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Ernährung
Gefährliche Fructose
Der Fructosekonsum hat dramatisch zugenommen
Von Natur aus ist das Monosaccharid Fructose (Fruchtzucker) vor allem in Obst, seinen namengebenden Lebensmitteln, sowie in Honig enthalten, von dem es mengenmäßig etwa ein Drittel ausmacht. Vor allem findet sich Fructose aber in verarbeiteten Erzeugnissen, denen es zum Süßen zugesetzt wird. Dies geschieht auf dem "klassischen" Weg indirekt durch die Verwendung von Saccharose (Haushaltszucker), einem Disaccharid aus Fructose und Glucose.
Die zweite, heute weiter verbreitete Art der Süßung mit Fructose nahm ihre Anfänge in den 1970er Jahren. Damals begann man in den USA, durch enzymatische Umwandlung aus Maisstärke "high fructose corn syrup" (HFCS) herzustellen. Hierbei handelt es sich um ein sirupöses Fructose-Glucose-Gemisch mit Fructoseanteilen von 42 bis 90% in der Trockensubstanz. Je nach dem Verhältnis der beiden Zucker zueinander ist ein HFCS-Zusatz im Zutatenverzeichnis eines Lebensmittels als Glucose-Fructose-Sirup oder als Fructose-Glucose-Sirup deklariert.
In der Lebensmittelindustrie hat sich die Verwendung von HFCS als Zuckeraustauschstoff sehr schnell etabliert, da er aus folgenden Gründen immense Vorteile bietet:
- Fructose besitzt die 1,7-fache Süßkraft der Saccharose.
- HFCS lässt sich einfach, im großtechnologischen Maßstab und sehr kostengünstig produzieren.
- Fructose weckt beim Verbraucher in der Regel positive Assoziationen, sodass sich ein Fructosezusatz häufig besser vermarkten lässt als eine Süßung mit Saccharose.
- Der glykämische Index (die Blutzuckerspiegel-steigernde Wirkung) von Fructose ist mit 22 sehr niedrig (Glucose: 100), sodass sie sich sehr gut als Zuckeraustauschstoff für Diabetiker- und kalorienreduzierte Lebensmittel zu eignen scheint.
Diese vier Faktoren sowie die zunehmende Beliebtheit von "light"-Produkten haben Fructose in den zurückliegenden 40 Jahren zu einem wahren Siegeszug verholfen. In den USA hat sich der Jahres-Pro-Kopf-Verbrauch an HFCS von 230 g im Jahr 1970 auf 28,4 kg (ca. 80 g/d) im Jahr 1997 um mehr als das 120-Fache erhöht. Besonders beliebt ist der Zusatz von Fructose zu Erfrischungsgetränken. US-amerikanische Erwachsene nehmen durchschnittlich gut 12% ihres täglichen Kalorienbedarfs in Form von Fructose auf, bei jedem fünften Jugendlichen sind es sogar mehr als 25%. Auch wenn keine validen Vergleichsdaten für Deutschland existieren, kann eine tendenziell vergleichbare Entwicklung des Fructosekonsums hierzulande angenommen werden.
Epidemiologische Studien in den USA zeigten eine positive Korrelation zwischen dem Fructosekonsum und der Adipositas-Prävalenz (Abb. 2), sodass der zunehmende Fructoseverzehr nicht nur aus individualmedizinischer, sondern vor allem auch aus epidemiologischer Sicht als sehr bedenklich zu beurteilen ist.
Es gilt mittlerweile als gesichert, dass der vermeintlich gesunde Fruchtzucker eine der Hauptrollen bei der Entstehung des metabolischen Syndroms spielt. Während bereits eine sechstägige fructosereiche Diät bei gesunden Probanden zu Dyslipidämien und Anzeichen einer Insulinresistenz führt, zeigt eine glucoselastige Ernährung kaum solche negativen Konsequenzen.
Wirkung aufs neuroendokrine System
Eine Nahrungsaufnahme führt typischerweise – neben einem Anstieg des Insulin- und Leptinspiegels – auch zu einer Unterdrückung des appetitanregenden Hormons Ghrelin. Diese hormonelle Regelung bewirkt, dass sich während des Essens ein Sättigungsgefühl einstellt.
