Arzneimittel und Therapie

Auf der Suche nach dem "optimalen" Impfstoff

Am Anfang stand ein Lebendimpfstoff. Dann folgten Tot-, Spalt-und Subunit-Impfstoffe. Inzwischen finden sich in manchen Vakzinen nur noch gereinigte Antigene. Alles hat Vor- und Nachteile. Und die Suche nach dem "optimalen" Impfstoff geht weiter.

Ein aufmerksamer britischer Landarzt brachte Ende des 18. Jahrhunderts die Erfolgsgeschichte des Impfens ins Rollen: Edward Jenner hatte beobachtet, dass Melkerinnen, die an harmlosen Kuhpocken erkrankt waren, gegen die tödlichen Pocken immun waren. Er "impfte" deshalb einen achtjährigen Jungen mit dem Pustelinhalt von Kuhpocken und konnte ihn so tatsächlich vor einer Pockenerkrankung schützen. Seit 1977 gelten der Erreger der "Blattern" und die Erkrankung weltweit als ausgerottet. Die erste erfolgreiche Lebendimpfung und ein Meilenstein in der medizinischen Prävention. Seither hat die Forschung neben attenuierten Lebendimpfstoffen eine Vielzahl von Vakzinen hervorgebracht, wie Totimpfstoffe, Spalt-und Subunitimpfstoffe, Virosomen oder rekombinante Impfstoffe. Doch die Wissenschaftler ruhen nicht. Zu Recht: Denn Verbesserungsbedarf gibt es noch immer, wie der Überblick von Dr. Dorothee Kieninger vom Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Mainz deutlich macht. Schwierig ist dabei oft der Spagat zwischen ausreichender Immunogenität und Verträglichkeit.


Derzeit verwendete Adjuvanzien

Beispiel
Zusammensetzung
Verwendung bzw. Wirkung
Aluminium-
hydroxid
anorganische Verbindung
Gelstruktur
Aluminiumhydroxid bindet Ag durch Absorption und setzt es langsam frei
in inaktivierten Impfstoffen (z. B. Tetanus, Diphtherie, Pertussis)
MF59
Öl-in-Wasser-Emulsion
(Squalen, Polysorbat 80,
Sorbitantrioleat)
Induktion der Chemokinproduktion, fördert Ag-Aufnahme in das regionale Lymphsystem
in Influenzaimpfstoffen (Fluad® , Focetria® , Celtura®)
AS03
Öl-in-Wasser-Emulsion
(Squalen, Polysorbat 80,
DL α-Tocopherol)
triggert Chemokin- und Cytokinproduktion,
Aktivierung von Monocyten/Makrophagen,
in pandemischen Influenzaimpfstoffen A/H1N1 (Pandemrix®)
AS04
kombiniertes Adjuvanz
Komplex aus MPL und Alu-
miniumhydroxid bzw. Alu-
miniumphosphat
Aktivierung des Toll-like-Rezeptors TLR 4
in Fendrix® (Hepatitis-B-Impfstoff,) Cervarix® (HPV-Impfstoff)
MPL
Monophosphoryl-Lipid A,
gereinigtes Derivat von Lipo-
polysacchariden aus der Zellwand von Salmonella minesota
Bestandteil von kombinierten
Adjuvanzien (Adjuvant Systems, AS)
AS02
kombiniertes Adjuvanz
Öl-in-Wasser-Emulsion, MPL
und QS21
Aktivierung der Toll-like-Rezeptoren
experimentelle Verwendung
(Malariaimpfstoff)
QS21
oberflächenaktiver Stoff
(Saponin) aus der Rinde des
südamerikanischen Seifen-
rindenbaumes
Verwendung als Matrix in sogenannten ISCOMs (immunstimulating complexes) und in den kombinierten Adjuvanzien

[Quelle: Dr. Kieninger, Universitätsklinikum Mainz]

Induktion humoraler und zellulärer Immunität

Bei attenuierten Lebendimpfstoffen (Kühlkette!) wird die Virulenz des Erregers reduziert, seine Vermehrungsfähigkeit bleibt aber erhalten. Vorwiegend richten sie sich gegen Viren, auch weil das virale Genom wesentlich simpler aufgebaut ist und deshalb abgeschwächte Virusstämme einfacher zu züchten sind als abgeschwächte Bakterienstämme. Vorteil attenuierter Lebendimpfstoffe: Sie induzieren eine hochpotente humorale und zelluläre Immunität, die meist lebenslang erhalten bleibt. Adjuvanzien sind nicht erforderlich, da der Erreger selbst "natürliche Adjuvanzien" enthält, so Kieninger. Allerdings bergen sie die Gefahr der Infektion durch die Impfung. Kieninger verwies beispielhaft auf die Impfmasern. Sie können etwa zehn Tage nach einer Masernimpfung auftreten, sind aber nicht infektiös. Umgekehrt kann es zu Durchbruchserkrankungen kommen, wenn der Erreger stark abgeschwächt wird. Erfolgreich eingesetzt werden attenuierte Lebendvakzinen gegen Masern, Mumps, Röteln und Varizellen. Die Schluckimpfung gegen Polio mit einem Lebendimpfstoff (OPV) wurde dagegen in Deutschland durch einen Totimpfstoff (IPV) ersetzt, da bei der OPV über die Ausscheidung des Erregers das Risiko einer Vakzine-assoziierten Poliomyelitis besteht.


