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Palliative Care
Helfen, wenn es keine Heilung mehr gibt
Palliativmedizin beschränkt sich nicht auf die Behandlung der körperlichen Symptome, sondern nimmt auch die psychologischen, sozialen und spirituellen Probleme der Patienten und ihrer Angehörigen auf. Deshalb ist Palliativversorgung Teamarbeit. Neben Ärzten gehören speziell ausgebildetes Pflegepersonal, Sozialarbeiter, Psychologen, Physiotherapeuten und Seelsorger zum Palliative Care Team. Im weiteren Sinn sind auch Apotheker mit in die Palliativversorgung eingebunden, vor allem mit der Bereitstellung der notwendigen Medikation, der Herstellung spezieller Rezepturen, der Unterstützung und Betreuung von pflegenden Angehörigen.
"Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt." Mahatma Ghandi |
Leben im Angesicht des Todes
Menschen, die mit Beschwerden zum Arzt gehen, erwarten meist, dass der Arzt eine Diagnose stellen kann, dass es eine Therapie für diese Krankheit gibt und sie wieder gesund werden. Gesund werden heißt bei einer chronischen Erkrankung, wie Diabetes oder Bluthochdruck, vielleicht ohne Einschränkung der Lebenszeit mit einer Diagnose und einer Behandlung leben. Gesund werden heißt vereinfacht, weiterleben, ohne an den Tod zu denken.
Viele Erkrankungen, allen voran Tumorerkrankungen, aber auch COPD und KHK, sind jedoch nur unzureichend kurativ behandelbar. Die Patienten leben beständig mit Symptomen ihrer Krankheiten. Die Erkrankungen schreiten fort. Sie verändern das Leben in der Weise, dass dem Menschen jeden Tag bewusst wird, dass das Leben endlich ist.
Mehr als 80% aller Patienten möchten ihre Diagnose wissen und möchten eine Prognose hören. Ärzte nennen dabei längst nicht immer konkrete Diagnosen und geben nur ungern Prognosen ab. Bei einigen Primärtumoren sind mit den Fortschritten der Chirurgie und Chemotherapie tatsächlich hohe Heilungschancen gegeben und die Hoffnung auf Heilung realistisch. Sobald ein metastasierender Tumor vorliegt und zusätzliche Symptome hinzukommen, sinkt allerdings die wahrscheinliche Überlebenszeit. Ein erfahrener Arzt kann sie einschätzen. Im ärztlichen Alltag herrscht ein ritualisierter Optimismus vor: "Das wird schon wieder!", "Wir kriegen Sie schon wieder hin!" oder "Wir lassen nichts unversucht!" Mögliches Sterben und naher Tod werden tabuisiert. Dabei ist eine einfühlende Aufklärung über die Schwere der Krankheit und realistische Einschätzung der Überlebenszeit sinnvoll für den betroffenen Patienten, um sein weiteres Leben möglichst vollständig und optimal zu nutzen.
Zum Leben gehört das Sterben dazu. Je älter ein Mensch ist, umso wahrscheinlicher ist, dass er sich schon Gedanken um sein eigenes Sterben gemacht hat. Dazu gehören Überlegungen, wo jemand sterben möchte – zu Hause, auf einer Palliativstation, im Krankenhaus – und in welchen Situationen – z. B. im Endstadium einer tödlichen Erkrankung, bei irreversibler Bewusstlosigkeit, bei schwerer Demenz – auf die Einleitung oder Aufrechterhaltung ärztlicher Maßnahmen, die dem Lebenserhalt oder der Lebensverlängerung dienen, verzichtet wird. Diese Überlegungen können in einer Patientenverfügung festgelegt werden. Für den Fall, dass eine Patientenverfügung nicht vorliegt, werden nahe Angehörige in den Entscheidungsprozess mit einbezogen. Eine Vorsorgevollmacht kann hier Klarheit bringen, wer die Interessen des Betroffenen im Falle seiner Nicht-Einwilligungsfähigkeit vertreten soll. 2009 trat das "Patientenverfügungsgesetz" in Kraft. Um die neue Rechtslage und neuen Vorschläge in die ärztliche Praxis umzusetzen, wurde hier ein Algorithmus zur Entscheidung für die Frage nach Beendigung bzw. Nichteinleitung lebensverlängernder Maßnahmen entwickelt.
Definitionen
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Ethische Aspekte der Palliativmedizin
Die Beendigung oder Nichteinleitung lebensverlängernder Maßnahmen bedeutet oft eine Verkürzung der Lebenszeit. Das führt zwingend immer wieder zu ethischen Problemen, da die Unterlassung von medizinischen Maßnahmen als passive Sterbehilfe bezeichnet werden kann. Man sollte hier eher von "Sterben lassen" sprechen. Es handelt sich hier eigentlich um einen Abbruch einer sterbensverlängernden Therapie. Grundlage dafür ist der tatsächliche oder mutmaßliche Wille des Patienten.
