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Im Fokus
Dabigatran-Diskussion
Seit 1952 bzw. 1954 sind die Vitamin-K-Antagonisten, die sogenannten Cumarine, in den USA bzw. Deutschland auf dem Markt. Zugelassen sind in Deutschland Phenprocoumon (Marcumar®) und Warfarin (Coumadin®), wobei Phenprocoumon mit 360 Mio. DDD und 99% den größten Marktanteil besitzt (Arzneiverordnungsreport 2011). Zusätzlich ist das kurzwirksame Acenocoumarol (Sintrom®) in anderen Ländern erhältlich. Cumarine sind die effektivsten Antikoagulanzien für die chronische Anwendung. Sie verhindern die Aktivierung der plasmatischen Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X.
Warum wir Alternativen zu Cumarinen brauchen
Der Einsatz von Cumarinen wird limitiert durch ihre komplexe Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und Arzneimittelinteraktionen [8,9,16]. Hervorzuheben sind:
- die lange Halbwertszeit: Warfarin 36 h, Phenprocoumon 7 Tage;
das späte Wirkungsmaximum, das dosisabhängig erst nach Tagen erreicht wird;
die Beeinflussung der Wirkung durch den Vitamin-K-Gehalt der Nahrung: Eine gleichbleibende Vitamin-K-Zufuhr ist wünschenswert, kann aber nicht immer sichergestellt werden (z. B. im Urlaub oder bei Krankheiten wie Durchfall);
Heparin zu Therapiebeginn ist zur Vermeidung der Marcumar-Nekrose zwingend erforderlich;
- initiales Blutungsrisiko besonders in den ersten 90 Tagen infolge einer instabilen Gerinnungshemmung;
altersabhängiges Blutungsrisiko, das mit zunehmendem Alter auf bis zu 7,2% im Jahr steigt;
Veränderung der Wirkung durch komedizierte Arzneimittel und CYP-Polymorphismen;
instabile INR-Spiegel, die häufige Gerinnungskontrollen mit intravenöser Blutentnahme erfordern. Bei INR-Werten unter 2 ist der Koagulationsschutz ungenügend, bei Werten über 3 bis 4 drohen u. a. Hirnblutungen;
invasive Eingriffe: bei diagnostischen und operativen Eingriffen ist ein kompliziertes Ausschleichen mit Überbrückung durch Heparin (sog. bridging) erforderlich.
Das im Vergleich zu Phenprocoumon kürzer wirksame und damit besser steuerbare Warfarin kann mit subtherapeutischen Spiegeln und paradoxerweise mit mehr hämorrhagischen Ereignissen einhergehen als Phenprocoumon [11]. Außerdem erhalten bis zu 40% der mit oralen Antikoagulanzien behandelten Patienten noch ASS, wobei beide Gerinnungshemmstoffe ein langwirkendes "blutiges Duo" bilden [7]. Eine Folge ist die mäßige Compliance. Zahlen aus dem schwedischen Schlaganfallregister belegen, dass nach zwei Jahren nur noch 45% der Patienten ihr Warfarin einnehmen.
Zu wenige Patienten mit effektiver Antikoagulation
Da Vitamin-K-Antagonisten mit so zahlreichen Problemen verbunden sind, werden sie nur zögerlich verordnet. Oft wird auf schwächer wirksame Kombinationen wie ASS plus Clopidogrel zurückgegriffen. Einer aktuellen Übersicht [13] zufolge sind nur 35 bis 70% der Patienten im vordefinierten INR-Bereich von 2 bis 3 eingestellt, und 30 bis 50% der Patienten, die eine orale Antikoagulation benötigen, werden nicht entsprechend der Leitlinien behandelt.
Hohes Schlaganfallrisiko bei Vorhofflimmern
Vorhofflimmern erhöht das Risiko für einen Schlaganfall um das 4- bis 5-Fache. Und nach einem Schlaganfall oder einer transitorisch ischämischen Attacke (TIA) steigt bei Vorhofflimmern das Reinfarktrisiko von 4,1% auf 13%. Cumarine können die Risiken gegenüber Placebo um 60 bis 70% senken, ASS dagegen nur um 30 bis 40% [Übersicht bei 4].
