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Weniger Ausgaben für mehr Arzneimittel
Am 27. August wurde in Berlin der neue Arzneimittel-Atlas vorgestellt. Die im Auftrag des vfa durch das Berliner IGES-Institut durchgeführte Analyse zum Arzneimittelverbrauch in der GKV erscheint bereits im siebten Jahr. Erstmals konnte Prof. Bertram Häussler vom IGES bei der Präsentation der Studie von sinkenden Arzneimittelausgaben berichten: 2011 freuten sich die gesetzlichen Krankenkassen, dass sie mit rund 29 Mrd. Euro fast 1,2 Mrd. Euro bzw. vier Prozent weniger für Medikamente aufwenden mussten als noch 2010. Und das, obwohl es zugleich verbrauchsbedingte Mehrausgaben von 968 Mio. Euro gab (Basis: Erstattungspreise unter Berücksichtigung der Hersteller- und Apothekenrabatte, nicht aber der Patientenzu- und -aufzahlungen). Doch die schwarz-gelbe Bundesregierung hatte ein beachtliches Arzneimittel-Sparpaket geschnürt. Unter anderem sorgen seit August 2010 ein Preismoratorium und ein erhöhter Herstellerrabatt auf Nicht-Festbetragsarzneien für massive Einsparungen. Selbst die Mehraufwendungen für Innovationen, die das IGES für 2011 auf 426 Mio. Euro beziffert, sorgten nicht für Ausgabensteigerungen. Vielmehr standen diesem Plus „technische Einsparungen“ – etwa infolge von Patentabläufen, der Abgabe von Parallelimporten oder größeren Packungen – in Höhe von 639 Mio. Euro gegenüber.
Unter diesen Voraussetzungen fällt es leicht, den Mehrverbrauch zu preisen: „Die wichtige Botschaft ist, dass wir mehr neue Arzneimittel und andere Therapieoptionen haben, die schwere Erkrankungen behandeln können“, betonte Fischer. Im vergangenen Jahr waren es vor allem Immunsuppressiva gegen rheumatische Erkrankungen sowie Mittel gegen Hypertonie und säurebedingte Erkrankungen, die durch mehr Verbrauch mehr Ausgaben verursachten. Im Bereich der Innovationen waren es vor allem Antidiabetika, die für einen Kostenschub sorgten. 63,2 Mio. Euro gaben die Kassen hier mehr aus – vor allem wegen des höheren Verbrauchs von inkretinassoziierten Wirkstoffen.
Ursachen des Mehrverbrauchs
Hinter dem höheren Verbrauch stecken vielfach tatsächlich gute Tatsachen: Unterversorgung wird abgebaut, der Bedarf an medikamentöser Behandlung zunehmend gesättigt. Außerdem können Behandlungen immer häufiger ambulant statt stationär erfolgen. Auch die wachsende Zahl der Patienten hat ihr Gutes: So gibt es etwa immer mehr Menschen, die lange mit dem HI-Virus leben – dafür sind sie allerdings auf Arzneimittel angewiesen. Auch dass die Menschen in Deutschland immer älter werden, sieht das IGES als Ursache des Mehrverbrauchs. Weniger schön ist, dass manche Erkrankungen zunehmen – etwa Diabetes. So hat sich auch der Verbrauch von Antidiabetika zwischen 1996 und 2011 nahezu verdoppelt. Angesichts dieser Bedeutung widmet der aktuelle Arzneimittel-Atlas der Versorgung von Diabetikern seinen Schwerpunkt. Offenbar ist der vfa gerade hier um die künftig Versorgung der Patienten besorgt. Dabei mag mitschwingen, dass Boehringer-Ingelheim seinen neuen Wirkstoff Linagliptin (Trajenta®) nach Unstimmigkeiten über die Vergleichstherapie nicht auf den deutschen Markt gebracht hat.
Neue Preispolitik gefordert
Doch der vfa warnt die Politik, den Fokus stets auf Arzneimittel zu lenken, wenn es ums Sparen geht. Einseitige Preissenkungen und ein wachsender Verteilungskampf zwischen den Akteuren im Gesundheitswesen führten weder zu einer besseren Versorgung noch zu einem höheren Nutzen für Patienten, mahnt Fischer. Statt „Rabatte mit der Gießkanne über das System zu schütten“ verlangt sie neue, konstruktive Lösungen. Auch die frühe Nutzenbewertung von neuen Arzneimitteln sieht die vfa-Chefin nicht zuletzt deshalb kritisch, weil sie aus ihrer Sicht zu sehr mit der – zentralen – Verhandlung des Erstattungsbetrages vermischt ist. Fischer will weg vom reinen Preis für ein Arzneimittel, hin zu einer ganzheitlichen und integrierten Versorgung. Ihre Vorstellung: „Wir müssen einen Preis pro Versorgung definieren, um effizient, nachhaltig und berechenbar mit den Finanzen des gesamten Systems kalkulieren zu können“.
Häussler und Fischer sind überzeugt, dass der Arzneimittel-Atlas einen wichtigen Beitrag für bessere Versorgungskonzepte leisten kann. Vor allem die regionalen Darstellungen des Arzneimittelverbrauchs könnten dabei helfen. Sie zeigen, wo welche Erkrankungen besonders häufig auftauchen. Hier müssten Politik, Kassen, Ärzte, Apotheker und Industrie Netzwerklösungen finden, die sich durch „Lebensnähe“ auszeichnen und Patienten überzeugen. Um solche neuen Wege zu gehen, bedürfe es allerdings auch neuer Ansätze für die Finanzierung. Fischer plädiert hier für einen Innovationsfonds.
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