Eine aktive Sterbehilfe, das heißt das aktive, bewusste ärztliche Eingreifen zur Beendigung des Lebens auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten, als Töten auf Verlangen, ist in Deutschland verboten. Die Beihilfe zum Selbstmord steht nicht unter Strafe, ist jedoch mit dem hippokratischen Eid nicht zu vereinbaren. Palliativmediziner betrachten den geäußerten Wunsch nach dem Tod eher als Wunsch nach einem lebenswerten Leben. Sie sehen es als Aufforderung, Leiden zu lindern und das restliche Leben lebenswerter zu machen.
Von indirekter Sterbehilfe spricht man, wenn der Tod als unabsichtliche, aber als unvermeidliche Folge von hohen Dosen schmerzlindernder Medikamente eintritt. Wenn diese massive Schmerztherapie ärztlich geboten ist, dem Patientenwillen entspricht und den Tod nur "kurze Zeit" beschleunigt, wird eine Anklage wegen Todschlags aufgehoben. Allerdings ist bei den heute verfügbaren Therapien eine solche (Neben-)Wirkung vermeidbar und deshalb ethisch nicht akzeptabel.
Ziele der Palliativmedizin
Palliativmedizin ist keine Sterbemedizin. Ziel ist es, dem Patienten ein beschwerdefreies, z. B. schmerzfreies, Dasein zu ermöglichen. Palliativmedizin bejaht das Leben und ist gegen eine Verkürzung, allerdings auch gegen sinnlose Therapieversuche, die den Patienten belasten und verhindern, dass der Patient die verbleibende Lebenszeit optimal nutzen kann. Dabei muss das Selbstbestimmungsrecht des Patienten geachtet werden.
Die Leitsätze der Palliativmedizin wurden in Abständen von einigen Jahren immer wieder neu formuliert, so 1976 vom Europarat unter dem Titel "Die Rechte des Kranken und der Sterbenden", 1986 als "Deklaration der Menschenrechte Sterbender" oder 2007 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter dem Titel "Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen". Sie formuliert folgende acht Rechte: Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht
auf Hilfe zur Selbsthilfe und auf Unterstützung, um ein möglichst selbstbestimmtes und selbstständiges Leben führen zu können.
vor Gefahren für Leib und Seele geschützt zu werden.
auf Wahrung und Schutz seiner Privat- und Intimsphäre.
auf eine an seinem persönlichen Bedarf ausgerichtete gesundheitsfördernde und qualifizierte Pflege, Betreuung und Behandlung.
auf umfassende Informationen über Möglichkeiten und Angebote der Beratung, der Hilfe und Pflege sowie der Behandlung.
auf Wertschätzung, Austausch mit anderen Menschen und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
seiner Kultur und Weltanschauung entsprechend zu leben und seine Religion auszuüben.
in Würde zu sterben.
Geschichte der Palliativversorgung
Die Gründerin von Palliative Care ist Lady Cicely Saunders, eine englische Ärztin, Sozialarbeiterin und Krankenschwester. Sie eröffnete 1967 das St. Christopher’s Hospice in Sydenham, im Südosten Londons. Zu der Zeit nahmen wohl schon deutsche Ärzte und Seelsorger erste Kontakte zum britischen Hospiz auf. 1983 wurde die erste Palliativstation in Köln eröffnet, 1986 das erste deutsche Hospiz in Aachen. Seit 2007 ist die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) Pflichtleistung im Rahmen des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung.
Palliativstationen sind stationäre Einrichtungen der Palliativmedizin in Krankenhäusern. Sie dienen der akuten Palliativversorgung von Patienten mit unbehandelten schweren Symptomen, wie z. B. Schmerzen oder Atemnot. Nach einer Behandlung werden die Patienten in die häusliche Versorgung entlassen. Wenn danach eine medizinisch-pflegerische Versorgung rund um die Uhr erforderlich bleibt, kann der Patient auch in ein Hospiz verlegt werden.
Ein Hospiz ist eine stationäre Pflegeeinrichtung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Sterbende umfassend zu versorgen. Es gibt auch spezielle Kinderhospize. Hier können schwerkranke Kinder auch vorübergehend versorgt werden, um ihre betreuenden Eltern kurzfristig zu entlasten. Neben den stationären Hospizen gibt es auch ambulante Hospizdienste, die meist mit ehrenamtlichen Kräften Besuche der Sterbenden zu Hause oder in Pflegeeinrichtungen ermöglichen.
Zurzeit gibt es in Deutschland über 300 Palliativstationen und Hospize und weit über 1400 ambulante Hospizdienste. Mithilfe ihrer Dienste konnten nach einer Studie der Deutschen Hospizstiftung 2008 12,5% aller sterbenden Patienten hospizlich und palliativmedizinisch begleitet werden. Dabei schätzt man den Bedarf auf etwa 60% aller Sterbenden. Das heißt, längst noch nicht alle sterbenden Patienten erhalten die notwendige Hilfe.
