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Daniel Bahr auf Abruf: „Don’t cry for me …“
Hoffen und Bangen – Wie geht es nach der Bundestagswahl mit dem FDP-Gesundheitsminister weiter?
Umso mehr strampelt sich Daniel Bahr in diesem Wahlkampf ab. 1600 Plakate hat die FDP für seinen Wahlkreis in Münster drucken lassen. 1300 davon hängen schon seit Wochen in der schmucken Universitätsstadt. Die letzten 300 Plakate mit dem Bahr-Konterfei sollen in den letzten Tagen des Wahlkampfes die FDP-Wähler in Münster mobilisieren. Aufmerksamkeit zählt.
Daher hatte der Bundesgesundheitsminister seine schon traditionelle Sommer-Radtour mit Berliner Journalisten nicht rein zufällig kurz vor die Bundestagswahl gelegt – später als sonst radelte Bahr auf Sympathiekurs quer durch seinen Wahlkreis. Vorletzten Montag drängelte er sich daher mit der angereisten Medienschar, mit Ärzten und Professoren in den Bettenaufzug des Universitätsklinikums Münster (UKM) zur Stippvisite der dortigen Modell-Abteilung für Kinderherzchirurgie.
„Befreiungsfahrt“ leuchtete plötzlich auf dem Display des Feuerwehr-Aufzugs, als Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr in die 18. Etage will. Diese Marke hatte sich einst FDP-Chef Guido Westerwelle als Wahlziel in schrillem Gelb unter seine Schuhe geklebt. Wenn es mit der beruflichen Zukunft des liberalen Spitzenpolitikers doch auch so einfach wäre! Nach oben auf Knopfdruck. An diesem Tag konnte Daniel Bahr über solch symbolträchtige Anspielungen nur gequält lächeln. Es geht um die Existenz.
Die Lage der FDP ist unsicher wie selten zuvor: Zwar sehen die meisten Demoskopen die Freien Demokraten mit einiger Sicherheit wieder im neuen Bundestag. Aber schlüsselt man die Umfragen auf, ist die Spannbreite groß. Nur circa drei Prozent der Befragten geben an, die FDP mit Sicherheit zu wählen. So klein ist die liberale Kernwählerschaft. Circa fünf Prozent beabsichtigen, ihr Kreuz bei der FDP zu setzen. Und acht Prozent erwarten den Einzug der FDP in den Bundestag. Aus solchen Rohdaten zimmern die Demoskopen ihre wöchentlichen Prognosen. Das lässt viel Spielraum für Überraschungen.
Ein gutes Zeichen: Es gibt kaum Pöbeleien
Daher orientiert sich Daniel Bahr lieber an seinen persönlichen Eindrücken. Die Wahlkampfveranstaltungen sind gut besucht, berichten der Minister und seine Mitarbeiter. Es gibt keine Pöbeleien oder Beschimpfungen wie schon mal zu früheren Zeiten. „Das Interesse an uns ist da“, so Bahrs Hoffnungsfazit. Der FDP-Mann rechnet mit guten acht Prozent für seine Partei.
Auch am Abend des 9. September in Hiltrup bei Münster strömten die FDP-Anhänger in Scharen heran: In die schmucklose Stadthalle hatte Daniel Bahr die Außenminister-Legende Hans-Dietrich Genscher zum „Forum Liberal“ mitgebracht. Es ist nicht leicht, den 87-jährigen Ehrenvorsitzenden der FDP in den Wahlkampf einzuspannen. Bahr hat es geschafft und 300 Gäste danken es mit stürmischem Beifall, als Genscher aufrecht mit dynamischen Schritten in den Saal einzieht. Nicht zum ersten Mal unterstützt Genscher den noch nicht einmal halb so alten Bundesgesundheitsminister. Er hat Bahr beraten, als es um Bahrs Rolle bei der Neuaufstellung der Liberalen ging, in Nordrhein-Westfalen und im Bund.
Und jetzt im Wahlkampf. Mit kraftvoller Stimme und dem Knarzen einer vergangenen Politikergeneration brachte Genscher in wenigen Minuten in bildhafter und verständlicher Sprache die Lage der Weltpolitik zwischen China, Russland, Europa und den USA auf den Punkt. So wie es FDP-Außenminister Guido Westerwelle in vier Jahren nicht gelang. Die Zuhörer waren begeistert. Und Bahr strahlte mit hochroten Wangen.
