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Kassenabschlag
Gespaltener Kassenabschlag
Verminderter Kassenabschlag für Rabattvertragsartikel
Der Ärger über viele Belastungen durch Gesundheitsreformen wird langfristig meist durch neue Probleme relativiert – anders bei den Rabattverträgen: Auch Jahre nach ihrer Einführung werden sie in Apotheken als schwere Belastung des Arbeitsalltags und der Beziehung zu den Patienten wahrgenommen. Wirtschaftlich betrachtet sind sie ein maßgeblicher Kostenfaktor, denn die Erläuterungen für die Patienten kosten Zeit und verhindern möglicherweise zusätzliche Umsätze im OTC-Geschäft. Außerdem entstehen Kosten durch vermeidbare Nachlieferungen oder ein aufgeblähtes Warenlager. Volkswirtschaftlich ausgedrückt verursachen die Rabattverträge beträchtliche externe Kosten in den Apotheken, die in den Verträgen zwischen Herstellern und Krankenkassen nicht abgebildet werden. Folgen externer Kosten sind stets Fehlanreize und letztlich eine nicht effiziente Ressourcenallokation.
Eine vergleichsweise einfache und wirkungsvolle Methode, die externen Kosten der Rabattverträge zu internalisieren und damit ein volkswirtschaftlich befriedigenderes Gesamtergebnis zu produzieren, wäre ein verminderter Kassenabschlag gemäß § 130 SGB V für Rabattvertragsarzneimittel. Warum gerade diese Lösung wirksam, systemkonform, praktikabel und vor allem anreizverträglich ist, soll hier ausgeführt werden.
Bedeutung bei bisherigen Abschlagsverhandlungen
Bei den Verhandlungen über den Kassenabschlag für 2009 und 2010 war insbesondere strittig, inwieweit die Kosten für die Umsetzung der Rabattverträge in Apotheken zu berücksichtigen sind. Aus Sicht der Apotheken ist diese Kostenposition sehr bedeutsam, weil sie durch die zunehmende Zahl von Rabattverträgen wesentlichen Anteil an der Erhöhung der Kosten hat, um die es bei den Verhandlungen primär geht. Dagegen argumentierten Vertreter der Krankenkassen, dass Rabattverträge nicht alle Arzneimittel und nicht alle Krankenkassen betreffen und daher nicht allen Krankenkassen angelastet werden könnten. Diese Argumentation übersieht allerdings, dass jede Ermittlung von Kosten bei einer so komplexen Leistung wie der Arbeit in Apotheken auf einer Mischkalkulation beruht. Nicht jeder Patient verursacht den gleichen Aufwand. Beratungsbedarf, Beschaffungsaufwand und Nebenleistungen unterscheiden sich zwischen verschiedenen Patienten und Arzneimitteln. Bei Verhandlungen über einen allgemein anzuwendenden Abschlag kann nur ein plausibler Durchschnittswert herangezogen werden. Wenn bei allen Aspekten stets nur von minimalen Kosten ausgegangen würde, müsste jede Abweichung von der einfachsten Idealsituation zwangsläufig zu einer Unterdeckung führen. Eine aussagekräftige und faire Kostenermittlung muss sich daher an plausiblen Durchschnittsfällen orientieren und nicht am kostengünstigsten Grenzfall. Demnach müssten Rabattverträge in die Kostenberechnung einbezogen werden, auch wenn sie nicht in jedem Einzelfall zur Anwendung kommen. Dies gilt so lange, wie an einem einheitlichen Abschlag für alle Arzneimittel festgehalten wird.
Sonderstellung im System
Allerdings stellen Rabattvertragsarzneimittel innerhalb des Versorgungssystems eine solche Besonderheit dar, dass für sie eine ganz eigenständige Behandlung angebracht erscheint. Die hohen Kosten für die Umsetzung der Rabattverträge in Apotheken und die Tatsache, dass dies aus Sicht der Krankenkassen externe Kosten sind, sprechen für eine gesonderte Betrachtung. Daher sollte für Rabattvertragsarzneimittel ein verminderter Kassenabschlag gelten.
Ein weiteres Argument dafür liegt in der Systematik von Einkaufskonditionen jeglicher Art. Denn die Großhändler können von Rabattvertragsherstellern nur verminderte Skonti erhalten, weil diese bereits Rabatte an die Krankenkassen vertraglich vereinbart haben. Daraufhin sinkt auch der Spielraum des Großhandels, den Apotheken irgendwelche Vergünstigungen zu gewähren. Hersteller können einen Rabatt oder ein Skonto nur einmal gewähren – entweder der Krankenkasse oder der nächsten Handelsstufe. Wenn sich Rabattvertragsartikel hinsichtlich der Konditionen im Arzneimittelhandel von anderen Arzneimitteln unterscheiden, ist es systemkonform, diese Artikel auch beim Kassenabschlag anders zu behandeln. Wenn die Apotheken aufgrund dieser Arzneimittel schlechtere Einkaufskonditionen haben, können sie ihrerseits nur geringere Rabatte an die Krankenkassen gewähren als bei anderen Arzneimitteln. Die Rabattverträge wirken damit auf das gesamte Beziehungsgefüge des Arzneimittelhandels. Anders ausgedrückt können die Krankenkassen nicht erwarten, von den Apotheken erneut einen Rabatt zu erhalten, den ihnen der Hersteller bereits auf einem anderen Weg gewährt hat. Vielmehr sollten die Krankenkassen vor eine Entscheidung gestellt werden, ob sie jeweils den einen oder den anderen Rabatt vorziehen. Genau dies würde durch einen verminderten Kassenabschlag für Rabattvertragsarzneimittel ermöglicht.
