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Sonderziffer Nr. 6
Schluckbeschwerden und andere Optik
Pharmazeutische Bedenken bei einer Alzheimer-Patientin
Unsere Patientin
Frau M. ist Stammkundin einer Apotheke. Sie leidet an einer leichten Demenz vom Alzheimer-Typ, Hypertonie und hat außerdem einen erhöhten Cholesterolspiegel. Nach dem Tod ihres Mannes lebt sie alleine und versorgt sich selbstständig in der eigenen Wohnung. Weitere Verwandte leben weit entfernt. In den letzten Monaten hat sich begleitend zur Alzheimer-Erkrankung eine depressive Episode entwickelt. Nach einem Besuch beim Facharzt kommt sie mit einem Rezept über Donepezil 10 mg Filmtabletten, 98 St N3, sowie Mirtazapin 15 mg Schmelztabletten, 96 St N3. Ein bestimmter Hersteller ist nicht genannt. Dem Kundenkonto ist zu entnehmen, dass seit elf Monaten mit Donepezil therapiert wird. Auffällig ist der häufige Wechsel der Arzneimittelhersteller. Mirtazapin findet sich bisher nicht in der Patientendatei. Auf Nachfrage berichtet die Patientin, dass Mirtazapin-Schmelztabletten neu verordnet wurden. Zuerst wurde ein Therapieversuch mit einer Probepackung Mirtazapin-Filmtabletten unternommen. Diese Darreichungsform erwies sich als schlecht teilbar und führte zu Schluckbeschwerden. Daher wechselte der Arzt auf Mirtazapin Schmelztabletten, ebenfalls in Form einer Probepackung. Mit dieser Darreichungsform kam Frau M. deutlich besser zurecht. Allerdings besteht nur ein Rabattvertrag über Mirtazapin-Filmtabletten. Zudem müsste sie laut aktuellem Rabattvertrag erneut ein Donepezil-Präparat eines anderen Herstellers erhalten. Auf die Notwendigkeit des erneuten Austauschs der Arzneimittel angesprochen, reagiert die Patientin stark verunsichert.
Das Problem
Häufiger Austausch von Arzneimitteln verkompliziert den Alltag chronisch kranker Patienten, insbesondere im Indikationsfeld der psychischen Erkrankungen können Irritationen und Ängste entstehen. In diesem Fall orientiert sich die Patientin stark an den Namen der Arzneimittel sowie an der Optik der Verpackungen und der Tablettenform. Ein Austausch stört dieses feine Gleichgewicht und führt zur weiteren Verunsicherung der depressiven (!) Patientin.
Zudem sieht der Rabattvertrag für den Wirkstoff Mirtazapin mit der Filmtablette eine für diese Patientin ungeeignete Darreichungsform vor.
Fakten-Check
Patientin
weiblich, 77 Jahre
alleinlebend, selbstversorgend
Diagnosen
arterielle Hypertonie
Hypercholesterolämie
M. Alzheimer, leichtgradig
depressive Episode
Medikation
Bisoprolol
Donepezil
Mirtazapin SMT (!)
Ramipril
Simvastatin
aktuelle Verordnung
Donepezil 10 mg FTA
Mirtazapin 15 mg SMT
Die Lösung
Im konkreten Fall bieten wir folgendes Vorgehen an: die Patientin erhält das gewohnte Präparat für die Alzheimerbehandlung (Donepezil xy-Pharma) und das neue Pharmakon Mirtazapin als Schmelztablette. Einer psychisch instabilen Patientin mit Alzheimer-Demenz die komplexen Rabattregeln zu erklären, ist erfahrungsgemäß wenig zielführend. Krankheitsbedingt eingeschränkte kognitive Ressourcen ermöglichen ihr auch nicht die Auseinandersetzung mit Krankenkassen oder anderen Entscheidungsträgern wie etwa Ärzten. Das Übergehen der Rabattvereinbarung im begründeten Einzelfall ist die Aufgabe der versorgenden Apotheke. Geeignete Begründungen in diesem Fall haben wir in der Tabelle zusammengefasst.
Für die Zukunft
Zielführend für die Zukunft ist es, den verordnenden Arzt in einem ruhigen Moment über die Problematik in Kenntnis zu setzen und auf die Bedeutung einer Verordnung mit Aut-idem-Kreuz hinzuweisen.
