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Arzneimittel und Therapie
Typ-1-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen nimmt zu
Ausgefallene Mahlzeiten. Doch kein Hunger, und lieber noch schnell auf den Spielplatz. Das Essen schmeckt einfach gar nicht. Oder die Atemwege sind infiziert. All das kann an den Nerven von Eltern zerren, deren Kind an einem Typ-1-Diabetes leidet. Denn vieles, was in einem Kinderleben Normalität ist, kann den Blutzucker erheblich aus dem Lot bringen. Die Problematik ist keine Seltenheit. Der Typ-1-Diabetes hat sich in Deutschland zu einer der häufigsten chronischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter entwickelt. Die Zahl der Kinder, die neu an Typ-1-Diabetes erkranken, steigt von Jahr zu Jahr. Derzeit leben hierzulande 25.000 Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren mit der Stoffwechselkrankheit. "Die Zunahme hat sich unerwartet beschleunigt. Besonders jüngere Kinder sind zunehmend betroffen", ist im Gesundheitsbericht Diabetes 2012 zu lesen. Wie es zu dem Anstieg kommt, ist unklar. Die Verbreitung von sogenannten Risikogenen erklärt die Zunahme der Erkrankungen nicht. Eine solche Entwicklung würde viel länger dauern, als der kurze Zeitraum von 1989 bis 2003, in dem die Forscher der EURODIAB-Studie den Anstieg festgestellt haben. Sie verweisen als mögliche Erklärungsansätze auf verschiedene Hypothesen: moderne Lebensgewohnheiten, Umweltfaktoren, Geburten mit Kaiserschnitt oder der Rückgang von Infektionen im Kindesalter.
Schon bei Dreijährigen an Diabetes Typ 1 denken
Trotz dieser Zahlen wird gerade bei Kleinkindern vor dem fünften Lebensjahr oft nicht an einen Typ-1-Diabetes gedacht, bemängelte der Diabetologe Dr. Martin Holder vom Klinikum Stuttgart auf einem Pressegespräch der Lilly Deutschland GmbH am Rande der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft in Stuttgart. Bei Polyurie, Polydipsie und Gewichtsabnahme, den typischen Symptomen, sollte immer der Blutzucker gemessen werden. Denn wird ein Typ-1-Diabetes übersehen, ist das nicht ohne Risiko. Es kann zu einer diabetischen Ketoazidose kommen, die lebensbedrohlich sein kann.
Cave: Diabetes plus EssstörungEssstörungen sind bei adoleszenten Mädchen mit Diabetes Typ 1 etwa doppelt so häufig wie bei gesunden Gleichaltrigen, nämlich bei 10% gegenüber 4%, erläuterte Dr. Martin Teufel, Oberarzt in der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Tübingen, auf der diesjährigen Jahrestagung der DDG. Diese Komorbidität ist besonders gefährlich, denn sie geht mit einer deutlich erhöhten Mortalität einher. Er verwies auf Daten, nach denen die Mortalität im Fünf-Jahres-Verlauf bei Typ-1-Diabetes bei 2,2 pro 1000 Personenjahre liegt, bei einer Anorexia nervosa bei 7,3 pro 1000. Liegen jedoch beide Diagnosen vor, steigt diese Zahl auf 34,6 pro 1000 drastisch an [Nielson S, et al. Diabetes Care 2002; 25: 309 – 312]. Als Hinweise auf eine komorbide Essstörung bei Typ-1-Diabetes nannte Teufel eine wiederholt unerklärbare schlechte Stoffwechsellage, rezidivierende Ketoazidosen, ausgeprägte Gewichtsfluktuationen und ein niedriges Gewicht sowie Körperschemastörungen (Fehlwahrnehmung des eigenen Körpers). |
Niemand hat Schuld!
Ein Kind mit Typ-1-Diabetes stellt das Familienleben auf den Kopf, zumindest in der ersten Zeit nach der Diagnosestellung. Die Betreuung muss entsprechend umfassend sein und darf sich nicht auf die Kontrolle des Blutzuckers beschränken. Ziel ist laut Holder eine intensive Kooperation zwischen dem Kind und seinen Eltern und einem multidisziplinären Team aus Ärzten, Diabetesberatern, Sozialarbeitern, Lehrern und Psychologen sein. Dabei muss auch vermittelt werden, dass die Krankheit zwar nicht heilbar, aber gut zu behandeln ist. Vor allem aber müssen den Eltern die Schuldgefühle genommen werden, unter denen sie oft leiden. Sie suchen nach Fehlern, etwa bei der Ernährung während der Schwangerschaft oder in den ersten Lebensjahren des Kindes, die sie dann als Ursache des Diabetes sehen. Hier muss ganz deutlich werden: Niemand hat Schuld! Denn anders als der Typ-2-Diabetes, an dessen Entwicklung der Patient durchaus beteiligt ist, ist der Typ-1-Diabetes eine Autoimmunerkrankung unbekannter Genese, für deren Entstehung niemand Verantwortung trägt.
