Fortbildungskongress

Einsatz rekombinant hergestellter Zytokine abwägen

Dr. Hans-Peter Lipp, Apotheke des Klinikums der Uni Tübingen, stellte therapeutische Wachstumsfaktoren und deren Einsatzmöglichkeiten vor. Er wies auch auf die Problematik der Biosimilars hin, die als biotechnologisch hergestellte Arzneistoffe ihre Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit gegenüber Referenzprodukten nachweisen müssen.
Dr. Hans-Peter Lipp Foto: DAZ/ck

Im Vordergrund beim Einsatz der hämatopoetischen Wachstumsfaktoren steht die Substitutionstherapie im Rahmen krankheitsbedingter (renaler Anämie) oder therapiebedingter (nach Chemotherapie) Defizite. Aus den pluripotenten Stammzellen im Knochenmark werden Vorläuferzellen (CD 34), die dann im Rahmen der Differenzierung verschiedene Wege durchlaufen können: zum einen den Lymphozytenweg hin zu T- und B-Lymphozyten zur spezifischen Immunantwort. Zum anderen den Weg zu Erythrozyten, Plättchen, Monozyten und neutrophilen Granulozyten, die Kernzellen der unspezifischen Immunabwehr. Heute hat man eine Vorstellung, wie die Wachstumsfaktoren in die Differenzierung eingreifen und die Entstehung funktionsfähiger neutrophiler Granulozyten und deren Freisetzung aus dem Knochenmark regulieren. Bekannt ist der granulozytenkoloniestimulierende Faktor (G-CSF), der für die Ausdifferenzierung zum neutrophilen Granulozyten erforderlich ist oder Erythropoetin, das für Erythrozyten eine Rolle spielt, bei den Plättchen ist Thrombopoetin ein wichtiger stimulierender Faktor.

Ausdifferenzierung der Granulozyten

Einsatzmöglichkeiten sind zum Beispiel Patienten, die eine Chemotherapie erhalten haben und deren Neutrophilenzahlen stark gesunken sind. Unter den Zyklen der Chemotherapie werden die Knochenmarkreserven regelrecht ausgewaschen. Ziel muss es sein, mit einem Wachstumsfaktor als supportive Maßnahme Dauer, Schwere und Häufigkeit einer chemotherapie-induzierten Neutropenie deutlich abzuschwächen. Nicht nur durch eine Chemotherapie, auch durch verschiedene Arzneistoffe kann eine Neutropenie induziert werden. Dazu gehören Metamizol, Ticlopidin, Thyreostatika, Clozapin, Carbamazepin, Phenytoin, Goldsalze oder Colchicin. Als Beispiel für einen humanen Granulozyten-koloniestimulierenden Faktor nannte Lipp das Filgrastim (Neupogen®), das zugelassen ist zur Verkürzung der Dauer von Neutropenien sowie zur Verminderung der Häufigkeit neutropenischen Fiebers bei Patienten, die wegen einer malignen Erkrankung mit zytotoxischer Chemotherapie behandelt werden. Ebenso stehen Lenograstim (Granocyt®), das dem natürlichen G-CSF am nächsten kommt, und Pegfilgrastim (Neulasta®) zur Verfügung. Bei Pegfilgrastim wurde erfolgreich versucht, durch eine Pegylierung die Halbwertszeit und damit den Applikationsabstand zu verlängern. Hier reicht – im Gegensatz zur täglichen Applikation von Filgrastim – eine einzige subkutane Injektion nach der Chemotherapie aus. Der Einsatz der granulozytenkoloniestimulierenden Faktoren ist evidenzbasiert und auch in die Leitlinien der entsprechenden Fachgesellschaften aufgenommen: Wenn das Risiko einer Neutropenie über 20% liegt, dann muss man sehr frühzeitig im ersten Zyklus der Chemotherapie diese Begleittherapie mit G-CSF durchführen. Im Bereich von 10 bis 20% gilt es individuelle Risikofaktoren abzuwägen, liegt das Risiko unter 10% so müssen auch pharmakoökonomische Aspekte betrachtet werden, da diese Therapie sehr teuer ist.

Generika vs. Biosimilar

Durch den Ablauf des Patentschutz werden zunehmend mit Biosimilars Nachfolgeprodukte von biotechnologisch hergestellten Arzneistoffen auf den Markt gebracht, die ihre Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit gegenüber dem jeweiligen Referenzprodukt nachgewiesen haben. Im Unterschied zu den Generika, chemisch hergestellten Arzneimitteln, ist die Herstellung von Biosimilars mit hohem Aufwand verbunden und mit üblichen niedermolekularen Generika nicht vergleichbar. Synthetisch hergestellte, generische Arzneimittel unterliegen seit Jahren in Deutschland einem etablierten Zulassungsverfahren. Hingegen ist bei der Zulassung von Biosimilars, die definitionsgemäß einem biotechnologischen Herstellungsverfahren unterliegen, ein zentrales Zulassungsverfahren über die EMA notwendig. Dieses Verfahren setzt nicht nur klinische Studien zur Pharmakokinetik und Pharmakodynamik bei gesunden Probanden, sondern auch groß angelegte Studien bei Patienten voraus, die indikationsgemäß behandelt werden. Nur wenn sich im Rahmen dieser Vergleichsstudien zwischen Biosimilar und Referenzpräparat in allen Endpunkten keine signifikanten Unterschiede ergeben, wird die Zulassung erteilt.

ck



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DAZ 2011, Nr. 7, S. 88

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