Im Mittelpunkt der Kommunikation mit den Ärzten muss das Wohl des Patienten stehen, nicht die erhebliche Belastung der Apotheke durch die Rabattregelung an sich (Adressaten für diesen Aspekt sind eindeutig die Krankenkassen). Der Arzt trägt keine Verantwortung für die Rabattregelungen, allerdings für das Setzen des Aut-idem-Kreuzes. Einzig dem Arzt obliegt die Entscheidung für das Kreuz. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass eine überzeugende Beschreibung des vorliegenden Problems und mindestens ein Lösungsvorschlag eine gute Voraussetzung für eine gelingende interdisziplinäre Kommunikation sind. Häufig sind Ärzte bereit ein Kreuz zu setzen, wenn ihnen die Folgen des fehlenden Kreuzes verdeutlicht werden. Aber nicht jeder Arzt ist willens, einen Austausch durch das Kreuz auszuschließen, folglich verlagert sich die Verantwortung für die Auswahl geeigneter Medikamente in die Hände der Apotheker und Apothekerinnen. Entscheidend ist letzten Endes das Wohl der Patienten und das Erreichen des angestrebten therapeutischen Ziels.
Auf einen Blick
Rabattvertrag
Donepezil: Austausch durch anderes Generikum Problem: andere Optik
Mirtazapin: Filmtablette Problem: Darreichungsform führt zu Schluckbeschwerden
Maßnahme
Donepezil: Abgabe des Präparats mit gewohnter Optik statt des Rabattartikels
Mirtazapin: Austausch des Rabattpräparats gegen Schmelztabletten
Sonderziffer Nr. 6 – Pharmazeutische Bedenken
Begründung
Donepezil: Austausch krankheitsbedingt nicht vermittelbar
Mirtazapin: Kritische Darreichungsform, Patientin toleriert ausschließlich Schmelztabletten, Gefahr der Non-Adhärenz
Was wäre wenn…
…die Patientin nicht selbstversorgend wäre, sondern von Angehörigen oder einem Pflegedienst betreut würde?
Fachpersonal sowie aufgeklärte Familienmitglieder hätten den Überblick über die Anwendung der Medikamente, so dass der Austausch des Donepezils zu vertreten wäre. Die Problematik der Schluckbeschwerden bliebe bestehen. Der Austausch des Rabattpräparats gegen Schmelztabletten muss in jedem Fall durchgeführt werden.
…die aktuell rabattierten Donepezil-Tabletten von gleicher Form und Farbe wären, wie das Präparat, das Frau M. zuletzt eingenommen hatte?
Eine Beschriftung der Umverpackung mit dem bekannten Namen (z.B. Aricept®) könnte die Orientierung erleichtern und so den Austausch ermöglichen. Wichtig ist, dass die Kennzeichnung dann bei jeder Abgabe erfolgt.
…ein Austausch nach aut idem nicht möglich ist?
Ist, wie in diesem Fall, kein Präparat namentlich verordnet, darf lediglich gegen eines der drei preisgünstigsten Präparate ausgetauscht werden. Sollten die einzig geeigneten Präparate, in diesem Fall das bekannte Donezepil-Praparat und/oder die Mirtazapin-Schmelztabletten, nicht zu den drei günstigsten gehören, sollte Rücksprache mit dem Arzt gehalten werden. Im Mittelpunkt der interdisziplinären Kommunikation steht seitens der Apotheke nicht der Preis, sondern das Wohl des Patienten. Mit guter Begründung kann es in einer Einzelfallentscheidung auf eine namentliche Verordnung des Rezeptes hinauslaufen. Damit nicht bei jeder Folgeverordnung erneut zeitintensiver Kontakt aufgenommen werden muss, sollte das Rezept nicht manuell geändert, sondern komplett neu ausdruckt werden.
Wie hätten Sie beraten?
Apotheker Christian Schulz und sein Team haben einen Lösungsgsweg für ihre Patientin mit Alzheimer-Demenz, bei der Pharmazeutische Bedenken bei einer Neuverordnung auftraten, aufgezeigt. Hätten Sie das Problem anders gelöst? Wenn ja, schicken Sie uns Ihre Empfehlung, wir veröffentlichen sie mit diesem Fall auf DAZ.online.
Ihr Fall in der DAZ
Wir suchen die besonderen Fälle, die eine individuelle Beratung erfordern. Schildern Sie uns Ihren besonderen Fall aus dem Apothekenalltag und Ihre Beratung – wir veröffentlichen ihn an dieser Stelle mit dem Foto Ihres Apothekenteams.
