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Arzneimittel und Therapie
Richtiger Wirkstoff für das richtige Ziel für alle Patienten
2008 wurde weltweit bei ca. 1,6 Millionen Patienten die Diagnose Lungenkrebs gestellt, das entspricht 13% aller Krebsdiagnosen. Sowohl bei Männern als auch bei Frauen ist Lungenkrebs die führende Todesursache durch Krebs mit ca. 1,4 Millionen Todesfällen pro Jahr. Traditionell werden Bronchialkarzinome in die Subgruppen der nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinome (NSCLC), die ca. 85% der Fälle ausmachen, und kleinzellige Bronchialkarzinome differenziert. Die meisten Patienten weisen bereits bei der Diagnose eine metastasierte, unheilbare Erkrankung auf. Verbesserung der Symptomatik und Verlängerung der Überlebenszeit bei angemessener Lebensqualität stehen dann im Mittelpunkt der Therapieziele. Mit der heutigen Standardtherapie, die meist ein bis drei Therapielinien umfasst, überleben nur wenige dieser Patienten länger als zwei Jahre, die durchschnittliche Überlebenszeit beträgt neun Monate. Noch bis vor Kurzem war es üblich, sich bei der Kategorisierung der Erkrankung nur auf den histologischen Typ zu beschränken und zwischen Adenokarzinomen, Plattenepithelkarzinomen und großzelligen Karzinomen zu differenzieren. Forschungsergebnisse der letzten Zeit zeigen aber, dass man Bronchialkarzinome anhand von genetischen Veränderungen noch sehr viel weiter differenzieren kann. So sind kürzlich vom Lung Cancer Mutation Consortium (LCMC) zunächst die folgenden zehn sogenannten "driver"-Mutationen identifiziert worden, die bei zwei Dritteln aller Bronchialkarzinom-Patienten gefunden werden können: KRAS, EGFR, HER2, BRAF, PIK3CA, AKT1, NRAS, MEK1, EML4-ALK und MET-Amplifikationen (s. Abb.).
Paradigmenwechsel in der NSCLC-Therapie
Zur Behandlung des NSCLC gehören bisher Operation, Bestrahlung und Chemotherapie. Letztere wird seit einiger Zeit nach Bestimmung des EGFR-Status ergänzt durch EGFRTyrosinkinase-Inhibitoren wie Gefitinib und Erlotinib. EGFR-Mutationen kommen in 10 bis 20% der NSCLC-Tumore vor. Durch die Möglichkeiten, die die moderne Molekularbiologie bietet, sind aber in der Zukunft noch viel mehr innovative zielgerichtete therapeutische Ansätze zu erwarten.
So wurde von der FDA am 29. August 2011 auch Crizotinib (Xalkori®) zugelassen, das hochwirksam bei NSCLC-Patienten mit einer EML4-ALK-Fusion ist. Das ALK (Anaplastic Lymphoma Kinase)-Gen wurde erstmals in Lymphomen nachgewiesen, spielt aber offensichtlich auch eine bedeutende Rolle bei NSCLC, und das besonders, wenn es mit einem anderen Gen, meistens dem EML4-Gen fusioniert. Daraus entsteht das sogenannte ALK-Fusionsgen, von dem ausgehend wiederum das ALK-Fusionsprotein gebildet wird, das verantwortlich für verstärktes Tumorwachstum ist. Ungefähr 3 bis 5% der NSCLC-Patienten sind ALK-positiv und sprechen auf den ALK-Inhibitor Crizotinib mit Ansprechraten von 70 bis 80% an.
Herausforderung: frühe Bestimmung von Mutationen
Die FDA-Zulassung von Crizotinib hat die Aufmerksamkeit der Kliniker in Deutschland deutlich erhöht, die entsprechende Zulassung in Europa wird im Frühjahr 2012 erwartet. Prof. Dr. Manfred Dietel, Institut für Pathologie, Berlin, und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pathologie äußerte während des europäischen Krebskongresses, dass zum Zeitpunkt der europäischen Crizotinib-Zulassung in Deutschland auch eine flächendeckende Diagnostik durch ein ausreichendes Netz an qualifizierten Zentren zur Verfügung stände.
Weitere Medikamente zur Behandlung bei anderen Mutationen sind in Entwicklung. Letztlich wird eine Biomarker-gesteuerte Therapie nicht nur den Behandlungserfolg verbessern, sondern auch kosteneffektiv sein, da nur die Patienten mit einer bestimmten Therapie behandelt werden, die auch davon profitieren.
Das Ziel müsse sein, alle Patienten mit Bronchialkarzinomen nach der Operation routinemäßig im Hinblick auf genetische Veränderungen zu diagnostizieren, um sie dann direkt gezielt behandeln oder sie entsprechenden Studienprotokollen zuführen zu können. Ein solches Multiplex-Testing ist sicher auch übertragbar auf andere Tumorentitäten wie z. B. Darmkrebs, wo routinemäßig die KRAS-Gene überprüft werden sollten, aber auch viele andere. Was die Kosten der molekularbiologischen Testung betrifft, so konstatierte Dietel: "Wenn ein Medikament zugelassen ist, gehört der Test genauso dazu wie die Packung."
Vorgehen in der Praxis
Eine ganz wesentliche und veränderte Rolle im interdisziplinären onkologischen Team spielt ohne Zweifel nun der Pathologe, denn seine Arbeit entscheidet mit darüber, wie der Patient therapiert wird. Dietel stellte klar, dass nicht mehr nur der Biomarker im Blut nachzuweisen sei, sondern das Gewebe im Mittelpunkt stehe. Die Aufgabe des Pathologen bestehe darin, das Gewebe manuell zu mikrodissezieren bevor es detektiert werde. Ohne manuelle Mikrodissektion könne, so Dietel, die Fehlerquote nur aufgrund unzureichender Proben bis zu 8% betragen. Wegen dieser komplexen Aufgaben ist die Qualitätsüberprüfung der Pathologen besonders wichtig, weil letztlich ihre Arbeit die Entscheidung für eine be stimmte Therapie liefert. Zur Sicherung dieser Qualität bietet die Deutsche Gesellschaft für Pathologie (DGP) die Teilnahme an Ringversuchen an. Gemeinsam mit dem Bundesverband für Pathologie wurde die Qualitätssicherungs-Initiative QuIP gegründet. Durch die regelmäßige Teilnahme an Ringversuchen kann ermessen werden, ob von einem Institut reproduzierbare Ergebnisse bei der Bearbeitung von komplexen Geweben vorausgesetzt werden kann und das Institut entsprechend zertifiziert werden kann. In der Praxis kann der Kliniker auf der Homepage der DGP (www.dgp-berlin.de/) ermitteln, welches pathologische Institut für welche Mutation erfolgreich an Ringversuchen teilgenommen hat und zertifiziert ist. Natürlich ist auch eine Verschickung des Gewebes in ein solches Institut möglich.
Quelle Identification of driver mutations in tumor specimens from 1000 patients with lung adenocarcinoma: the NCI´s lung cancer mutation consortium (LCMC). M.G. Kris et al. Proceed. Am Soc Clin Oncol 2011, abstr. CRA 7506. Pfizer Oncology Symposium, 25. September 2011, European Multidisciplinary Cancer Congress, Stockholm. Interview mit Prof. Dr. Manfred Dietel, 25. September 2011, Stockholm.
Apothekerin Dr. Annette Junker
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