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Feuilleton
Heuschrecken – sprunghafte Klangkünstler
Ausstellung in Altenburg bis zum 7. Oktober
Im Sommer können Naturfreunde sich am Gesang von Grashüpfern und Grillen erfreuen. Chinesen und Japaner halten Grillen sogar in kleinen Käfigen, fast wie Singvögel. Schaukämpfe zwischen rivalisierenden Grillenmännchen sind im Reich der Mitte ein "Volkssport". So viel zu den Insekten als Unterhaltungskünstler.
MuseumNaturkundliches Museum Mauritianum |
Nahrungsmittel …
Seit Jahrtausenden werden Heuschrecken auch als Nahrungsmittel geschätzt. Sie standen schon um 1700 v. Chr. auf den Speisezetteln der Sumerer. Auch Mose (13. Jh. v. Chr.) und Mohammed (570 – 632) empfahlen die ernährungsphysiologisch wertvollen Insekten (ca. 25% Proteine, 3 – 4% Fett, reich an Mineralien, insbesondere Calcium) als Nahrungsmittel, und für Johannes den Täufer sollen sie neben wildem Honig die Hauptspeise gewesen sein.
Was den Propheten als Leckerbissen recht und billig war, fanden auch die alten Griechen bekömmlich. Heute noch sind Heuschrecken und Grillen in vielen Kulturen eine willkommene Bereicherung des mitunter kargen Nahrungsangebots. In der westlichen Zivilisation indessen verabscheuen die Menschen den Verzehr von Insekten. Hier kommen sie allenfalls in wenigen Gourmet-Restaurants als kulinarische Spezialität auf den Teller.
… und Nahrungskonkurrent
Nach einer Überschlagrechnung fressen etwa 300 ausgewachsene Heuschrecken die Nahrungsmenge eines Menschen. Das erscheint wenig, doch wenn sie in Massen auftreten, verwüsten Heuschrecken ganze Regionen. Das Alte Testament berichtet über die Heimsuchung durch Wanderheuschrecken als eine der zehn Plagen, die den Israeliten schließlich den Auszug aus Ägypten ermöglichten (2. Buch Mose, Exodus). Auch der Prophet Joel schildert anschaulich eine Masseninvasion von Grashüpfern, Wanderheuschrecken und deren Larven, die er als Ermahnung Gottes zur Buße und Umkehr deutet. Sogar Deutschland wurde vom 14. bis 18. Jahrhundert mehrfach von Schwärmen der Europäischen Wanderheuschrecke (Locusta migratoria) heimgesucht.
Einer Schwarmbildung geht stets die Entwicklung eines unverhältnismäßig hohen Larvenbestands infolge eines reichen Nahrungsangebots voraus. Wird die Population zu dicht und die Nahrung zu knapp, müssen die Tiere sich neue Lebensräume suchen. Der Impuls, zu schwärmen, wird durch den intensiven Körperkontakt mit den Artgenossen und durch ein Pheromon ausgelöst.
Schwärmende Wanderheuschrecken können Erstaunliches leisten: Flugunfähige Larven legen, ständig hüpfend, Tagesstrecken bis zu 15 km zurück. Die Imagines fliegen indessen täglich bis zu 200 km, wobei sie je nach Luftströmung Fluggeschwindigkeiten von 12 bis 18 km/h und eine Flughöhe bis zu 200 m erreichen. Oft zählen die Schwärme etwa 50 Millionen Tiere, es wurden aber schon Riesenschwärme mit -zig Milliarden Tieren beobachtet, die ein Ausmaß von 30 km Länge und 9 km Breite erreichten.
Seitdem in Mitteleuropa die "chemische Keule" in der Landwirtschaft Einzug gehalten hat, ist hier kaum noch die Bildung von Heuschreckenschwärmen zu erwarten. In subtropischen und tropischen Gebieten stellen sie hingegen heute noch eine Bedrohung dar; besonders gefürchtet ist die Afrikanische Wüstenheuschrecke (Schistocerca gregaria). So versuchten 2004 zwölf afrikanische Staaten mithilfe des Militärs eine Masseninvasion von Heuschrecken unter Kontrolle zu bringen.
Körperbau und Lebensweise
Weltweit gibt es nur zehn Arten der Wanderheuschrecken. Sie gehören zu den Kurzfühlerschrecken (Caelifera), die etwa 10.000 Spezies zählen, davon 100 in Mitteleuropa. Merkmale sind außer den namengebenden kurzen, aber verhältnismäßig dicken Fühlern (Antennen) ein kompakter, seitlich abgeplatteter Körper mit sattelartigem Halsschild und großem, vertikal gestrecktem Kopf. Die überlangen, kräftigen Hinterbeine (Sprungbeine) haben die Kurzfühlerschrecken mit den Langfühlerschrecken (Ensifera) gemeinsam, weshalb sie beide als Springschrecken (Saltatoria) bezeichnet werden. Ein weiteres gemeinsames Merkmal sind die verhärteten Vorderflügel, die in Ruhestellung der Tiere die Hinterflügel bedecken (daher auch "Deckflügel"); von ihnen leitet sich der (taxonomisch umstrittene) Name Orthoptera (Geradflügler) ab.
Die Langfühlerschrecken – ihre Fühler sind meist viel länger als der Körper – sind in Mitteleuropa mit etwa 35 Arten vertreten. Das Grüne Heupferd (Tettigonia viridissima) ist mit einer Körperlänge bis zu 36 mm (Männchen) bzw. 42 mm (Weibchen) die größte heimische Art. Es erhielt seinen Namen wegen seines Kopfes, ernährt sich von Insekten und deren Larven und verschmäht auch schwächere Artgenossen nicht. Die nur wenig kleineren Eichenschrecken (Meconema spp.) bevorzugen Blattläuse als Nahrung. Die recht artenreichen Grashüpfer (Chorthippus spp.) hingegen leben hauptsächlich von Gräsern.
