Arzneimittel und Therapie

Je früher desto besser

Neuraminidase-Hemmer nutzen noch Tage nach Erkrankungsbeginn

Je früher Oseltamivir, Zanamivir und Co. gegeben werden, desto besser. 48 Stunden nach Einsetzen von Grippe-Symptomen gilt als Grenze des Sinnvollen und der Zulassung. Das optimale timing antiviraler Therapie variiert jedoch, abhängig z.B. von der Viruslast und dem Alter. Das ist das Ergebnis einer im Lancet Infectious Diseases publizierten Studie mit 1200 jungen Patienten in Bangladesh. Sie verglich die Effekte einer frühen und späten Gabe von Oseltamivir.

Neuraminidase-Inhibitoren sind die einzigen zugelassenen Substanzen mit belegter Wirksamkeit gegen weltweit zirkulierende Stämme von Influenza-A- und -Influenza-B-Viren. Je früher Oseltamivir (Tamiflu®), Zanamivir (RelenzaTM), Laninamivir oder Peramivir gegeben werden, desto stärker der Effekt auf die Symptome. Die Bedeutung des kurzen Zeitintervalls wurde überwiegend an ambulanten erwachsenen Patienten demonstriert, die einen Neuraminidase-Hemmer binnen 48 Stunden nach Erkrankungsbeginn einnahmen. Kaum untersucht wurden bisher modifizierte Settings mit späterer Anwendung, wie sie in Ländern mit sehr begrenzten Ressourcen eher vorkommen. In diese Lücke stößt die von den amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention in Kooperation mit einem Forschungsinstitut in Dhaka/Bangladesh aufgelegte Studie, die jetzt im Lancet veröffentlicht wurde.

Der Influenza-Wochenbericht zur aktuellen Situation

Die Arbeitsgemeinschaft Influenza am Robert Koch-Institut veröffentlicht wöchentlich eine zusammenfassende Bewertung der epidemiologischen Lage. Für die Kalenderwoche 8 (15. Februar bis 21. Februar 2014) sind die Werte des Praxisindex und der Konsultationsinzidenz im Vergleich zur Vorwoche leicht gesunken. Die Aktivität an akuten Atemwegserkrankungen (ARE) lag insgesamt im geringfügig erhöhten Bereich. Im Nationalen Referenzzentrum für Influenza (NRZ) waren in der 8. Kalenderwoche 2014 bei 125 eingesandten Sentinelproben insgesamt 24 (19%) positiv für Influenza. Es wurden 17 dieser Nachweise als Influenza A(H3N2), sechs als Influenza A(H1N1)pdm09 und einer als Influenza B subtypisiert. In 20 (16%) Proben wurden Respiratorische Synzytial- Viren (RSV), in 15 (12%) humane Metapneumoviren (hMPV), in elf (9%) Adenoviren und in 14 (11%) Proben wurden Rhinoviren nachgewiesen. Seit der 40. Meldewoche 2013 wurden insgesamt 2039 klinisch-labordiagnostisch bestätigte Influenza-Fälle gemeldet. Bislang wurden fünf labordiagnostisch bestätigte Todesfälle an das RKI übermittelt, davon drei mit Influenza A(H1N1)pdm09 und zwei mit nicht subtypisierter Influenza A.

Quelle: Influenza-Wochenbericht der AGI am RKI, Stand 25. Februar 2014, www.influenza.rki.de

Untersucht wurde die Anwendung von Oseltamivir binnen fünf Tagen nach Einsetzen von Influenza-Symptomen in einer dicht bevölkerten, einkommensschwachen, städtischen Bevölkerung in Bangladesh. Ausgewählt wurden zunächst Kinder und wenige Erwachsene, bei denen die kommunale Gesundheitsüberwachung im Rahmen von Routineüberwachung einen Atemwegsinfekt feststellte. Bei einem positiven Influenza-Schnelltest wurden sie in die doppelblinde, randomisierte Studie aufgenommen. Sie erhielten zu Hause, ambulant unterstützt, fünf Tage lang zweimal täglich Oseltamivir und wurden bis sieben Tag nach Gesundung beobachtet. Endpunkte der Studie waren die Dauer der klinischen Symptome (z.B. Fieber, Tachypnö, Atemnot, Husten) bzw. der Residualsymptome, die Virus-Ausscheidung in nasalem Spülwasser und die Resistenzentwicklung gegen Oseltamivir. Unterschieden wurde jeweils die Gabe früher und später als 48 Stunden nach Einsetzen der Symptome.

Die Intention-to-treat-Population von 1190 Patienten umfasste etwa zur Hälfte Kleinkinder (52% Ein- bis Vierjährige), zu einem Viertel Schulkinder und zu rund 10% Jugendliche und Erwachsene. Säuglinge und Schwangere waren ausgeschlossen. Das Durchschnittsalter lag bei fünf Jahren.

