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Fragen aus der Praxis

Privatvergnügen Sildenafil

Wissenswertes zu PDE-5-Inhibitoren

Ein Stammkunde von Ihnen betritt die Apotheke. Er fragt Sie, ob es Viagra® jetzt nicht ebenfalls von Ratiopharm gebe und sein Blick wandert fragend durch die Sichtwahl. Er habe gehört, dass es nun auch günstigere Präparate zu kaufen gibt, habe aber Sorge, dass die Wirkung nicht dieselbe ist.

Frage

Ein Stammkunde von Ihnen betritt die Apotheke. Er fragt Sie, ob es Viagra® jetzt nicht ebenfalls von Ratiopharm gebe und sein Blick wandert fragend durch die Sichtwahl. Er habe gehört, dass es nun auch günstigere Präparate zu kaufen gibt, habe aber Sorge, dass die Wirkung nicht dieselbe ist. Und im Übrigen könne er es jetzt auch ohne Rezept im Internet bestellen – das hat ihm sein Kegelbruder verraten. Gibt es das Potenzmittel auch ohne Rezept in Ihrer Apotheke?

Ursprünglich gedacht als Mittel gegen Bluthochdruck wurde Sildenafil unter dem Handelsnamen Viagra® zunächst im März 1998 von der Amerikanischen Zulassungsbehörde (Food and Drug Administration) und anschließend im September desselben Jahres von der Europäischen Arzneimittel-Agentur zur On-Demand-Behandlung der erektilen Dysfunktion (ED) zugelassen – als erster Phosphodiesterase-Typ-5-(PDE-5)-Hemmer für diese Indikation [1].

Bei Männern wird die Erektionsfähigkeit auf natürliche Weise durch eine Steigerung des Bluteinstroms in den Penis hergestellt. Dabei spielt die Freisetzung von Stickstoffmonoxid im Schwellkörper (Corpus cavernosum) während der sexuellen Stimulation eine entscheidende Rolle. Durch Aktivierung des Enzyms Guanylatcyclase mittels Stickstoffmonoxid kommt es zu erhöhten Spiegeln an zyklischem Guanosinmonophosphat (cGMP). Dieses führt zu einer Entspannung der glatten Muskulatur im Corpus cavernosum und ermöglicht somit den Bluteinstrom.

Sildenafil wirkt als potenter Hemmstoff der cGMP-spezifischen Phosphodiesterase Typ 5 (PDE 5) im Corpus cavernosum dem Abbau von cGMP entgegen und beeinflusst somit peripher die Errektionsfähigkeit. Da Sildenafil keinen direkten relaxierenden Effekt auf isoliertes menschliches Corpus-cavernosum-Gewebe ausübt, sondern lediglich die relaxierende Wirkung von Stickstoffmonoxid verstärkt, ist eine sexuelle Stimulation zur Aktivierung des NO/cGMP-Stoffwechselweges notwendig [2].

Durchbruch in der Therapie der erektilen Dysfunktion

Sildenafil veränderte die Situation von Patienten mit Potenzstörungen – beispielsweise hervorgerufen durch Diabetes mellitus oder koronare Herzerkrankungen – grundlegend. Nach den Ergebnissen einer gepoolten Auswertung von 16 kontrollierten Studien ist bei 69 Prozent der sexuellen Kontakte ein Geschlechtsverkehr möglich (versus 36 Prozent unter Placebo) [3]. Erstmals war die erektile Dysfunktion ohne große Umstände therapierbar. Seit Einführung von Sildenafil und Co. ist außerdem die Jagd auf bedrohte Tierarten, aus denen tierische Substanzen als Aphrodisiaka gewonnen wurden, zurückgegangen [4]. Allerdings gilt auch hier: keine Wirkung ohne Nebenwirkung. So ist auch Sildenafil nicht nebenwirkungsfrei: Da die PDE 5 nicht hochselektiv gehemmt wird, sondern auch die PDE 6, wenngleich zehnmal schwächer, kann es unter der Behandlung zu Sehstörungen kommen. Auf andere Nebenwirkungen muss ebenfalls hingewiesen werden: Kopfschmerzen, gastrointestinale Beschwerden oder auch eine verstopfte Nase sind keine Seltenheit. Entscheidend vor einer medikamentösen Therapie ist aber, ob die Diagnose einer erektilen Dysfunktion gestellt und zugrunde liegende Ursachen mittels Anamnese und körperlicher Untersuchung ermittelt wurden. Auch muss vor dem Beginn einer Behandlung der kardiovaskuläre Status berücksichtigt werden, da mit sexueller Aktivität auch ein gewisses kardiales Risiko einhergeht. Nach der Markteinführung wurden schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse, einschließlich Herzinfarkt, instabile Angina pectoris, plötzlicher Herztod, ventrikuläre Arrhythmie, zerebrovaskuläre Blutung, transitorische ischämische Attacke, Hypertonie und Hypotonie im zeitlichen Zusammenhang mit dem Gebrauch von Sildenafil gemeldet [2]. So bleibt die Verschreibungspflicht von Sildenafil nach wie vor bestehen – unabhängig davon, was Internet und Kegelbruder behaupten.