Die daraus resultierenden Anreize, die eine volkswirtschaftlich effiziente Ressourcenallokation fördern, sind letztlich das entscheidende Argument für die hier propagierte Neuerung. Die Aufhebung der Mischkalkulation zwischen Arzneimitteln mit und ohne Rabattvertrag ist im Vergleich dazu sogar weniger relevant, denn jede Mischkalkulation ist stets eine Gratwanderung aus den Mühen einer differenzierten Betrachtung und der Angemessenheit der jeweiligen Regelung. Es wird stets Argumente geben, die eher für eine pauschale oder eher für mehrere differenzierte Betrachtungen sprechen. Es geht also primär um die ökonomischen Anreize. Dabei sind auch die folgenden Zusammenhänge zu beachten.
Bagatellrabatte bei Billigarzneimitteln
Sehr viele Rabattvertragsarzneimittel haben einen sehr niedrigen Herstellerabgabepreis. Etwa 40 Prozent aller in Apotheken abgegebenen Arzneimittel haben einen Herstellerabgabepreis unter 3,74 Euro, wobei dieser Anteil seit Jahren steigt (Quelle: Gesdat GmbH). Da Generika im Durchschnitt deutlich preisgünstiger als Originale sind und Generika unter den Rabattvertragsarzneimitteln überproportional vertreten sind, kann angenommen werden, dass der Anteil so niedrigpreisiger Produkte an den Rabattvertragsarzneimitteln eher noch höher ist. Bei Produkten in dieser Preislage ist der durch die Arzneimittelpreisverordnung festgelegte Apothekenaufschlag deutlich größer als der Preisanteil des Herstellers. Der mögliche Rabatt, den der Hersteller gewähren kann, ist keinesfalls so hoch wie der Herstellerabgabepreis, denn er kann nicht 100 Prozent betragen. Damit liegt ein plausibler Herstellerrabatt für solche Produkte oft deutlich unter der Größenordnung des Kassenabschlags der Apotheken. Aufgrund der Struktur der Arzneimittelpreisverordnung können viele Rabatte nur Bagatellbeträge im Bereich einiger Cent sein, denn bei vielen Arzneimitteln liegt auch der Herstellerabgabepreis in dieser Größenordnung. Angesichts der geringen absoluten Höhe des hier möglichen Herstellerrabatts ist anzunehmen, dass die Kosten der Apotheken bei der Umsetzung der Rabattverträge in vielen Fällen höher als die Ersparnisse der Krankenkassen sind. Doch dies ist in einer volkswirtschaftlichen Gesamtbetrachtung des Systems nicht effizient, es ist der typische Fall eines Fehlanreizes durch nicht berücksichtigte externe Kosten. Ähnliches gilt auch für die Krankenkassen selbst. Rabatte im Bereich weniger Cent dürften in vielen Fällen kaum den Verwaltungsaufwand ausgleichen, der für den Abschluss, die Pflege, die juristische Durchsetzung und die Kontrolle der Einhaltung der Rabattverträge nötig ist.
Weitere externe Kosten
Außerdem verursachen die Rabattverträge weitere externe Kosten. Diese entstehen bei den Beschäftigten in den Apotheken durch den Frust über die schwierige Vermittlung und bei den Patienten durch Non-Compliance sowie die daraus resultierenden Kosten. Wenn es daraufhin zu gesundheitlichen Schäden kommt, treffen diese letztlich auch wieder die Krankenkassen. Diese diversen Kosten können durch die hier vorgeschlagene Neuerung nicht berücksichtigt werden. Es wäre auch nicht sachgerecht, die Belastung der Patienten den Apotheken gutzuschreiben. Doch wenn die vorgeschlagene Maßnahme dazu führt, dass Rabattverträge bei Bagatellrabatten entfallen, würde auch die Belastung der Patienten reduziert und sie würde nur noch in solchen Fällen stattfinden, in denen zumindest die Aussicht auf einen spürbaren Vorteil der Krankenkasse besteht.
