Praxis aktuell

"Keime in der Luft sind von untergeordneter Bedeutung!"

(du). Für die Herstellung von Parenteralia finden sich im § 35 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) besondere Regelungen für die Qualitätssicherung. Die Vorgaben zur Validierung sind vom Gesetzgeber nicht näher spezifiziert worden. Daher hat der Verband der Zytostatika-herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA) eine Validierungsempfehlung zur Sicherstellung der Arzneimittelqualität in der Apotheke erarbeitet (siehe Kasten). Sie richtet den Fokus auf die eigentliche Gefahrenstelle: Kontaminationen bei der Arbeit am offenen Produkt.
Prof. Dr. Sebastian Lemmen, Aachen: "Es ist notwendig und richtig, alles was vermeidbar ist zu vermeiden, doch es muss auch realisierbar sein!"

Im Vorfeld der neuen ApBetrO war diskutiert worden, die Anforderungen an den für die Industrie geltenden EG-GMP-Leitfaden anzugleichen. In der im Juni 2012 in Kraft getretenen ApBetrO wird jedoch für das Monitoring kein direkter Bezug mehr zu den GMP-Anforderungen hergestellt. Industriestandards sind damit nicht 1:1 auf die Individualherstellung durch Fachpersonal in Apotheken zu übertragen. Der Verordnungsgeber hat das auch mit der Versorgungssicherheit begründet. Für den VZA ein klares Signal, dass die in § 11 Abs. 2 des Apothekengesetzes vorgesehene enge Zusammenarbeit des Onkologen mit der Apotheke sowie die pharmazeutische Betreuung von Krebspatienten vor Ort nicht aufgegeben werden sollte. Da die Vorgaben zur Validierung vom Gesetzgeber nicht näher spezifiziert worden sind, hat der VZA unter der fachlichen Leitung des Krankenhaushygienikers Prof. Dr. Sebastian Lemmen aus Aachen Empfehlungen erarbeitet (siehe Kasten). Wir haben mit Professor Lemmen darüber gesprochen.


DAZ: Herr Professor Lemmen, warum sind Ihrer Meinung nach die für die Industrie geltenden EG-GMP-Anforderungen kein Maßstab für den Apothekenbetrieb?

Lemmen: Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, an welcher Stelle denn überhaupt Gefahren bei der Herstellung und Anwendung von Parenteralia lauern. Und das ist ganz einfach: immer dann, wenn am offenen Produkt gearbeitet wird. Das ist vor allem in der Klinik bei der Anwendung am Patienten der Fall. Und hier gibt es keine Reinraumbedingungen, es gibt auch in den meisten Kliniken keine Laminar-flow-Box zur Herstellung der Infusionslösungen. In-Prozess-Kontrollen sind nicht machbar. Hier sind wir darauf angewiesen, dass Ärzte und Pflegepersonal die Vorschriften zur Hände- und Arbeitsflächendesinfektion einhalten und den Gummistopfen der Infusionsflasche desinfizieren. Und jetzt kommt die Apotheke. Hier herrschen ganz andere Vorgaben und auch eine komplett andere Herangehensweise. Hier werden die Hygieneregeln sehr ernst genommen und mit hoher Compliance beachtet. Zudem sind die Anforderungen im Vergleich z. B. zu denen in der Klinik ungleich höher. So werden beispielsweise Parenteralia ausnahmslos unter einer Laminar-flow-Box hergestellt, die dazu noch in einem Raum steht, der die Bedingungen der Reinraumklasse C erfüllt, das bedeutet vor allem, die Luft muss keimarm sein.


DAZ: Das ist doch sicher kein Fehler …

Lemmen: Das ist zwar kein Fehler, aus meiner Sicht aber auch nicht notwendig. Denn der Keimgehalt der Luft des Raumes, in dem die LAF-Bank steht, ist für die Qualitätssicherung unerheblich. Wie schon gesagt: Kontaminationsgefahr droht nur bei der Arbeit am offenen Produkt. Die findet in der Apotheke ausnahmslos unter Laminar-flow-Bedingungen statt und damit unter Bedingungen der Reinraumklasse A, dabei ist es völlig unerheblich, wo diese steht. Und die Qualität der Raumluft in der Werkbank wird regelmäßig evaluiert. Dann müssen wir uns wieder die Bedingungen in der Klinik, zum Beispiel auf den Intensivstationen oder im Operationssaal, vor Augen führen. Hier werden Parenteralia munter hergestellt, gemischt und beim Patienten direkt angewendet, ohne Laminar-flow-Box und teilweise in noch nicht einmal abgeschlossenen Räumen – mit normaler Luft. Wäre das ein Problem, hätten wir hier ein großes Infektionsrisiko und würden unsere Praxis ändern. Doch es gibt inzwischen mehrere Studien, die zeigen, dass die Qualität der Luft keinen Einfluss auf die Wundinfektionsrate hat. Das zeigt, dass die Luftreinheit von untergeordneter Bedeutung ist.