Alternative: kürzer wirksame Antikoagulanzien
Seit 2010 sind orale Antikoagulanzien zugelassen (Tab. 1), die spezifisch entweder den aktivierten Faktor X oder den aktivierten Faktor II (Thrombin) hemmen. Diese neuen Hemmstoffe besitzen gegenüber Cumarinen unter anderem folgende Vorteile:
eine kürzere Halbwertszeit und damit eine bessere Steuerbarkeit. Mit fallenden Blutspiegeln sinkt sofort die Hemmwirkung. So ist 24 h nach dem Absetzen die Wirkung von Dabigatran um 75% vermindert. Cave: Diese kurze Wirkung erfordert andererseits eine stringente Compliance;
eine lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung;
- keine Gerinnungskontrolle
eine ähnliche oder bessere Wirksamkeit wie Vitamin-K-Antagonisten:
ähnliche oder geringere Blutungskomplikationen, v. a. weniger intrakranielle Blutungen;
- weniger Arzneimittelinteraktionen;
kein Einfluss von Nahrungsmitteln;
bessere Sekundärprophylaxe.
Eine endgültige Aussage über die therapeutische Breite kann noch nicht getroffen werden, da bislang wichtige Risikogruppen von klinischen Studien ausgeschlossen sind.
Tab. 1: Wichtige pharmakokinetische und -dynamische Eigenschaften, Problemzonen und Indikationen | |||
Dabigatran |
Rivaroxaban |
Apixaban |
|
gehemmter Gerinnungsfaktor |
IIa |
Xa |
Xa |
Bioverfügbarkeit |
6% |
80% |
66% |
Halbwertszeit |
9 – 13 h |
7 – 12 h |
8 – 15 h |
renale Ausscheidung |
80% |
33% |
25% |
• Vorsicht/Dosisreduktion Kreatinin-Clearance [ml/min] |
15 – 30 |
15 – 30 |
|
• Kontraindiziert/nicht empfohlen bei Kreatinin-Clearance [ml/min] |
< 30 (KI) |
< 15 (n.e.) |
< 15 (n.e.) |
Arzneimittelinteraktion | |||
• P-gp-Inhibitoren/Induktoren | ++ |
+ |
+ |
• CYP3A4-Inhibitoren/Induktoren | nein |
+ |
+ |
Zulassung
[Monat/Jahr] | |||
• Prophylaxe venöser Thromboembolien | 4/2008 Europa |
9/2008 Europa
7/2011 USA
|
5/2011 Europa |
• Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmern |
10/2010 USA
8/2011 Europa
|
11/2011 USA
12/2011 Europa
|
|
• Sekundärprophylaxe nach akutem Koronarsyndrom |
nein |
nein |
nein |
Blutungsereignisse unter Dabigatran (Pradaxa®)
In den vergangenen Monaten wurden Berichte über schwere Blutungen veröffentlicht, die unter Dabigatran auftraten. Das BfArM hat für Deutschland einen kausalen Zusammenhang zwischen vier letalen Blutungen und der Einnahme von Dabigatran als sicher angenommen [1]. In diesen Fällen wie auch in den meisten übrigen Verdachtsfällen, v. a. in Japan, war die Nichtbeachtung einer eingeschränkten Nierenfunktion mit nachfolgender Akkumulation die wahrscheinliche Ursache. Insgesamt wurden bis Anfang November 2011 weltweit 260 Todesfälle unter Dabigatran gemeldet.
