube ich, dass wir viele Dinge zu tun haben. Vieles, was wir in Übereinstimmung gut formuliert haben. Natürlich werden immer wieder aktuelle Probleme aufschlagen, wie derzeit das Thema Hebammen. Dann wird man sich entsprechend in der Koalition verhalten. Aber ich glaube, es ist nicht richtig, jetzt schon mit irgendwelchen Versprechungen auf den Markt zu gehen. Wir haben es in der Koalition sicherlich gegenseitig in bestimmten Bereichen nicht leicht – daher halten wir uns doch bitte an das, was wir vorher formuliert haben.

DAZ: Also dürfen die Apotheker nicht auf eine Honoraraufbesserung hoffen?

Mattheis: Ich finde, durch den Vorspann im Koalitionsvertrag und die Unterstützung für die freien Berufe im Gesundheitsbereich ist doch schon einiges an Botschaft gelaufen. Meiner Meinung nach ist das auch eine ordentliche Botschaft.

DAZ: Apropos Botschaft und freie Berufe – während des Wahlkampfes war bei der SPD nicht immer ganz so klar, welche Position sie in Bezug auf das Mehr- und Fremdbesitzverbot vertritt.

Mattheis: Das ist richtig. Jetzt haben wir das aber eindeutig im Koalitionsvertrag formuliert. Und von daher gibt es diese Debatte auch bei uns nicht mehr.

DAZ: Das heißt, der Koalitionsvertrag steht über dem Parteiprogramm, und Apotheker müssen sich zumindest in dieser Legislaturperiode keine Sorgen mehr machen, dass sich in diesem Punkt etwas ändert?

Mattheis: Richtig. Wir haben andere Vorstellungen in anderen Bereichen – Thema Bürgerversicherung. Wir werden nichts begraben. Gar nichts. Weil es einfach unserer inhaltlichen politischen Haltung entspricht. Aber jetzt sind wir in einer Großen Koalition. Ich bin nicht dafür bekannt, dass ich nicht kampfbereit bin, aber in diesen Bereichen gilt es schlicht und ergreifend sehr textnah umzusetzen.

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Beim Leitbild sollte die Apothekerschaft laut Mattheis sehr intensiv die Beratung herausstellen.

DAZ: Beim Thema Honorar geht die Kritik der Apotheker dahin, dass die pharmazeutische Beratung nicht mehr den Umsatz bringt, der für eine wirtschaftlich erfolgreiche Betriebsführung nötig wäre.

Mattheis: Sollen wir jetzt mal über das Jahresgehalt von Apothekern reden? Ich habe rund 80.000 Euro im Kopf. Und das ist doch nicht schlecht, oder? Die Befürchtung, dass das aufgrund des Wettbewerbs und des Konkurrenzdrucks womöglich noch weiter zurückgeht, kann ich nachvollziehen. Allerdings glaube ich, dass da – wie in anderen Bereichen auch – gilt, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen. Im Hinblick auf die politischen Rahmenbedingungen ist aber auch klar, dass wir diesen kritischen Blick durchaus immer haben müssen. Das ist eine Aufgabe und eine Herausforderung, das ist völlig klar. Sonst würden wir ja alles das, was die Schleusen öffnet zu einer Vermarktung ganz normal im Lebensmittelhandel, wollen. Und das ist nicht der Fall.

DAZ: Deshalb hat die SPD in der letzten Legislaturperiode auch die Notdienstpauschale mit durchgesetzt. Von ihr profitieren ganz wenige Apotheken in ganz besonderer Weise auf ganz besondere Weise, etwa in Insellagen. Wie stehen Sie dazu?

Mattheis: Ich glaube manche Sachen muss man nicht regulieren. Es gibt immer diesen Spagat zwischen freiem Markt und der Regulierung von Staats wegen. Ich finde, da muss man sich ein Stück weit auch zurückhalten. Das sollte meiner Meinung nach besser vor Ort geregelt werden, von den einzelnen Apothekerkammern.

DAZ: Letzte Frage: Wie finden Sie es, dass die Apotheker sich derzeit ein neues Leitbild suchen? Welche Ratschläge würden Sie ihnen mit auf den Weg geben?

Mattheis: Das machen viele Berufsgruppen, sich immer wieder neu sortieren und neu vergewissern. Das ist nicht unbedingt schlecht. Ich finde, die Apothekerschaft sollte dabei sehr intensiv ihre Beratungsfähigkeiten und Beratungsmöglichkeiten herausstellen. Sie sind schließlich keine Verkäufer. Und ich glaube, dass es dem Berufsstand sicherlich nicht schaden wird, dieses Monopol, sehr kundenorientiert zu beraten. Ihre Beratungsmöglichkeit sollten sie aber auch sehr ernst nehmen. Ich glaube, dass eine Quartiersapotheke eine Instanz in der Versorgungsstruktur ist, in der Gesundheitsinfrastruktur, die man mehr als schätzen muss. Und die Apotheken, die sehr auf Verkauf aus sind, sind für die Zukunft nicht unbedingt das Leitbild, das man sich vorstellen möchte. Die Apotheker müssen sich einfach überlegen, welches Leitbild sie möchten.

DAZ: Frau Mattheis, vielen Dank für das Gespräch! 

 

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