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Wirtschaft
Anzag verändert sich: "Von der Bundesliga zur Champions League"
Ab April 2013, so war unlängst zu lesen, wird ein Traditionsname des deutschen Arzneimittelgroßhandels verschwinden: aus Anzag soll ab April 2013 die Alliance Healthcare Deutschland werden. Außerdem beabsichtigt der britische Pharmahändler Alliance Boots, der seit Ende 2010 mit 82 Prozent der Anteile am Unternehmen bereits Mehrheitseigner ist, weitere 14,1 Prozent der deutschen Anzag zu erwerben. Durch die Aufstockung um 1,5 Millionen Aktien ist die im Aktiengesetz vorgesehene Hürde von 95 Prozent genommen, Alliance Boot kann somit das "squeeze out"-Verfahren in die Wege leiten, mit dem die übrigen Aktionäre aus dem Konzern herausgekauft werden sollen. Wir fragten bei Anzag und Alliance Boots nach, welche Konsequenzen damit verbunden sind und wie sich das Unternehmen in Zukunft am deutschen Markt platzieren will.
AZ: Anzag plant ein Squeeze out. Das bedeutet, dass Alliance Boots die 100%ige Kontrolle über Anzag bekommen wird. Wird damit die Börsennotierung aufgehoben?
Dr. Thomas Trümper: Wenn jemand 100% eines Unternehmens besitzt, macht es keinen Sinn mehr, an der Börse notiert zu sein. Damit ist aber die Frage der Rechtsform nicht entschieden. Eine Firma kann auch Aktiengesellschaft sein, ohne dass sie an der Börse notiert ist. Ebenso ist die Rechtsform der GmbH denkbar. Darüber gibt es derzeit noch keine klare Meinung.
AZ: Was bedeutet dieser Schritt für Anzag hinsichtlich der Mitbestimmungsmöglichkeiten?
Trümper: Hier muss man zwischen dem Innen- und dem Außenverhältnis unterscheiden. Im Innenverhältnis existiert in Deutschland das Mitbestimmungsgesetz, das wir selbstverständlich respektieren. Danach ist die Bildung eines Aufsichtsrates notwendig, um die berechtigten Interessen der Arbeitnehmer aufzunehmen und zu berücksichtigen. Im Außenverhältnis wird sich vornehmlich der Name ändern. Anzag soll ab dem nächsten Geschäftsjahr Alliance Healthcare Deutschland AG heißen.
AZ: Warum planen Sie diese Namensänderung, obwohl Anzag doch ein traditioneller Name im deutschen Pharmagroßhandel ist?
Trümper: Mit der Namensänderung demonstrieren wir unsere Zugehörigkeit zur europäischen Nummer Eins im Pharmagroßhandel – und dieser Bereich ist und bleibt das Rückgrat unseres Geschäfts. Im Pharmagroßhandel bieten wir nach wie vor die gleichen Kernleistungen und arbeiten mit der gleichen Vertriebsmannschaft – nur mit dem Unterschied, dass wir unseren Kunden darüber hinaus nun weitere Services anbieten, zum Beispiel durch die Einführung neuer, international bewährter Vermarktungsmodelle und apothekenexklusiver Produktangebote in Deutschland. Für den selbstständigen Apotheker schaffen wir so zusätzliche Ertragsquellen und Möglichkeiten, sich noch stärker in seinem lokalen Wettbewerbsumfeld zu differenzieren. Das ist das gemeinsame Geschäftsprinzip von Anzag und Alliance Healthcare: die Stärkung des selbstständigen Apothekers. Unsere gewachsene, enge Partnerschaft mit den Apothekerinnen und Apothekern wird fortbestehen und die vertrauensvolle Zusammenarbeit durch unsere zusätzlichen Services intensiviert.
AZ: Im Konzern Alliance Boots werden aber Kettenapotheken betrieben – nach dem Merger mit Walgreens ja immerhin fast 11.000. Ist das nicht ein Widerspruch?
Ornella Barra: Nein, das ist kein Widerspruch, sondern nur ein Spiegelbild unserer globalen Wirtschaftswelt. Wie Sie wissen, ist Alliance Boots viel mehr als ein Apothekenketten-Konzern. Das Unternehmen ist auch der größte Pharmagroßhändler in Europa und international führend im Vertrieb von Gesundheitsprodukten. Mit unserem Großhandelsgeschäft beliefern wir mehr als 170.000 Apotheken weltweit, von denen nicht einmal 10% Teil einer Kette sind. Dabei geht es uns natürlich nicht nur um Lieferung und Vertrieb, sondern dies ist ein konkretes Beispiel dafür, wie unsere Gruppe in allen Märkten, in denen wir tätig sind, selbstständige Apotheken uneingeschränkt unterstützt. Ich weise oft darauf hin, dass die Förderung der Apotheker Teil unserer DNA ist: Bei uns sind die meisten Führungskräfte, so, wie ich auch, ausgebildete Apotheker. Ich habe als unabhängige Apothekerin begonnen und dies ist für mich während meiner gesamten beruflichen Laufbahn immer ein prägendes Merkmal geblieben. Eine starke Partnerschaft mit unabhängigen Apotheken war daher auch stets eine strategische Priorität für Alliance Boots. Dies haben wir auch durch die Gründung des European Pharmacists Forum (EPF) 1999 und von Alphega Pharmacy (ein europäisches Netzwerk unabhängiger Apotheken) 2001 deutlich gemacht.