Mehr Herzinfarkte unter Dabigatran?Auf der Jahrestagung der American Heart Association wurde über ein unter Dabigatran um 31% erhöhtes relatives Risiko für akutes Koronarsyndrom (Herzinfarkt) berichtet. Dabei wurde aber nur ein Teil der Studien ausgewertet und alle Vergleichstherapien (Enoxaparin, Warfarin, Placebo) undifferenziert zusammen betrachtet. Eine nach Vergleichstherapien differenzierte Analyse ergibt kein erhöhtes Risiko. Jedoch deuten die Daten aus RELY und auch aus ROCKET-AF darauf hin, dass Cumarine beim akuten Myokardinfarkt den neuen oralen Antikoagulanzien überlegen sind. |
Was neue Antikoagulanzien leisten
Nach Berechnung von Boehringer-Ingelheim [Pressemitteilung vom 16.11. 2011] würden von 100.000 Patienten mit Vorhofflimmern jedes Jahr 4500 ohne Antikoagulation einen Schlaganfall erleiden. Cumarine können 2920 dieser Anfälle verhindern, Dabigatran in der Höchstdosis dagegen 3490.
Dabigatran (Pradaxa®) senkte in der RE-LY-Studie das Risiko, dass ein Patient im nächsten Jahr einen Schlaganfall oder eine systemische Embolie erleidet, von 1,69% unter Warfarin auf 1,53% in der niedrigen und auf 1,11% in der höheren Dosis (Tab. 2). In den Zulassungsstudien bei venöser Thromboembolie (VTE) (RE-NOVATE, RE-MODEL) schnitt Dabigatran in niedriger Dosis (1x 50 mg/d oder 1x 220 mg/d) nicht schlechter ab als Enoxaparin.
Rivaroxaban (Xarelto®), ein Xa-Inhibitor, erreichte in den ROCKET-Studien zur Sekundärprophylaxe von Schlaganfall bei Vorhofflimmern gegenüber Warfarin eine Non-Inferiority (Nicht-Unterlegenheit), aber keine Überlegenheit (Tab. 2) [14].
Apixaban (Eliquis®), ein Xa-Antagonist, minderte relativ in der ARISTOTLE-Studie die Häufigkeit von Schlaganfällen bzw. systemischen Embolien um 21% und die Sterblichkeit um 11% [3].
Tab. 2: Übersicht von Studien mit neuen oralen Antikoagulanzien und Cumarinen zur Schlafanfallprophylaxe bei Vorhofflimmern. Primärer Endpunkt war immer Auftreten von Schlaganfällen oder systemische Embolien | ||||
Dabigatran |
Rivaroxaban |
Apixaban |
||
Studien |
RE-LY |
ROCKET AF |
ARISTOTLE |
AVERROES |
Dosis |
2 x 110 bzw. 2 x 150 mg/d |
20 mg/d |
2 x 5 mg/d |
2 x 5 mg/d |
Kompetitor |
Warfarin INR 2-3 |
Warfarin INR 2 – 3 |
Warfarin INR 2 – 3 |
ASS 81 – 324 mg/d |
Inzidenz der Ereignisse (%)
vs. Kompetitor
|
1,11 bzw. 1,54
- 10 % bzw. - 35 %
|
1,7 bzw. 2,1*
- 21 % bzw. - 12 %*
|
1,27
- 21%
|
1,6
- 55 %
|
Nebenwirkungen | ||||
• schwere Blutungen (%) relativ vs. Kompetitor |
2,87 bzw. 3,32
- 20 % bzw. - 7 %
|
14,9**
+ 3 %
|
2,13
- 31 %
|
1,4
+ 13 %
|
• Mortalität (%) relativ vs. Kompetitor |
3,75 bzw. 3,64
- 9 % bzw. - 10 %
|
1,9
- 15%
|
3,5
- 11 %
|
3,5
- 21%
|
Unterscheiden sich die Blutungskomplikationen?