Ohne Patent

Im Juni diesen Jahres endete nun der Patentschutz für den Wirkstoff und bereits jetzt stehen über 20 Generika (unter anderem vom Originalhersteller Pfizer selbst) zur Verfügung – so kosten die preisgünstigsten Präparate (Duraviril® 100 mg 12 Filmtabletten und Sildenafil Basics® 100 mg 12 Filmtabletten) nur noch knapp 1/7 vom Originalpreis (Stand Lauer-Taxe vom 15. September 2013). Doch trotz des Preisverfalls ist der Umsatz für Sildenafil-Präparate nach Meldungen des Gesundheitsinformationsdienstleisters Insight Health weitgehend konstant geblieben. Begründet wird dies durch die Verdreifachung der Absatzmenge von Sildenafil seit Patentablauf [5].

Antwort kurz gefasst

  • Seit dem Patentablauf von Viagra sind Sildenafil-Generika erhältlich. Der Preis liegt deutlich unter dem des Originals.
  • Alle Sildenafil-Präparate sind weiterhin rezeptpflichtig. Anders lautende Behauptungen deuten auf unseriöse Anbieter hin.
  • Sildenafil und andere PDE-5-Hemmer mit der Indikation „erektile Dysfunktion“ sind nicht zulasten der GKV verordnungsfähig, auch nicht mit Zusatzindikationen wie „benigne Prostatahyperplasie“.
  • PDE-5-Hemmer, die ausschließlich zur Behandlung der pulmonalen arteriellen Hypertonie zugelassen sind, sind zulasten der GKV verordnungsfähig.

Bis auf ein Sildenafil-Präparat (Revatio®), welches sowohl zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit pulmonaler arterieller Hypertonie (PAH) der WHO-Funktionsklasse II und III zur Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit als auch zur Behandlung von pädiatrischen Patienten im Alter von 1 bis 17 Jahren mit pulmonaler arterieller Hypertonie zugelassen wurde [6], fallen alle anderen Präparate aufgrund ihrer Indikation unter die sogenannten Lifestyle-Arzneimittel (siehe Tab. 1).

PDE-5-Hemmer immer Lifestyle-Arzneimittel?

Lifestyle-Arzneimittel sind die Präparate, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Diese sind mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (kurz: GKV-Modernisierungsgesetz, GMG) seit dem 1. Januar 2004 von der Versorgung durch die Gesetzliche Krankenversicherung ausgeschlossen [7]. Ausgeschlossen sind dabei zentral und peripher wirkende Abmagerungsmittel, Arzneimittel zur Steigerung des sexuellen Verlangens und zur Behandlung der sexuellen Dysfunktion, Arzneimittel zur Raucherentwöhnung sowie zur Verbesserung des Haarwuchses [8]. Somit gilt sowohl das Original Viagra® wie auch seine generischen Kopien nach wie vor als nicht erstattungsfähig – im Gegensatz zu Revatio®.

Derzeit laufen weitere Studien, um die Wirksamkeit von Sildenafil auch in anderen Indikationen hinreichend testen zu können [9, 10, 11].

Im Oktober 2012 wurde der Wirkstoff Tadalafil (Cialis®) – bislang indiziert zur Behandlung der erektilen Dysfunktion bei erwachsenen Männern – von der Europäischen Kommission auch für die Behandlung des benignen Prostatasyndroms zugelassen (Konstanztherapie Tadalafil 5 mg zur einmal täglichen Einnahme). Somit gilt Cialis® der Firma Lilly als zugelassene Behandlungsoption sowohl gegen Erektionsstörungen als auch zur Therapie der Symptome einer gutartigen Prostatavergrößerung [7, 12]. Mit dem Handelspräparat Adcirca® steht der Wirkstoff Tadalafil ebenfalls zur Behandlung der pulmonalen arteriellen Hypertonie (PAH) der WHO-Funktionsklasse II und III zur Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit zur Verfügung [13]. Während Adcirca® ebenso wie Revatio® von der Gesetzlichen Krankenversicherung erstattet wird, gilt dies nicht für Cialis® 5 mg zur Behandlung des benignen Prostatasyndroms (BPS). Allein die Kennzeichnung des Fertigarzneimittels mit einem großen „L“ macht die Abgabe auf Kassenrezept durch das vorliegende Computerprogramm nicht umsetzbar. Bei Arzneimitteln, die mit einem kleinen „l“ gekennzeichnet wurden, ist hingegen eine Abgabe unter Berücksichtigung der Indikationsstellung auch zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung möglich (beispielsweise Caverject® als Hilfsmittel in der Diagnostik zur Abklärung einer erektilen Dysfunktion) [7].

Die Indikationserweiterung, die Cialis® nun zusätzlich erhalten hat, ändert nichts daran, dass die Kosten durch die Gesetzliche Krankenversicherung übernommen werden. In der Privaten Krankenversicherung richtet sich die Erstattung einer Leistung hingegen nach dem Vertrag zwischen dem Patienten und der PKV [7].