DAZ: Welche hygienischen Maßnahmen haben dann Priorität?

Lemmen: Das sind ganz klar an erster Stelle die Händedesinfektion und die Desinfektion der Gummistopfen, gefolgt von der Flächendesinfektion. Das bedeutet aber nicht, dass ich den Apothekern das Arbeiten unter der Laminar-flow-Box wegnehmen möchte. Ich möchte nur den Fokus auf die eigentliche Gefahrenstelle legen: die manuelle Arbeit mit dem offenen Produkt.


DAZ: Unter dem Punkt "Produkt- und Personalqualität" empfehlen Sie eine tägliche Probenentnahme unter sterilen Bedingungen, die aber bei Vorhandensein mehrerer Werkbänke rollierend erfolgen kann. Das bedeutet, dass bei fünf Werkbänken jede Werkbank nur jeden fünften Tag evaluiert wird. Wenn hier ein Fehler von einer Person gemacht wird, wird er erst nach fünf Tagen entdeckt. Wenn das kein Problem ist, dann sollte es doch auch ausreichen, bei einer Werkbank die Probenentnahme nur jeden fünften Tag durchzuführen.

Lemmen: Nein, das ist so nicht gedacht. Bei einer Werkbank muss täglich, bei zwei Werkbänken jede Werkbank jeden zweiten Tag usw. evaluiert werden. Mir ist die Problematik durchaus bewusst, aber wir müssen sehen, was umsetzbar und was sinnvoll ist. Man kann die Grenzen auch mit guten Argumenten anders ziehen. Wir müssen aber immer bedenken, dass die Keime in der Luft von extrem untergeordneter Bedeutung sind. Bedenken Sie, dass die Luftfilter im Operationsbereich, wo z. B. Organtransplantationen vorgenommen oder neue Hüft- oder Kniegelenke in stundenlangen Operationen implantiert werden, lediglich einmal jährlich routinemäßig untersucht werden. Und selbst in diesen hochsensiblen OP-Bereichen gibt es keine besonderen Anforderungen an die Raumluft der Umgebung bzw. der Vorräume.


DAZ: Kommen wir zu einem anderen Punkt in den Validierungsempfehlungen: die Unterscheidung beim Nachweis von pathogenen und apathogenen Keimen. Werden in einer Probe apathogene Keime nachgewiesen, kann nach Ihrer Empfehlung der Herstellungsprozess weitergeführt werden. Nur bei Nachweis von pathogenen Keimen oder wiederholtem Nachweis von Umweltkeimen muss der Prozess sofort gestoppt werden. Sterilität bedeutet jedoch: Abwesenheit sowohl von pathogenen als auch apathogenen Keimen. Und auch der Nachweis eines apathogenen Keims ist ein Beleg dafür, dass an einer Stelle des Prozesses nicht korrekt gearbeitet worden ist.

Lemmen: Zunächst: Ein Herstellungsstopp ist bis zur Keimbestimmung unausweichlich, lediglich die zügige Wiederaufnahme der Herstellung bei einmaligem Nachweis eines apathogenen Keims wird ermöglicht. Mir ist bewusst, dass diese Auffassung zu Kontroversen führen kann und es gibt sicher berechtigte Argumente dafür, nicht zwischen pathogenen und apathogenen Keimen zu unterscheiden. Meine Empfehlung basiert auf der Erfahrung von ca. 10.000 Produktvalidierungen während der Herstellungsprozesse von Parenteralia in den letzten 15 Jahren. Trübungen der Proben als Indikator einer bakteriellen Kontamination traten höchst selten auf, die Zahlen liegen im Promillebereich – und die Keime, die wir nachgewiesen haben, waren ausnahmslos apathogen und konnten nur einmal nachgewiesen werden.


DAZ: Trotzdem, ist es wirklich vertretbar, einem Hinweis auf Sterilitätsprobleme nicht sofort nachzugehen, auch wenn es sich nur um einen apathogenen Keim handelt?

