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Morbus Bechterew
Die Sonne nicht mehr sehen können
Der Morbus Bechterew, auch als ankylosierende Spondylitis oder Spondylitis ankylosans bezeichnet, gehört zu den prädominant axialen Spondyloarthritiden. Er beginnt mit einer Entzündung des Iliosakralgelenks, die sich allmählich ausbreitet. Die knöcherne Versteifung der Wirbelsäule, die sich im Laufe der Erkrankung entwickeln kann, führt zu dem typischen gekrümmten Rücken. Periphere Manifestationen wie eine Enthesitis sind möglich. Leitsymptom ist der chronische entzündliche Rückenschmerz, bei einem Hauptmanifestationsalter zwischen 20 und 35 Jahren. Der Verlauf ist variabel. Entscheidendes Diagnosekriterium für den Morbus Bechterew ist die röntgenologisch nachgewiesene Sakroiliitis. Als Vorstufe gilt die nicht-röntgenologische axiale Spondyloarthritis, bei der sich die Sakroiliitis nur per MRT feststellen lässt. Sie kann, muss aber nicht zwingend in einen Morbus Bechterew münden. Medikamentöse Therapie der ersten Wahl sind nicht-steroidale Antirheumatika. Bei schweren Verläufen kann eine TNF-alpha-Blockade erfolgreich sein.
Rückenschmerz gehört zu den häufigsten Beschwerden in der erwachsenen Bevölkerung. Die Ursachen dafür sind mannigfaltig. Bei etwa 5% der Betroffenen steckt eine ankylosierende Spondylitis (AS) dahinter. Sie gehört zu den Spondyloarthritiden, genauer gesagt zu den prädominant axialen Spondylarthritiden, die vorwiegend die Wirbelsäule betreffen. Prädominant periphere Spondyloarthritiden sind etwa die reaktive Arthritis oder die Psoriasisarthritis.
Der Bechterew-CheckWer seit mehr als drei Monaten unter ungeklärten chronischen Rückenschmerzen leidet, die vor dem 45. Lebensjahr begannen, kann mit einem Online-Fragebogen das Risiko für einen Morbus Bechterew abschätzen. Der Fragebogen wurde von einem Forscherteam an der Charité, Campus Benjamin Franklin in Berlin erarbeitet. Das Diagnoseinstrument ist allerdings noch nicht etabliert. http://dgrh.de/bechterew-check.html |
Erstmanifestation: Entzündung des Iliosakralgelenks
Der Morbus Bechterew beginnt typischerweise mit einer Entzündung des Kreuz-Darmbeingelenks (Entzündung des Iliosakralgelenks, Sakroiliitis) und breitet sich dann auf Wirbelkörper, Bandscheiben und kleine Wirbelgelenke aus. Er tendiert zu einer knöchernen Versteifung mit Progression von der akuten Entzündung zur Ankylose. Ausgehend von der Sakralgegend der Wirbelsäule kann sich die Verknöcherung entlang der Wirbelsäule ausbreiten und zu einer mehr oder weniger gebeugten Haltung führen. Im schlimmsten Fall resultiert eine schwere Kyphose der Brust- und Halswirbelsäule. Dem Patienten ist es dann nicht mehr möglich, nach vorn oder nach oben zu sehen. Eine Brustkorbstarre kann zudem das Atemvolumen einschränken. Auch wenn sich der Morbus Bechterew bevorzugt am Achsenskelett manifestiert: Die entzündliche Erkrankung beschränkt sich nicht immer auf die Wirbelsäule. Bei etwa einem Drittel der Patienten treten auch systemische Manifestationen auf. Typisch sind periphere Arthritiden, Enthesitiden, Iritiden oder, seltener, viszerale Organbeteiligungen. Appetitlosigkeit, leichtes Fieber und Erschöpfung können die Krankheit begleiten.
