Gesundheitspolitik

Apotheker entern Piratenpartei

Gesundheitspolitisches Parteiprogramm bietet Chancen für Gestaltung

Stuttgart (as). Die elektronische Gesundheitskarte ablehnen, die Kammerpflicht abschaffen und eine transparente Information über das Gesundheitswesen bereitstellen – das sind die drei einzigen gesundheitspolitischen Forderungen der Piratenpartei, die bisher auf Landes- oder Bundesparteitagen abgestimmt wurden. Daneben klaffen gewaltige gesundheitspolitische Lücken in den Wahl- und Grundsatzprogrammen der Partei.
Grafik: Marius Graf, barneyboogles – Fotolia.com Bildmontage: AZ/ekr

Dennoch segeln die Piraten im Zuwachs der Wählerstimmen den etablierten Parteien weiter davon. Was die Wähler an der "Internetpartei" reizt und dass die (noch) fehlenden Inhalte durchaus auch eine Chance sein könnten, zeigte sich im Gespräch der Apotheker Zeitung mit zwei "Apothekerpiraten".

Gesundheitspolitik auf Bundesebene ...

Im aktuellen Grundsatzprogramm der Piratenpartei Deutschland findet sich wenig Gesundheitspolitisches. Lediglich die wenig reflektierte Forderung nach einer neuen Drogenpolitik, die die Freigabe "derzeit illegaler Substanzen zu therapeutischen Zwecken" und die Aufhebung der Einteilung in legale und illegale Stoffe vorsieht, tangiert das Gesundheitswesen. Die Forderung nach einer Aufhebung der Kammerpflicht wirkt angesichts der sonstigen fehlenden Vorstellungen erstaunlich konkret. Wobei die Berufsgruppe der Apotheker allerdings namentlich nicht genannt wird.

Für die Erarbeitung gesundheitspolitischer Themen ist auf Bundesebene die Arbeitsgemeinschaft (AG) Gesundheit zuständig. Derzeit werden dort das Gesamtkonzept einer solidarischen "Gesundheitsprogrammatik", der Entwurf einer Bürgerversicherung, der "Manipulationsabbau im Abrechnungswesen" und der Piratenstandpunkt zu Homöopathie und anderen alternativen Therapien diskutiert. Die von der AG Gesundheit erarbeiteten Vorschläge könnten unter Umständen in Parteiprogramme einfließen.

... und auf Landesebene

Auf Landesebene ist man da schon weiter: In Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Schleswig-Holstein findet man zumindest einen Unterpunkt Gesundheit in den Wahlprogrammen.

In Baden-Württemberg findet man – wie in Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Nordrhein-Westfalen auch – die Ablehnung der elektronischen Gesundheitskarte. Darüber hinaus stellen die Piraten sich gegen weitere Privatisierungen im Gesundheitswesen (insbesondere bei Kliniken). Sie wollen angesichts steigender psychischer Erkrankungen auslösende Faktoren erforschen lassen und die psychiatrischen Landeskliniken besser ausstatten. Außerdem sollen Vorsorgeuntersuchungen stärker gefördert werden. Die Piraten halten die Einrichtung des baden-württembergischen Krebsregisters für wichtig. Des Weiteren wollen sie sich dafür einsetzen, dass die Bedingungen in der Pflege verbessert werden. Alle Programmpunkte stehen unter der globalen Forderung nach Transparenz – auch im Gesundheitswesen.

Der Landesverband Rheinland-Pfalz fordert die Situation der Ärzte und des Pflegepersonals zu verbessern und eine generelle Pflegereform.

Die saarländischen Piraten möchten ein Ausbildungsprogramm für Notfallmediziner etablieren. Darüber hinaus fordern sie, die Praxisgebühr abzuschaffen und eine stärkere Auseinandersetzung mit dem demografischen Wandel.

In Schleswig-Holstein möchte man sich verstärkt um die Hebammen kümmern und wünscht sich eine "lokale Erstversorgung" über eine gemeindefinanzierte Pflegekraft für immobile Menschen und Familien.

Dagegen fordern die NRW-Piraten die konkrete Offenlegung der Ergebnisse pharmazeutisch-medizinischer Studien und eine Ersthelferausbildung für Schüler. Auch in Nordrhein-Westfalen sieht man Verbesserungspotenzial in der Pflege. Verbindliche Arbeitsbedingungen an Schulen sollen für Lehrer und Schüler erarbeitet werden, um gesundheitliche Folgeschäden zu verhindern. Eine spezielle Kennzeichnung von Arzneimitteln mit Suchtpotenzial und eine Aufklärungskampagne über das Missbrauchspotenzial von Methylphenidat (ADHS-Arzneimittel) sind Teil des drogenpolitischen, den Apothekenbereich aber tangierenden, Programms.

"Apothekerpiraten"

Für die Apotheken relevante Themen wurden bislang selten diskutiert. Dies könnte sich bald ändern, ginge es nach zwei Apothekern, die sich in der bundesweiten AG Gesundheit einbringen.