Genscher: „Ein tollkühner Kerl“
Zum Schluss richtete Genscher seinen Blick direkt auf Daniel Bahr. „Das muss ein tollkühner Kerl sein, wenn er das Gesundheitsressort übernommen hat“, so Genscher. Dort stehe einem immer viel Ärger ins Haus. Aber Bahr habe diesen Job richtig gut gemacht. Darüber könne er aus persönlicher Erfahrung urteilen: Er selbst habe inzwischen alle Sparten der Medizin in Anspruch nehmen müssen – bis auf die Gynäkologie. Er wünsche Bahr, dass er seine Arbeit als Minister nach dem 22. September fortsetzen könne. „Schließlich habe ich die Absicht, das Gesundheitssystem noch eine Weile in Anspruch zu nehmen.“
Aber ob Bahr im Amt bleibt hängt nicht allein vom Einzug der FDP in den Bundestag und der Fortsetzung der bürgerlichen Koalition mit der Union ab. 14,6 Prozent wie vor vier Jahren trauen selbst größte Optimisten den Freien Demokraten nicht wieder zu. Dieser grandiose Erfolg aber war die Grundlage für die fünf Ministerposten der FDP. So viele Ämter wird es nicht erneut geben. Zieht die FDP knapp in den Bundestag ein und reicht es für eine Neuauflage der Merkel/Rösler-Kabinetts, müsste sich die FDP möglicherweise wieder mit drei Ministerposten zufrieden geben. Außen-, Wirtschafts-, Innen- oder Justizressort sind die klassischen Ämter für FDP-Minister. Daniel Bahr wäre als Gesundheitsminister aus dem Rennen.
„Praxisgebühr abgeschafft“ plakatiert die FDP
Hinter den liberalen Kulissen läuft daher bereits eine Diskussion, welche FDP-Minister in Merkels Kabinett eigentlich für die Liberalen in den letzten vier Jahren Punkte sammeln konnten. Je nach Interessenlage fällt das Urteil unterschiedlich aus. Der Außenminister gilt als unantastbar, auch wenn viele in der FDP mit Guido Westerwelle nicht zufrieden sind. Als erster Chef des diplomatischen Corps schaffte er nicht den Sprung in die Riege der populärsten Bundespolitiker. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kann sich ebenfalls in Sicherheit wiegen – nicht nur wegen ihrer aus FDP-Sicht konsequenten Haltung zu NSA-Affäre. Aber, so fragt man sich im Bahr-Lager, was hat eigentlich das Bundeswirtschaftsministerium der FDP an Ansehen gebracht? Im BMG könne man doch mehr und schlagzeilenträchtiger gestalten als im einflussarmen Wirtschaftsressort.
Er würde gerne weitermachen, sagte Daniel Bahr überall, wo er in diesen Tagen auftritt. Vor allem die Abschaffung der Praxisgebühr werde von den Leuten im Straßenwahlkampf anerkannt. Bislang galt zwar der Grundsatz, dass man mit der Verantwortung für eine verfehlte Gesundheitspolitik Wahlen verlieren, mit einem überwiegend zufriedenstellenden Gesundheitssystem aber keine Wahlen gewinnen kann. Doch zu seiner Freude registriert Bahr, dass das Wahlkampfplakat mit seinem Porträt und dem eingängigen Slogan „Praxisgebühr abgeschafft“ von den Orts- und Kreisverbänden bundesweit am meisten bestellt wurde, noch vor dem des Spitzenkandidaten und der anderen Kabinettskollegen. Das macht ihm Mut. Von den Scharmützeln mit den Apothekern übers Honorar und den Not- und Nachtdienst oder den Sparmaßnahmen im Arzneimittelsektor hat eine breitere Öffentlichkeit so gut wie nichts mitbekommen.
Noch eine andere Hürde könnte Bahr aber den Amtssessel an der Berliner Friedrichstraße kosten. Das neue Wahlrecht. Die sogenannten Überhangmandate werden nach einem neuen Verfahren ermittelt. Vergrößerten Überhangmandate bislang regelmäßig die Sitzmehrheit der ohnedies prozentual stärksten Fraktion, so führt die neue Berechnung zum gegenteiligen Effekt. Ein knapper prozentualer Vorsprung reicht daher nicht automatisch zur Mehrheit der Sitze. Die Wahlnacht kann zu einer langen Zitterpartie werden.
In der Hiltruper Stadthalle war von alledem beim Genscher-Revival nichts zu spüren. Der liberale Altmeister hauchte den FDP-Anhängern an diesem Abend Zuversicht ein. Nur die eigens bestellte Band – die „Dandys“, drei Herren im besten Alter, graue Schnauzer, bunte Pullis und Gitarren umgehängt – mischten etwas Wehmut in den Saal: „Don‘t cry for me …“ spielten sie und viele Gäste summten mit. Daniel Bahr enthielt sich dabei seiner Stimme.
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