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Seite 3
Ein besonderes Anliegen
Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) hatte ein besonderes Anliegen: Sie wollte Ärzte, Apotheker und Eltern vor dem Gebrauch der rezeptfreien älteren Antihistaminika Doxylamin, Dimenhydrinat und Diphenhydramin bei Kindern warnen. Sie wollte sensibilisieren für Nebenwirkungen wie Tagesmüdigkeit, Benommenheit und Konzentrationsstörungen, sie wollte aufmerksam machen auf die Gefahr von Überdosierungen, die zu Halluzinationen und Krämpfen und bei Säuglingen zu Atemstörungen bis hin zum Atemstillstand führen können.
Im Visier hatte die DGKJ vor allem Antihistaminika-haltige Kombinationspräparate in Saftform, die bei Husten und Erkältungen eingesetzt werden. Dazu wurde ein Positionspapier (s. S. 61) und eine begleitende Pressemitteilung herausgegeben, über die wir letzte Woche berichtet haben. In der Pressemitteilung wurde mit Nachdruck vor Antihistaminika-haltigen Hustensäften gewarnt. Der Aufschrei unter unseren Lesern erfolgte umgehend: "Antihistaminika-haltige Hustensäfte gibt es schon lange nicht mehr! Wo ist das Problem?"
Ein Gespräch mit Prof. Dr. Hannsjörg Seyberth, dem Sachverständigen für Arzneimittelsicherheit der DGKJ, lässt erahnen, wie es zu der Irritation kommen konnte (s. S. 64):
Die DGKJ kann zwar den wirklichen Stellenwert der älteren Antihistaminika für die pädiatrische Therapie nur schwer einschätzen, wurde aber durch Berichte beispielsweise aus Giftnotrufzentralen alarmiert. Danach sollen diese Substanzen immer wieder mit im Spiel sein, wenn Vergiftungen bei Kindern und Kleinkindern auftreten.
Die DGKJ sah Handlungsbedarf und warnte. Warnte – in Anlehnung an cough and cold medicines – vor Husten- und Erkältungssäften, die unter anderem das zentral wirksame Antitussivum Dextromethorphan enthalten, warnte vor unkalkulierbaren Interaktionen zwischen den älteren Antihistaminika und Dextromethorphan, vor paradoxen Reaktionen wie Unruhe und Erregung, vor neurotoxischen Spätfolgen, wenn solche ZNS-gängigen Substanzen bei Kleinkindern bis zu drei Jahren eingesetzt werden.
Doch es gibt in Deutschland keine entsprechenden Husten- und Erkältungssäfte, die für diese Patientengruppe zugelassen sind. Wo liegt aber dann die Gefahr der rezeptfreien älteren Antihistaminika für Kleinkinder?
Zugelassen sind die älteren H1-Antihistaminika in dieser Altersgruppe als Sedativa und Antiemetika. Und ja, hier lauert sicher eine Gefahr. Denn wenn das Kind nach der ersten Gabe nicht ruhig wird, wenn es weiter erbricht, dann ist die Versuchung groß, noch ein Zäpfchen oder noch einen Löffel Saft zu geben. Insbesondere dann, wenn die Eltern nicht über die Risiken einer Überdosierung informiert sind. Und auch Missbrauch muss in Betracht gezogen werden. Denn wenn schon einmal festgestellt wurde, dass das Kind ganz ruhig wurde nach einem oder zwei Löffeln Saft und wunderbar eingeschlafen ist, dann ist die Versuchung groß, schnell zur Flasche zu greifen, wenn wieder eine unruhige Nacht droht.
So viel zu dem Einsatz älterer Antihistaminika als Sedativa und Antiemetika. Doch was ist mit den Antihistaminika-haltigen Erkältungsmitteln? Hier ist sicher die Werbung eine besondere Gefahrenquelle. Sie suggeriert schnelle und unkomplizierte Linderung bei laufender Nase, quälendem Reizhusten, Kopf- und Gliederschmerzen. Dass der angepriesene gesunde Erkältungssirup mit Honig nicht für Kinder und schon gar nicht für Kleinkinder zugelassen ist, das wird vielen Eltern nicht klar sein.
Hier sind wir Apothekerinnen und Apotheker gefordert. Wir müssen im Beratungsgespräch aufklären, aber nicht nur zu der jetzt angesprochenen Antihistaminika-Problematik. Ein mindestens ebenso drängendes Problem ist das in den Erkältungs-Kombinationspräparaten enthaltene Paracetamol mit seiner geringen therapeutischen Breite. Auch hier wird vielen Eltern nicht bewusst sein, dass sie ihre Kinder in besondere Gefahr bringen, wenn sie ihnen dazu noch das Paracetamol-haltige Fieberzäpfchen geben.
In jedem Fall ist das Anliegen der DGKJ zu unterstützen. Die Sensibilisierung der Eltern durch Ärzte und Apotheker ist sicher wichtig. Darüber hinaus könnte zumindest mit einem nicht zu übersehenden Warnhinweis auf Flaschen und Faltschachteln für etwas mehr Therapiesicherheit gesorgt werden. Das BfArM als zuständige Überwachungsbehörde hat sich der Problematik angenommen (s. S. 62). Auf Lösungsvorschläge können wir gespannt sein.
Doris Uhl
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