Atemwegserkrankungen

Nutzlose Mukolytika?

Ernüchternde Analyse bei chronischer Bronchitis und COPD

Verena Stahl | Die aktuelle Auflage des Cochrane Reviews zum Einsatz von Mukolytika bei Patienten mit chronischer Bronchitis oder COPD schafft Klarheit in puncto Nutzen der umstrittenen Arzneimittelgruppe [1]. Durch die Metaanalyse konnte eine leichte Verbesserung der Exazerbationsfreiheit und eine geringfügige Reduktion der Exazerbationsrate durch Mukolytika gezeigt werden, aber keine signifikanten Verbesserungen in den weiteren untersuchten Studienzielen.
Foto: Juan Gärtner – Fotolia.com

Wiederkehrende Exazerbationen beeinträchtigen die Lebensqualität von Patienten mit chronischer Bronchitis oder COPD erheblich. Exazerbationen kennzeichnen sich durch eine Verstärkung der bronchialen Symptomatik bei erhöhtem Sputumvolumen und/oder verstärkt purulentem (eitrigem) Auswurf. Mit der Verschlechterung der Erkrankung sind neben einer Einschränkung der Lebensqualität der Betroffenen vielfach Folgekosten – aufgrund von Hospitalisierung und Arbeitsausfall – verbunden. Um Exazerbationsepisoden zu reduzieren bzw. zu vermeiden, werden prophylaktisch Mukolytika eingesetzt. Sie sollen die Zähigkeit des Schleims herabsetzen und dadurch das Abhusten erleichtern sowie eine Besiedlung mit Krankheitserregern erschweren. Ihr Einsatz bei chronischer Bronchitis/COPD wird jedoch kontrovers diskutiert, in vielen Ländern erfolgt er gar nicht. Das Verordnungsverhalten in Deutschland ist zwar rückläufig aber nach wie vor hoch [2], wobei eine Abgrenzung zu weiteren zugelassenen Indikationen wie akuter Bronchitis, Asthma bronchiale, Mukoviszidose etc. schwer ist. Zulassungen in der heterogenen Gruppe der Mukolytika bestehen in Deutschland für die Wirkstoffe Ambroxol, Bromhexin, Dornase alfa (bei Mukoviszidose) und N-Acetylcystein, in der Gruppe der Expektoranzien für Cineol und Myrtol.

Studienhintergrund des Cochrane Reviews

Die kürzlich veröffentlichte Übersichtsarbeit der Cochrane Collaboration fasst die Erkenntnisse des aktuellen Stands der Wissenschaft zur Effektivität von Mukolytika im Vergleich zu Placebo bei Patienten mit chronischer Bronchitis oder COPD zusammen (Studiencharakteristika siehe Tabelle 1). Das systematische Review bündelt in seiner fünften Auflage 30 Studien mit insgesamt 7436 Studienteilnehmern (21 zu chronischer Bronchitis, 8 zu COPD, 1 zu chronischer Bronchitis oder COPD). 15 Studien untersuchten die Wirkung von N-Acetylcystein, vier die von Carbocystein, drei die von Ambroxol und jeweils eine die von Cineol, Cithiolon, Erdostein, Letostein, jodiniertem Glycerol, N-Isobutyrylcystein (NIC), Myrtol und Sobrerol.

Tabelle 1: Charakteristika des Cochrane Reviews "Mucolytic agents for chronic bronchitis or chronic obstructive pulmonary disease”.

Primäres
Studienziel
Können Mukolytika die Häufigkeit von Exazerbationen und/oder Krankheitstagen bei Patienten mit chronischer Bronchitis oder COPD reduzieren?
Sekundäres
Studienziel
Wird die Lungenfunktion oder Lebensqualität der Patienten durch die Behandlung mit Mukolytika verbessert? Wie hoch ist die Rate an unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) bei der Therapie mit Mukolytika? Wie hoch ist die Hospitalisierungs- und Mortalitätsrate?
Suchstrategie
Durchsuchung des Registers der Cochrane Airways Group, welche auf bibliografischen Datenbanken wie CENTRAL, MEDLINE; EMBASE und CINAHL aufbaut; Durchsuchung der Literaturangaben; Suche in respiratorischen Zeitschriften und Tagungsabstracts, zuletzt im Juli 2012.
Einschluss-
kriterien
Randomisierte Studien zum Einsatz von Mukolytika im Vergleich zu Placebo über einen Behandlungszeitraum von mindestens zwei Monaten bei erwachsenen Patienten (> 20 Jahre) mit chronischer Bronchitis oder COPD.
Ausschluss-
kriterien
Studien mit Patienten, die an Asthma bronchiale oder Mukoviszidose erkrankt sind.