Gleich häufig betroffen: Männer und Frauen
Morbus Bechterew ist nicht selten. Die Prävalenz liegt zwischen 0,1 und 0,8%. Früher galt er als "Männer-Krankheit". Eine Fehleinschätzung, wie eine Umfrage der Deutschen Vereinigung Morbus Bechterew e.V. zeigte. Danach erkranken Männer und Frauen etwa gleich häufig, bei Frauen wird die AS aber seltener erkannt. Vermutet wird, dass die langsamere Versteifung bei weiblichen Patientinnen dazu beiträgt, dass die Erkrankung im Röntgenbild eher übersehen wird. Charakteristisch ist ein früher Krankheitsbeginn mit einem Hauptmanifestationsalter zwischen 20 und 35 Jahren. Bei 80% der Patienten entwickelt sich die AS bis zum 30. Lebensjahr. Die Krankheit verläuft schubförmig und individuell sehr verschieden. Viele Patienten zeigen eine eher milde Aktivität mit langen beschwerdefreien Intervallen, während andere erheblich unter den Schmerzen und der Bewegungseinschränkung durch die Versteifung zu leiden haben.
Wegweisend: entzündlicher Rückenschmerz
Problematisch ist die noch immer verzögerte Diagnosestellung, die für die Patienten oft mit einer langen Leidensgeschichte einhergeht. In der Regel vergehen in Deutschland fünf bis zehn Jahre, bis die Ursache der Beschwerden erkannt und die Diagnose "Morbus Bechterew" endlich gestellt wird. Der Grund: Bei chronischem Rückenschmerz, dem Hauptsymptom der Erkrankung, wird viel zu selten an die ankylosierende Spondylitis gedacht. Die Sakroiliitis ist zudem oft erst nach Jahren radiologisch eindeutig erkennbar. Entscheidend ist deshalb, bei Rückenschmerzpatienten an diese Diagnose zu denken. Ins Kalkül sollte man einen Morbus Bechterew vor allem ziehen, wenn jüngere Menschen über chronische Rückenschmerzen klagen, die auf eine entzündliche Genese hinweisen. Im Gegensatz zu Rückenschmerzen aufgrund degenerativer Wirbelsäulenveränderungen verstärkt sich der entzündliche Rückenschmerz in Ruhe und bessert sich durch Bewegung. Hinzu kommt eine Morgensteifigkeit von mehr als 30 Minuten. Typisch für Morbus Bechterew ist im Übrigen auch eine HLA-B27-Positivität: 90 bis 100% der Patienten tragen dieses Gewebemerkmal.
Entscheidendes Diagnosekriterium für AS: röntgenologisch nachgewiesene Sakroiliitis
Die Diagnose "ankylosierende Spondylitis" wird gestellt, wenn entzündlicher Rückenschmerz oder eine krankheitstypische Bewegungseinschränkung von Wirbelsäule oder Brustkorb vorliegt und das Röntgenbild eindeutige entzündliche Veränderungen im Bereich des Iliosakralgelenks zeigt. Eine definitive AS liegt nach den modifizierten New-York-Kriterien von 1984 vor, wenn das radiologische Kriterium – Sakroiliitis mindestens Grad 2 beidseits oder Grad 3 bis 4 einseits – erfüllt ist sowie eines der drei folgenden klinischen Kriterien vorliegt:
tiefsitzender Rückenschmerz und Steifigkeit für mehr als drei Monate mit Besserung durch Bewegung, aber nicht durch Ruhe (entzündlicher Rückenschmerz)
Bewegungseinschränkung der LWS in sagittaler und frontaler Ebene
Einschränkung der Thoraxexkursion (alters- und geschlechtsabhängig)
Krankheitskontinuum: von der nr-ax-SpA zur AS
Als Vorstufe der röntgenologischen axialen Spondyloarthritis gilt die nicht-röntgenologische axiale Spondyloarthritis (nr-axSpA), bei der die Entzündung des Iliosakralgelenks nur per MRT diagnostiziert werden kann. Laut Prof. Dr. Martin Rudwaleit von der Charité Berlin stellen die nr-axSpA und die röntgenologisch axiale Spondylitis, also der Morbus Bechterew, ein Krankheitskontinuum dar. Allerdings entwickelt sich eine nr-axSpA nicht in jedem Fall zur ankylosierenden Spondylitis. Die ASAS (Assessment of SpondyloArthritis International Society) hat nun Klassifikationskriterien für die nr-axSpA entwickelt, die sich auf den MRT- oder den HLA-B27-Befund stützen und zusätzlich klinische oder laborchemische Hinweise auf eine Spondyloarthritis berücksichtigen, wie periphere Arthritis und Enthesitis, positive Familienanamnese, gutes Ansprechen auf NSAR oder erhöhtes CRP. Danach kann bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen seit mehr als drei Monaten und einem Symptombeginn vor dem 45. Lebensjahr eine nicht-röntgenologisch axiale Spondyloarthritis diagnostiziert werden, wenn eine Sakroiliitis durch das MRT darstellbar ist und ein Anzeichen für eine SpA vorliegt, oder wenn der HLA-B27-Test positiv ausfällt und zwei Anzeichen oder Symptome einer SpA vorliegen. Die Diagnose der nr-axSpA ist laut Rudwaleit von großer Bedeutung. Denn die subjektive Krankheitslast bei AS-Patienten und Patienten mit axialer SpA ohne röntgenologische Sakroiliitis ist vergleichbar. Insbesondere gibt es keinen Unterschied im BASDAI (Bath Ankylosing Spondylitis Disease Activity) und den subjektiv empfundenen Schmerzen [Rudwaleit M et al. Arthritis Rheum 2009; 60(3): 717-727]. Auch eine nicht-röntgenologische axiale Spondyloarthritis muss deshalb entsprechend behandelt werden.