Symptome moderat, Viruslast deutlich reduziert

Die mediane Symptomdauer in der Gesamtgruppe lag bei drei Tagen unter Oseltamivir, gegenüber vier Tagen unter Placebo (p = 0,01). Um einen Tag verkürzt war auch die mediane Symptomdauer in der Gruppe, deren Therapie binnen 48 Stunden begann. Zu einem späteren Therapiebeginn ergab sich aber kein signifikanter Unterschied. Auch Residualsymtome nach Fieberrückgang – z.B. Schnupfen, Atemnot und Husten – waren in der Verumgruppe (19%) geringer als in der Placebogruppe (26%). Bei frühem Therapiebeginn war das Bild ähnlich (20% unter Oseltamivir, 27% unter Placebo), bei Einnahme des Medikaments später als 48 Stunden nach Symptombeginn war der Unterschied nicht mehr signifikant.

Einen klareren Vorsprung zeigte Oseltamivir bei Betrachtung der Virus-Ausscheidung. Bei Aufnahme in die Studie und an den Tagen 2, 4 und 7 wurde das Nasenspülwasser auf Influenza-Viren untersucht. An allen Tagen war die Viruslast Oseltamivir-behandelter Patienten geringer als in der Kontrollgruppe. Das galt für die Gesamtgruppe und für die mit frühem Therapiestart; bei Patienten, die später als 48 Stunden mit der Behandlung begannen, war die gemessene Viruslast unter Oseltamivir nur an den Tagen 2 und 4 geringer, aber nicht mehr an Tag 7.

Das Aufkommen von Resistenzen gegenüber Oseltamivir war mit <1% niedrig, am höchsten bei Influenza-A-H1N1pdm09-Viren (3,9%). Allerdings hatte man die Dauer der Untersuchung auf eine dritte Studiensaison ausgedehnt, weil in der ersten Saison 2008/09 außergewöhnlich viele Oseltamivir-resistente H1N1-Typen kursierten.

Als Fazit halten die Autoren fest, dass Oseltamivir bei (sehr jungen) Patienten mit unkomplizierter Influenza zu einer mäßigen Reduktion der Symptomdauer und der Virus-Ausscheidung führte, auch, wenn die Behandlung erst 48 Stunden oder später nach Erkrankungsbeginn einsetzte.

Patienten mit starker Virus-Ausscheidung profitieren

Auf die letztere Beobachtung legt der Kommentator im Lancet den Fokus: Die meisten der spät therapierten Patienten begannen am Tag drei nach Symptombeginn mit der Einnahme. „Da sie noch einen klinischen und virologischen Nutzen von Oseltamivir hatten, stellt diese Studie die bisherige Vorstellung infrage, dass eine Anwendung später als 48 Stunden keinen Nutzen habe“, findet Michael G. Ison von der Feinberg School of Medicine, Chicago. An den Tagen 2, 4 und 7 nahm die prozentuale Reduktion der aus dem Nasenspülwasser isolierten Influenza-Viren in der Gesamtgruppe stetig zu (15,2%/30,2%/ 47,5%). Dieselbe Tendenz zeigte sich in den Gruppen mit frühem wie mit spätem Therapiebeginn, unterstreicht Ison. Auch ein Rückgang der Hauptsymptome um einen Tag sei zu beobachten, egal ob der Neuraminidase-Hemmer bis 48 oder bis 72 Stunden nach Erkrankung eingesetzt wurde.

Wer profitiert von der späten Gabe? Über die Hälfte der Studienteilnehmer waren Kinder im Alter von ein bis vier Jahren; sie erkrankten kürzere Zeit als Erwachsene, schieden aber längere Zeit Viren aus. Außer bei Kindern ist die langanhaltende Virus-Ausscheidung typisch für Patienten mit hoher Viruslast. Diese Gruppen könnten von einer relativ spät einsetzenden Neuraminidase-Hemmung am ehesten profitieren, meint der Kommentator.

Ein wichtiger Aspekt der Studie wurde noch nicht ausgewertet – die Ansteckungsgefahr innerhalb der Familie, bei der die Virus-Ausscheidung eine zentrale Rolle spielt. Die Veröffentlichung soll folgen. 

Quellen

Fry MA et al. Efficacy of oseltamivir treatment started within 5 days of symptom onset to reduce influenza illness duration and virus shedding in an urban setting in Bangladesh: a randomised placebo- controlled trial. Lancet Infect Dis. 2014 Feb; 14(2): 109–118.

Ison MG. Divisions of Infectious Optimum timing of oseltamivir: lessons from Bangladesh. Lancet Infect Dis. 2014 Feb; 14(2): 88–89.

 

Apotheker Ralf Schlenger

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