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Frühe Nutzenbewertung – Vorschlag für eine Revision
Der Jahreswechsel war das zweijährige Jubiläum für die frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Bereits im Herbst hatten Krankenkassen und das IQWiG in ihren Rückblicken betont, dass die Methode zu Ergebnissen führt, also anwendbar ist und für einige Arzneimittel sogar ein Zusatznutzen festgestellt wurde. Befürchtungen, kein Arzneimittel könne den neuen Bewertungen standhalten, seien damit ausgeräumt. Doch zugleich bleiben Vertreter der Pharmaindustrie unverändert bei ihrer Kritik. Sie beklagen den großen Aufwand, die Nicht-Beachtung wichtiger Studien und die Festlegung der Vergleichsmedikation. Einige Hersteller haben sogar Produkte vom deutschen Markt zurückgezogen. Doch das bestärkt die Befürworter der Bewertung sogar noch, weil das neue Verfahren scheinbare und echte Innovationen voneinander trenne.
Doch stimmt das wirklich? Das Verfahren führt zwar zu Ergebnissen, aber sind das die Ergebnisse, die die Gesellschaft von einem solchen Verfahren erwartet? Der vom IQWiG anerkannte Zusatznutzen betrifft nicht immer diejenigen Eigenschaften des getesteten Arzneimittels, die vom Hersteller als wesentliche Argumente für das Produkt propagiert werden und die in der Fachwelt als innovativ diskutiert werden. So wurde beispielsweise dem ersten oral zu verabreichenden MS-Therapeutikum Fingolimod nur ein geringer Zusatznutzen für eine bestimmte Patientengruppe bescheinigt, bei der es weniger grippeähnliche Symptome auslöst. Doch das ist nicht der Grund, weshalb es tatsächlich verwendet wird.
Dahinter steckt ein weiteres Problem: Bei vielen bisherigen Bewertungen wurde der Zusatznutzen hinsichtlich der maßgeblichen Aspekte nicht etwa widerlegt, sondern gar nicht geprüft. In den Entscheidungen des IQWiG steht regelmäßig, der Hersteller habe für diverse zu untersuchende Fragestellungen keine relevanten Studien vorgelegt oder diese seien nicht auswertbar. Neben der Studiendauer und den Zielparametern liegt das immer wieder am Dissens über die Vergleichsmedikation. Dazu tragen auch die gesetzlichen Vorgaben bzw. deren Interpretation durch G-BA und IQWiG bei. Denn als Vergleich soll eine wirtschaftliche Therapie, möglichst ein Arzneimittel mit Festbetrag dienen. Bei Indikationen mit großer Innovationstätigkeit kann dies kaum eine moderne Therapie sein. Der formal geforderte Vergleich ist daher nicht immer der klinisch relevante Vergleich. Auf jeden Fall ist ein Vergleich nutzlos, wenn zu dieser Frage keine Studien vorliegen. Das IQWiG rechtfertigt seine Position mit dem Hinweis auf die evidenz-basierte Medizin (EBM). Doch dann sollte das IQWiG auch die ganze wissenschaftliche Argumentation der EBM beachten. Die EBM beharrt nämlich nicht kompromisslos auf der besten denkbaren Evidenz, sondern sie sucht nach der besten verfügbaren Evidenz. Dahinter steckt die weise Erkenntnis, dass eine mäßig gesicherte Aussage besser ist als im Nebel zu stochern und die vorhandene Evidenz zu ignorieren. Der Ansatz, das Nicht-Vorhandensein des idealen Nachweises mit fehlendem Zusatznutzen gleichzusetzen, geht am Ziel des Verfahrens vorbei. Diese Haltung bedeutet, im Zweifel immer gegen den "Angeklagten" zu entscheiden. Doch es geht darum, dass Patienten vom Zusatznutzen neuer Produkte profitieren.
Welches Produkt sich als Vergleich anbietet, sollten G-BA, IQWiG und Hersteller daher gemeinsam anhand der verfügbaren Evidenz ermitteln und festlegen. Hier ist Konsens und nicht Konfrontation gefragt. Dazu sollten die Regularien auch Kompromissmöglichkeiten erlauben. Wenn dennoch keine Einigung über aussagekräftige Studienparameter zu erzielen ist, sollten abgestufte Bewertungen möglich sein. Mit den Kategorien "Hinweis" und "Anhaltspunkt" sieht das IQWiG solche Abstufungen bereits vor. Diese Instrumente könnten auch als Abstufungen für die Qualität des Nachweises hinsichtlich der Vergleichsmedikation dienen. Denn eine gesicherte Aussage in Beziehung zu einem anderen als dem gewünschten Vergleichsprodukt ist mehr wert als gar keine Information. Da das IQWiG auch zwei Jahre nach dem Beginn des Verfahrens immer wieder "schuldig aus Mangel an Beweisen" urteilt, wird es Zeit für eine solche Revision. Die genannten zusätzlichen Bewertungsmöglichkeiten wären ein praktikabler Kompromiss. Für G-BA und IQWiG wäre dies eine moderate Reform und für Patienten und Industrie eine neue Aussicht auf eine praxisnähere Bewertung.
Thomas Müller-Bohn
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