Wie ist generell das Blutungsrisiko der anderen oralen Gerinnungshemmer zu bewerten? Umfangreiche Daten gibt es zum prophylaktischen Einsatz gegen die postoperative venöse Thromboembolie nach elektivem Hüft- und Kniegelenksersatz sowie bei Vorhofflimmern zur Prävention von Schlaganfällen (Tab. 2). Bei Patienten mit Knie- oder Hüftgelenksersatz ist das Blutungsrisiko wegen der kurzen Einnahmedauer (maximal 10 bzw. 35 Tage) und der geringeren kardiovaskulären Grunderkrankungen nicht so hoch. Daher soll im Folgenden v. a. die Antikoagulation bei Vorhofflimmern betrachtet werden, die meist eine lebenslange Therapie erfordert.
Die Datenlage ist nicht einfach, aber anhand einiger Studien ergeben sich Anhaltspunkte für die Größenordnungen von Ereignissen und Risikofaktoren.
Der Hersteller von Dabigatran, Boehringer-Ingelheim, beziffert das Risiko für letale Blutungen pro 100.000 Patientenjahre auf 230 oder 0,23% pro 100 Patientenjahre bei 2 x 150 mg bzw. 190 oder 0,19% bei 2 x 110 mg. Die Rate liegt bei Phenprocoumon mit 330 bzw. 0,33% höher, bei Acetylsalicylsäure (ASS) mit 200 oder 0,2% ähnlich hoch.
Die Vergleichstudien RE-NOVATE und RE-MODEL mit Enoxaparin ergaben nach Hüft- und Kniegelenksersatz vergleichbare schwere nicht-letale Blutungsrisiken (dosisabhängig 1,3% – 1,8%). Die zulassungsrelevante RE-LY-Studie zeigte im Vergleich zu Warfarin (INR 2,0 – 3,0) in der höheren Dosis weniger intrakranielle Blutungen [Übersicht bei 17].
Der Xa-Antagonist Apixaban (Eliquis®) reduzierte in der ARISTOTLE-Studie die Rate der schweren Blutungskomplikationen um 31% verglichen mit Warfarin.
In einer italienischen Studie [15] wurden unter nicht näher differenzierten Cumarinen (in Italien sind nur Warfarin und Acenocoumarol im Handel) bei über 80-Jährigen 1,87% schwere Blutungen pro 100 Personenjahre und 0,27% letale Blutungen publiziert. Das sind jedoch weniger Fälle als von Boehringer-Ingelheim beziffert (Pressemitteilung Boehringer-Ingelheim vom 4.11. 2011).
Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die Nebenwirkungsraten der oralen Antikoagulanzien in ähnlichen Größenordnungen liegen (Tab. 2).
Wegen der notwendigen hohen Patientenzahlen sind Head-to-head-Studien in naher Zukunft nicht zu erwarten. Erste (mäßige) Unterschiede suggerieren, dass Patienten mit hohem Schlaganfallrisiko von Dabigatran, und Patienten mit hohem Blutungsrisiko von Apixaban profitieren könnten.
Blutungsrisiko:nur eine Frage der Gerinnungshemmung?
Hängt das Ausmaß des Blutungsrisikos nur von der Gerinnungshemmung ab? Oder spielt auch die Grunderkrankung eine Rolle? So steigt das Risiko für eine schwere Blutung unter Phenprocoumon von 4,2% bei einem CHADS2 -Score von 1 auf 23,4% bei einem CHADS2 -Score von ≥ 4 (Koscielny et al., Hämostasiologie 246, 2009).
Lokale thromboembolische Ereignisse oder lokale Störungen der Gefäßperfusion (z. B. KHK oder pAVK) sind immer Symptome einer systemischen Erkrankung. Hinter einem zunehmenden thromboembolischen Risiko steht eine verstärkte Gerinnungspathologie wie die erhöhte Expression des Plasminogen-Aktivator-Inhibitors (PAI), Suppression von Protein C und S, instabile Plaques oder Verlust des Gefäßendothels [6].
Natürlich steigt das Blutungsrisiko mit zunehmender INR. Aber gibt es Unterschiede der Blutungsrisiken von oralen Antikoagulanzien bei gleichem INR? Diese Frage könnte nur mit Head-to-head-Studien beantwortet werden.
