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Bedenkliche Arzneimittel für Frauen
Auch in diesem Jahr hat Professor Gerd Glaeske – gemeinsam mit Dr. Christel Schicktanz – für die Barmer GEK Arzneimittelverordnungsdaten ausgewertet. Diesmal haben sie einen Schwerpunkt auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Arzneimittelversorgung gelegt. Das kurz gefasste Fazit: Frauen leiden an der Psyche, Männer am Körper – mit der wahren Verteilung dieser Erkrankungen haben die blanken Verordnungsdaten allerdings nicht viel zu tun.
Geht man allein nach den Verordnungen – also nach Packungszahlen, gleich welcher Größe – , so bekommen Frauen grundsätzlich mehr verordnet: Auf 100 Frauen entfielen 2011 durchschnittlich 937 Verordnungen im Jahr. Damit liegen sie 22,3 Prozent über den Männern, die je 100 auf 763 Verordnungen kamen (Durchschnitt: 864). Betrachtet man jedoch die Verordnungsdosen (DDD), so liegen die Männer vorne: 2011 bekamen sie durchschnittlich 486 Dosierungen, Frauen 540. Noch vor zehn Jahren fiel dieses Verhältnis deutlicher zulasten der Frauen aus: 441 Tagesdosierungen gegenüber 295 bei Männern. Bei den Arzneimittelkosten sieht das Bild nochmals anders aus: Auf 100 Männer entfielen im letzten Jahr 41.100 Euro, auf 100 Frauen 44.900 Euro.
Glaeske erklärt den Umschwung bei den Tagesdosen hin zu den Männern unter anderem damit, dass seit 2004 nicht-rezeptpflichtige Arzneimittel wie Venenmittel oder pflanzliche Mittel gegen Zyklusstörungen nicht mehr erstattet werden. Außerdem wirke sich der Rückgang von verordneten Hormonpräparaten gegen Wechseljahresbeschwerden aus.
Psychopharmaka sind Frauenarzneimittel
Wenig erfreulich ist aus Glaeskes Sicht jedoch, dass auf Frauen beispielsweise knapp 63 Prozent aller Beta-Blocker-Verordnungen fallen. Diese werden immer wieder auch zur Migräne-Prophylaxe angewendet. Dabei wirken diese Arzneimittel bei Frauen stärker als bei Männern und führen auch schneller zu unerwünschten Wirkungen. Es sind aber vor allem Antidepressiva, Tranquilizer und Schlafmittel, die Frauen deutlich öfter erhalten als Männer. Dabei, so Glaeske, hätten nur rund die Hälfte der Frauen, die Antidepressiva bekommen, auch eine entsprechende Indikation. Vielfach kämen diese Arzneimittel offenbar schon bei Befindlichkeitsstörungen im Alltag zum Einsatz. Erklärungen für dieses Phänomen sind nicht leicht zu finden. Glaeske vermutet, das Frauen beim Arzt generell eher über ihre Gefühle und Sorgen sprechen als Männer. Dies sei grundsätzlich nicht falsch – doch dies führe offenbar dazu, dass Mediziner schnell zum Rezeptblock griffen statt beispielsweise über Beratungsangebote zu informieren. Diese Beratungsstellen, so Glaeske, würden es auch begrüßen, wenn die Menschen zu ihnen kämen, ehe sie eine Sucht aufweisen. Denn diese auf die Psyche wirkenden Substanzen haben nicht nur oft Nebenwirkungen – vielfach führen sie auch in die Abhängigkeit. Dies dürfte den meisten Ärzten und Patientinnen auch bewusst sein: Die Mehrzahl der Benzodiazepin-Verordnungen – Glaeske spricht von 50 bis 60 Prozent – läuft bereits über Privatrezept. Apotheker wissen dies nur zu gut.
Glaeske fordert angesichts dieser Feststellungen die Erarbeitung einer Arzneimittelliste mit für Frauen kritischen Arzneimitteln. Vorbild könne die Priscus-Liste sein, die für ältere Patienten potenziell gefährliche Arzneimittel benennt. Vielfach dürfte es hier Überschneidungen geben.
Bedenkliche Zahnarzt-Verordnungen
Erstmals untersucht hat der aktuelle Barmer GEK-Report überdies Verordnungen von Zahnärzten. Das Ergebnis macht Glaeske "völlig ratlos". Knapp zehn Prozent der Antibiotika-Verordnungen entfallen bereits auf die Dentisten. Und jedes zweite dieser Rezepte wurde auf Clindamycin ausgestellt – bei Allgemeinmedizinern und Internisten ist es nur jedes Vierte. Dieser Wirkstoff sei nicht nur deutlich teurer als Amoxicillin, sondern führe auch öfter zu Magen-Darm-Störungen. Die Hersteller-propagierte "bessere Knochengängigkeit" sei kein evidenzbasierter Vorteil, so Glaeske. Auch die zahnärztlichen Analgetika-Verordnungen liegen für ihn "völlig neben jeder Evidenz". Nicht etwa Monopräparate hätten hier die Nase vorn: 21,5 Prozent der Rezepte seien auf Kombinationspräparate mit ASS/ Paracetamol/Coffein/Codein ausgestellt.
Wo noch gespart werden kann
Am Ende darf eine Zahl nicht fehlen: das Einsparpotenzial, das die Kasse noch heben könnte, wenn im Verordnungsgeschehen alles rund liefe. Würden noch mehr Generika verordnet, dafür weniger Me-Toos, könnte die Barmer GEK 480 Millionen Euro sparen, so Glaeske. Dies sind 12 Prozent ihrer Arzneimittelgesamtausgaben von rund 3,9 Mrd. Euro im vergangenen Jahr. Der Bremer Arzneimittelforscher setzt bei den ungeliebten Me-Toos nicht zuletzt auf das AMNOG. Mit Blick auf Präparate wie Inegy, Seroquel oder Lyrica hofft er auf eine baldige Nutzenbewertung im Bestandsmarkt.
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