In Ländern, in denen Apothekenketten zugelassen sind, haben wir uns entsprechend aufgestellt und gleichzeitig Kooperationen aufgebaut. Großbritannien und die Niederlande sind gute Beispiele für Märkte, in denen Ketten und unabhängige Apotheken fruchtbar koexistieren. Gleichzeitig habe ich schon oft darauf hingewiesen, dass die eigentliche Bedrohung für unabhängige Apotheken von den Supermärkten ausgeht. In Ländern und Märkten, in denen Ketten nicht zugelassen sind, unternehmen wir keine Lobbyarbeit in diese Richtung und treten auch nicht für ihre Entwicklung ein.
AZ: Kommen wir zurück auf den deutschen Markt. Bisher konnte Anzag als eigenständiges Unternehmen auf die Bedürfnisse der deutschen Apotheker eingehen. Ist nicht zu befürchten, dass Alliance Healthcare Deutschland AG als Landesgesellschaft diesen individuellen Service nicht mehr erbringen kann?
Barra: Innerhalb unserer Gruppe haben die Gesellschaften in den jeweiligen Ländern eine wirkliche Autonomie in der Führung ihrer Geschäfte. Nur so können sie auf die Bedürfnisse ihrer nationalen Märkte und die Erwartungen der Zielgruppen eingehen. Nach meiner Überzeugung ist es von fundamentaler Bedeutung, den Kunden ein maßgeschneidertes Angebot bereitzustellen und dies ist mit einer dezentralen Organisation innerhalb einer globalen Struktur wesentlich besser möglich. Es besteht kein Zweifel, dass unsere lokalen Führungskräfte die Experten für ihre jeweiligen Märkte sind und deshalb sind sie mit allen Vollmachten ausgestattet, um auf die Bedürfnisse ihrer Kunden einzugehen. Dies gilt natürlich auch für Anzag und Deutschland.
AZ: Der Wettbewerb im Pharmagroßhandel ist ja bekanntlich sehr hart. Gibt es nicht Vorgaben im Konzern, die Anzag in Deutschland wirtschaftlich beschneiden, so dass die Angebote an Kunden darunter leiden?
Trümper: Der deutsche Pharmagroßhandelsmarkt steht seit Jahren unter dem Einfluss staatlicher Maßnahmen im Zusammenhang mit Kostendämpfung bei Arzneimitteln und dies sorgt für einen ständigen Druck auf Umsätze und Margen im gesamten Markt. Darüber hinaus führen die gesetzlichen Regularien in Deutschland seit Jahren zu einer angespannten Wettbewerbssituation im Pharmagroßhandelsmarkt. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, unsere Geschäftstätigkeiten in Deutschland auszuweiten: Wir bauen zusätzliche, leistungsfähige Serviceeinheiten für die Apotheken und die Hersteller auf, um unsere Erträge zu sichern und unser Geschäft zukunftsfähig aufzustellen. Dass wir dabei auf die bewährten Konzepte unserer Gruppe zurückgreifen können, ist ein Glücksgriff und erleichtert uns die Umsetzung erheblich. Trotzdem kostet ein solcher Prozess natürlich erst einmal Zeit und Geld – die Qualität unserer Leistungen steht aber stets im Vordergrund. Unsere Marktpartner sollen schließlich von unserer Neuausrichtung in gleichem Maße profitieren wie wir. Für sie verändern wir uns: von der Bundesliga zur Champions League.
AZ: Wie sehen Sie die Zukunft des Pharmagroßhandels aus europäischer Sicht?
Barra: Der traditionelle Pharmagroßhandel wird mit Sicherheit ein bedeutender Bestandteil unseres Geschäfts bleiben. Aber unser neues Großhandels-Geschäftsmodell, mit zusätzlichen innovativen Serviceleistungen für unsere Kunden, ist die Voraussetzung für den künftigen Erfolg. Überall verändern sich die Märkte zurzeit sehr schnell und gleichzeitig verändern sich die Erwartungen unserer Kunden. Darum muss sich auch der Pharmagroßhandel ständig weiterentwickeln, um auf diese Erwartungen eingehen zu können beziehungsweise diese frühzeitig zu antizipieren, um auch weiterhin erfolgreich zu sein.