Auch die Grillen, deren Erscheinungsbilder sehr unterschiedlich sind, gehören zu den Langfühlerschrecken. Wegen ihrer Körperlänge von zwei bis drei Millimetern nur schwer nachzuweisen ist die Ameisengrille (Myrmecophila acervorum), die sich mit verschiedenen Ameisenarten vergesellschaftet. Die Eindringlinge werden vermutlich toleriert, weil sie schnell den Geruch des Nestes annehmen; so haben sie beste Voraussetzungen, sich ungestört von der Brut, den Eiern und den Vorräten der Ameisen zu ernähren.
Im Gegensatz zu den Langfühlerschrecken sind die meisten Kurzfühlerschrecken strenge "Vegetarier". Dabei sind sie, wie das Beispiel der Wanderheuschrecken zeigt, in der Regel nicht wählerisch, was die Futterpflanzen angeht. Einige Spezies stellen jedoch besondere Ansprüche an ihren Lebensraum und können somit auch wichtige Bioindikatoren sein. Dies gilt z. B. für die in ganz Europa verbreiteten Dornschrecken (Tetrix spp.), die in Deutschland vorwiegend in ehemaligen, noch vegetationsarmen Braunkohletagebauen geeignete Lebensbedingungen vorfinden und schon im Jugendstadium ihre Färbung an die jeweilige Umgebung anpassen können.
Die Färbung der meisten Springschrecken ist ihrem jeweiligen Lebensraum angepasst, um sie gegenüber Feinden zu tarnen. Einige heimische Spezies wie zum Beispiel die Rot- und die Blauflügelige Ödlandschrecke (Oedipoda) verbergen aber unter ihren Deckflügeln auffällig gefärbte Unterflügel; diese sind nur beim Flug sichtbar und sollen Geschlechtspartner anlocken.
Artspezifische Gesänge
Insbesondere unterscheiden sich die Springschrecken sowie die mit ihnen nicht verwandten Zikaden (sie sind Schnabelkerfe wie die Blattläuse und Wanzen) von allen übrigen Insekten durch ihre Fähigkeit zu "singen".
Männliche Kurzfühlerschrecken erzeugen artspezifische Gesänge, die sogar wichtige Kriterien für die Artbestimmung bilden. Die Oberschenkel ihrer Sprungbeine sind an den Innenseiten mit mikroskopisch kleinen Zähnchen ausgestattet. Streichen die Tiere mit dem Oberschenkel über eine Leiste an der Deckflügelkante, entsteht das typische Zirpen, das von den Artgenossen über das "Gehör" am ersten Hinterleibsegment wahrgenommen wird. Sie beherrschen ein ganzes Repertoire, mit dem sie um Weibchen werben oder ihre Reviere abstecken und ihre Rivalen warnen können. Die Weibchen antworten darauf mit einem einfach strukturierten Zirpen.
Die Langfühlerschrecken-Männchen benutzen ihre Deckflügel, die mit je zwei zäpfchenbesetzten Leisten ausgestattet sind, als "Gesangsorgane", indem sie diese schnell aneinander reiben. Bei manchen Spezies erhöht eine Membran – ähnlich wie ein Tamburin – die Lautstärke. Die Gemeine Eichenschrecke (Meconema thalassinum) erzeugt ihren "Gesang", indem sie mit einem Hinterbein auf ein Blatt trommelt. Die Gehörorgane der Tiere befinden sich in den Vorderbeinen unterhalb der Knie.
Fortpflanzung
Weibliche Langfühlerschrecken klettern zur Paarung auf die Männchen, um deren zuvor abgesonderten Spermienhaufen (Spermatophore) aktiv aufzunehmen. Die Kurzfühlerschrecken indessen begatten sich, indem das Männchen seine Partnerin besteigt und das Sperma in diese hineinpumpt, was bis zu einer halben Stunde dauern kann. Zuweilen kommt es sogar vor, dass das erschöpfte, aber noch im Weibchen verankerte Männchen auf dem Rücken liegend achtlos mitgeschleift wird.
Nach der Begattung lagern die Weibchen das Sperma zunächst in einer speziellen Samentasche; erst einige Tage später legen sie die befruchteten Eier ab. Während Langfühlerschrecken mit dem Legebohrer ihre Eier einzeln im Boden oder in Pflanzenteilen positionieren, setzen die Kurzfühlerschrecken jeweils mehrere Eier zusammen mit einem schaumigen, schnell aushärtenden Sekret ab, das sie vor Schäden schützen soll. Die Feldgrille und die Maulwurfsgrille graben sogar kleine Erdlöcher für die Eiablage.
Die Gelege der allermeisten mitteleuropäischen Arten überwintern, d. h. die Larven schlüpfen erst im Frühjahr. Grillen und Dornschrecken, deren Zirpen schon im Frühjahr zu hören ist, überwintern indessen im Larvenstadium oder sogar als erwachsene Tiere. Während der Metamorphose häuten sich die Jungtiere fünf bis sieben Mal, ohne sich zu verpuppen (Hemimetabolie). Daher unterscheiden sich Heuschrecken im Jugendstadium kaum von den Imagines. Flugfähig werden sie indessen erst nach der letzten Häutung.
InternetVerbreitungskarten der einheimischen Heuschrecken findet man auf der Website der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie: |
Reinhard Wylegalla
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