Lemmen: Ganz so ist es ja nicht. Wenn bei der täglichen Produktvalidierung derselbe Umweltkeim ein zweites Mal gefunden wird, muss der Herstellungsprozess sofort eingestellt und nach der Ursache gesucht werden. Aber ich verstehe Ihren Punkt. Hierüber haben wir auch lange und kontrovers diskutiert. Wir haben uns in der Empfehlung an dem Vorgehen bei anderen Prozessvalidierungen im Krankenhaus orientiert. So wird auch beispielsweise bei der Untersuchung von Endoskopen, Muttermilch oder von kritischen Oberflächen bei Nachweis apathogener Erreger eine Kontrolle angeordnet und nicht gleich der ganze Prozess gestoppt. Es besteht einfach immer das Risiko einer Kontamination mit Umweltkeimen bei der Probenentnahme oder auch bei der Verarbeitung im mikrobiologischen Labor. Aber nochmal, das kommt in der Praxis eigentlich sehr, sehr selten vor. Erlauben Sie mir noch anzumerken, dass in der hier vorliegenden Empfehlung erstmals klar definiert wurde, wann der Herstellungsprozess gestoppt werden muss. Zudem muss die Validierung in einem externen mikrobiologischen Labor erfolgen, und es sollen – wo immer möglich – Originalproben aus der aktuellen Herstellung und nicht Dummies untersucht werden; ich denke all dies sind wichtige und neue Maßnahmen, die bezüglich einer Qualitätssicherung und -dokumentation bei der Herstellung von Parenteralia in der Apotheke neue Maßstäbe setzen.


DAZ: Die Empfehlungen werden sicher Widerspruch auslösen, insbesondere die, bei einmaligem Nachweis von apathogenen Keimen den Herstellungsprozess nicht zu stoppen.

Lemmen: Hier treffen theoretische Überlegungen auf die Realität. Die Anforderungen, die an eine Zytostatika (Parenteralia)-herstellende Apotheke gestellt werden, sind extrem hoch, sie sind in der Humanmedizin gar nicht zu erfüllen. Sicher ist es notwendig und richtig, alles was zu vermeiden ist, zu vermeiden, doch es muss auch realisierbar sein. Wenn ich beim einmaligen Nachweis eines apathogenen Keims sofort den Herstellungsprozess stoppe und Ursachenforschung betreibe, dann liegt die Produktion mindestens zwei bis vier Wochen still. Da würden auch Versorgungsengpässe auftreten. Wir müssen einfach einen vernünftigen Mittelweg zwischen Risikominimierung und einer Sicherstellung der Versorgung finden, der den Erfahrungen in der Praxis Rechnung trägt.


DAZ: Herr Professor Lemmen, vielen Dank für das Gespräch!


Prof. Dr. med. Sebastian Lemmen, Leiter des Zentralbereichs für Krankenhaushygiene und Infektiologie, Zentrum für Infektiologie (DGI), Universitätsklinikum Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen


Herstellung parenteraler Arzneimittel

Validierungsempfehlung des VZA zur Sicherstellung der Arzneimittelqualität gemäß § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 lit b) ApBetrO

Einführung


In der am 12. Juni 2012 in Kraft getretenen ApBetrO sind in § 35 ApBetrO spezifische Regelungen zur Herstellung von Arzneimitteln zur parenteralen Anwendung getroffen worden. Unter anderem ist bestimmt, dass Hintergrundbedingungen der Klasse C gemäß des Anhanges des EG-GMP-Leitfadens ausreichend sind, wenn die Arzneimittelqualität durch das angewendete Verfahren nachweislich gewährleistet wird und durch entsprechende Validierung des Verfahrens belegt ist (§ 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 lit. b) ApBetrO).

Nähere Vorgaben zur Validierung des Verfahrens hat der Gesetzgeber der ApBetrO nicht getroffen. Er hat jedoch betont, dass apothekenspezifische Vorgaben zu gelten haben und die Anforderungen an die industrielle Herstellung von Arzneimitteln (EG-GMP-Anforderungen) nicht auf den Apothekenbetrieb zu übertragen sind. Hintergrund dafür ist, dass die Herstellung von parenteralen Rezepturarzneimitteln auch künftig durch öffentliche Apotheken bei Meidung einer Überregulierung sichergestellt werden soll.

Prof. Dr. Sebastian Lemmen, Leiter des Zentralbereichs für Krankenhaushygiene und Infektiologie des Universitätsklinikums Aachen, hat für den VZA die folgende Empfehlung der Validierung zur Sicherstellung der Arzneimittelqualität gemäß § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 lit b) ApBetrO erarbeitet. Sie berücksichtigt die gesetzlichen Vorgaben der ApBetrO sowie seine Erfahrungen in der Beratung von Apotheken bezüglich einer Produkt- und Prozessvalidierung bei der Sterilherstellung.