Gesamtwirtschaftlich effiziente Lösung
Rabattverträge erscheinen damit in einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung – wenn überhaupt – allenfalls bei eher hochpreisigen Arzneimitteln sinnvoll – oder zumindest akzeptabel. Denn der Aufwand der Apotheken ist zum größten Teil unabhängig vom Preis des Arzneimittels, soweit dies die Beratung und Nachlieferungen betrifft. Nur die Finanzierung des zusätzlichen Warenlagers ist preisabhängig. Dagegen hängt der Vorteil der Krankenkasse vollständig vom Preis ab, auf den sich der Rabatt bezieht. Hier setzt der vorgeschlagene verminderte Kassenabschlag an: Der Rabattvertrag würde sich nur lohnen, wenn er der Kasse mehr bringt als der entgangene Kassenabschlag der Apotheke. Aufgrund der Anreizwirkungen eines gespaltenen Kassenabschlags würden die Krankenkassen nur noch Rabattverträge abschließen, die mehr Rabatt einbringen als die daraufhin in Kauf zu nehmende Verminderung des Kassenabschlags. Umgekehrt wäre der eingesparte Kassenabschlag für die Apotheke eine Entschädigung für die Umsetzung des Rabattvertrags. So würden die externen Kosten der Apotheke für die Krankenkasse internalisiert. Ein Anreiz für den Abschluss von Rabattverträgen bestünde nur, wenn sie gesamtwirtschaftlich effizient sind. Es würde nicht länger auf Kosten der Apotheken gespart. Gegenüber dem derzeitigen Zustand würde die Ersparnis der Krankenkassen durch Rabattverträge sinken – allerdings nur um den volkswirtschaftlich unsinnigen Anteil, der mehr externe Kosten verursacht, als er einbringt.
Ermittlung der Abschlagsdifferenz
Für eine effiziente Gestaltung des gespaltenen Kassenabschlags müsste diese Abschlagsdifferenz möglichst den externen Kosten der Verträge, also den Kosten der Umsetzung der Rabattverträge entsprechen, soweit diese in Apotheken anfallen. Damit würde sich bei künftigen Verhandlungen auch die Frage erübrigen, wie die Rabattverträge in einem pauschalen Kassenabschlag zu berücksichtigen wären. Stattdessen müsste die Belastung der Apotheken durch Rabattverträge ermittelt werden. Dies wäre die Differenz zwischen den beiden Kassenabschlagssätzen.
Hier soll der Ermittlung einer solchen Differenz nicht vorgegriffen werden. Es sollen aber Anhaltspunkte vermittelt werden, wie ein angemessener Betrag abgeschätzt werden könnte. Eine angenommene Differenz von 1 Euro könnte in folgender Weise interpretiert werden: Das Bundesgesundheitsministerium kalkuliert in seiner Abschätzung der Kosten der Apothekenbetriebsordnung eine Arbeitsstunde für einen Apotheker mit 46,20 Euro. Mit 1 Euro wären demnach 1,3 Minuten Arbeit für einen Apotheker abgegolten. Dies erscheint sehr kurz für die Erläuterung der Umstellung einer Medikation wegen eines Rabattvertrags. Alternativ könnte für 1 Euro ein Botenfahrzeug 1 Kilometer fahren (bei einer Kilometerpauschale von 30 Cent pro Kilometer) und außerdem ein Bote 2,8 Minuten bezahlt werden (bei einem Gehalt von 15 Euro pro Stunde einschließlich Lohnnebenkosten). Dies dürfte für eine Nachlieferung nicht ausreichen, weil das Arzneimittel bis zur Haustür gebracht werden muss. Allerdings ist nicht bei jedem Rabattarzneimittel eine Nachlieferung erforderlich und nicht bei jeder Abgabe wird ein neues Rabattarzneimittel abgegeben. So würde auch bei der Einführung eines gespaltenen Kassenabschlags offensichtlich beträchtlicher Verhandlungsbedarf verbleiben – jedoch mit einer wichtigen neuen Differenzierungsmöglichkeit.
Belastung der Krankenkassen
Unabhängig von der auszuhandelnden Differenz bleibt festzuhalten, dass diese Differenz von dem fortgeschriebenen Kassenabschlag nach bisherigem Muster abzuziehen wäre. Es würde den Hintergründen dieses Vorschlags widersprechen, wenn die Apotheken für Nicht-Rabattvertragsarzneimittel einen zusätzlichen Abschlag leisten müssten. Denn es sind die Krankenkassen, die bisher von den Leistungen der Apotheken bei der Umsetzung der Rabattverträge profitieren, während die Apotheken die externen Kosten tragen. Die Einführung des hier vorgeschlagenen gespaltenen Kassenabschlags kann und soll daher nicht aufkommensneutral für die Krankenkassen sein. Vielmehr ist es gerade der Kerngedanke dieses Vorschlags, die Kassen mit den Kosten zu belasten, die sie an anderer Stelle verursachen. Dass sich die Ausgaben der Krankenkassen dadurch erhöhen, wird selbstverständlich aufseiten der Krankenkassen keine Zustimmung auslösen. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht kann dies aber nicht beanstandet werden, sondern muss sogar erwünscht sein, soweit es sich um die Korrektur einer ineffizienten Ressourcenallokation handelt. Dies bedeutet, dass der bisherige Kassenabschlag für die Nicht-Rabattarzneimittel fortzuschreiben und für die Rabattvertragsarzneimittel in der oben beschriebenen Weise zu ermäßigen wäre.
Dr. Thomas Müller-Bohn, Süsel,
E-Mail: mueller-bohn@t-online.de
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