Arzneimittel und Therapie

Diabetiker profitieren auch noch nach 30 Jahren

Die Ergebnisse der 1983 begonnenen zehnjährigen DCCT-Studie (Diabetes Interventions and Complications) gelten als Durchbruch für die intensivierte Insulintherapie. Unter strenger Stoffwechselführung erlitten die Typ-1-Diabetiker im Studienzeitraum signifikant weniger mikroangiopathische und neuropathische Komplikationen als die konventionell behandelten Patienten. Noch heute sind die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen im Komplikationsrisiko sowie beim kardiovaskulären Endpunkt statistisch signifikant.
Diabetische Angiopathie Spätkomplikationen traten bei den frühzeitig intensiv behandelten Diabetikern auch nach vielen Jahren Nachbeobachtung seltener auf.
Foto: Berufsverb. der Augenärzte (BVA)

In die DCCT-Studie waren 1441 relativ junge Typ-1-Diabetiker (zwischen 13 und 39 Jahren) eingeschlossen worden. Unter intensivierter Insulintherapie wurde ein HbA1c-Wert von 7%, unter konventioneller der damals gültige Zielwert von 9% erreicht. Nach einer mittleren Behandlungsdauer von 6,5 Jahren erhielten auch die Patienten der konventionellen Gruppe eine intensivierte Therapie. Nach zehn Jahren hatte sich das Risiko für mikroangiopathische und neuropathische Komplikationen um bis zu 76% reduziert (76% bei Augen-, 50% bei Nieren-, 60% bei neuropathischen Erkrankungen). Um weitere Beobachtungen zu ermöglichen, schloss sich an die DCCT-Studie die Follow-up-Studie EDIC (Epidemiology of Diabetes Interventions and Complications) an.

Noch immer hochsignifikante Unterschiede

Nach 18 Jahren Nachbeobachtung im Rahmen der EDIC-Studie bestanden zwischen den beiden Gruppen immer noch hochsignifikante Unterschiede im Komplikationsrisiko zugunsten der frühzeitig intensiv behandelten Patienten, obwohl sich die HbA1c -Werte inzwischen angeglichen hatten. Bei der Retinopathie-Häufigkeit betrug die Differenz 46%, beim Makulaödem 35% (p < 0,0001). Lasertherapien und Augenoperationen mussten bei den Patienten mit strengerer Blutzuckereinstellung signifikant seltener vorgenommen werden (Differenz 35% bzw. 48%, p < 0,0001).

Auch bei der Nierenfunktion hatten diese Patienten ein deutlich besseres Outcome. So lag beispielsweise das Risiko für die Entwicklung einer Mikroalbuminurie um 39% niedriger. Bei den kardiovaskulären Ereignisraten lagen die Unterschiede nach neun Jahren Follow up in EDIC bei 42%. Der kombinierte Endpunkt von Schlaganfall, Herzinfarkt oder kardiovaskulärem Tod trat unter intensivierter Insulintherapie um 57% seltener auf. 30 Jahre nach DCCT-Beginn war die Differenz für beide Endpunkte noch immer statistisch signifikant. Nach Ansicht der DCCT/EDIC-Autoren lassen sich diese Unterschiede nahezu komplett durch die Unterschiede in den HbA1c -Werten in der DCCT-Studie zurückführen. Dies unterstreiche die Bedeutung des frühen Beginns einer möglichst engen Stoffwechselführung.


Basis-Bolus-Konzept


Hauptmerkmale der intensivierten Insulintherapie


Die intensivierte Insulintherapie gilt seit Ende der DCCT-Studie weltweit als Standardbehandlung des Typ-1-Diabetes. Sie entspricht am besten dem natürlichen Sekretionsmuster des Pankreas und kann auch mithilfe einer Insulinpumpe durchgeführt werden.

Charakteristisch sind:

  • die zwei- bis dreimal tägliche Gabe eines Verzögerungsinsulins (bzw. Applikation über Insulinpumpe);
  • die Applikation von schnellwirksamem Insulin in Abhängigkeit vom Kohlenhydratanteil der jeweiligen Mahlzeit und der körperlichen Aktivität;
  • mehrmals tägliche Blutzuckermessungen.

Voraussetzung für den Erfolg der Therapie ist eine intensive Schulung des Patienten. Vor allem muss er die Warnsymptome einer Hyper- bzw. Hypoglykämie gut kennen und entsprechend reagieren können.


Worauf beruht die Wirkung?

Zur Erklärung der lang anhaltenden Unterschiede wird unter anderem das sogenannte metabolische Gedächtnis herangezogen. Dieses beinhaltet die Förderung der Bildung von Advanced Glycation Endproducts (AGEs) durch hohe Blutzuckerwerte (s. Kasten). Außerdem vermutet man, dass hohe Blutzuckerspiegel langanhaltende Funktionsveränderungen von Genen hervorrufen können.

Kognitive Einschränkungen durch Hypoglykämien?

Auch der Zusammenhang zwischen Hypoglykämien und einer möglichen Verringerung der kognitiven Leistungsfähigkeit wurde in der EDIC-Studie untersucht. Es fand sich jedoch kein Zusammenhang zwischen wiederholten Unterzuckerungen und einer Verringerung der kognitiven Fähigkeiten (unter anderem in den Bereichen Kurz- und Langzeitgedächtnis, Aufmerksamkeit, Problemlösungsfähigkeit und räumliches Vorstellungsvermögen). Nach Beendigung der Studie im Jahr 2016 wird dieser Zusammenhang erneut untersucht werden, da mit höherem Alter der Patienten auch das Risiko für kognitive Einschränkungen zunimmt.


Advanced Glycation Endproducts


Die Advanced Glycation Endproducts (AGEs) entstehen durch nicht-enzymatische Reaktion von Kohlenhydraten und Proteinen und Folgereaktionen (Maillard-Reaktion). Sie werden endogen oder exogen (z. B. beim Kochen oder Braten) gebildet bzw. sind bereits in Lebensmitteln enthalten. Im menschlichen Körper können nicht nur Strukturproteine, sondern auch Hormone (z. B. Insulin) oder Wachstumsfaktoren durch Glykierung strukturell und funktionell verändert werden.

Zwar ist ein Abbau der AGEs möglich (z. B. durch Proteolyse, Gewebsmakrophagen), doch kommt es auch zur Akkumulation. AGEs wurden beispielsweise in atherosklerotischen Plaques und in Makrophagen von Diabetespatienten nachgewiesen. Daher werden sie als wichtiger Teil des Alterungsprozesses betrachtet. Auch bei der Entstehung Diabetes-spezifischer Komplikationen scheinen sie eine Rolle zu spielen.



Quelle

Nathan DM et al. Intensive diabetes treatment and cardiovascular disease in patients with type 1 diabetes. NEJM (2005) 353: 2643 – 2653.

Jacobson AM et al. Long-term effect of diabetes and its treatment on cognitive function. NEJM (2007), 356: 1842 – 1852.

Böhm S. Neue Daten der DCCT/EDIC-Studie: Gute Blutzuckerkontrolle zahlt sich jahrzehntelang aus. http//www.medscapemedizin.de

Stirban A. Pathogenetische Rolle der Advanced Glycation Products (AGEs). Diabetes, Stoffwechsel und Herz (2011), 20(3): 191 – 193

DCCT/EDIC 30 years later: Positive effects of intensive therapy confirmed in type 1 diabetes. Pressemeldung vom 22. Juni 2013, www.healio.com.


Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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