Feuilleton

Homöopathie in einem verschwundenen Land

Ausstellung in der Homöopathiestadt Köthen

Die Europäische Bibliothek für Homöopathie in Köthen stellt in einer kleinen Ausstellung bis zum 10. November die Situation der Homöopathie in der ehemaligen DDR dar. Gezeigt werden Exponate aus dem Nachlass einer Chemnitzer Homöopathin und eines Patienten, der selbst Homöopathika herstellte.
Dr. Margarete Steinbach (1897 – 1994) praktizierte fast 70 Jahre lang als homöopathische Ärztin. Sie war künstlerisch ambitioniert und bis zu ihrem 80. Lebensjahr eine begeisterte Reiterin. Foto: privat

Am 28. Februar 1994 starb als damals älteste praktizierende Ärztin der Welt die Sanitätsrätin Dr. Margarete Steinbach, die noch kurz zuvor in ihrer Chemnitzer Praxis Patienten behandelt hatte. Sie war nicht nur wegen ihrer lebenslangen geistigen Frische und Schaffenskraft eine außergewöhnliche Frau, sondern vermutlich auch die letzte praktizierende Homöopathin in der DDR. 1897 in Sonderburg (heute Dänemark) zur Welt gekommen, studierte sie von 1918 bis 1924 zunächst in Hamburg und Berlin und später in Leipzig Medizin. In der sächsischen Messestadt lernte sie ihren späteren Ehemann, den Medizinstudenten Kurt Steinbach (1895 – 1969), kennen. Dort setzte sie sich auch mit der Lehre Samuel Hahnemanns (1755 – 1843) auseinander, auf deren Grundlage sie ab 1925 ununterbrochen in eigener Niederlassung praktizierte.

Mangels Nachwuchs fast "ausgestorben"

In der DDR ist die Homöopathie nie verboten worden. Nach dem Tod des Leiters der "Leipziger Homöopathischen Poliklinik", Hans Wapler (1866 – 1951), und der Auflösung des Prüfungsausschusses war für Schulmediziner allerdings keine homöopathische Weiterbildung mehr möglich. Zudem siedelten viele ehemalige Schüler Waplers in die Bundesrepublik über. Die wenigen in der DDR verbliebenen homöopathischen Ärzte durften weiterhin praktizieren und schlossen sich, da es in der DDR keine Berufsorganisation für sie gab, dem Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) in Bonn als korrespondierende Mitglieder an.

Der Wissensaustausch zwischen ost- und westdeutschen Kollegen wurde durch den Mauerbau 1961 jäh abgebrochen, und auch das Gesundheitswesen entwickelte sich auseinander. Während in der Bundesrepublik die Homöopathie durch das 2. Arzneimittelgesetz (1976) als "besondere Therapierichtung" anerkannt wurde und sich die Anzahl homöopathischer Ärzte von nur 200 im Jahr 1970 innerhalb von gut zwei Jahrzehnten verzehnfachte, schrumpfte in der DDR die Anzahl der homöopathischen Ärzte kontinuierlich: Anfang der 1960er Jahre gab es noch 60, und ab den 1980er Jahren wurde im "Internationalen Adressbuch homöopathischer Ärzte" kein ostdeutscher Mediziner mehr aufgeführt.


Ausstellung


Europäische Bibliothek für Homöopathie

Wallstraße 48, 06366 Köthen

Tel. (0 34 96) 51 28 93, Fax 51 28 94

www.hombib-dzvhae.de

Öffnungszeiten: Montag und Mittwoch 14 −18 Uhr

Dienstag und Donnerstag 11 −14 Uhr

jeden ersten Samstag im Monat 10 −12 Uhr


Ähnlich erging es den homöopathischen Heilpraktikern in der DDR. Grundsätzlich wurden in der DDR keine Heilpraktiker mehr ausgebildet. Ihre staatlichen Zulassungen aus der Vorkriegszeit erloschen zwar nicht, sodass sie weiterhin praktizieren und sich als Mitglieder einer "Fachgruppe Heilpraktiker" in der IG Gesundheitswesen des FDGB organisieren durften. Doch allmählich starben sie mangels Nachwuchs aus.

Teils geduldet, teils bekämpft

In der DDR waren rund 200 homöopathische Arzneien verfügbar, wenngleich nicht regelmäßig und zuweilen in minderwertiger Qualität. Das Sortiment wurde vom Institut für Arzneimittelwesen der DDR unter Mitwirkung homöopathischer Ärzte und Heilpraktiker geplant; mit der Produktion wurden der VEB Arzneimittelwerk Leipzig (ehemals Dr. Willmar Schwabe), die Firma Anthroposon in Geraberg, der VEB Arzneimittelwerk Dresden (hervorgegangen aus Madaus Dresden), der VEB Bombastus-Werke Freital und der VEB Ankerwerk Rudolstadt beauftragt. Bis 1976 erschienen auch Informationsmaterialien zu Indikationen der Arzneien.

Obwohl die Homöopathie in der DDR geduldet war, passte sie nicht in das "moderne Gesundheitswesen". Dies zeigte auch die Wanderausstellung "Aberglaube und Gesundheit" (1959 – 1963) des Deutschen Hygiene-Museums Dresden, an der Otto Prokop (1921 – 2009), seit 1957 Direktor des Instituts für Gerichtliche Medizin der Humboldt-Universität in Berlin, und dessen Bruder Ludwig (* 1920), Sportmediziner in Wien, als fachliche Berater mitgewirkt hatten. Kurz zuvor hatten sie mit ihrem gemeinsam verfassten Buch "Homöopathie und Wissenschaft. Eine Kritik des Systems" in beiden Teilen Deutschlands heftige Diskussionen ausgelöst.


Eigenherstellung von "Globuli": In kleinen Porzellanbechern tränkte ein Laie Liebesperlen mit homöopathischen Dilutionen. Foto: Wylegalla

Liebesperlen statt Globuli

Die Anhänger der Hahnemannschen Lehre ließen sich indessen weder durch staatliche Kampagnen irritieren, noch resignierten sie aufgrund des Jahr für Jahr zunehmenden Homöopathenmangels. Zuweilen trieb ihre Überzeugung sogar kuriose Blüten, wie das Beispiel von Rudolf Preß in Nordhausen zeigt: Als der letzte homöopathische Arzt in seiner Heimatstadt in den Ruhestand gehen wollte, bat ihn der Musiklehrer, ihm zuvor noch alles "beizubringen". Weil es in der DDR keine Fotokopierer gab, fotografierte er ganze Bücher Seite für Seite und ließ die Fotos zu neuen Büchern binden. Damit nicht genug, stellte Preß sogar selbst homöopathische Arzneimittel her. Als Träger der Dilutionen verwendete er Liebesperlen, die im Gegensatz zu Globuli jederzeit verfügbar waren.


Reinhard Wylegalla



Literaturtipp


Die Ausstellung in Köthen basiert auf der Dissertation der in Meißen praktizierenden Ärztin Anne Nierade "Die Geschichte der Homöopathie in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR (1945 – 1989)". Diese Dissertation wurde mit dem Hans-Walz-Förderpreis für Arbeiten zur Homöopathiegeschichte ausgezeichnet und liegt nun als Buch vor:

Anne Nierade

Homöopathie in der DDR

Quellen und Studien zur Homöopathiegeschichte, Band 16, herausgegeben vom Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart

320 Seiten, Hardcover, 34,90 Euro

KVC Verlag, Essen 2012

ISBN: 978-3-86864-017-5

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DAZ 2012, Nr. 36, S. 93

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