Apotheker Dr. Ingo Dramburg Foto: DAZ.TV

Der erste "Apothekerpirat" ist Dr. Ingo Dramburg aus Extertal in Nordrhein-Westfalen. Er ist überzeugt, dass sich mit der neuen internetaffinen Partei der Piraten die Chance bietet, Politik grundlegend mit zu beeinflussen: "Wenn man sich einbringen will, bietet sich keine andere Partei so an wie die Piraten! Jeder bekommt sehr schnell das Gefühl wirklich mitarbeiten zu können."

Er ist zwar erst seit Kurzem Mitglied, aber schon jetzt beeindruckt von der professionellen Meinungsbildung über die Kommunikation im Internet. Natürlich sei man noch weit davon entfernt apothekenrelevante Themen zu diskutieren. Derzeit würden die Piraten von den Ereignissen überrannt, die Entwicklung sei für die junge Partei zu schnell.

Dennoch ist der Apotheker begeistert von den politischen Mitgestaltungsmöglichkeiten. Dramburg hatte in den letzten Monaten mit seiner Aktion "Apothekerprotest" versucht, die Apothekenbasis gegen die aktuelle Gesundheitspolitik zu mobilisieren. Jetzt könnten vielleicht bald die von ihm initiierten Forderungen in ein Parteiprogramm einfließen.

Apotheker Thomas Luft Foto: privat

Ein weiterer Pirat ist Apotheker Thomas Luft aus Edingen-Neckarhausen, Baden-Württemberg. Gegenüber der AZ sagte er, es gebe noch keine einheitliche Linie in der Gesundheitspolitik der Piraten. Man diskutiere derzeit eher, wie eine Neuordnung des Gesundheitswesens – und hier vor allem das Krankenversicherungswesen – ausgestaltet werden könnte.

"Der ganze Verein tickt anders als die anderen Parteien", so Luft. Natürlich seien die Piraten noch in der Findungsphase, aber dieser "Versuch einer Basisdemokratie" habe ihn sehr

angesprochen. Es sei faszinierend, wie schnell diese Partei durch die neuen Kommunikationswege arbeite. Beispielhaft initiierte Luft ein sogenanntes "Piratenpad", eine Diskussionsplattform im Internet, zur Beantwortung der Fragen der Apotheker Zeitung. Dieses füllte sich – teilweise auch unter der Beobachtung der AZ-Redaktion – mit den Meinungen der Piraten.

In der letztlich parteiintern geführten Diskussion stellte sich heraus, dass die Piraten bislang keine konkrete Position pro oder kontra Apothekenketten haben.

Der Versand von Arzneimitteln wird ebenfalls kontrovers gesehen: Der Versandhandel stellt nach Meinung einiger Piraten eine gute Möglichkeit zur Versorgung strukturschwacher Gebiete dar, dieser böte jedoch derzeit nur begrenzte Leistungen im Vergleich zu einer Präsenzapotheke, die im Akutfall helfen könne. Pick-up-Stellen würden vermutlich von Piraten abgelehnt, da sie die "Gefahren von Medikamentenmissbrauch" als zu hoch ansehen.

Es wird eine spannende Arbeit für die beiden "Apothekerpiraten", ihre Positionen deutlich zu machen.

Die Piraten in Zahlen


Die Piratenpartei Deutschland wurde im September 2006 in Berlin gegründet. Sie sieht sich nach eigenen Aussagen als eine "Bürgerrechtspartei der Informationsgesellschaft" und zählt nach Angaben auf der eigenen Homepage mittlerweile 26.335 Mitglieder (Stand April 2012). Erstmals zogen Piraten 2011 in eine Landesregierung ein: Sie erreichten 8,9 Prozent in Berlin und stellen dort zurzeit 15 Abgeordnete. Im Saarland wählten 7,4 Prozent die Piraten. Vier Abgeordnete werden dort ab sofort im Landtag sitzen.

Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, erreicht die Piratenpartei derzeit bundesweit zwischen zehn und dreizehn Prozent der Wählerstimmen. Dabei sind laut einer Analyse der Saarlandwahl des Umfrageinstituts Infratest dimap (ARD DeutschlandTrend) die typischen Wähler der Piratenpartei meist unter 40 Jahre alt (48 Prozent der Piratenstimmen). Außerdem entfielen 23 Prozent aller Erstwählerstimmen auf die Piraten.

Nach Angaben von Infratest dimap sind jedoch gerade einmal 22 Prozent der Piratenwähler auch von deren Inhalten überzeugt: Die Mehrheit der Piratenwähler (72 Prozent) gibt an, die orangefarbene Partei aus Enttäuschung über andere Parteien zu wählen.


In der Rubrik "DAZ.TV" sehen Sie den "Apothekerpirat" Dr. Ingo Dramburg live im Interview, das im Rahmen des Apothekerprotests zur ApBetrO vor dem Bundesrat aufgezeichnet wurde.



AZ 2012, Nr. 17, S. 7

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