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DAZ aktuell
Kassenärzte nicht wegen Bestechlichkeit belangbar
Die Grundsatzentscheidung des Großen Strafsenats war seit Monaten mit Spannung erwartet worden. Ihr liegt der sogenannte "ratiopharm-Skandal" zugrunde, mit dem das Nachrichtenmagazin "Stern" im Jahr 2005 für Schlagzeilen sorgte. In einem Pilotverfahren war eine Pharmareferentin vom Landgericht Hamburg wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Sie hatte Kassenärzten Schecks über einen Gesamtbetrag von rund 18.000 Euro übergeben. Der Übergabe des Schecks lag ein als "Verordnungsmanagement" bezeichnetes Prämiensystem des Pharmaunternehmens zugrunde, wonach Ärzte als Prämie für die Verordnung von ratiopharm-Arzneimitteln fünf Prozent des Herstellerabgabepreises erhalten sollten. Das Verfahren landete vor dem BGH. Die Frage, ob niedergelassene Vertragsärzte als Amtsträger bzw. Beauftragte der gesetzlichen Krankenkassen anzusehen sind, hielt der zuständige Strafsenat für grundsätzlich klärungsbedürftig. Denn nur dann könnten sie im Sinne des Strafgesetzbuches von einem Dritten bestochen werden – und zudem selbst der Bestechlichkeit strafbar sein. Der Strafsenat legte die Frage daher dem Großen Strafsenat zu Entscheidung vor. Dieser hat nun entschieden.
Nach Auffassung der BGH-Richter sind solche Vorteile an freiberuflich tätige Kassenärzte strafrechtlich nicht relevant. Sowohl eine Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit (§ 332 StGB) als auch eine solche wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 1 StGB) scheide aus. Grund: Ein Vertragsarzt handelt nach Auffassung des BGH bei der Wahrnehmung der ihm gemäß § 73 Abs. 2 SGB V übertragenen Aufgaben – insbesondere bei der Verordnung von Arzneimitteln – weder als Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB) noch als Beauftragter der gesetzlichen Krankenkassen (§ 299 StGB). Dementsprechend sind auch Mitarbeiter von Pharmaunternehmen, die Ärzten solche Vorteile zuwenden, nicht wegen Bestechung (§ 334 StGB) oder Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 2 StGB) strafbar.
Weder Amtsträger noch Kassen-Beauftragte
Die Entscheidung des Senats beruht im Wesentlichen auf der Erwägung, dass Kassenärzte keine Amtsträger sind: Sie seien keine Angestellten oder Funktionsträger einer öffentlichen Behörde, sondern würden vielmehr aufgrund einer individuellen und freien Auswahl des gesetzlich Versicherten tätig. Das Verhältnis zwischen Arzt und Versichertem sei – ungeachtet der mit der Zulassung verbundenen Verpflichtung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung – "wesentlich von persönlichem Vertrauen und einer Gestaltungsfreiheit gekennzeichnet, die der Bestimmung durch die gesetzlichen Krankenkassen weitgehend entzogen ist".
Darüber hinaus seien Kassenärzte bei der Verordnung eines Arzneimittels keine Beauftragten der Krankenkassen. Arzt und Kasse wirkten zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung zwar zusammen. Dem Begriff des Beauftragten sei aber schon vom Wortsinn her die Übernahme einer Aufgabe im Interesse des Auftraggebers immanent, der sich den Beauftragten frei auswählt und ihn bei der Ausübung seiner Tätigkeit anleitet. Weil die Kassen den vom Versicherten frei gewählten Arzt allerdings akzeptieren müssten, hätten sie kein solches Wahlrecht.
Entsprechende Straftatbestände schaffen
Die elf Richter des Großen Strafsenates betonen in ihrem Beschluss, dass sie durchaus Verständnis für das Anliegen haben, Missständen, die gravierende finanzielle Belastungen des Gesundheitssystems zur Folge haben, mit Mitteln des Strafrechts entgegenzutreten. Es sei der Rechtsprechung jedoch versagt, nur aufgrund von Strafwürdigkeitserwägungen Strafvorschriften anzuwenden, deren Tatbestandsstrukturen nicht auf Fälle wie den entschiedenen passen. In der Pressemeldung des BGH zur Entscheidung heißt es: "Darüber zu befinden, ob die Korruption im Gesundheitswesen strafwürdig ist und durch Schaffung entsprechender Straftatbestände eine effektive strafrechtliche Ahndung ermöglicht werden soll, ist Aufgabe des Gesetzgebers."