Die Empfehlung legt den Fokus gemäß der gesetzlichen Vorgaben auf das hochsensible Sterilprodukt selbst. Auf Untersuchungen, die nicht mit der Qualität des Endproduktes korrelieren, wird bewusst verzichtet. Nach der Empfehlung durchgeführte Hygieneproben ohne Befund weisen auf einen adäquaten Prozess und ein steriles Produkt hin und zeigen so die Effektivität des jeweiligen Hygieneplans. Ergänzend bleiben Hygieneplan und QMS für jede sterilherstellende Apotheke unabdingbar. Die Empfehlung ist im QMS gem. §§ 2a, 35 Abs. 1 Nr. 4 ApBetrO umzusetzen.

Produkt- und Personalqualität


Arbeitstäglich soll eine Probe unter sterilen Kautelen, idealerweise aus einer Echtherstellung entnommen werden.

Falls nur CMR-Stoffe hergestellt werden oder die Entnahme die Dosistoleranz überschreiten würde, kann ersatzweise die Probe aus einem zu produzierenden Dummy entnommen werden. Hierzu sollen 5 ml (bzw. Menge gemäß Vorgaben des Nährboullionherstellers) unter der Werkbank in flüssige Nährboullion (z. B. Haemoline) eingebracht werden.

Die Probenauswahl sollte rollierend so erfolgen, dass alle in der Herstellung tätigen pharmazeutischen Mitarbeiter sukzessive dokumentiert und überprüft werden. Neue Mitarbeiter werden sofort in der unter Aufsicht stattfindenden Einarbeitungsphase an drei aufeinanderfolgenden Herstellungstagen einbezogen.

Werden Sterilprodukte an mehreren Werkbänken hergestellt, sollte die tägliche Probenentnahme so erfolgen, dass alle Werkbänke rollierend evaluiert werden.


Auswertung und Befundung

Eine Bebrütung der Probe für fünf Tage ist in der Apotheke selbst möglich; eine sterile Probe wird während der gesamten Zeit optisch klar bleiben, d. h. keine Trübung aufweisen.

Im Rahmen der Qualitätssicherung muss eine solche Befundung einmal monatlich durch ein externes mikrobiologisches Labor erfolgen und entsprechend dokumentiert werden.

Bei Trübung muss der Herstellungsprozess sofort gestoppt werden und die Probe zur Erregeranzucht und Identifikation in ein externes mikrobiologisches Labor versendet werden. Werden ausschließlich typische und meist apathogene Umweltkeime (z. B. Corynebakterien) nachgewiesen und bleiben die Folgeproben der täglichen Produktkontrollen steril, kann der Herstellungsprozess sofort weitergeführt werden.

Bei wiederholtem Nachweis dieser Umweltkeime oder bei singulärer Detektion pathogener Erreger (z. B. E. coli oder Staphylococcus aureus) darf der Herstellungsprozess erst nach drei aufeinanderfolgenden sterilen Produktproben nur durch den Apothekenleiter wieder freigegeben werden.

Prozessqualität


Monatlich sollen die kritischen Oberflächen im Rahmen des Herstellungsprozesses überprüft werden. Hierzu sollen je nach Größe der Werkbank zwischen fünf bis sieben Sedimentationsplatten während der Herstellung für mindestens eine Stunde gleichmäßig in der Werkbank verteilt werden.


Auswertung und Befundung

Die Sedimentationsplatten müssen in einem externen mikrobiologischen Labor ausgewertet werden, d. h. grob orientierende Keimzahlbestimmung und Identifikation nur bei Verdacht auf pathogene Keime.

Ein Herstellungsstopp im betroffenen Bereich soll ausschließlich beim Nachweis potenziell pathogener Keime (z. B. Enterobacteriaceae oder Staphylococcus aureus) erfolgen. Eine Wiederfreigabe der Herstellung kann erst nach Desinfektion und negativer neuer Beprobung durch Sedimentationsplatten durch den Apothekenleiter selbst erfolgen. Bei wiederholtem Nachweis muss möglicherweise die Werkbank technisch überprüft werden.

Reinraumklasse C


Eine Partikelzahlmessung soll während des üblichen Wartungsintervalls durch den externen Dienstleister durchgeführt werden. Luftgetragene Partikel stellen einen Surrogatparameter für die Keimbelastung der Luft dar. Erst bei Überschreitung der gültigen Grenzwerte für Partikel ist es notwendig, eine Keimzahlbestimmung durchführen zu lassen.

Bei Überschreitung der im Gerätebuch festgelegten Warn- und Aktionsgrenzen, muss ein sofortiger Herstellungsstopp im betroffenen Bereich bis zur Durchführung der entsprechenden (Wartungs-) Maßnahmen erfolgen.


Januar 2012


Dr. Rötger v. Dellingshausen,
Geschäftsführer VZA

Prof. Dr. med. Sebastian Lemmen
Leiter des Zentralbereichs für Krankenhaushygiene und Infektiologie, Universitätsklinikum Aachen



DAZ 2013, Nr. 4, S. 58

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