Um zur Ausgangssituation zurückzukehren: Sie können Ihrem Kunden verschiedene Generika-Hersteller empfehlen. Dabei handelt es sich zwar um preiswertere Präparate nach Ablauf des Patentschutzes, Generika unterliegen aber den gleichen strengen Kriterien der Zulassungsbehörde und müssen eine einwandfreie pharmazeutische Qualität nachweisen. Außerdem muss in sogenannten Bioäquivalenzstudien die absolute Vergleichbarkeit mit dem Präparat des Originalherstellers in Bezug auf Freisetzung, Aufnahme im Körper und Verfügbarkeit belegt werden. Klären Sie Ihre Kunden nicht nur über die Gefahren eines rezeptfreien Bezugs aus unseriösen Internetquellen auf, sondern generell über die Gefahren eines Internetbezugs von Potenzmitteln. Siehe dazu auch „Der Fall Dorovit" DAZ 2013, Nr. 43, S. 72–76.


Literatur

 [1] Giuliano F, Jackson G, Montorsi F, Martin-Morales A, Raillard P (2010). Safety of sildenafil citrate: review of 67 double-blind placebo-controlled trials and the postmarketing safety database. Int J ClinPract 64, 2, 240–255.

 [2] Pfizer (2013). Fachinformation Viagra®. Stand der Information: April 2013

 [3] Tsertsvadze A, Fink HA, Yazdi F, MacDonald R, Bella AJ, Ansari MT, Garritty C, Soares-Weiser K, Daniel R, Sampson M, Fox S, Moher D, Wilt TJ. (2009). Oral phosphodiesterase-5 inhibitors and hormonal treatments for erectile dysfunction: a systematic review and meta-analysis. Ann Intern Med. 3;151(9):650–61.

 [4] Westhoff J (2008). Zehn Jahre Viagra: Sexuelle Revolution – die wievielte? Dtsch Arztebl; 105(13): A-679 / B-596 / C-584

 [5] Ziegler J (2013). Nach Patentauslauf – Sildenafil-Generika finden reißenden Absatz. www.deutsche-apotheker-zeitung.de/wirtschaft/news/2013/08/20/absatzmenge-von-sildenafil-verdreifacht/10817.html. Letzter Zugriff: 24.09.2013

 [6] Pfizer (2013). Fachinformation Revatio® 20 mg Filmtabletten. Stand der Information: Juli 2013.

 [7] Boeschen D, Dicheva S, Heyde I, Hinrichs A, Peters H (2013). Lifestyle-Arzneimittel und die Frage der Erstattungsfähigkeit. Deutsche Apotheker Zeitung (20) 40–43.

 [8] Anlage II zum Abschnitt F der Arzneimittel-Richtlinie Gesetzliche Verordnungsausschlüsse in der Arzneimittelversorgung und zugelassene Ausnahmen - Verordnungsausschluss von Arzneimitteln zur Erhöhung der Lebensqualität gemäß § 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V (Lifestyle Arzneimittel). www.g-ba.de/downloads/ 83-691-237/AM-RL-II-Life%20style-2011- 02-12.pdf. Letzte Änderung in Kraft getreten am 12.02. 2011. Letzter Zugriff: 24.09.2013.

 [9] Rafiei MR, Aghadavoudi O, Hojjat M (2012). The effect of Sildenafil on respiratory weaning of patients with chronic obstructive pulmonary diseases admitted to intensive care unit. Med Arh.;66(2):104–6.

[10] Lederer DJ, Bartels MN, Schluger NW, Brogan F, Jellen P, Thomashow BM, Kawut SM (2012). Sildenafil for chronic obstructive pulmonary disease: a randomized crossover trial. COPD;9(3):268–75.

[11] Herrick AL, van den Hoogen F, Gabrielli A, Tamimi N, Reid C, O‘Connell D, Vázquez-Abad MD, Denton CP (2011). Modified-release Sildenafil reduces Raynaud‘s phenomenon attack frequency in limited cutaneous systemicsclerosis. Arthritis Rheum. 2011 Mar;63(3):775–82.

[12] Lilly (2012): Prostatabeschwerden und Erektionsstörungen treten häufig gemeinsam auf - Cialis®-Konstanztherapie erhält auch die Zulassung zur Behandlung des benignen Prostatasyndroms. www.lilly-pharma.de/presse/gesundheitsthemen/aktuelle-meldungen/prostatabeschwerden-und-erektionsstoerungen-treten-haeufig-gemeinsam-auf.html. Letzter Zugriff: 24.09.2013.

[13] Lilly GlaxoSmithKline (2013). Fachinformation Adcirca® 20 mg Filmtabletten. Stand der Information: März 2013. 

Autorinnen

Daniela Boeschen, Insa Heyde, Stanislava Dicheva,
Anna Hinrichs, Heike Peters,

Apothekerinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in der Arbeitsgruppe „Arzneimittelanwendungsforschung“, Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen

Universität Bremen; Zentrum für Sozialpolitik, UNI COM-Gebäude,
Mary-Somerville- Str. 5, 28359 Bremen

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