AZ: Meinen Sie damit die Tochtergesellschaft Skills in healthcare?
Trümper: Ja, Skills in healthcare ist ein gutes Beispiel dafür. In anderen Ländern existiert diese Gesellschaft bereits und kann hervorragende Erfolge nachweisen. Deshalb hat Anzag ebenfalls eine Tochtergesellschaft unter diesem Namen gegründet. Die Skills in healthcare GmbH Deutschland ist Teil einer europäischen Vertriebsorganisation, die sich schwerpunktmäßig um die Vermarktung und den Vertrieb von Gesundheits-, Kosmetik- und Pflegeprodukten kümmert.
AZ: Frau Barra, Sie sprachen vom Aufbau neuer Dienstleistungen, die Sie neben dem klassischen Pharmagroßhandel vorantreiben wollen. An welche Dienstleistungen denken Sie hier?
Barra: Im Grunde an alle, die die Wertschöpfungskette von Gesundheitsprodukten vervollständigen bzw. optimieren. Hier gibt es viele Möglichkeiten, unsere Kunden – die Apotheken und pharmazeutischen Unternehmen – zu unterstützen. Die Möglichkeiten erstrecken sich dabei von der Marktforschung für den Markteinstieg, über Logistik und Distribution bis hin zum Verkauf und Vertrieb von ertragsstarken Apothekenprodukten oder sogar der Optimierung der Apothekenlager. Als internationaler Gesundheitskonzern haben wir die besten Voraussetzungen, so unterschiedliche Leistungen aus einer Hand anzubieten und entsprechend zeit- und kosteneffizient für unsere Kunden zu arbeiten. Und natürlich engagieren wir uns für die enge Zusammenarbeit mit den selbstständigen Apotheken.
AZ: Herr Dr. Trümper, Sie sagten, dass Sie zusätzliche, leistungsfähige Serviceeinheiten für die Apotheken bauen wollen. Was ist darunter zu verstehen? Mehr Niederlassungen?
Trümper: Wie gesagt: Der Pharmagroßhandel mit seiner Niederlassungsdichte – und die damit verbundene Nähe zu unseren Kunden – ist die Grundlage für die Ausweitung unserer Angebote. Deshalb investieren wir weiter in unser flächendeckendes Distributionsnetz. So haben wir kürzlich unsere Niederlassung in München modernisiert, um die Apotheken in der Region noch schneller beliefern zu können. Zusätzlich geht es uns darum, Leistungen zu schaffen, die den Abverkauf und den Umsatz der Apotheke steigern. Hier greifen wir natürlich auf unsere gewachsene Vermarktungsexpertise zurück. Seit Jahren fördert Anzag den wirtschaftlichen Erfolg der selbstständigen Apotheken durch Programme wie SAM Sales & More, optiL sowie durch unsere Apothekenkooperation vivesco. Hinzu kommen nun Angebote wie zum Beispiel spezielle Online-Schulungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Offizin. Auch die Einführung apothekenexklusiver Eigenmarken wie alvita zielt ganz klar darauf ab, zusätzliche Ertragspotenziale für die Apotheken zu schaffen.
AZ: Sie sprachen eben die Anzag-Kooperation vivesco an: Wird sich hier durch den engeren Schulterschluss zu Alliance Boots und durch den Merger mit Walgreens etwas verändern?
Trümper: vivesco ist eine schlagkräftige Kooperation und wird auch weiter so geführt. Hier entwickeln wir unsere Leistungen aktuell offensiv weiter. Wir planen zum Beispiel die Einführung eines Apotheken-Lieferdienstes mit Bestellmöglichkeiten über das Internet. Dieser Service wird auf der Expopharm im Oktober offiziell vorgestellt und voraussichtlich Ende des Jahres an den Start gehen.
AZ: Wird es personelle Veränderungen bei der Anzag bzw. der Alliance Healthcare Deutschland AG geben? Ist mit Rationalisierungen oder gar einem Stellenabbau zu rechnen?
Trümper: Nein, mit der Namensänderung sind keine organisatorischen Veränderungen geplant. Wir haben aufgrund der angespannten Marktsituation im Pharmagroßhandel ja bereits einige Strukturen angepasst. Wir sind also bestens aufgestellt für die Aufgaben, die vor uns liegen. Natürlich werden wir unsere Organisation stets den Markterfordernissen anpassen. Dies geschieht aber völlig unabhängig vom Namen der Gesellschaft.
AZ: Frau Barra, Herr Trümper, vielen Dank für das Gespräch.
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