Standard: intensivierte Insulintherapie
Den Blutzucker zu kontrollieren, ist bei Kindern und Jugendlichen besonders anspruchsvoll. Häufige Infektionen und wachstumsbedingte hormonelle Veränderungen lassen den Insulinbedarf schwanken. Hinzu kommt oft unregelmäßiges Ess- und Trinkverhalten, das die Einstellung zusätzlich erschwert. Von der konventionellen Insulintherapie haben sich die Diabetologen bei Kindern und Jugendlichen weitgehend verabschiedet. Standard ist heute eine intensivierte Insulinbehandlung, entweder durch tägliche Mehrfachspritzentherapie (intensivierte konventionelle Therapie; ICT) oder eine kontinuierliche subkutane Insulininfusion (CSII) mittels einer Pumpe. Eine regelmäßige Blutzuckerkontrolle mehrmals täglich ist bei der intensivierten konventionellen Therapie und der kontinuierlichen subkutanen Insulininfusion erforderlich. All dies muss in intensiven Schulungen gelehrt und gelernt werden. Bei der konventionellen Mehrfachspritzentherapie wird ein Verzögerungsinsulin eingesetzt und, zu den Mahlzeiten, Normalinsulin oder ein schnell wirksames Insulinanalogon wie Insulin lispro (Humalog®) appliziert. Der Vorteil kurzwirksamer Insulinanaloga liegt gerade bei Kindern auf der Hand. Während Normalinsulin 30 bis 45 Minuten vor den Mahlzeiten injiziert werden muss, ist bei kurzwirksamen Analoga, die schnell anfluten und kurz wirken, kein Spritz-Ess-Abstand notwendig. Selbst eine bedarfsgerechte Insulinapplikation direkt nach der Mahlzeit ist noch möglich. Zwischenmahlzeiten sind kaum noch erforderlich.
Pumpe: erste Wahl für Kindergarten- und Vorschulkinder
Bei der kontinuierlichen subkutanen Insulininfusion wird Normalinsulin oder kurz wirksame Insulinanaloga als Basisbedarf kontinuierlich über einen Katheter unter der Haut abgegeben. Die mahlzeitenbezogene Menge kann per Knopfdruck abgerufen werden. Insulin lispro kann auch für die subkutane Insulininfusion genutzt werden. Dabei sind die Anweisungen der Pumpen-Hersteller genau zu befolgen. Die Pumpentherapie hat bei Kindern deutlich zugenommen, vor allem bei den Jüngeren. Laut Deutschem Gesundheitsbericht Diabetes 2012 werden etwa 70% der 0- bis 5-jährigen Typ-1-Diabetiker mit der Pumpe behandelt, und zwar sofort oder innerhalb kurzer Zeit nach Diagnosestellung. Sie profitieren von der Pumpentherapie besonders, da sie eine oft sehr labile Stoffwechsellage haben sowie einen sehr niedrigen Insulinbedarf bei hoher Insulinempfindlichkeit. Höhere Blutzuckerwerte lassen sich besser korrigieren und die in diesem Alter oft problematischen Injektionen werden vermieden. Zudem kann das Risiko von Hypoglykämien gesenkt werden (siehe Kasten).
Wichtige Aufgabe von Eltern und Kind: Hypos schnell erkennenOb ein Kind unterzuckert ist, ist nicht immer einfach zu erkennen. Gerade bei jüngeren Kindern müssen die Eltern entsprechende Auffälligkeiten richtig deuten und adäquat reagieren können. Bereits Müdigkeit und Konzentrationsschwäche können auf eine Hypoglykämie hindeuten, aber auch Kopfschmerzen, Kribbeln an den Lippen, Herzklopfen, Heißhunger oder Schweißausbrüche. Auch das Kind sollte frühestmöglich mit diesen Symptomen vertraut gemacht werden. Die Unterzuckerung ist dann schnell behoben, durch Traubenzucker, Apfelsaft oder zuckerhaltige Limonade. Etwas davon sollte das Kind immer bei sich haben. |
Kindgerechte Pens mit Pepp
Um die Insulinapplikation zu vereinfachen und die Akzeptanz in dieser Altersgruppe zu steigern, stehen Insulin-Pens speziell für Kinder und Jugendliche zur Verfügung, die robust sind und eine kindgerechte Dosierung einfach und sicher ermöglichen. So lässt sich etwa mit dem HumaPen® Luxura™ HD das Insulin auch in halben Einheiten problemlos dosieren. Er bietet zusätzlich auch die Möglichkeit einer individuellen Verzierung mit sogenannten "Skins" in Form von Klebfolien.
Problematische Phase Pubertät
Problematisch wird die Diabetestherapie häufig während der Pubertät und der Adoleszenz. Neben einem höheren Insulinbedarf und dem Einfluss von Wachstumshormonen, Sexualsteroiden und Schilddrüsenhormonen auf den Stoffwechsel, lässt vor allem die zunehmend mangelnde Akzeptanz der Erkrankung und der Wunsch nach mehr Flexibilität den Blutzucker aus den Fugen geraten. Der Einfluss der Eltern auf die Insulintherapie nimmt ab. Die Verantwortung geht mehr und mehr auf den Jugendlichen über. Bei ihnen kann eventuell die Akzeptanz einer Insulinpumpe durch die Kompatibilität mit modernen Kommunikationsmitteln wie Smartphone und PC gesteigert werden.
QuellePatterson C. et al.: Incidence trends for childhood type 1 diabetes in Europe during 1989-2003 and predicted new cases 2005-2020: a prospective registration study. Lancet 373: 2027-2033 (2009).Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2012.
Apothekerin Dr. Beate Fessler
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