Beim Verzehr von Fructose bleiben sowohl die postprandiale Heraufregelung des Insulin- und Leptinspiegels als auch die Ghrelin-Drosselung aus. Die Folge sind ein ausbleibendes Sättigungsgefühl und bei unbeherrschten Personen ein unkontrollierter Konsum fructosehaltiger Lebensmittel.
Aus Sicht des BfR …… wird die weitere Verwendung von Fructose als Zuckeraustauschstoff in industriell gefertigten Lebensmitteln als Bestandteil sogenannter Diabetiker-Lebensmittel anstelle von handelsüblicher Saccharose aus ernährungsmedizinischer Sicht nicht für sinnvoll gehalten. Aus einer offiziellen Stellungnahme des Bundesamtes für Risikobewertung (BfR) vom 6. März 2009 (Stellungnahme Nr. 041/2009) |
Metabolisches Syndrom
Nach der Aufnahme aus dem Dünndarm mittels des Transporters GLUT-5 wird Fructose über die Pfortader in die Leber transportiert. Dort wird sie in den Leberzellen durch Fructokinase unter ATP-Verbrauch zu Fructose-1-phosphat umgewandelt (Abb. 3). Da – im Gegensatz zum Glucosestoffwechsel – kein Regulationsmechanismus für die Fructoseaufnahme existiert, führt der Fructosemetabolismus zu einem unkontrollierten Phosphatverbrauch. Der Abbau von ATP über ADP zu AMP führt zur Phosphatverarmung und letztlich zur Aktivierung des Enzyms AMP-Desaminase. Dieses Enzym leitet über eine Umsetzung von AMP zu IMP den Abbau von Purinen ein, der zu einem Anstieg der Harnsäurekonzentration führt. Eine solche Hyperurikämie kann sich in der Konsequenz als Gicht bemerkbar machen. Fructose ist der einzige Zucker, dessen Metabolismus einen Anstieg des Harnsäurespiegels zur Folge hat.
Neben der Bedeutung als Ursache der Gicht kommt der Hyperurikämie auch eine erhebliche Bedeutung als Risikofaktor des metabolischen Syndroms zu. Harnsäure wird über einen spezifischen Transportmechanismus in die Gefäßendothelzellen aufgenommen. Dort bewirkt sie über einen Abfall der Stickstoffmonoxid (NO)-Produktion eine endotheliale Dysfunktion, d. h. sie vermindert die Fähigkeit der Endothelmuskelzellen zur Gefäßerweiterung.
Die reduzierte NO-Freisetzung ist wiederum ein wichtiger Schlüsselfaktor bei der Entstehung einer Insulinresistenz, da die Wirkung von Insulin an der Muskelzelle NO-abhängig ist. Nur in einem (infolge NO-Stimulation) gut durchbluteten Muskelgewebe vermag das Insulin seine Wirkung vollständig zu entfalten. Ein längerfristiger Abfall der NO-Konzentration führt also zu einer verminderten Durchblutung der Skelettmuskulatur und damit zu einer reduzierten Insulinwirksamkeit. Der Körper antwortet hierauf mit einer Steigerung der Insulinproduktion. Es entwickelt sich eine Hyperinsulinämie, ein wichtiges Symptom des metabolischen Syndroms.
Neben der Hyperinsulinämie ist der Harnsäure-bedingte NO-Abfall auch ein Trigger für einen Blutdruckanstieg, das zweite Symptom des metabolischen Syndroms. Epidemiologische Studien zeigen, dass annähernd alle Hypertoniker erhöhte Serum-Harnsäure-Werte aufweisen. Eine medikamentöse Reduktion der Harnsäure mit Allopurinol führt bei diesen Patienten zu einer signifikanten Blutdrucksenkung.
Die beiden weiteren typischen Symptome des metabolischen Syndroms, Adipositas und Dyslipidämie entwickeln sich bekanntermaßen auf Basis der Hyperinsulinämie über eine Stimulation der Triglyceridsynthese.
Nichtalkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD)
Die NAFLD ist derzeit die weltweit häufigste Lebererkrankung. Eine ihrer Ursachen ist eine fructoseinduzierte Steigerung der Triglyceridsynthese. Diese führt – anders als der beschriebene insulinabhängige Mechanismus – auf unmittelbarem Wege zu einem Anstieg der Serumtriglyceridspiegel.
Da Fructose – im Gegensatz zu Glucose – nicht gespeichert werden kann, wird sie bei vermehrter Zufuhr größtenteils in Fett umgewandelt (De-novo-Lipogenese, Abb. 4): Nach der Phosphorylierung zu Fructose-1-phosphat wird dieses in Glycerinaldehyd und Dihydroxyacetonphosphat gespalten. Nur ein geringer Anteil des Letzteren wird zu Pyruvat, Lactat oder Glucose verstoffwechselt. Der weit überwiegende Anteil wird in Glycerol-3-phosphat umgewandelt, welches in der De-novo-Lipogenese mit Fettsäuren zu Triglyceriden verestert wird.
Während Glucose nur zu einem geringen Teil über diesen Weg verstoffwechselt wird, kann die gleiche Menge Fructose die De-novo-Lipogenese um das 15‑Fache erhöhen. Ein vermehrter Fructosekonsum kann daher über diesen Metabolismus zur Hyperlipidämie führen. Im Tierversuch zeigte sich, dass Ratten bereits nach einer fünfwöchigen fructosereichen Diät eine Leberverfettung aufwiesen.
Fazit
Der vermeintlich gesunde Fruchtzucker zeigt bei übermäßigem Konsum sein wahres, gesundheitsabträgliches Gesicht. Ein Überkonsum kommt jedoch nicht durch den Verzehr von frischem Obst zustande, sondern ist in der Regel durch den häufigen Genuss von Fructose- und Saccharose-gesüßten Lebensmitteln bedingt. Aufgrund der spezifischen Verstoffwechselung von Fructose kann ein derartiges Ernährungsverhalten zu Gicht, Typ-2-Diabetes, Hyperlipidämie, Adipositas, Bluthochdruck und Nichtalkoholbedingter Fettlebererkrankung führen.
Trotz des niedrigen glykämischen Index von Fructose entsprechen Diabetiker-, Diät- oder "light"-Lebensmittel, die mit diesem Zuckeraustauschstoff gesüßt sind, nicht annähernd der Verbrauchererwartung an ein metabolisch und kalorisch neutrales Produkt. Daher wäre es im Sinne der Volksgesundheit wünschenswert, weniger Fructose in der Lebensmittelherstellung zu verwenden und die Deklaration von Erzeugnissen mit Fructosezusatz als Diät-Lebensmittel zu untersagen. Diabetikern sollte vom Verzehr solcher Nahrungsmittel abgeraten werden.
Autor
Dr. Axel Vogelreuter, Apotheker
Apotheke am Neumarkt,
Neumarkt 2, 50667 Köln
vogelreuter@apo-am-neumarkt.de
Literaturtipp
Eine ausgewogene, bewusste Ernährung dient der Gesunderhaltung. Doch dies ist leichter gesagt als getan, denn es gibt viele gesundheitsschädliche Nahrungsbestandteile, und viele Menschen leiden unter Nahrungsmittelunverträglichkeiten.
Während die Laien sich mit manchmal fragwürdigen Ernährungsratgebern informieren, sollten Heilberufler ihr fachliches Know-how mit wissenschaftlicher Literatur auffrischen. Der Autor dieses verständlichen Fachbuchs beleuchtet die pathophysiologischen Zusammenhänge bei allen relevanten Nahrungsmittelunverträglichkeiten und geht auf deren epidemiologische und klinische Bedeutung ein.
Die Schilderung der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten und praktische Hinweise für das tägliche Leben helfen allen in Gesundheitsberufen Tätigen, ihre Patienten kompetent zu beraten.
Axel Vogelreuter
NahrungsmittelunverträglichkeitenLactose – Fructose – Histamin – Gluten
XII, 230 S., 41 farb. Abb., 34 Tab. Geb. 42,– Euro
Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2012 ISBN 978-3-8047-2938-4Dieses Buch können Sie einfach und schnell bestellen
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