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- AZ 24/2014
- Bleibt die „Zwangsrente
Gesundheitspolitik
Bleibt die „Zwangsrente“?
Eingreifen der Politik unwahrscheinlich
Das BSG hatte im April entschieden, dass abhängig beschäftigte Rechtsanwälte (sog. Syndikusanwälte) von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht zu befreien sind – auch wenn sie zugleich Mitglied des Anwaltsversorgungswerkes und der Rechtsanwaltskammer sind. Sie seien nicht wegen ihrer Beschäftigung Pflichtmitglieder, argumentierte das Gericht. Die Tätigkeit in einem Unternehmen löse die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung aus – unabhängig von der Mitgliedschaft im berufsständischen Versorgungswerk. Ausschließlich Syndikusanwälten, die bereits einen Befreiungsentscheid haben, räumten die Sozialrichter für die Dauer ihrer derzeitigen Beschäftigung Bestandsschutz ein.
Gegenüber der FAZ beschreibt Hirte, der an der Universität Hamburg Bürgerliches Recht, Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht lehrt, diese Entscheidung als „Erdrutsch“. Anwaltsorganisationen und Versorgungswerke forderten jetzt zwar eine Gesetzesänderung – doch Sozialpolitiker dürften sich seiner Meinung nach schwer tun, die BSG-Rechtsprechung wieder umzudrehen. Zumal die Große Koalition im Bundestag erst jüngst die „Rente mit 63“ eingeführt und die Mütterrente ausgeweitet habe.
Die Meinungen dazu, inwieweit der Kurswechsel der BSG-Richter Wirkung auch für andere Freiberufler entfalten könnte, gehen derweil auseinander. Der Konstanzer Juraprofessor Winfried Boecken erwartet laut der FAZ, dass sich auch Apotheker, Ärzte und Architekten, die abseits der klassischen Berufsfelder arbeiten, nicht mehr der „Zwangsrente“ entziehen können. Andere Rechtswissenschaftler rechnen auch nicht mit einem Erfolg von Verfassungsbeschwerden, die Betroffene einlegen wollen. Der Stuttgarter Medizinrechtler Martin Wesch erwartet wiederum, dass die BSG-Senate, die Apothekern und Ärzten bislang die Befreiung zugebilligt haben, am Ende die Oberhand gewinnen.
Die Folgen der Kasseler Entscheidung bekommen Unternehmen bereits zu spüren: Juristen ziehen ihre Bewerbungen zurück oder verlangen mehr Geld, berichtet die FAZ. Wirtschaftsverbände warnen vor einem „erheblichen Risikopotenzial“, weil der Wechsel in ein Unternehmen nun deutlich unattraktiver geworden sei, da die Altersversorgungssysteme nicht aufeinander abgestimmt seien. Rechtspolitiker Hirte fordert daher, die Stellung des Syndikusanwalts grundlegend neu zu beleuchten. Dabei stellt sich für ihn auch die Frage, wie unabhängig Freiberufler wirklich sein müssen.
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