Gesundheitspolitik

Wie mit Reklamationen umgehen?

Andreas Kaapke

Reklamationen haben Konjunktur, woran das auch immer liegen mag. Zum einen sind Produkte und Dienstleistungen offensichtlich im Durchschnitt nicht mehr in der Wertigkeit vorhanden wie dies noch früher der Fall war – wie auch, wenn sich fast alles nur noch über Rabatt verkaufen lässt und von daher über alle Wertschöpfungsstufen hinweg Einsparungen vorgenommen werden müssen. Zum anderen ist es mittlerweile hinreichend erprobt, über Reklamationen noch einen zusätzlichen Vorteil herauszuschlagen, ungeachtet des tatsächlichen Anspruchs. Ein solcherlei konditionierter Verbraucher unterscheidet nur eingeschränkt, in welcher Verkaufsstätte er sich gerade befindet, so dass auch Apotheken von diesem Phänomen betroffen sein können.

In der freien Wirtschaft wird genau unterschieden, welche Wertschöpfungsstufe für welchen vermeintlichen Schaden aufzukommen hat, dies ist auch richtig so, erhöht aber eher das Konfliktpotenzial in der Vertikalen. Und zudem hat sich ein feines Marketing-Instrumentarium jenseits der Gewährleistung entsponnen, das sich auch semantisch nur sehr filigran unterscheiden lässt. Während alles, was unter die Gewährleistung fällt, einen gesetzlichen Anspruch genießt und von daher nicht diskussionsfähig ist und auch keinen Handlungsspielraum für die entsprechenden Unternehmen lässt, bedeutet Garantie, dass man über den rechtlichen Anspruch hinaus in Frist oder Umfang die Gewährleistung erweitert. Wir kennen die grotesk anmutenden Versprechungen beispielsweise von Carglass, dass kaputtgehende Frontscheiben noch nach 30 Jahren kostenfrei ersetzt werden. Vor dem Hintergrund, dass das durchschnittliche Auto in etwa nur ein Drittel dieses Zeitraums tatsächlich genutzt wird, ist dieses Garantieversprechen eher Hohn als Leistung. Dennoch fokussieren Kunden darauf. Aber auch andere Versprechungen können als Marketing-Instrument durchaus hilfreich sein, so der Kunde das Versprechen versteht, es für ihn relevant ist und sich das Produkt und die Dienstleistung nicht in anderen relevanten Kategorien als wettbewerbsuntauglich erweist.

Neben der Garantie gibt es noch die sogenannte Kulanz. Diese kommt ins Spiel, wenn weder Gewährleistung noch eine ausgesprochene oder nicht vorhandene Garantie dem Kunden helfen können. Nun haben die Unternehmen immer noch die Möglichkeit, kulant zu sein und in gewisser Weise dem Kunden zu helfen. Der Kunde hat keinen Anspruch, wenn er dennoch eine Erstattung, eine Kompensation oder gar Ersatz erhält, wird er das goutieren und die Chance auf dauerhafte Bindung des Kunden ist groß.

Wie fordernd oder gar dreist Kunden geworden sind, sollen zwei Beispiele verdeutlichen: Immer wieder wird aus dem Lebensmittelhandel – hier vornehmlich den Discountern – berichtet, dass Kunden mit den Eigenmarken der Konkurrenz kommen und beklagen, dass sie mit dem Produkt aufgrund des Geschmacks oder der Konsistenz oder was auch immer unzufrieden sind und es umgetauscht haben möchten. Wie reagieren? Es ist ein Leichtes, den Nachweis zu führen, dass der Kunde den Artikel nicht bei Aldi oder Lidl gekauft hat, sondern gerade bei der Konkurrenz. Den Aufschlag des Kunden kann man auch als Chance begreifen. Indem man sich geschmeidig zeigt und dem Kunden unter Hinweis, dass es sich um den Umtausch eines Konkurrenzartikels handelt, die eigene Alternative anbietet, hat man eine Chance gewonnen. Gleichwohl muss man unter nüchterner Betrachtung bemerken, dass derlei Kunden schwerer zu binden sind als andere, da sie ja offensichtlich entweder keine hohe Markenbindung aufweisen oder keine Skrupel, das jeweils Beste für sich herauszuholen. In einem Sportartikelfachgeschäft wusste ein Filialleiter empört auf einer Führungskräftetagung aller Filialen zu berichten, dass in seiner Skioberbekleidungsabteilung tatsächlich ein Kunde mit einem Artikel kam und diesen umtauschen wollte, der zum einen nicht im Geschäft gekauft wurde (diese Marke wurde und wird nicht geführt) und auch noch von der Vorsaison war und etliche Abnutzungsspuren hatte. Im Kreis der Führungskräfte entlud sich Empörung, bis der Inhaber sagte, er hätte die Jacke umgetauscht – aus Kulanz. Es war den Mitarbeitern kaum darstellbar, warum. Der Inhaber argumentierte, dass dieser Kunde ein optimaler Botschafter für das Haus wäre und solche Fälle derart selten vorkommen, dass es das Unternehmen nicht umbringt.

Und bei Apotheken: Hier dürften die Reklamationen deshalb geringer sein, da mit allergrößter Sorgfalt auf die Haltbarkeit und Korrektheit der Ware zu achten ist. Dies ist ja gerade eines der größten Leistungsversprechen, was es seitens der Apotheken geben kann. Geschmackliche Fragen haben kaum Relevanz, so dass am ehesten Unverträglichkeiten angemahnt werden könnten. Und wenn dann doch mal etwas sein sollte, kann man nur empfehlen, dass die Apotheken so flexibel und kulant wie möglich reagieren, denn dadurch wird es möglich sein, Kunden zu binden, zu begeistern und ggf. dazu zu bewegen, ausgesprochen positiv über die Apotheke zu berichten. Manchmal muss man dabei die Zähne zusammenbeißen und manchmal möchte man laut Nein rufen, aber am Ende des Tages ist es die bessere Vorgehensweise für die Kasse und die Nerven.


Andreas Kaapke


Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Standort Stuttgart, und Inhaber des Bera-tungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de



AZ 2012, Nr. 17, S. 3

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