1. Wahl: Patientenschulung und NSAR
Die nicht-medikamentöse Therapie bei Morbus Bechterew stützt sich auf regelmäßige Bewegung und gezielte Physiotherapie. Empfohlen wird von der Deutschen Vereinigung Morbus Bechterew e.V. auch eine Patientenschulung. Gleich nach der Diagnose sollte der Patient sorgfältig darüber aufgeklärt werden, wie er selbst dazu beitragen kann, um den Krankheitsverlauf günstig zu beeinflussen. Ausführliche Informationen finden sich unter www.bechterew.de. Medikamente der ersten Wahl sind NSAR (nicht-steroidale Antirheumatika), die gleichzeitig entzündungshemmend und analgetisch wirksam sind. Knapp 80% der Patienten sprechen darauf an, und damit deutlich mehr als Patienten mit mechanischem Rückenschmerz. Zum Schutz des Magens sollte individuell die Kombination mit einem Protonenpumpenhemmer oder/und auch die Verordnung eines Coxibs erwogen werden. Eine zusätzliche Option ist die CT-gesteuerte Injektion von Corticosteroiden in das Iliosakralgelenk. Der Effekt dieser Intervention kann sechs bis neun Monate anhalten. Eine "Basistherapie" mit DMARDs (disease modifying antirheumatic drugs) wie Sulfasalazin ist bei Morbus Bechterew zu erwägen, wenn die Krankheit von peripheren Gelenkentzündungen begleitet ist.
Tipps für Bechterew-Patienten
[Quelle: Deutsche Vereinigung für Morbus Bechterew e.V.] |
TNF-alpha-Blockade bei schweren Verläufen
Sehr gute Effekte lassen sich mit einer TNF-alpha-Blockade erreichen. Sie ist indiziert bei schwerer aktiver ankylosierender Spondylitis, die nicht auf konventionelle Therapie anspricht. Die ASAS40-Verbesserung liegt für die einzelnen TNF-alpha-Inhibitoren in verschiedenen Studien zwischen 39% und 47% (Placebo: 12 bis 15%). Inzwischen gibt es für Adalimumab und Infliximab auch positive Daten für die Therapie der nicht-röntgenologischen axialen Spondyloarthritis. Vor Kurzem wurde Adalimumab als erstes und bislang einziges Biologikum zur Behandlung der axialen Spondyloarthritis ohne Röntgennachweis einer ankylosierenden Spondylitis zugelassen. Die Zulassungserweiterung basiert auf Daten der fortlaufenden Phase-III-Studie ABILITY-1.
Wirbelsäule aufrichten
Operationen spielen in der Therapie des Morbus Bechterew eine eher untergeordnete Rolle. Chirurgische Eingriffe zur Aufrichtung und Stabilisierung der Wirbelsäule können im Einzelfall zum Zug kommen, wenn der Rücken des Patienten so stark verkrümmt ist, dass er sich auf der Straße nicht mehr orientieren kann, die Nahrungsaufnahme und die Funktion innerer Organe beeinträchtigt ist, oder die fehlerhafte Statik zu einer Schädigung der Hüft- und Kniegelenke führt.
Apothekerin Dr. Beate Fessler
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