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Düstere Aussichten

Gesundheitswesen im demografischen Wandel

KIEL (tmb). Prof. Dr. Fritz Beske, Direktor des Instituts für Gesundheitssystemforschung in Kiel, analysiert seit vielen Jahren die Zukunftsaussichten für das Gesundheitswesen und erwartet dramatische Folgen des demografischen Wandels. Zugleich vermisst er die nötigen Konsequenzen der Politik, die Probleme ehrlich zu benennen und sich darauf vorzubereiten. Was der "Grandseigneur der deutschen Gesundheitspolitik" für die Zukunft fürchtet, erläuterte er bei der Mitgliederversammlung des Apothekerverbands Schleswig-Holstein am 17. November in Kiel.

Prof. Dr. Fritz Beske sieht die Zukunft der Apotheken in Gesundheitszentren. Foto: DAZ/tmb

Beske betonte, dass er keine Prognosen aufstelle, sondern von soliden Berechnungen zur Bevölkerungszahl ausgehe. Bis 2050 werde die Einwohnerzahl in Deutschland um 17 Millionen sinken. In gleicher Höhe werde die Zahl der Menschen im Erwerbsalter zurückgehen, sodass der Anteil der Beitragszahler stark sinken werde. Durch die hohe Zahl alter Menschen werde die Häufigkeit schwerer und chronischer Krankheiten mit hohem Betreuungsbedarf wachsen. Insbesondere der Bedarf an Pflegeleistungen steige dramatisch, erklärte Beske. Außerdem führe der medizinische Fortschritt zu weiter steigenden Kosten. Der wachsende Personalbedarf werde nicht durch Zuwanderung zu decken sein. Eine weitere Herausforderung sei, dass die Pflege immer häufiger die Familie nicht nur ergänzen, sondern ersetzen müsse, weil immer mehr Menschen allein leben.

Einnahmeorientierung nötig

Es sei moralisch geboten, dass jeder Anteil am Fortschritt habe, doch nach Ansicht von Beske müssten Kriterien für die Aufnahme von Leistungen in den Versorgungskatalog aufgestellt werden. Das Versorgungsniveau sei schon jetzt so hoch, dass dies für neue Leistungen eine kritische Prüfung rechtfertige. Beske hält es für eine Illusion, dass der Staat mit Steuermitteln mehr zum Gesundheitswesen beitragen werde. Denn das relevante Volumen sei zu hoch, schon jetzt fließen jährlich 80 Milliarden Euro Steuergeld in die Rentenversicherung und der Staat habe vielfältige andere Aufgaben, für die es keine eigene Versicherung gibt. Daher prognostizierte Beske: "Die GKV wird sich selbst aus dem Sumpf ziehen müssen." Dazu werde sie die gleiche Regel anwenden müssen wie die öffentlichen Haushalte in kommenden Zeiten der verbindlichen Schuldenbremse: eine einnahmeorientierte Ausgabenpolitik. Es werde also nur das finanziert werden können, was bezahlbar ist.

Konzentration statt Flächendeckung

Angesichts knapper finanzieller und personeller Mittel erwartet Beske eine Konzentration der Leistungen in größeren Einheiten. Leistungserbringer würden sich bevorzugt rund um größere Krankenhäuser ansiedeln. Nur in solchen Zentren sei auch die zunehmend wichtige spezialfachärztliche Versorgung möglich. "Dort sehe ich auch die Zukunft der Apotheken", so Beske, denn die Ärzte würden nicht mehr in der Fläche vorhanden sein. In Zentren sei zudem eine verstärkte Integration von Arzt und Apotheker möglich, wie sie das ABDA-KBV-Modell vorsehe. Die landärztliche Versorgung aufrechtzuerhalten, hält Beske dagegen für eine Illusion.

Ehrlichkeit fehlt

In Großbritannien, den Niederlanden, Österreich und vielen anderen Ländern werde schon jetzt im Gesundheitswesen massiv gekürzt, erklärte Beske. In Deutschland erwartet er dies verstärkt ab 2015, weil dann die ersten Babyboomer-Jahrgänge in Rente gehen und die GKV-Einnahmen daraufhin massiv zurückgehen werden. Doch habe er die Sorge, dass sich die Politik nicht darauf vorbereite. In der Rente herrsche seit Jahren Ehrlichkeit; die Menschen würden zu privater Vorsorge animiert. "Diese Ehrlichkeit fehlt in der Kranken- und Pflegeversicherung", beklagte Beske. Denn im Gegensatz zur Rente würden Einschränkungen im Gesundheitswesen sofort wirksam. Außerdem bestehe leider in Deutschland die politische Kultur, dass derjenige, der ehrlich ist, abgestraft werde. Doch die unveränderten Leistungsansprüche mit immer weniger Mitteln zu erfüllen, sei die Quadratur des Kreises. In Österreich seien kürzlich drastische Sparmaßnahmen beschlossen worden, ohne die Leistungsansprüche zu senken. Die dortigen Ärzte erwarten, dass sie eine entsprechende Rationierung umsetzen müssen, und wehren sich dagegen. Entsprechendes erwartet Beske auch für Deutschland. Da bisher niemand seine Berechnungen widerlegt habe, folgerte Beske: "Ich fürchte, dass ich Recht habe."



DAZ 2012, Nr. 47, S. 35

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