Klinische Pharmazie - POP

Unser Anspruch - Ein Meinungsbeitrag zur Weiterentwicklung der patientenorientierten Pharmazie

Andreas Niclas Förster | Im letzten Jahrhundert herrschte Klarheit über den Nutzen, den der örtliche Apotheker für die Gemeinde hatte. Bei ihm bekam man Salben, Tees, einige industriell gefertigte Produkte und natürlich immer einen guten Rat. Von im Alter fortgeschrittenen Patienten hört man gerne die Geschichte über den Seniorchef, wie er damals, als sie noch Kinder waren, ein Lakritz übrig hatte und nach dem Krieg für die Schwester Penicillin besorgt hat. Insbesondere dann, wenn man Berichte liest, in denen die Sprache bezüglich der aktuellen Versorgung durch den Apotheker durch „andrehen“, „aufschwatzen“, „Pillendreher“, „Datendealer“ und dem Klassiker, den „Apothekenpreisen“ bestimmt wird.

Die Zeit stand nicht still und im Laufe der Jahre nahm die Zahl der Apotheken zu, die Klarheit über Sinn und Zweck ihrer Existenz jedoch hat sich in der öffentlichen Debatte scheinbar weit von dem ursprünglichen Zustand der Selbstverständlichkeit und des Vertrauens fortbewegt.

Durch Umfragen und den direkten Kontakt mit unseren Patienten wissen wir, dass das persönliche Vertrauen in uns tatsächlich nicht abhandengekommen ist. Doch trotz dieser Bestätigung erlebt man gefühlt täglich einen neuen Weg, wie die gewohnte Umgebung juristisch oder steuertechnisch scheinbar sauber destabilisiert wird, weil wir mit unseren öffentlichen Apotheken einen Kundenwunsch nicht erfüllt zu haben scheinen, der auf diese Weise bedient werden soll. Und gleichzeitig wird uns und der Öffentlichkeit durch medienwirksam eingesetzte Testkunden immer wieder vor Augen geführt, dass unsere Arbeit den Ansprüchen, wenigstens der Tester beziehungsweise der Bevölkerung, teilweise aber auch unseren Eigenen nicht genügt.

Wie kommt es zu dieser Unsicherheit im Inneren und den unklaren Vorstellungen der anderen Berufe im Gesundheitswesen und sogar unserer Patienten über unsere Leistungsfähigkeit? Und warum haben interessierte Gruppen bzw. Personen ein so leichtes Spiel, den gelebten pharmazeutischen Sachverstand öffentlich zu bagatellisieren und die logistische Aufgabe beziehungsweise die Preiskalkulation auf raffinierteste Weise in den Vordergrund zu rücken?

Gutes tun und drüber reden

Teilweise scheinbar ohne große Not beteiligen sich Apotheker an solchen Modellen und feiern Preisorgien bis zum Exzess, welche dem Kunden auf jede erdenkliche Weise kommuniziert werden. Gleichzeitig ist es offensichtlich, dass genau die Themen, die uns von allen anderen Berufen absetzen könnten, in der Kommunikation nach außen nur mit wenig Engagement vermittelt werden. Die gute Beratung und vielleicht sogar Betreuung werden höchstens im Nebensatz erwähnt, weil sie ja „eh“ geleistet werden. Genau für diese Leistungen können wir den Nachweis nur durch Hörensagen erbringen. Dieser Mangel an Struktur ist es, der unser Profil schwächt, wodurch es die Krämerseelen leicht haben, die Konturen des Berufs zu verwischen und unerhörte Zusammenhänge zu konstruieren.

Es ist richtig, dass das Gesundheitswesen durch Gesetze vom freien Markt getrennt wird. Die Bevölkerung verleiht einigen Individuen das Privileg, für sie als Apotheker tätig sein zu dürfen. Dieses Privileg ist keine Selbstverständlichkeit, sondern an die Erfüllung eines bestimmten weiterhin vorhandenen Bedürfnisses gebunden, nämlich die Versorgung mit Arzneimitteln. Diese Versorgung soll nicht irgendwie erfolgen, sondern entsprechend dem aktuellen Stand des Wissens. Sich auf diesem Stand zu halten, erfordert einiges an Mühe, weshalb eine spezialisierte Gruppe von Personen heute umso notwendiger ist, da andere Gruppen dies aufgrund ihrer gleichfalls anspruchsvollen, aber andersartigen Prioritäten nicht mal eben mit leisten können.

In einer älter werdenden Gesellschaft, in der Begriffe wie Polymedikation und Geriatrie, Pflegestufe und Pflegegeld zum allgemeinen Wortschatz gehören, ist es ein Unding, dass ein Beruf, der qua Definition zur Arzneimitteltherapie gehört, um seinen Platz im Gesundheitswesen bangen soll.

Der Wandel unseres Berufsbilds ist unbestreitbar und unumkehrbar. Aus dem Teemischer und Pillendreher von einst ist eine Person geworden, welche die überwiegende Zahl der abgegebenen Medikamente oder Hilfsmittel aus industrieller Fertigung erhält und sich somit optisch tatsächlich kaum von anderen Einzelhandelsberufen abhebt.

Allerdings bleibt das Gesprächsthema für das persönliche Wohlergehen der Kunden um einiges bedeutsamer, als der genaue Belag des Brötchens beim Bäcker.