Aussagekraft für den Deutschen Markt

Da zu den in Deutschland verfügbaren Mukolytika nur N-Acetylcystein und Ambroxol zählen und zu den Expektoranzien Myrtol und Cineol, haben theoretisch zehn der 30 eingeschlossenen Studien keine Aussagekraft für den deutschen Markt. Studien mit weiteren in Deutschland verfügbaren mukolytisch-sekretolytisch wirksamen Stoffen, wie z. B. Guaifenesin, Efeublätter, Primel-, Süßholz- oder Seifenwurzel und den ätherischen Ölen aus Anis, Eukalyptus, Fenchel, Kampfer und Thymian waren entweder nicht verfügbar oder erfüllten die Einschlusskriterien nicht. Es können weiterhin keine Aussagen zum Einsatz von Mukolytika in den beiden Indikationsgebieten Asthma bronchiale und Mukoviszidose gemacht werden, da diese im Cochrane Review ausgeschlossen wurden.

Exazerbationsfreiheit

22 der 30 eingeschlossenen Doppelblindstudien untersuchten die Exazerbationsfreiheit. Die odds ratio (OR, das Quotenverhältnis), keine Exazerbation unter Mukolytika zu erleiden, betrug im Vergleich zu Placebo 1,84 (95% Konfidenzintervall (CI) 1,63; 2,07). Übersetzt bedeutet dies, dass die Wahrscheinlichkeit, exazerbationsfrei zu sein, unter Mukolytikatherapie annähernd doppelt so hoch wie unter Placebo war. Die zusammengefassten Studien zeigten aber in dieser Analyse eine erhebliche Heterogenität, weshalb die Autoren eine nach Dekaden gestaffelte Untergruppenanalyse vornahmen. Interessanterweise zeigte sich ein deutlicher Trend bei dieser Untersuchung: jüngere Studien wiesen nur noch geringfügige Vorteile der Mukolytika nach. Die odds ratio betrug bei Studien, die vor 1990 veröffentlicht wurden 2,34 (95% CI 1,97; 2,79) und bei Studien, die seit der Jahrtausendwende erschienen sind, nur noch 1,24 (95% CI 1,01; 1,54). Bei den jüngeren Studien besteht daher bezüglich der Exazerbationsfreiheit kaum ein Vorteil der Mukolytikatherapie gegenüber Placebo. Die Autoren des Cochrane Reviews vermuten, dass die älteren Studien einem größeren Selektions- und Publikationsbias unterlagen. Das heißt, es könnte eine Verzerrung der Studienergebnisse aufgrund von einer Patientenselektion, z. B. bezüglich der Schwere der Erkrankungen (Selektionsbias) vorliegen und/oder Studien mit negativen oder nicht signifikanten Ergebnissen wurden nicht publiziert (Publikationsbias). Unter Berücksichtigung wiederum aller 22 Studien beträgt die "number needed to treat to benefit" (NNTB) 7, d. h. für eine Studiendauer von durchschnittlich zehn Monaten müssen sieben Patienten mit Mukolytika behandelt werden, damit ein weiterer Patient exazerbationsfrei ist.

Reduktion der Exazerbationsrate

Durch den Mukolytikagebrauch konnte eine minimale Reduktion der Exazerbationsrate um 0,04 Exazerbationen pro Patient und Monat errechnet werden (95% CI - 0,04; - 0,03). Hier ist die Aussagekraft der Ergebnisse wegen einer beträchtlichen Heterogenität unter den eingeschlossenen Studien vage. Extrapoliert auf ein ganzes Jahr und gewichtet für die Größe der einzelnen Studien betrug die Häufigkeit von Exazerbationen in den Placebo-Gruppen 2,3 pro Jahr. Durch den Einsatz von Mukolytika wurde diese Rate um 0,4 Exazerbationen pro Patient und Jahr vermindert.