CHADS2-Risiko-Score |
Bedeutung der Abkürzung |
Punkte |
|
C (Congestive heart failure) |
Herzinsuffizienz |
1 |
H (Hypertension) |
Bluthochdruck |
1 |
A (Age) |
Alter > 75 Jahre |
1 |
D (Diabetes) |
Diabetes |
1 |
S (Stroke) |
vorangegangener Schlaganfall oder TIA |
2 |
CHADS2
- Score |
Schlaganfall- risiko % |
95%-Konfidenz intervall |
0 |
1,9 |
1,2 – 3,0 |
1 |
2,8 |
2,0 – 3,8 |
2 |
4,0 |
3,1 – 5,1 |
3 |
5,9 |
4,6 – 7,3 |
4 |
8,5 |
6,3 – 11,1 |
5 |
12,5 |
8,2 – 17,5 |
6 |
18,2 |
10,5 – 27,4 |
Die Gretchenfrage: wie gut ist die Dosis zu kontrollieren?
Die lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung soll nicht infrage gestellt werden. Je höher die Dosis, desto wirksamer die Gerinnungshemmung und desto höher die INR.
Damit wird das Problem der Arzneimittelsicherheit auf eine andere Ebene verschoben, auf die der Pharmakokinetik. Die Gretchenfrage lautet nun: "Wie hält es der Gerinnungshemmstoff mit der Konstanz seines Blutspiegels?" Führt die gleiche Dosis bei verschiedenen Patienten zu unterschiedlichen Blutspiegeln und verändert sich dann trotz gleicher Dosis-Wirkungs-Beziehung die Gerinnung und das Blutungsrisiko?
Dabigatran zeigt von allen neuen oralen Gerinnungshemmern die größte pharmakokinetische Vulnerabilität.
Seine Bioverfügbarkeit beträgt nur 6%. Zahlreiche Faktoren können die Bioverfügbarkeit um absolut 1 bis 2% Prozent mindern oder steigern, das sind relative Änderungen um bis zu 33% bzw. 25%.
Es wird mit 80% überwiegend renal ausgeschieden. Die Einschränkung der Nierenfunktion erhöht die Blutspiegel und stellt eine bekannte, sehr ernstzunehmende Kontraindikation dar, auf die vor Kurzem in einem Rote-Hand-Brief hingewiesen wurde.
Dabigatran ist ein Substrat des P-Glykoprotein-Effluxtransporters. Die Komedikation einiger P-Glykoprotein-Hemmstoffe ist kontraindiziert.
Gastrointestinale Unverträglichkeiten wie Dyspepsie können die Compliance erschweren.
Es müssen also einige Risikofaktoren kontrolliert werden wie die Nierenfunktion (Cave: Alter > 75 Jahre), Hemmstoffe von P-Glykoprotein (P-gp) und Körpergewicht (Cave: < 50 kg) [Übersicht 17]. Eine Nierenfunktion von < 30 ml/min ist eine Kontraindikation.
Rivaroxaban. Eine mäßige Niereninsuffizienz mit einem Kreatinin von 15 bis 29 ml/min erfordert nur eine Dosisminderung, ab <15 ml/min ist es kontraindiziert. Auch Rivaroxaban ist ein Substrat von P-gp und CYP3A4-Inhibitoren verlängern seine Halbwertszeit. Starke CYP- und P-gp-Inhibitoren bzw. Induktoren können die Blutspiegel verändern. Bei niedrigem Körpergewicht und hohem Alter sind keine Anpassungen erforderlich.
Apixaban. Mit seiner nur zu 25% renalen Ausscheidung ist bei Nierenfunktionseinschränkung nicht mit klinisch relevanten Spiegelerhöhungen zu rechnen. Starke CYP- und P-gp-Inhibitoren bzw. Induktoren können die Blutspiegel verdoppeln bzw. halbieren. Allerdings müssen dazu noch begünstigende Faktoren bestehen wie eine Niereninsuffizienz.