Problem Pneumokokken


Eine besondere Herausforderung ist die Entwicklung von Impfstoffen gegen bekapselte Bakterien, wie etwa Pneumokokken. Bei Kindern ab dem zweiten Lebensjahr und bei Erwachsenen kann der 23-valente Pneumokokkensaccharidimpfstoff eingesetzt werden. Bei jüngeren Kindern lässt sich dagegen mit Polysaccharidimpfstoffen keine ausreichende Immunantwort erzielen. Der Grund: Das Immunsystem ist in diesem Alter nur eingeschränkt in der Lage, gegen bakterielle Kapselpolysaccharide mit einer IgG-Antwort und der Bildung von Gedächtniszellen zu reagieren. Werden die Pneumokokkenkapselpolysaccharide jedoch kovalent an ein Trägerprotein gebunden, also ein Pneumokokkenkonjugatimpfstoff hergestellt, lässt sich schon bei den Jüngsten eine immunologische Gedächtnisantwort induzieren und damit ein effektiver Schutz.

Bei Totimpfstoffen regelmäßig boostern

Bei Totimpfstoffen, etwa zur Prävention von FSME, Tollwut oder auch Hepatitis A, besteht das Risiko nicht. Sie sind allerdings insgesamt weniger immunogen und vermitteln in erster Linie eine humorale Immunität. Da diese nicht anhaltend ist, wird eine regelmäßige Boosterung erforderlich. Um eine ausreichende Immunantwort zu erzielen, können zudem hohe Antigenmengen erforderlich werden. Das sehr unspezifische Antigenangebot birgt auch die Gefahr von Nebenwirkungen. Kieninger verwies hier auf die Ganzkeim-Pertussis-Vakzine, die inzwischen von einem azellulären Pertussis-Impfstoff abgelöst wurde. Klarer Vorteil der Totimpfstoffe: Sie können keinen Infekt imitieren, der Erreger vermehrt sich nicht und wird nicht ausgeschieden. Totimpfstoffe können zudem auch bei Schwangeren eingesetzt werden.

Mit dem Ziel, die Verträglichkeit zu verbessern, wurden Spalt- und Subunitimpfstoffe entwickelt, durch Spaltung der gezüchteten Erreger beziehungsweise die Aufreinigung der antigenen Strukturen. Dies ermöglicht eine genauere Zusammensetzung eines Impfstoffs, der dann einen zielgerichteten Immunprozess in Gang setzen kann. Die zunehmende Reinheit, und bessere Verträglichkeit wird allerdings mit einer schlechteren Wirksamkeit bezahlt. "Wenn der ‚Erreger-Schrott‘ beseitigt wird, wird die Immunogenität des Impfstoffs schwächer", so Kieninger. Eine immer stärkere Attenuierung macht deshalb den Zusatz von Adjuvanzien notwendig um eine ausreichende Immunantwort zu induzieren. Aluminiumhydroxid, ein früher häufig verwendetes Adjuvanz, wird zunehmend durch Alternativen ersetzt. Zusätzlich zugesetztes DL-Tocopherol gilt als Adjuvanzverstärker.

Wohin geht die Entwicklung?

Die Zukunft könnte der reversen Vakzinologie gehören, also dem gezielten Einsatz gentechnisch erzeugter Proteine als Antigene, die Verwendung einzelner Gene als DNA-Vakzine sowie die Entwicklung rekombinanter Vektoren. Auch alternative Darreichungsformen werden entwickelt mit dem Ziel die Impfung schmerzfrei oder schmerzlos zu machen. Dazu gehören Nanoemulsion-basierte Vakzinen, bei denen Nanoemulsionen als Impfstoffträger verwendet werden und die intranasal appliziert werden. Der Fokus wird künftig laut Kieninger aber auch auf der Entwicklung von Impfstoffen speziell für Schwangere liegen, etwa gegen Toxoplasmose.


Quelle

Dr. Dorothee Kieninger, Mainz: Impfsymposium, Potsdam, 18. September 2010, veranstaltet von der GlaxoSmithKline GmbH, München.

17. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, Bremen, 2. bis 4. April 2010.

www.rki.de


Apothekerin Dr. Beate Fessler



DAZ 2011, Nr. 6, S. 50

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