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Arzneimittel und Therapie
Tolvaptan bremst Zystenniere
Bei der polyzystischen Nierenerkrankung bilden sich zunehmend mit Flüssigkeit gefüllte Hohlräume. Diese Zysten wachsen, verursachen starke Schmerzen und führen dazu, dass sich das Volumen der Niere deutlich vergrößert und die Nierenfunktion verschlechtert – bis hin zur Dialysepflicht und terminalem Nierenversagen. Im Rahmen der Forschung wurde entdeckt, dass beim Wachstum der Zysten V2-Vasopressin-Rezeptoren im Zystenepithel eine Rolle spielen. In Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass eine Blockade dieses Rezeptors die Erkrankung verlangsamen und die Nierenfunktion verbessern kann. Konnten bisher nur die Symptome der polyzystischen Nierenerkrankung behandelt werden, wird nun versucht, mit dem selektiven Vasopressin-Rezeptorantagonisten Tolvaptan das Zystenwachstum zu bremsen. Dazu wurde weltweit in 129 Zentren eine über 36 Monate laufende doppelblind randomisierte Phase-III-Studie durchgeführt. Eingeschlossen wurden 1445 Patienten im Alter zwischen 18 und 50 Jahren. Die Nierenleistung (GFR) der Teilnehmer lag zum Zeitpunkt der Randomisierung über 60 ml/min und das Nierenvolumen bei 750 ml oder mehr. Außer einer Bluthochdrucktherapie war keine darüber hinausgehende Medikation erlaubt. Zwei Drittel der in die Studie eingeschlossenen Patienten erhielten Tolvaptan, ein Drittel Placebo. Tolvaptan wurde zweimal täglich in jeweils nach der Verträglichkeit individuell titrierter Stärke (45 mg/15 mg; 60 mg/30 mg oder 90 mg/30 mg) verabreicht. Als primärer Endpunkt wurde eine Verlangsamung der Zunahme des Nierenvolumens festgelegt, als sekundäre Endpunkte wurden die klinischen Folgen der Zystenniere wie Verschlechterung der Nierenfunktion, Nierenschmerzen, Blutdruckanstieg und Albumin-urie definiert.
VasopressinantagonistVasopressin (antidiuretisches Hormon, ADH) ist ein Hormon aus dem Hypothalamus, das eine entscheidende Rolle bei der Regulation des Flüssigkeitshaushaltes über die Nieren spielt. Vasopressinmangel führt zu exzessivem Flüssigkeitsverlust, eine Urinproduktion von über zehn Litern täglich ist möglich. Eine erhöhte Vasopressinausschüttung führt zu einer Flüssigkeitsretention im Körper. Als Folge kann es zu Elektrolytstörungen kommen. Man spricht von einem hypotonen Hyperhydratations-Syndrom. Besonders in der Intensivmedizin ist das Syndrom der inadäquaten Sekretion des antidiuretischen Hormons (SIAD) bekannt, auch Schwartz-Bartter-Syndrom genannt. Es tritt zum Beispiel nach Schädel-Hirn-Traumata, bei Meningitis oder Enzephalitis, bei Aneurysmen, nach schweren Verbrennungen, bei Pneumonien oder Tuberkulose auf. Nach operativen Eingriffen kann häufig eine vorübergehende unangemessene Sekretion von Vasopressin auftreten. Der selektive V2-Vasopressin-Rezeptor-Antagonist Tolvaptan ist der erste Vertreter dieser Stoffklasse. Er ist bisher zur Behandlung von Erwachsenen mit Hyponatriämie indiziert, die als sekundäre Folge bei einer inadäquaten (erhöhten) Sekretion des antidiuretischen Hormons (SIADH) auftritt. |
Deutlich wirksam, aber auch mehr unerwünschte Wirkungen
