Feuilleton

Vor 70 Jahren wurde die Wirkung des LSD entdeckt

Es gibt kaum einen anderen Wirkstoff, bei dem der Zeitpunkt, zu dem die Wirkung am Menschen festgestellt wurde, so genau bekannt ist wie beim LSD (D‑Lysergsäurediethylamid). Am 16. April 1943, also vor 70 Jahren, schickte Albert Hofmann (1906 – 2008), der seit 1929 als Chemiker im Forschungslaboratorium der Firma Sandoz in Basel tätig war, einen Bericht an seinen Vorgesetzten Arthur Stoll (1887 – 1971).
Albert Hofmann, Entdecker des LSD. Aus [10]. Foto: DAZ/cae

In dem Bericht schilderte Hofmann einen unbeabsichtigten "Selbstversuch" mit LSD, bei dem "im Dämmerzustand … ununterbrochen phantastische Bilder mit außerordentlicher Plastizität und mit intensivem, kaleidoskopartigem Farbspiel" auf ihn eindrangen [1]. Nachdem sein Verdacht auf das von ihm bereits zum zweiten Mal synthetisierte LSD gefallen war, nahm Hofmann am 19. April bewusst 0,25 mg der Substanz ein – eine etwa zehnfache Überdosis, wie er damals noch nicht wissen konnte, die zu Schizophrenie-ähnlichen Zuständen führte.

Zur seelischen Auflockerung …

Die erste umfangreiche Abhandlung über die ungewöhnliche Wirkung von LSD publizierte nach eingehender Untersuchung der zuständige Pharmakologe Werner A. Stoll, ein Sohn von Arthur Stoll, 1947 im Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie: "Lysergsäurediäthylamid, ein Phantastikum aus der Mutterkorngruppe". Von 1949 bis 1966 war LSD unter dem Namen Delysid® als Arzneimittel auf dem Markt. Im Beipackzettel wurden folgende Indikationen erwähnt (aus [1]): "Zur seelischen Auflockerung bei analytischer Psychotherapie, besonders bei Angst- und Zwangsneurosen sowie zur experimentellen Untersuchung über das Wesen der Psychosen: Delysid® vermittelt dem Arzt im Selbstversuch einen Einblick in die Ideenwelt des Geisteskranken und ermöglicht durch kurzfristige Modellpsychosen bei normalen Versuchspersonen das Studium pathogenetischer Probleme."

Kommerziell angeboten wurde LSD auch von der Firma Spofa United Pharmaceutical Works in Prag.

Erst richtig bekannt wurde LSD durch den amerikanischen Psychologen Timothy Leary (1920 – 1996), der ab 1960 im Rahmen des staatlich (auch durch den CIA) unterstützten "Harvard Psychedelic Drug Research Program" groß angelegte Versuche u. a. mit LSD durchführte, um Möglichkeiten zu erkunden, mithilfe psychedelischer Drogen das menschliche Denken und Verhalten neu zu programmieren. An einer "Gehirnwäsche" waren vor allem die Geheimdienste interessiert (vgl. Project MKUltra [2]). Hofmann selbst berichtet, dass Leary bei Sandoz 100 g LSD (die Normaldosis liegt bei 0,02 – 0,1 mg) und 25 kg des ähnlich, aber wesentlich schwächer wirkenden Psilocybin bestellt hat [1].

Summer of Love

Jenseits medizinischer Indikationen wurde LSD zu einer Modedroge von Jugendlichen und Künstlern, die sich davon eine Bewusstseinserweiterung versprachen [3, 4]. Wesentlichen Anteil an der schnellen Popularisierung des LSD hatte der Acid oder Psychedelic Rock [5]. Ein großer Teil der Jugend der USA verfiel in einen LSD-Rausch, der 1966 im "Summer of Love" gipfelte und den Staat zum Eingreifen veranlasste, zumal viele LSD-Konsumenten gegen die herrschende Gesellschaftsordnung rebellierten und insbesondere den Vietnamkrieg ablehnten. Im selben Jahr wurde LSD in den USA verboten.

In Deutschland wurde LSD 1967 dem Opiumgesetz unterstellt; heute ist es als nicht verkehrsfähiges Betäubungsmittel in Anlage 1 des BtMG gelistet. Da nur Mutterkornalkaloide oder deren Derivate, die ebenfalls streng überwacht werden, als Ausgangsprodukte für die Partialsynthese infrage kommen, ist der illegale Gebrauch als Rauschdroge stark zurückgegangen. Laut Jahrbuch Sucht 2012 konsumieren 0,1% der Einwohner Deutschlands mindestens einmal jährlich LSD (zum Vergleich: illegale Drogen insgesamt: 5,1%, Cannabis 4,8%, Amphetamine 0,7%, Ecstasy 0,4%; Mehrfachnennungen möglich) [12]. Im Drogen-Ranking spielt LSD heute keine große Rolle mehr.