Die Grünen-Sprecherin für Patientenrechte und Prävention, Maria Klein-Schmeink, geht noch weiter. Sie fordert den Gesetzgeber auf, zu überprüfen, ob die bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Vermeidung von ärztlicher Bestechlichkeit ausreichen. "Es darf nicht sein, dass einzelne Ärzte aus Profitinteressen bestimmte Leistungen verordnen, die medizinisch nicht sinnvoll sind." So auch Kathrin Vogler (Linke): "Wenn ein Arzt seinen Patienten Pillen verschreibt, weil die Pharmavertreterin ihm dafür Geld gibt und nicht weil es die beste Behandlung darstellt, dann muss das bestraft werden." Bestechung und Bestechlichkeit von Ärzten sei kein Kavaliersdelikt. Und auch Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes, mahnt, der BGH-Beschluss sei "kein Freifahrtschein für niedergelassene Ärzte und Pharmareferenten", sondern ein Auftrag an den Gesetzgeber, die sichtbar gewordenen Lücken im Strafrecht zu schließen.
Erleichterung bei Industrie und Ärzten
Im Gegenzug zeigen sich Pharmaindustrie und Ärzteschaft zufrieden mit dem Beschluss. Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Pharma-Unternehmen (vfa), sieht durch die Entscheidung die unabhängige Stellung des niedergelassenen Arztes im Gesundheitssystem gestärkt. Zur Vermeidung von Korruption hätten die forschenden Pharma-Unternehmen frühzeitig Konsequenzen gezogen und im Jahr 2004 die "Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie" (FSA) geschaffen. FSA-Geschäftsführer Holger Diener freut sich ebenfalls: Es sei nun "erstmals Rechtssicherheit eingekehrt". Der heutige Beschluss ändere aber nichts an der Tatsache, dass "bei der Zusammenarbeit von Pharma-Unternehmen mit Ärzten klare Spielregeln eingehalten werden müssen, um schon den Anschein einer unlauteren Beeinflussung von Beschaffungs-, Therapie- oder Verordnungsentscheidungen zu vermeiden."
Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, begrüßte die Entscheidung. Er erinnert daran, dass die Ärzteschaft sich erst jüngst vehement gegen eine weitere Verrechtlichung des Arztberufes ausgesprochen und auf die Gefahren hingewiesen habe, die mit einer "Degradierung" von Ärzten zu Erfüllungsgehilfen und Beauftragten der Krankenkassen verbunden gewesen wären. "Ärzte wären dann gezwungen gewesen, bei jedem Rezept, jeder Therapieentscheidung, jeder Arbeitsunfähigkeit und jeder Überweisung die Interessen der Patienten gegenüber denen der Krankenkassen abzuwägen." Und auch der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Köhler, sieht durch die Entscheidung die ärztliche Freiberuflichkeit gestärkt. Die Richter hätten "vollkommen richtig festgestellt", dass niedergelassene Vertragsärzte keine Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnähmen. Das Wichtigste aber sei, dass das Arzt-Patienten-Verhältnis wesentlich von persönlichem Vertrauen gekennzeichnet sei.
Mietzuschuss-Geschäftsmodelle damit straffrei
Mit der Entscheidung steht fest, dass auch Apotheker strafrechtlich nicht belangt werden können, wenn sie z. B. im Geschäftshaus praktizierenden Ärzten die Miete bezuschussen. Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft erhob im Februar 2010 Anklage gegen einen Apotheker, der zwei onkologisch tätigen Ärzten im Haus seiner Apotheke Zuschüsse zum Umbau und zur Renovierung ihrer Praxis sowie zur Miete zahlte (siehe DAZ 2010, Nr. 16, S. 32). Vor dem Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig wurde die Anklage letztlich nicht zur Hauptverhandlung zugelassen. Allerdings nicht, weil das OLG niedergelassene Kassenärzte nicht für Beauftragte der Krankenkassen hielt, sondern aus anderen Gründen.
Solange der Gesetzgeber keine weiteren Straftatbestände zu korruptivem Verhalten im Gesundheitswesen schafft, dürften auch derlei findige Geschäftsmodelle also durchaus straffrei sein.
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