Reduktion der Krankheitstage

Zur Untersuchung des primären Studienziels "Reduktion der Krankheitstage" wurden zwölf der 30 Studien mit 2305 Teilnehmern einbezogen. Es ergab sich eine statistisch signifikante Reduktion der monatlichen Krankheitstage von 0,48 (95% CI - 0,65; - 0,30) pro Patient. Bei Einschluss einer weiteren Studie, welche die Krankheitstage nur in Form von "verlorenen Arbeitstagen" indirekt auswies, ging der obige Effekt auf - 0,08 Krankheitstage pro Patient und Monat zurück. Zählt man auch noch die in dieser Studie genannten Tage hinzu, die im Krankenhaus verbracht wurden, ergibt sich nur noch eine Reduktion um 0,03 Krankheitstage pro Patient und Monat unter Mukolytikatherapie.

Verbesserung der Lungenfunktion

Nach Analyse der Studien, die Aussagen über die Lungenfunktionsparameter "forced expiratory volume in one second" (FEV1, Einsekundenkapazität), %FEV1 oder "peak expiratory flow rate" (PEFR, maximale exspiratorische Atemflussrate) machen, kommen die Autoren des Cochrane Reviews zu dem Schluss, dass durch Mukolytika kein Effekt in der Krankheitsprogression von Patienten mit chronischer Bronchitis oder COPD zu verzeichnen ist. Innerhalb der Ergebnisse der einbezogenen Studien bestand eine bedeutende Heterogenität, weshalb die Aussagekraft des Gesamtergebnisses anzuzweifeln ist. Die forcierte Vitalkapazität (forced vital capacity (FVC)), also das Lungenvolumen, welches nach maximaler Einatmung mit forcierter, d. h. maximaler Geschwindigkeit ausgeatmet werden kann, wurde durch die Mukolytikabehandlung nicht signifikant beeinflusst.

Verbesserung der Lebensqualität

Fünf Studien berücksichtigten das sekundäre Studienziel "Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität". Es wurden (aus nicht näher benannten Gründen) nur drei Studien zusammengefasst, die den sog. St George’s Respiratory Questionnaire (SGRQ) bei COPD-Patienten einsetzten. Eine klinisch bedeutende Verbesserung von mindestens vier Punkten im SGRQ konnte nicht nachgewiesen werden. Da die Variabilität der einzelnen Ergebnisse hoch und nicht erklärbar war, müssen die Ergebnisse der kombinierten Analyse kritisch betrachtet werden.

Hospitalisierungsrate

Nur zwei Studien konnten zum Vergleich der Hospitalisierungsrate unter Mukolytikatherapie im Vergleich zu Placebo herangezogen werden. Die nicht signifikante odds ratio betrug 0,7 (95% CI 0,49; 1,01), gleichbedeutend mit einer 0,7-fach geringeren Wahrscheinlichkeit einer Hospitalisierung durch eine Therapie mit Mukolytika. Bei einer dritten Studie, die ebenfalls diesen Effekt untersuchte, übertraf die Hospitalisierungsrate in der Placebogruppe die Anzahl der Personen, d. h. einige Personen wurden im Studienzeitraum mehrfach hospitalisiert (55 Hospitalisierungen bei 50 Studienteilnehmern in der Placebogruppe). Mathematisch konnte dieses Ergebnis nicht verwendet werden, setzte man allerdings in der Placebogruppe die Hospitalisierungsrate mit der Patientenanzahl gleich (50 Hospitalisierungen) und fügte die Ergebnisse zu den zwei bestehenden Analysen hinzu, ergab sich insgesamt eine statistisch signifikante Reduktion der Hospitalisierungsrate mit einer odds ratio von 0,59 (95% CI 0,42; 0,84).

Nebenwirkungsrate

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) waren unter Mukolytika- oder Placebotherapie geringfügig zu verzeichnen und traten in der Mukolytikagruppe sogar etwas seltener als in der Placebogruppe auf (OR 0,83; 95% CI 0,69; 1,01). Über die Art der Nebenwirkungen erfolgte in dem Cochrane Review leider keine Aussage.

