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Alles Banane?

Julia Borsch, Redakteurin der DAZ

Am 1. August ist es so weit: Das als Muskelrelaxanz eingesetzte Benzodiazepin Tetrazepam wird in Europa bis auf Weiteres vom Markt genommen. Die Zulassung ruht. Die europäischen Aufsichtsbehörden bescheinigten ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis. In zwei Jahren wird dann die Sachlage erneut geprüft (siehe Artikel "Tetrazepam nicht mehr verfügbar"). Angeleiert wurde das Verfahren von einem einzelnen Mitgliedstaat, von Frankreich. Ob vielleicht andere Gründe als die offiziellen, wie ein nicht in den Griff zu bekommendes Missbrauchsproblem, mit eine Rolle spielten, ist in diesem Fall reine Spekulation. Aber der Fall Tetrazepam ist doch ein Anlass, die Vereinheitlichungspraxis der Europäischen Union im Gesundheitswesen einmal kritisch zu betrachten.

Eine gemeinsame Währung, Reisen innerhalb von Europa ohne Grenzkontrollen, die Möglichkeit, sich an jedem Ort der europäischen Union niederzulassen sind in meinen Augen große Errungenschaften. Eine noch vor Jahrzehnten undenkbare Entwicklung in der europäischen Geschichte, die auf gar keinen Fall dem Opportunismus und dem Kampf um Wählerstimmen geopfert werden sollte. Auch die unproblematische Anerkennung von Schul- und Universitätsabschlüssen, wenn sie denn irgendwann einmal reibungslos funktioniert, die Möglichkeit sich in Holland, Belgien oder einem anderen EU-Land auf Kosten der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung behandeln zu lassen sind positive Europaeffekte. Bei Dingen wie der EU-Banane oder der Einheitsgurke – diese Norm wurde im Übrigen gekippt – stößt die uneingeschränkte Europa-Begeisterung dann zwar doch an ihre Grenzen. Für den Verbraucher sind das aber Regelungen, die vor allem belächelt werden, da man selber im täglichen Leben nicht wirklich davon beeinträchtigt wird. Abgesehen vielleicht von der Tatsache, dass die (normgerechte) Optik oft mehr verspricht, als der Geschmack hält (Landwirte, der Lebensmittelhandel und Agrarexperten mögen das anders sehen).

Anders verhält es sich im Gesundheitswesen. Hier waren und sind die Unterschiede innerhalb Europas groß. Ein Stück weit hat der Europäische Gerichtshof die Problematik erkannt und ihr mit seinem Urteil zum deutschen Apothekenmarkt aus dem Jahre 2009 auch Rechnung getragen. Aber auch der Arzneimittelmarkt ist ein sensibles Thema mit großen länderspezifischen Differenzen. Beispielsweise die unterschiedliche Handhabung der Apotheken- und Verschreibungspflicht. So sind im Gegensatz zu Deutschland in manch anderem Land viele Antibiotika problemlos ohne Rezept erhältlich. Dazu kommen therapeutische Präferenzen, die sich über Jahre hinweg entwickelt haben. Oft ohne einen Grund, der heute noch nachvollziehbar wäre. Briten lehnen Zäpfchen ab, Südeuropäer haben kein Problem damit. In Deutschland wird für eine bestimmte Indikation Wirkstoff A verschrieben, anderswo bevorzugt die Ärzteschaft Wirkstoff B. "Haben wir schon immer so gemacht" ist zugegebenermaßen ein ziemlich lahmes Argument. Es ist deshalb richtig und gut, dass die EMA als zentrale europäische Aufsichtsbehörde Hinweisen auf neue oder bisher unterschätzte Arzneimittelrisiken nachgeht und das selbstverständlich auch dann, wenn nur ein einzelner Mitgliedstaat dies veranlasst. Die Frage ist die nach der richtigen Konsequenz. Ob eine ungünstige Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses wirklich in einem für alle verbindlichen Beschluss münden muss? Ist es notwendig, Probleme zu schaffen, wo es bisher offenbar keine gab? Oder man sich sogar trotz bekannter Risiken bewusst für eine bestimmte Substanz ausgesprochen hat? Wäre es nicht ausreichend, ein Problembewusstsein zu schaffen und darauf basierend den Mitgliedsländern die endgültige Entscheidung und damit auch die Verantwortung zu überlassen, welche Wirkstoffe sie zulassen möchten und welche nicht?

Diese Entscheidungsfreiheit ist sicher nicht in allen Bereichen zielführend und wenn es sie gäbe, wäre Europa vermutlich in vielen Punkten weniger weit. Aber in einem sensiblen Bereich wie dem Gesundheitswesen, einfach per Beschluss von heute auf morgen Dinge in ganz Europa ohne Rücksichtnahme auf regionale Besonderheiten zu vereinheitlichen, kann für große Unsicherheit sorgen. Sowohl bei den Ärzten, da wie im Falle von Tetrazepam gut erprobte Therapiealternativen fehlen, als auch bei den Patienten, die ihre bekannte und wirksame Medikation plötzlich nicht mehr erhalten.

Denn Arzneimittel sind eben nun mal keine Bananen!


Julia Borsch

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