Arzneimittel und Therapie

Achtung Wechselwirkungen

Unser Wissen über den Umfang komplementär eingesetzter Arzneimittel in der Onkologie, über deren erwünschte und unerwünschte Wirkungen sowie über ihre Interaktionen mit weiteren Arzneimitteln ist in mehrerer Hinsicht unbefriedigend. Wie kann der ratsuchende Patient in der Apotheke über das Interaktionspotenzial komplementärer Arzneimittel beraten werden? Mit diesen Fragen befasste sich Dr. Jutta Hübner, Frankfurt, beim 19. Norddeutschen Zytostatika Workshop in Hamburg-Harburg.

Das beginnt bereits mit der Definition eines komplementären Arzneimittels. In den USA fallen unter diesen Begriff neben Arzneimitteln, Diätetika, Nahrungsergänzungsmitteln etc. auch spirituelle Methoden, Entspannungstechniken und psychoonkologische Maßnahmen. In Europa fasst man den Begriff etwas enger und beschreibt damit vornehmlich Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel unterschiedlichsten Couleurs. Diese komplementär eingesetzten Mittel werden definitionsgemäß im Kontext einer schulmedizinischen Therapie angewandt und können auch mit wissenschaftlich anerkannten Methoden überprüft werden. Dies grenzt sie von alternativen Heilmitteln ab, die sich einer wissenschaftlichen Überprüfung entziehen.

Häufiger Einsatz

Die Angaben, wie oft komplementäre Arzneimittel eingesetzt werden, schwanken zwischen 20 und 90% – abhängig von der Definition eines komplementären Mittels und der Offenheit zwischen Patient und Fragendem. Frauen greifen häufiger zu komplementären Mitteln als Männer, Patienten im mittleren Alter häufiger als alte Patienten und Betroffene mit höherem Bildungsniveau häufiger als Patienten mit geringem Bildungsgrad. Die Information zu komplementären Mitteln bezieht der Betroffene vorwiegend aus Zeitschriften, jüngere Patienten zunehmend aus dem Internet oder die Information stammt aus dem sozialen Umfeld. Je ernster die Erkrankung ist, umso eher greift ein Betroffener zum komplementären Mittel. In einer aktuellen Phase-1-Studie wurde gezeigt, dass über 80% der Probanden mindestens ein Mittel der Komplementärmedizin nutzt, obwohl dies im Studienprotokoll nicht vorgesehen war. Da dies meist Substanzen mit hohem Interaktionspotenzial sind, ist dadurch eine Beeinflussung des Studienergebnisses nicht auszuschließen.

Zahlreiche Wechselwirkungen

Die Einnahme von komplementären Mitteln kann zu zahlreichen Wechselwirkungen führen. Möglich sind dabei unter anderem eine Beeinflussung gleicher Systeme, eine Hemmung oder Induktion von Cytochrom P450 (siehe Kasten "Interaktionen"), die Konkurrenz am selben Substrat, eine direkte oder indirekte Wirkung am Rezeptor, Interaktionen am Zielort, Hemmung der Apoptose oder Veränderungen bei der Resorption. Hierzu ein einfaches Beispiel aus der Praxis: Eine zytotoxische Therapie kann zu Nagelveränderungen führen und der Patient erhofft sich durch die Einnahme von Kieselgel eine Besserung. Da Kieselgel eine hohe Oberfläche aufweist, ist bei einer gleichzeitigen Einnahme oraler Zytostatika eine Veränderung der Resorption denkbar.

Neben einer möglichen Interaktion zwischen dem zytostatischen Medikament und dem komplementären Mittel können weitere Wechselwirkungen durch die gleichzeitige Einnahme zusätzlicher Medikamente eintreten. Welche klinische Relevanz diese komplexen Wechselwirkungen haben, ist in vielen Fällen noch nicht einschätzbar.

Interaktionen sind möglich: Auswahl an Interaktionen komplementärer Substanzen an CYP450 3A4


  • Onkologika

Bexaroten, Bortezomib, Busulfan, Cisplatin, Cyclophosphamid, Cytarabin, Dasatinib, Docetaxel, Doxorubicin, Erlotinib, Etoposid, Exemestan, Fulvestrant, Gefitinib, Ifosfamid, Imatinib, Irinotecan, Paclitaxel, Sorafenib, Sunitinib, Tacrolimus, Tamoxifen, Topotecan, Vinca-Alkaloide


Inhibition durch:

Allicin, Baldrian, Berberin, Boswellia, Capsaicin, Curcumin, Echinacin, Catechine aus grünem Tee, Genistein, Gamma Linolensäure, Ginkgo, Ginseng, Grapefruitsaft, Kamille, Kava-Kava, Silymarin, Quercetin (kurzfristig), Traubenkernöl


Induktion durch:

Carotin, Echinacin. Süßholzwurzel, Ginkgo, Ginseng, Grapefruitsaft, Ingwer, Johanniskraut, Kava-Kava, Knoblauch, Quercetin (langfristig), Retinol, Rutin, Vitamin C (bei Männern), Vitamin E

Chance für die Beratung

Der Wunsch eines Tumorpatienten nach einem komplementären Mittel bietet dem Apotheker Möglichkeiten zur Beratung, die auch über das Empfehlen oder Abraten des gewünschten Mittels hinausgehen. So kann ein sinnvolles Beratungsgespräch zu einer besseren Compliance führen oder dem Patienten bei der Suche nach Informationen weiterhelfen.

Doch wie geht man in der Praxis vor? Auf der einen Seite steht der Patient, mit dem Bedürfnis, aktiv etwas gegen seine Krankheit zu unternehmen, auf der anderen Seite gibt es möglicherweise Hinweise auf Interaktionen und potenzielle Risiken, deren klinische Relevanz aber nur selten bekannt ist. Was tun? Der Apotheker sollte sich einen genauen Überblick verschaffen, welche Medikamente der Patient einnimmt und welches komplementäre Mittel zusätzlich gewünscht wird. Liegen valide Daten zu Interaktionen oder unerwünschten Wirkungen vor, sollte von einer Einnahme des komplementären Arzneimittels abgeraten werden. Liegen lediglich Hinweise auf mögliche Interaktionen aus experimentellen Daten vor, kann unter Umständen ein Kompromiss gefunden werden und dem Patient soll von einem hoch dosierten Präparat abgeraten werden, der moderate Verzehr in Form eines Lebensmittels ist aber erlaubt.

Hilfreich für den Apothekenalltag ist das Zusammenstellen komplementärer Arzneimittel, die empfohlen werden können. Nicht zu vergessen sind dabei komplementäre Maßnahmen wie etwa Sport, dessen Benefit belegt ist.


Quelle

Dr. Jutta Hübner "Arzneimittelinteraktionen in der Onkologie – Achtung: Komplementärmedizin!", 19. Norddeutscher Zytostatika Workshop (NZW), 28. bis 30. Januar 2011, Hamburg-Harburg.


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

Zum Weiterlesen


Onkologie: Komplementärmedizin verbessert die Lebensqualität.

DAZ 2009, Nr. 25, S. 60 – 61



DAZ 2011, Nr. 5, S. 46

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