Zusammenfassung und Empfehlung für die Praxis

Die Reduktion der Exazerbationsrate bei Patienten mit chronischer Bronchitis oder COPD ist nach Erkenntnissen des aktuellen Cochrane Reviews gering. Hochgerechnet wird eine Exazerbation pro Patient über einen Behandlungszeitraum von zwei bis drei Jahren vermieden (Reduktion um 0,4 pro Jahr). Um innerhalb von zehn Monaten unter Mukolytikatherapie exazerbationsfrei zu sein, müssen sieben Personen behandelt werden. Mukolytika haben keinen Effekt auf die Lungenfunktionsparameter oder die Verbesserung der Lebensqualität. Die Autoren des Cochrane Reviews schlussfolgerten, dass Mukolytika demzufolge insbesondere bei COPD- und chronischen Bronchitis-Patienten mit häufigen Exazerbationen eine Behandlungsoption darstellen, welche nicht mit inhalativen Glucocorticoiden oder lang wirksamen Bronchodilatatoren behandelt werden können (die nachweislich effektiv in der Behandlung der Erkrankungen sind).

Kritik am Cochrane Review


Kritik an der Methodik der Autoren bei der Erstellung der Metaanalyse sei erlaubt.

  • Im Falle von Unklarheiten wurden die Autoren der einbezogenen Studien kontaktiert. Nicht verwunderlich ist die fehlende Rückmeldung von Autoren, deren Arbeiten Anfang der 70er oder 80er Jahre veröffentlicht wurden. Diese "veralteten" Studien, bei denen Unklarheiten bestanden, hätten besser nicht eingeschlossen werden sollen.

  • Auch war die Definition der Erkrankung in den älteren Studien nicht immer eindeutig bzw. es lag vermutlich ein Selektionsbias vor.

  • Es wurde auf die Beurteilung der Qualität der eingeschlossenen Studien großer Wert gelegt und anhand des sog. Jadad-Qualitätsscores bemessen. Diese wichtigen Erkenntnisse wurden bedauerlicherweise nicht stringent genutzt. Anders ist es nicht zu erklären, dass qualitativ minderwertige Studien (z. B. in Bezug auf die Verblindung, die Befangenheit oder die Vergleichbarkeit der Gruppen) bei den Analysen mit einbezogen und nur im Nachsatz aufgeführt wurde, dass bei Ausschluss dieser Studien keine statistische Signifikanz mehr festgestellt werden konnte. So ergaben sich z. B. für die Untersuchung der Lungenfunktion signifikante Unterschiede zwischen Mukolytika- und Placebotherapie, nach Ausschluss einer qualitativ minderwertigen Studie bestand keine statistische Signifikanz mehr.

  • Eine entscheidende Heterogenität zeichnet sich im Bereich der Drop-out-Rate ab: zwischen 0 und 43% der Studienteilnehmer schieden vorzeitig aus den Studien aus. Bei den meisten der älteren Studien wurden die Analysen nur anhand derjenigen Studienteilnehmer ausgeführt, die die Studie abschlossen (sog. "per-protocol analysis"). Es kann also sein, dass Daten von Patienten, die aus diversen Gründen vorzeitig ausgeschieden sind und nicht mit in die Analyse einbezogen wurden, zu einem anderen Ergebnis geführt hätten. Bei den jüngeren Studien erfolgte die Analyse auf einer "Intention-to-treat"-Basis, d. h. alle Daten von Patienten, die mit der Studie begonnen haben, wurden für die Studienergebnisse einbezogen. Eine Vermischung der beiden Analysearten ist kein Zeichen für eine gute Metaanalyse.


Apothekerin Dr. Verena Stahl, Saarbrücken


Quelle:

[1] Poole P. et al. (2012): Mucolytic agents for chronic bronchitis or chronic obstructive pulmonary disease. Cochrane Database of Systematic Reviews 2012, Issue 8. Art. No.: CD001287. DOI: 10.1002/14651858.CD001287.pub4.

[2] Lemmer B. (2011): Antitussiva und Expektoranzien. In: Schwabe U. und Paffrath D. (Hrsg.): Arzneiverordnungsreport 2011. Springer


Autorin

Apothekerin Dr. Verena Stahl, Saarbrücken



DAZ 2012, Nr. 47, S. 76

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