Albert Hofmann während einer Pressekonferenz zu seinem 100. Geburtstag, Basel 2006. Aus [10]. Foto: DAZ/cae

Psycholytische und psychedelische Therapie

Auf der anderen Seite wurde immer wieder seit der Einführung von Delysid® versucht, LSD therapeutisch zu nutzen, insbesondere in der Psychotherapie. Dabei ging es vor allem darum, die langen Behandlungszeiten und damit die Kosten zu reduzieren. Über entsprechende Therapieversuche neurotischer Patienten berichteten A. K. Bush und W. C. Johnson, S. Cohen und B. Eisner, H. Osmond, H. A. Abramson und A. Hoffer in den USA, R. A. Sandison in Großbritannien, Walter Frederking, Hanscarl Leuner und Rudolf Verres in Deutschland, Jiri Roubicek und Stanislav Grof in der Tschechoslowakei (Grof ab 1967 in den USA [6, 7]) sowie Samuel Widmer in der Schweiz (Literatur in [8]). Während der 1960er Jahre wurde die psycholytische Therapie an 18 europäischen Behandlungszentren durchgeführt.

Es werden zwei Formen einer durch LSD (oder andere Rauschmittel) unterstützten Psychotherapie unterschieden: eine psycholytische und eine psychedelische Psychotherapie, die sich durch die Dosierung und die Zielsetzung unterscheiden.

Bei der psycholytischen Therapie, die vor allem in Europa verbreitet war, wird die Droge wiederholt in niedriger Dosis verabreicht. Dadurch soll dem Patienten ein "reflektierender Ich-Rest" (so Leuner) erhalten bleiben, der es ihm erlaubt, sein Unbewusstes selbst zu erkunden. Bei der psychedelischen Therapie hingegen, die in den USA bevorzugt wurde, wird die Droge in Einzelsitzungen in hoher Dosis gegeben, um damit eine Persönlichkeitsumwandlung zu erzielen; dieses Konzept orientierte sich an der Anwendung sakraler Drogen bei Indianerstämmen.

In Deutschland war es der Psychiater Hanscarl Leuner (1919 – 1996), der von Göttingen aus die psycholytische Psychotherapie bekannt machte. Leuner gründete 1964 die "Europäische ärztliche Gesellschaft für psycholytische Therapie", die sich allerdings 1971 wieder auflöste.

Rehabilitierung misslungen

Es gab – vor allem in der Schweiz und in Deutschland – zahlreiche ernsthafte Bemühungen, die Anwendung von LSD für medizinische Zwecke auch nach dem generellen Verbot wieder zu ermöglichen. 1985 wurde die "Schweizerische Ärztegesellschaft für Psycholytische Therapie" gegründet. Auf ihr Betreiben erhielten von 1988 bis 1993 fünf Therapeuten, darunter Samuel Widmer, ein Schüler von Grof, eine Ausnahmebewilligung, die Substanzen LSD und MDMA (Ecstasy) zur Unterstützung einer Psychotherapie einzusetzen [8]. Nach einem Todesfall zog das Schweizer Bundesamt für Gesundheit die Bewilligung jedoch zurück.

Den Bemühungen um die Rehabilitierung der psycholytischen Therapie wurde 2009 endgültig der Todesstoß versetzt, nachdem zwei Personen bei einer illegalen psycholytischen Therapiesitzung in Berlin an einer Überdosis gestorben waren. Dem Arzt Garri R., einem Schüler von Widmer, wurde der Prozess gemacht und die Approbation entzogen [11].


Quellen

[1] Hofmann, Albert: LSD – mein Sorgenkind. Die Entdeckung einer Wunderdroge. Stuttgart 1993.

[2] Wikipedia: MKULTRA.

[3] Amendt, Günter: Die Legende vom LSD. Frankfurt 2008.

[4] Nuhn, Peter: LSD – Abriss zur Kulturgeschichte einer Modedroge. Pharm Ztg 2005;150:1946– 1952.

[5] Nuhn, Peter: Drogen und Musik. Dtsch Apoth Ztg 2005;145:2271– 2282.

[6] Grof, Stanislav (mit Joan Halifax): Topographie des Unbewußten. LSD im Dienst der tiefenpsychologischen Forschung. 10. Aufl. Stuttgart 2012 (1. Aufl. 1978).

[7] Grof, Stanislav (mit Christina Grof): LSD-Psychotherapie. Stuttgart 1983.

[8] Erowid.org: Hofmann Library Collection; www.erowid.org.

[9] Gasser, Peter: Die Psycholytische Therapie in der Schweiz von 1988 – 1993. Schweiz Arch Neurol Psychiatr 1996;147:59– 65.

[10] Caesar, Wolfgang: LSD und andere (Arznei-)Drogen – Symposium zu Ehren von Albert Hofmann. Dtsch Apoth Ztg 2006;146:552– 556

[11] Caesar, Wolfgang: Psycholyse: Mordanklage nach tödlicher Überdosis von MDMA. DAZ.online, Meldung vom 16. 3. 2010.

[12] Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.). Jahrbuch Sucht 2012. Lengerich 2012.


Autor

Prof. Dr. Peter Nuhn, Schmidstr. 13, 04158 Leipzig



DAZ 2013, Nr. 15, S. 70

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