Bezüglich aller Endpunkte belegen die Ergebnisse die Wirksamkeit von Tolvaptan. Das Wachstum des Nierenvolumens wurde von 5,5% pro Jahr unter Placebo auf 2,8% pro Jahr unter Tolvaptan reduziert, das entspricht einem Rückgang der Wachstumsgeschwindigkeit um über 50%. Ebenso wurde der jährliche Verlust der Nierenfunktion um 30% reduziert: Der Anstieg des Kreatinins um 25% wurde von fünf Ereignissen auf 100 Personenjahre in der Placebogruppe auf zwei Ereignisse auf 100 Personenjahre unter Tolvaptan vermindert. Auch Nierenschmerzen traten weniger auf: Die Anzahl wurde von sieben auf fünf Ereignisse pro 100 Beobachtungsjahre unter Tolvaptan verringert. Allerdings traten unerwünschte Arzneimittelwirkungen auf, so dass insgesamt nur gut 80% aller Teilnehmer die Studie beendeten, 23% der Verum-Patienten und 14% in der Placebogruppe brachen die Therapie ab. Mit 15,4% ging unter Tolvaptan der Hauptanteil der vorzeitigen Studienabbrüche zulasten der Nebenwirkungen, die restlichen rund 8% ergaben sich wegen zurückgezogener Zustimmung für die Teilnahme oder fehlendem Follow up. In der Placebogruppe beendeten 5% der Teilnehmer wegen Nebenwirkungen die Studie vorzeitig. Die berichteten unerwünschten Wirkungen waren in beiden Gruppen ähnlich. In der Verumgruppe standen vor allem Durst, Polyurie, Nykturie und Polydipsie als Folge der elektrolytfreien Wasserausscheidung dabei im Vordergrund. Problematisch ist, dass bei 0,9% der Verumpatienten ein Anstieg der Leberenzyme Alanin- und Aspartataminotransferase beobachtet wurde. Weitere schwerwiegende unerwünschte Effekte waren Kopf- und Brustschmerzen, die verstärkt in der Verumgruppe beschrieben wurden. Die Schmerzen könnten durch die therapiebedingte Erhöhung des Serumnatriumspiegels durch Tolvaptan erklärt werden. Ein zu schneller Serumnatriumanstieg kann eine osmotische Demyelinisierung auslösen, die unter anderem zu Dysarthrie, affektiven Veränderungen, spastischer Quadriparese oder Krampfanfällen führen kann. Im März 2012 wies der Hersteller in einem Rote-Hand-Brief auf das Risiko des schnellen Anstiegs von Natrium im Serum bei der Anwendung von Tolvaptan hin und riet deshalb zu einer engmaschigen Kontrolle der Serumnatriumwerte.
Fortschreiten der Niereninsuffizienz wird verlangsamt
Die Forscher kommen letztendlich zu dem Ergebnis, dass die Anwendung von Tolvaptan bei Zystennierenpatienten eine gute Option darstelle, um das Wachstum der Nieren, die weitere Einschränkung der Nierenleistung und die dann notwendige Dialyse hinauszuzögern. Das wird als ein großer Fortschritt bei der Zystenniere gewertet, bei der bisher die Hälfte der Patienten im Alter von 50 Jahren dialysepflichtig wird. Dennoch sollte vor einer Langzeitanwendung wegen der möglichen Nebenwirkungen eine strenge Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen. Im Fall einer Therapie mit Tolvaptan ist der Patient engmaschig auf Veränderung der Leberenzyme, des Natriumplasmaspiegels und des Harnsäurespiegels zu beobachten. Die multizentrische Studie wurde durch den Hersteller des Wirkstoffs Tolvaptan, Otsuka Pharmaceuticals, finanziert.
Quelle
Torres, V. E. et al.: Tolvaptan in Patients with Autosomal Dominant Polycystic Kidney Disease. NEJM.org, 3. November 2012. DOI: 10.1056/NEJMoal205511.
Rote-Hand-Brief von Otsuka Pharmaceutical Europe Ltd. vom 26. März 2012: Direkte Mitteilung an medizinische Fachkräfte zum Risiko von zu schnellen Serumnatriumanstiegen unter Tolvaptan (Samsca®).
Apothekerin Dr. Constanze Schäfer MHA
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