Arzneimittel und Therapie

Inzidenz arzneimittelinduzierter Leberschäden höher als angenommen

Arzneimittel verursachen weit häufiger einen Leberschaden als bislang angenommen. Eine aktuelle Studie kommt auf eine jährliche Inzidenz von 19,1 pro 100.000 Einwohner. Die Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) warnt deshalb vor Leberschäden durch Medikamente und mahnt an, sie nicht zu übersehen. Da sie häufig aufgrund von Überdosierungen auftreten, wird dringend geraten, die Einnahme-Empfehlungen zu beachten. Als häufigste Auslöser wurden in der Studie Amoxicillin/Clavulansäure, Diclofenac, Infliximab, Azathioprin und Nitrofurantoin identifiziert.

"Leberschäden als Nebenwirkung von Medikamenten sind ein allgemein unterschätztes Problem", so der Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkranken (DGVS), Prof. Dr. Peter R. Galle, Mainz, auf einem von der DGVS veranstalteten Symposium mit Blick auf die aktuell publizierte isländische Studie. Diese hatte deutlich höhere Inzidenzraten für Medikamenten-induzierte Leberschäden ermittelt als bisherige Untersuchungen. Die Forscher an der Universität Island in Reykjavik analysierten im Rahmen einer Bevölkerungs-basierten prospektiven Kohortenstudie über zwei Jahre (2010 und 2011) sämtliche Fälle von Arzneimittel-induzierten Leberschäden. Ausgeschlossen waren Patienten mit einer Paracetamol-Toxizität. Während dieses Zeitraums wurde bei insgesamt 96 Personen zwischen 16 und 91 Jahren (mittleres Alter: 55 Jahre; 54 Frauen) ein Arzneimittel-induzierter Leberschaden festgestellt, definiert auf der Basis von Leberwerten: Alaninaminotransferase (ALT) musste um mehr als das Dreifache und/oder die alkalische Phosphatase um mehr als das Zweifache des oberen Normalwerts erhöht sein. Nur bei vier Patienten fand sich anamnestisch ein Leberschaden, bei drei Patienten eine Alkoholkrankheit.

Jährliche Inzidenz: 19,1 pro 100.000

Auf Basis der Daten errechnete sich eine jährliche Inzidenz für einen Arzneimittel-induzierten Leberschaden von 19,1 pro 100.000 Einwohner und damit die höchste Inzidenz, die bislang ermittelt worden war. Dabei stieg das Risiko mit dem Alter an und lag beispielsweise bei den 15- bis 24-Jährigen bei 8,5/100.000, bei den 60- bis 69-Jährigen bei 32/100.000 und bei den über 80-Jährigen bei 41/100.000. Eine frühere französische Studie war auf eine jährliche Inzidenz von 14 pro 100.000 Einwohner gekommen, Untersuchungen aus Schweden und Großbritannien lediglich auf 2 pro 100.000. "Für Deutschland gibt es hierzu bislang zwar keine Zahlen, aber die Ergebnisse der isländischen Studie lassen vermuten, dass das Problem auch bei uns größer ist als bislang angenommen", kommentierte Galle.

Azathioprin und Infliximab: hohes Risiko

Bei drei Viertel der Patienten konnte der Leberschaden auf einen einzelnen verordneten Wirkstoff zurückgeführt werden. Bei 16% handelte es sich um ein Nahrungsergänzungsmittel, bei 9% waren multiple Substanzen im Spiel. Bei 22% der Patienten war Amoxicillin/Clavulansäure der Auslöser, bei 6% Diclofenac und bei jeweils 4% Azathioprin, Infliximab und Nitrofurantoin. Unter Berücksichtigung der Verordnungszahlen besteht das größte Risiko für einen Leberschaden unter Azathioprin und Infliximab (752/100.000 bzw. 675/100.000). Unter Amoxicillin/Clavulansäure ergibt sich eine Häufigkeit von 43/100.000.

Oft übersehen

Problematisch sind die unspezifische Symptomatik und die schwierige Diagnose. Neben Appetitlosigkeit und Erbrechen, Fieber, Gelenk-, Muskel- und Bauchschmerzen können auch Juckreiz, Veränderungen der Hautfarbe sowie Stuhl- und Urinverfärbungen Anzeichen einer Leberbeeinträchtigung sein. Insgesamt 87% der Studienteilnehmer hatten typische Symptome wie Gelbsucht, Juckreiz, Übelkeit, abdominelle Beschwerden und Abgeschlagenheit. "Es ist wichtig, bei diesen Symptomen auch an eine mögliche Leberschädigung zu denken und im Zweifelsfall die Leberwerte zu kontrollieren", machte Galle deutlich. Selten, dafür besonders gefährlich, ist ein akutes Leberversagen: Es verläuft trotz Behandlung für viele der Patienten tödlich.

Zu viel schadet der Leber

Um Arzneimittel-induzierten Leberschäden vorzubeugen rät die DGVS dringend, die Einnahmeempfehlungen der Hersteller zu beachten. Denn Leberschäden treten häufig durch Überdosierungen oder Überschreitungen der vorgeschriebenen Therapiedauer auf. Bestätigt sich der Verdacht einer hepatotoxischen Wirkung, sollte das betreffende Medikament möglichst rasch abgesetzt werden. Dies sollte jedoch niemals auf eigene Faust, sondern stets in Absprache mit dem Arzt erfolgen. Nicht vergessen werden sollte, dass auch vermeintlich harmlose pflanzliche, nicht verschreibungspflichtige Naturheilmittel lebertoxisch wirken können. "Leider sind die Wirkungen oft unvorhersehbar. Manche Menschen reagieren empfindlicher als andere", so Galle.


Quelle

Björnsson ES et al. Incidence, presentation, and outcomes in patients with drug-induced liver injury in the general population of iceland. Gastroenterology 2013; 144(7): 1419 – 1425.


Apothekerin Dr. Beate Fessler


Zum Weiterlesen


Ein vernachlässigtes Organ: Dosisanpassung bei Leberfunktionsstörungen.

DAZ 2013, Nr. 23, S. 64 – 65.

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