Wichtig für uns Apotheker ist es, die lokalen zuständigen Versorgungsstellen zu kennen, nämlich lokale ambulante und stationäre Palliativversorgung und Hospizdienste und deren Ansprechpartner. Daneben ist es essenziell, das Spektrum und die Möglichkeiten der Palliativtherapie zu kennen, um die Patienten schnell und sicher zu versorgen, um Patienten und ihre Angehörige gut und richtig zu beraten und zu informieren und um mit den zuständigen Ärzten und Pflegeeinrichtungen gut und effektiv zusammenzuarbeiten.
Off-label-Use in der PalliativversorgungArzneimittel werden in einer Pharmakotherapie üblicherweise für die Indikation und in der Art und Weise eingesetzt, für die sie eine Zulassung haben. Unter Off-label-Use versteht man die Verordnung eines zugelassenen Fertigarzneimittels außerhalb des in der Zulassung beantragten und von den Zulassungsbehörden genehmigten Gebrauchs. Als Off-label-Use gilt die Behandlung eines Beschwerdebilds, für das keine Zulassung beantragt wurde, also eine Anwendung außerhalb der Indikation. Das gleiche gilt auch für eine Änderung der Dosierung, für eine abweichende Behandlungsdauer und auch für einen anderen Applikationsweg. So ist die subkutane Applikation vieler Arzneimittel in der Palliativversorgung ein Off-label-Use, da die Zulassung oftmals nur die intravenöse und intramuskuläre Gabe einschließt. Die Gabe von peroralen Arzneimitteln über eine Sonde ist immer Off-label-Use. Die behandelnden Ärzte haften bei Off-label-Use für die medizinische Richtigkeit beziehungsweise für eventuelle Nebenwirkungen. Die ärztlichen Fachgesellschaften empfehlen, Off-label-Verordnungen nur auf Basis von gültigen Leitlinien, Empfehlungen oder von anerkannter wissenschaftlicher Literatur durchzuführen. Die Patienten müssen über die Besonderheit der Behandlung aufgeklärt werden. Die gesetzlichen Krankenversicherungen erstatten auch Arzneimittel außerhalb der zugelassenen Indikation unter besonderen Bedingungen: 1. Vorliegen einer schwerwiegenden, lebensbedrohlichen Erkrankung, 2. Fehlen von Behandlungsalternativen, 3. Aufgrund bestehender Erfahrungen begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg, 4. Einhalten des Arzneimittelrechts, 5. Kein Verordnungsausschluss aus dem Leistungskatalog der GKV (z. B. Lifestyle-Medikamente), 6. Ausreichende Qualifikation des Arztes (Dokumentation, Kontrollen), 7. Information des Patienten. Praxisbeispiele für Off-label-Use: Buscopan/Atropin bei terminaler Rasselatmung; Midazolam: nasale Applikation; Haloperidol: bei opioidbedingter Übelkeit; Antiepileptika (Valproat, Lamotrigin, Topiramat): rekatale Applikation nach Herstellung einer Suspension; Morphin: zur Behandlung der Dyspnoe |
Aufgaben und Einbindung des Apothekers
Die palliative Versorgung kommt an einigen Stellen mit dem Aufgabenbereich des Apothekers in Kontakt. Im ambulanten Bereich wird die benötigte Medikation für Palliativpatienten auf Lager gehalten bzw. kurzfristig besorgt. Im stationären Bereich einer Palliativstation einer Klinik übernimmt diese Aufgabe die Krankenhaus-versorgende Apotheke. Die wichtigste Medikation zur Symptomenkontrolle ist die Gruppe der starken Analgetika. Daneben gibt es aber auch eine Reihe von speziellen Rezepturen, Mitteln zur Wundversorgung und z. B. Pflegehilfsmitteln.
Die Information und Beratung zu den Arzneimitteln richtet sich im ambulanten Bereich neben den Patienten häufig auf betreuende Angehörige, die ihre Fragen und Ängste haben. Information und Beratung benötigen auch Pflegekräfte z. B. in Bezug auf Sondengängigkeit von Arzneimitteln und Ärzte z. B. in Bezug auf pharmakoökonomische Aspekte der Arzneitherapie.
In Rahmen der pharmazeutischen Betreuung kann eine Medikationsplanung und -überprüfung durch den Apotheker stattfinden. Der Blick des Apothekers wird hier auf Indikation, Off-label-Use, Erstattungsfähigkeit, Neben- und Wechselwirkungen und auf die Umsetzbarkeit der medizinischen Therapie im Umfeld des Patienten gerichtet sein.
Anschrift der Verfasserin
Dr. Kirsten Lennecke, Im Osterhöfgen 8, 45549 Sprockhövel, www.lennecke-coaching.de
DAZ 2011, Nr. 45, S. 70
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