Gerinnungskontrolle unter den neuen Gerinnungshemmer
Die Gerinnungskontrolle unter den neuen Antikoagulanzien ist aus pharmakokinetischen Gründen schwierig. Nach zweimaliger Gabe (Dabigatran, Apixaban) oder einmaliger Gabe (Rivaroxaban) gehen die Spiegelpeaks mit einer erhöhten, und der Abfall mit einer erniedrigten Hemmung einher. Eine zuverlässige Aussage ist nur mit mehrmaligen Messungen zu erreichen. Die lineare Dosis-Wirkungsbeziehung macht die Kontrolle jedoch überflüssig, zumal durch den schnellen Abfall der Wirkung nach 24 h das normale Niveau der Gerinnung erreicht ist – womit allerdings auch die Kardioprotektion fehlt. Alle neuen Gerinnungshemmer erhöhen die Gerinnungsparameter (PT, aPTT, INR) in geringem Umfang. Diese Messungen sind nicht standardisiert und zeigen eine hohe Variabilität. Zahlreiche Testverfahren ergeben keine lineare Korrelation zwischen Blutspiegel und Testergebnis.
Abschließende Bewertung
Die neuen selektiven Faktor Xa- oder IIa-Antikoagulanzien bieten wichtige Vorteile gegenüber der herkömmlichen Therapie mit Cumarinen. Zwei PK/PD-Eigenschaften begründen das positive Profil: die kürzere Halbwertszeit und die lineare Dosis-Wirkungsbeziehung. Wesentliche Voraussetzung für letztere sind die stabilen vorhersagbaren Blutspiegel. Dafür müssen besonders bei Dabigatran die Kontraindikationen berücksichtigt werden wie Niereninsuffizienz und Komedikation von P-gp-Inhibitoren.
Ältere Patienten mit eingeschränkter Niereninsuffizienz besitzen per se ein erhöhtes Schlaganfallrisiko und ein erhöhtes Blutungsrisiko (ECS Congress 2011). Für diese Gruppe brauchen wir mehrere Alternativen, die entweder unabhängig von der Nierenfunktion wirken oder über ein breites therapeutisches Fenster verfügen. Daher ist die Auswahl zwischen mehreren Antikoagulanzien sinnvoll.
Die bisherigen Studien deuten darauf hin, dass alle drei neuen oralen Antikoagulanzien verglichen mit Cumarinen weniger Blutungen verursachen und unabhängig von der Wirksamkeit bereits aus Gründen der Arzneimittelsicherheit zu bevorzugen sind. Der rein rechnerische Vorteil (Blutungsereignisse) gegenüber Cumarinen ist mit einer NNT von 90 bis 300 sehr gering. Die bessere Steuerbarkeit und der geringere Aufwand des INR-Monitorings werden in der NNT-Zahl jedoch nicht abgebildet. Schließlich bleibt noch zu klären, ob die Unterschiede zu Warfarin ebenso groß oder größer oder kleiner sind, wenn mit dem in Deutschland verordneten Phenprocoumon verglichen wird.
Ob neue oder alte Antikoagulanzien, es bleiben immer noch deutliche Blutungs- und Schlaganfallrisiken. Grundvoraussetzung für eine wirksame und sichere Antikoagulation ist die Compliance der Patienten: entweder tägliche Tabletteneinnahme oder regelmäßige INR-Kontrolle.
Literatur
Autor
Prof. Dr. med. Thomas Herdegen,
Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie,
Universitäts-Klinikum Schleswig-Holstein,
Campus Kiel, Hospitalstr. 4,
24105 Kiel
Zum WeiterlesenPHARMAKO-LOGISCH! BlutgerinnungsstörungenDer Blutfluss zwischen Stau und überhöhter Geschwindigkeit Von Thomas Herdegen DAZ 2009, Nr. 31, S. 42 – 79. |
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