Aus Kammern und Verbänden

"Mit-Denken" – für bewussten Umgang mit Arzneimitteln

Arzneimittel lindern oder heilen Krankheiten oft mit großem Erfolg, bergen aber auch Gefahren durch unerwünschte Wirkungen wie die Abhängigkeit. In Deutschland gelten bis zu 1,9 Millionen Menschen als abhängig von Arzneimitteln, meistens von Benzodiazepinen. Das Bewusstsein dafür zu schärfen und diese Abhängigkeiten künftig möglichst zu verhindern, sind die Ziele der neuen Kampagne "Mit-Denken – Bewusster Umgang mit Medikamenten" in Hamburg.
An der Hamburger Kampagne "Mit-Denken – Bewusster Umgang mit Medikamenten" sind zahlreiche Partner aus dem gesamten Gesundheitswesen beteiligt. Foto: AK Hamburg

Am 23. Februar wurde die Kampagne mit einer Auftaktveranstaltung vor etwa 140 geladenen Gästen eröffnet. Das Projekt geht von der Hamburger Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz aus. Kooperationspartner sind die Ärztekammer Hamburg, die Apothekerkammer Hamburg, die Landesstelle für Suchtgefahren sowie mehrere Krankenversicherungen und Selbsthilfeeinrichtungen. "Mit-Denken" wirbt für den bewussten Umgang mit Arzneimitteln. Diese positiv und auffordernd formulierte Botschaft richtet sich sowohl an Ärzte und Apotheker als auch an die Verbraucher und deren Angehörige. Die Kampagne soll über Suchtgefahren aufklären, das frühzeitige Erkennen von Sucht fördern und die bestehenden Hilfsangebote bekannt machen.

Problembewusstsein schaffen

"Wir wollen Lösungen finden für die, die in eine Sucht gerutscht sind. Aber wir wollen auch, dass in Zukunft gar nicht mehr so viele Menschen abhängig werden", erklärte Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Ärztekammer Hamburg. Es gehe darum, das ärztliche Bewusstsein dafür zu schärfen, dass jede Erstverordnung von abhängig machenden Arzneimitteln gut überlegt sein sollte und jede Folgeverordnung noch besser.

"Apotheker können eine wichtige Funktion wahrnehmen, wenn sie für das Thema sensibilisiert sind", so Kai-Peter Siemsen, Vizepräsident der Apothekerkammer Hamburg. Wenn Menge oder Art der verschriebenen Präparate nicht plausibel erscheinen, sollten Apotheker Kontakt zum Verordner aufnehmen, erklärte Siemsen. Statistisch gesehen, hat jeder Apotheker mehrmals täglich Kontakt zu Patienten, die Arzneimittelmissbrauch betreiben, doch werde dieser nur zu einem kleinen Prozentsatz erkannt.

Auch viele Betroffene sind sich ihrer oft "stillen Sucht" nicht bewusst, zumal der Übergang zwischen sinnvoller Therapie und Missbrauch fließend ist. Letztlich liegt es in der Hand der Ärzte und Apotheker, bei einem Verdacht nachzufragen. Dies erfordert Sensibilität und kommunikatives Geschick. Siemsen fasste zusammen: "Medikamentenabhängigkeit ist nicht einfach zu entdecken." Zugleich verdeutlichte er die wichtige Rolle der Apotheke als niederschwelliges Beratungsangebot.

Nach Erläuterungen zu den Zielen der Kampagne wurde im zweiten Teil der Eröffnungsveranstaltung in Fachvorträgen über die Benzodiazepinabhängigkeit berichtet. Außerdem stellte Christiane Fahrmbacher-Lutz, Augsburg, die Arbeitsweise gemeinsamer Qualitätszirkel von Ärzten und Apothekern vor und machte die Vorteile dieser Zusammenarbeit deutlich. Das Konzept wird auch als mögliches Vorbild für die künftige gemeinsame Arbeit in Hamburg betrachtet.

Handlungsempfehlung zu Benzodiazepinen

Als erstes Ergebnis der Kampagne "Mit-Denken" verabschiedete eine Arbeitsgruppe von Ärztekammer, Kassenärztlicher Vereinigung und Apothekerkammer Hamburg am 23. Februar eine "gemeinsame Handlungsempfehlung" zur "Verordnung von Benzodiazepinen und deren Analoga". Darin wird den Ärzten empfohlen, sich an den "4 Ks" zu orientieren:

  • klare Indikation,
  • korrekte Dosierung,
  • kurze Anwendung und
  • kein abruptes Absetzen bei hoher Dosierung oder längerem Gebrauch.

Gemäß Arzneimittelrichtlinie ist die Anwendungsdauer von Benzodiazepinen auf vier Wochen begrenzt. Davon darf nur in dokumentierten Ausnahmefällen abgewichen werden. Langfristige Verordnungen erfordern gemäß der Handlungsempfehlung eine engmaschige Überprüfung, außerdem sollte eine zweite Meinung eingeholt werden.


Internet


Handlungsempfehlung zur "Verordnung von Benzodiazepinen und deren Analoga" im Internet: www.aerztekammer-hamburg.de/handlungsempfehlung_benzodiazepine.pdf


Die Handlungsempfehlung richtet sich auch an Apotheken. Bei Mehrfachverordnungen einzelner oder mehrerer Benzodiazepine oder deren Analoga (Zolpidem, Zopiclon, Zaleplon) kann ein Irrtum angenommen werden, insbesondere bei Verordnungen von verschiedenen Ärzten. Apotheker sollten in diesen Fällen Rücksprache halten. Wenn sich die Bedenken trotz aller Bemühungen nicht vollständig ausräumen lassen, ist die Abgabe zu verweigern. Es wird empfohlen, die Gründe der Abgabeverweigerung zu dokumentieren.


tmb



DAZ 2011, Nr. 9, S. 89

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