Liste mit Lücken - Ein Gastkommentar von C. Schulz
Endlich sind die Patientenbedürfnisse stärker im Fokus: Unkritische Substitution von Arzneimitteln kann zur Verkomplizierung der Therapie und diversen arzneimittelbezogenen Problemen (ABP) führen. Mit all den bekannten Folgen über Sektorgrenzen und Quartale hinaus: unnötige Folgekosten, erhöhte Arbeitsbelastungen und zusätzliches Patientenleid. Erfreulicherweise sind diese Fakten vom Gesetzgeber beachtet worden und er erließ Mitte 2012 die 16. Novelle des Arzneimittelgesetzes. Resultat ist die Möglichkeit (!), Ausnahmen von der Substitutionspflicht im Rahmenvertrag zu verankern. Die Selbstverwaltung von Apothekerschaft (DAV) und Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) erhielt den Auftrag, eine Ausnahmeliste zu erstellen. Inhalt der Liste sollen Arzneimittel sein, die aus guten Gründen nicht Aut-idem-fähig sind. Unbürokratischer Zugang zum individuell am besten geeigneten Arzneimittel ist das Ziel, eine Steigerung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) sowie der Therapietreue die logische Folge.
Mammutaufgabe Ausnahmeliste
Die Erstellung der Liste erwies sich als Mammutaufgabe, die sich über Monate hinzog: Der DAV hatte einen ersten Vorschlag unterbreitet, Gegenstand waren fünf Positionen: Methotrexat, Phenprocoumon, Lithium, Schilddrüsen-Präparate und Antiepileptika. Der GKV ignorierte die zweimalige fraktionsübergreifende Aufforderung des Gesundheitsausschusses, bis zum 1. August 2013 eine Einigung zu finden. Nach monatelangem Hin und Her wurden die Verhandlungen durch den DAV abgebrochen. Die Causa „Ausnahmeliste“ liegt nun bei der Schiedsstelle unter Vorsitz von Dr. jur. Rainer Hess, der bereits für die erfolgreiche Schlichtung in der Auseinandersetzung um den Apotheken- abschlag bekannt ist. Wollen wir für die anstehenden Verhandlungen das Beste hoffen.
Offene Fragen
Betrachtet man die Ausnahmeliste, fallen diverse Lücken auf. Warten nur fünf Patientengruppen auf unbürokratische Lösungen? Retardpräparate sind bisher kaum Gegenstand der Liste. Sind die starken Schmerzmittel bedacht worden? Folgen noch kritische Indikationsgruppen mit gut dokumentierten Adhärenzproblemen wie etwa die Psychopharmaka? Hier liegt offensichtlich ein stark eingeschränktes Problembewusstsein vor.
Zu enger Blickwinkel
Der eingenommene Blickwinkel ist zu eng gefasst. Auslassungen, Fehlinterpretationen und Verzerrungen sind die tragische Folge. Die Deutsche Schmerzliga und die Deutsche Epilepsievereinigung haben die Folgen einer generischen Umstellung für ihre Patienten in vorbildlicher Weise verdeutlicht. Ihr Engagement zahlt sich nun hoffentlich in einem tragfähigen Schlichtungsergebnis aus. Wir Apotheker müssen uns fragen, wie wir uns auch für weniger gut vertretene Patienten engagieren können. Der Schlüssel zur Bewusstwerdung liegt in der Statistik. Hier bietet sich der intensivierte Einsatz des uns gegebenen Instruments an: dokumentierte pharmazeutische Bedenken alias Sonderziffer Nummer 6. Patientenorientierte Pharmazie ist damit quantifizierbar. Lohnte der bisherige Aufwand? Ja, die geäußerten Bedenken zahlen sich aus. Im besten Fall wird unter anderem das generische Spiel mit dem Schilddrüsen-Feuer sein verdientes Ende finden.
Pharmazeutische Bedenken unterstreichen Kompetenz
Cave: Die Annahme, alle nicht aufgelisteten Präparate wären problemlos austauschbar, ist ein Irrtum. Statistischer Druck muss aufrechterhalten werden, um die hohen Widerstände auf der Sachebene (!) zu überwinden. Gut begründet unterstreichen die geäußerten Bedenken unsere pharmazeutische Kompetenz. Bilden wir die Realität ab, so wie sie sich darstellt. Durch die angewandte Nummer 6.
Die Schwierigkeiten bei der aktuellen Listenerstellung müssen sich in Zukunft nicht wiederholen, valide Fakten können die zukünftige Konsensfindung erleichtern. Gutes Zahlenwerk kann schon bald Anlass geben, weitere Listenanpassungen vorzunehmen. Verschließen wir uns nicht den Rabattverträgen in pauschaler Ablehnung, sondern arbeiten wir konstruktiv mit an den erforderlichen Korrekturen – Tag für Tag. Und nun lassen Sie den Nadeldrucker fröhlich rattern!
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