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- DAZ 47/2012
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Evidenz statt Hypothesen
Primum nil nocere
Für Pharmazierätin Hannelore Eitel-Hirschfeld ist die Hauptfrage in der Selbstmedikationsberatung: Wie richte ich am wenigsten Schaden an? Bei der Abklärung von Kontraindikationen und möglichen Wechselwirkungen trete die Frage der Wirksamkeit oft in den Hintergrund.
Diese Vorgehensweise liege vor allem auch am Fehlen von Leitlinien für Krankheitsbilder, die häufig durch Selbstmedikation behandelt werden. Die Arbeitshilfen der Bundesapothekerkammer geben keine konkreten Empfehlungen, welche Wirkstoffe und Dosierungen bei bestimmten Indikationen laut vorhandener Evidenz am sinnvollsten sind. Da Pharmazeuten und Mediziner bei dieser schlechten Evidenzlage verstärkt auf ihre Erfahrung setzen, besteht aus Sicht der Referentin die Gefahr, dass sich kognitive Verzerrungen verfestigten.
Deshalb plädierte Eitel-Hirschfeld für die Entwicklung einer ABDA-Datenbank, die objektive, wissenschaftliche Erkenntnisse zu Arzneimitteln in der Selbstmedikation beinhaltet. Es sei Aufgabe der Standespolitik, den Offizinapothekern vorhandene Evidenzen zugänglich zu machen. Im besten Falle sollte eine solche Datenbank durch eine geeignete Software mit dem Kassenterminal verbunden sein, sodass aktuelle Evidenz in die Beratung einfließen kann. Eitel-Hirschfeld forderte außerdem eine stärkere Berücksichtigung von evidenzbasierter Pharmazie bei Fortbildungen für Apotheker, denn "der 15. Vortrag über Wechselwirkungen bringt uns nicht weiter".
Studienlage oft mangelhaft
Warum aber fehlen Leitlinien im Bereich der Selbstmedikation? Wolfgang Becker-Brüser, Herausgeber und Chefredakteur des "arznei-telegramm" sowie Mitbegründer der Verbraucherzeitschrift "Gute Pillen – Schlechte Pillen", zeigte in seinem Vortrag, dass dies vor allem an der mangelhaften Qualität und Quantität von Wirksamkeitsnachweisen liegt. Bei einigen Arzneimitteln sei die Beweislage äußerst dürftig, weshalb die Verkaufszahlen im zweistelligen Millionenbereich aus wissenschaftlicher Sicht in keiner Weise gerechtfertigt seien. Ein Grund für den reißenden Absatz von Produkten mit fragwürdiger Wirksamkeit sei neben starker Werbung durch die Hersteller auch deren Strategie, die positive Evidenz ihrer Studien aufzuwerten und zugleich die negativen Ergebnisse herunterzuspielen. Auch die Praxis, Zitate aus der Grundlagenforschung als Evidenz zu verkaufen, sei weit verbreitet und eine klare Irreführung.
Weiterhin warnte Becker-Brüser vehement davor, lediglich die Zusammenfassungen (Abstracts) von wissenschaftlichen Publikationen zu lesen, denn diese geben die Forschungsergebnisse sehr häufig verzerrt wieder. Da es in Deutschland keine verpflichtende Registrierung von klinischen Studien gibt, werden häufig nur positive Ergebnisse veröffentlicht, über abgebrochene Studien aber nicht berichtet.
Im Zweifel für den Hersteller – nicht für den Patienten
Im Publikum kam die Frage auf, warum Medikamente mit fraglicher Wirksamkeit überhaupt zugelassen werden. Becker-Brüser kritisierte, dass die Behörden nicht den Goldstandard für klinische Studien einfordern (randomisiert und verblindet), sondern aus Tradition auch "erzählerische" Studien als ausreichend bewerten. Der Nutzen für den Patienten sei nicht zwingend nachgewiesen, wenn in einer Studie z. B. nur Surrogat-Parameter untersucht wurden. "Aber mit Hypothesen allein", so Becker-Brüser, "ist noch nie jemand gut behandelt worden". Die Tatsache, dass das BfArM seine Entscheidungen zu Arzneimittelzulassungen nicht begründen muss, sei nicht im Sinne einer evidenzbasierten Pharmazie.
Evidizenzbasierte Medizin und Pharmazie seien ein Handwerk, so Becker-Brüser weiter, das Instrumente bietet, um Studien zu bewerten. Auch wenn die Beweislage in der Selbstmedikation dürftig ist, gebe es für Apotheker Möglichkeiten, sich unabhängig zu informieren. Neben den Publikationen, die er selbst herausgibt, nannte er eine Reihe von Informationsquellen im Internet (s. Kasten).
InternetWebsites mit Informationen zu evidenzbasierter Pharmazie und Medizin: |
Anne Paschke
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