Eine Weiterentwicklung des öffentlichen Apothekers ist also notwendig und es ist nur die Weigerung des Berufsstands selber, eine solche innere Entwicklung zu vollziehen, die es anderen ermöglicht, für sie lukrative Anpassungsmöglichkeiten ins Gespräch zu bringen. Mit der Haltung, den Status quo zu zementieren, schwächen wir uns letztlich selber.

Weigerung zur Weiterentwicklung nachvollziehbar ...

Der Bedarf an qualitativ hochwertiger Unterstützung der Arzneimitteltherapie ist in Zeiten hochpotenter Wirkstoffe und komplexer Applikationstechniken mindestens ebenso gewachsen, wie der Bedarf an der eigenen Herstellung geschrumpft ist. Gleichzeitig sind jedoch durch die Kostendämpfungsmaßnahmen von den Kostenträgern große Anforderungen an uns herangetragen worden und die gerade durch die Produktionsverlagerung gewonnene Arbeitszeit wurde sofort in nicht apothekerliche Hilfstätigkeiten reinvestiert.

Dieser Wandel des Berufsbildes hätte sich in einem Wandel der pharmazeutischen Prozesse widerspiegeln sollen. Sicherlich ist mit dem Einzug der Computer so mancher logistische Prozess angepasst worden, wichtiger noch wäre der Wandel in der Aufrechterhaltung, Anwendung und insbesondere der Dokumentation des pharmazeutischen Sachverstandes, doch gerade hier weisen wir große Defizite auf.

Auf persönlicher Ebene gibt es eine Vielzahl guter Beispiele für eine gelungene Kommunikation und Vertrauen zwischen einem Apotheker und einem Arzt. Ebenso, wie es eine Vielzahl unendlich dankbarer Patienten gibt, denen der Apotheker vor Ort einen unschätzbaren Dienst erwiesen hat, der eben nur durch einen besonderen Einblick in die Krankheitsentwicklung des Patienten und die Wirkungsweise der verschiedenen Medikamente möglich ist.

... aber nicht zielführend

Mit dem Medikationsmanagement beleuchten wir einen Kernaspekt, nämlich die Prozessqualität einer pharmazeutischen Betreuung, die Teil der therapeutischen Beziehung zum Patienten ist. Es soll zeigen, wie praxistauglich ein solcher Prozess mithilfe einer gedanklichen Struktur ist. Und wie hilfreich für die Begleitung des Patienten bei seinem Medikationserlebnis. Eine professionelle Praxis bedarf einer Philosophie, in der beschrieben wird, welches Bedürfnis der Bevölkerung erfüllt werden soll und welche Verantwortung der Apotheker in Bezug auf dieses Bedürfnis übernimmt. Ich freue mich auf das in Kürze vorzustellende Leitbild und hoffe hier eine klare Aussage in dieser Richtung wiederzufinden.

Auf der Grundlage eines solchen Leitbilds kann der klar definierte Betreuungsprozess stattfinden und ein einheitliches Dokumentationssystem geschaffen werden, welches die Ergebnisqualität unserer Arbeit zu dokumentieren hilft und so geeignet ist, die Bedenken der anderen Gruppen, seien es Ärzte oder Kassen, Apotheker als Partner auf Augenhöhe zu akzeptieren, zu zerstreuen. Diese Mühe muss sich der Beruf selber machen. Keine andere Gruppe im Gesundheitswesen ist es uns schuldig, unsere Rolle und unseren Arbeitsalltag mit Sinn zu füllen.

Der Weg ist nicht ohne

Eine kontinuierliche Fort- und Weiterbildung ist eine zwingende Voraussetzung für eine konstante Aktualisierung des Wissens, und um die Kommunikation mit den verschiedenen Gruppen zu verbessern, muss ein besseres Verständnis für deren Alltagsfragestellungen aufgebaut werden. Die Verinnerlichung des Betreuungsprozesses spielt eine weitere große Rolle, denn so entsteht ein vergleichbarer Standard.

Wer Bedenken hat, sollte sich vor Augen führen, dass die Themen dieser Fort- und Weiterbildung interessant sind. Es handelt sich hierbei nicht um Abrechnungsfallen und Paragrafen eines Liefervertrags, sondern um Krankheitsbilder und deren Therapie. Antworten auf Fragen also, die die Patienten schon heute aufwerfen. Der Lohn dieser Weiterentwicklung wird sein, dass wieder Klarheit über die Notwendigkeit eines Apothekers besteht und sich das Berufsbild von dem Gefühl der Schicksalsergebenheit und Abhängigkeit von fremden Vorstellungen zu dem eines anerkannten und geschätzten Partners der Ärzte und Patienten wandelt. Und nicht zuletzt wird sich durch einen strukturierten und dokumentierten Prozess die Frage nach einer Kompensation leichter klären lassen, als es in der aktuellen Situation möglich ist. 

Autor

Andreas N. Förster, Apotheker und Pharm. D., ist in der Adler-Apotheke in Velbert tätig, außerdem ist er Clinical Assistant Professor for Professional Education an der University of Minnesota (USA). Für seine Konzepte zur Integration der pharmazeutischen Betreuung in die öffentliche Apotheke erhielt er den Excellence Award 2009 und den Zukunftspreis Öffentliche Apotheke 2012.

Adler-Apotheke, Friedrichstr. 185, 42551 Velbert; E-Mail: foers008@umn.edu

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