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Arzneimittel sind ein beratungsintensives Gut
Medikamente sind für viele Menschen unverzichtbar – doch sie haben auch ihre Tücken. Das wissen nicht nur Pharmazeuten. Selbst wenn sie richtig eingenommen werden, können Arzneimittel gefährlich sein, etwa im Straßenverkehr. Während hier sogar andere Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden können, spielen Menschen, die Arzneimittel missbräuchlich einnehmen, vor allem mit der eigenen Gesundheit. Das gilt auch für das vom Arzneimittelmissbrauch zu unterscheidende Doping im Wettkampfsport. All diese Aspekte kamen vergangene Woche beim Symposium von ABDA, ADAC und DOSB zur Sprache.
Grundsätzlich wird Arzneimittelmissbrauch definiert als absichtliche, dauerhafte oder sporadische, übermäßige Verwendung von Arzneimitteln mit körperlichen oder psychischen Schäden als Folge. Zudem erfolgt die Anwendung ohne medizinische Indikation. Zu unterscheiden sind Missbrauch und Sucht: Beim Missbrauch können Arzneistoffe mit aber auch ohne psychotrope Wirkung zum Einsatz kommen, bei der Sucht haben die Arzneien dagegen stets psychotrope Eigenschaften. So haben etwa Laxanzien, Diuretika, Schilddrüsen- oder Wachstumshormone zwar Missbrauchs-, aber kein Suchtpotenzial. Abhängigkeit kann dagegen bei der missbräuchlichen Einnahme von Opiaten/Opioiden, Seditiva, Tranquilizern und Stimulanzien entstehen. Was Apotheker tun können und müssen, um Missbrauch und Sucht entgegenzutreten, berichteten Prof.Dr. Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Apotheker (AMK) und Dr. Ernst Pallenbach von der ABDA (siehe hierzu auch AZ 2011, Nr. 45, S. 1).
Arzneimittel und Sport
Mit ganz anderen Substanzen haben es Sportler zu tun – und zwar nicht nur Spitzensportler. Dr. Mischa Kläber vom Institut für Sportwissenschaften an der TU Darmstadt, berichtete über den weniger gut untersuchten Medikamentenmissbrauch im Breitensport. So existieren Studien, denenzufolge bei breitensportlichen Volks- und Marathonläufen mehr als die Hälfte der Frauen (53 Prozent) und 41 Prozent der Männer zu Schmerzmitteln greifen. Kläber hat sich allerdings auf den Medikamentenmissbrauch bzw. das Doping in (kommerziellen) Fitnessstudios kapriziert. Dort habe sich über Jahrzehnte hinweg ein Sportmilieu ausdifferenziert, in dem Jugendliche, Erwachsene und Rentner trotz vieler Mahnungen und ohne medizinische Indikation auf hohem Niveau Medikamente zur sportlichen Leistungssteigerung konsumieren. Studien zufolge ist davon auszugehen, dass rund 15 Prozent der Fitnessstudio-Besucher einschlägige Erfahrungen haben. Meist beginnt die Doping-Karriere mit relativ harmlosen Nahrungsergänzungsmitteln wie Vitamin- und Aminosäurenprodukten. Wenn dann aber auf der Suche nach immer leistungsstärkeren Mitteln auch Prohormone, Creatin u. ä. konsumiert werden, lasse der Griff zu verschreibungspflichtigen Medikamenten oft nicht mehr lange auf sich warten, so Kläber. Es folgen legale Humanarzneien – nach Erfahrungen mit Ephedrin sowie Spiropent in Pillenform werden auch Anabolika injiziert. Einige User, die es sich finanziell leisten können, greifen auf Wachstumshormone zurück. Das Konsumverhalten gelangt so allmählich in die Nähe einer Sucht. In der nächsten Etappe greifen einige der Sportler – von 30 Prozent ist die Rede – zu Tierarzneien. Sie seien günstiger und leichter zu beschaffen, heißt es. Eskaliert die Situation vollends, kommen auch Betäubungsmittel zum Einsatz. Die "Karriere" der Freizeit-Doper wird in der Regel durch Netzwerke befördert, die in allen Studios auszumachen sind, erklärte Kläber. An diesen sind – oft auch außerhalb der Studios – Mediziner beteiligt, die mit dazu beitragen, dass sich die Sportler in einer "betrügerischen Scheinsicherheit" wiegen.
Ball statt Pille?
Prof. Dr. Winfried Banzer, Sportmediziner und DOSB-Beirat Sportentwicklung, brachte dagegen einen ganz anderen Aspekt ins Spiel: Sport und Bewegung können Arzneimittel vielfach ersetzen. Er verwies darauf, dass 92 Prozent (WHO 2011) der Todesfälle auf nicht-übertragbare Krankheiten zurückzuführen sind. Und hier sind in der Regel eine ganze Reihe von Risikofaktoren ausschlaggebend: Alkohol/Tabakkonsum, ungesunde Ernährung, körperliche Inaktivität – hinzu kommen erhöhter Blutdruck, erhöhte Cholesterin- und Blutzuckerwerte – all dies kann zu Fettleibigkeit und weiteren Erkrankungen führen. Dabei ist es durchaus schlüssig und durch verschiedene Studien bestätigt: Mit langfristigen Lebensstilinterventionen ist viel zu erreichen, beispielsweise in der Diabetesprävention. Wer regelmäßig aerobes Training und Krafttraining macht, kann seine kritischen Werte erheblich verbessern. Auch der Blutdruck kann durch moderates Training günstig beeinflusst werden. Diese Erfolge lassen sich mit medikamentösen Interventionen vergleichen, berichtete Banzer.
Dabei ist nicht einmal Hochleistungssport gefragt. Schon Gehen hilft: Wer mindestens zwei Stunden in der Woche geht, kann sein allgemeines und kardiovaskuläres Sterblichkeitsrisiko um 34 bzw. 39 Prozent senken, besagt eine Studie aus dem Jahr 2003. Werden es wöchentlich drei bis vier Stunden, ist das Risiko sogar nur noch halb so hoch.
Medikamente und Straßenverkehr
Ein weiterer Fokus des Symposiums lag auf dem Zusammenspiel von Arzneimitteln und Straßenverkehr. Beim Führen eines Fahrzeugs können Medikamente eine bedeutende Gefahr darstellen. Dies gilt selbst für harmlos wirkende Arzneien, etwa gegen Erkältungskrankheiten. Prof. Dr. Frank Mußhoff, Leiter des toxikologischen Labors am Institut für Rechtsmedizin an der Universität Bonn, beklagte, dass den Betroffenen meist das Problembewusstsein fehle, wenn sie verordnete Arzneimittel einnehmen und am Straßenverkehr teilnehmen. Von großer Bedeutung sei daher, dass sich Ärzte an ihre Beratungs- und Informationspflichten halten. Aber ebenso müssten sich Patienten ihrer Verpflichtung zur Eigenverantwortlichkeit und Selbstprüfung bewusst werden, beispielsweise was das genaue Lesen des Beipackzettels angeht. Auch müssten Mußhoff zufolge Polizei und Justiz über die Medikamentenproblematik aufgeklärt werden. Derzeit würden Blutentnahmen zur Überprüfung einer eventuellen Medikamenteneinnahme zu selten gemacht, meist nur nach Einlassung des Fahrers selbst. Dabei sollte das Problem nicht unterschätzt werden, so Mußhoff: "Von 400 Verkehrsteilnehmern, die ohne Alkohol einen alkoholtypischen Fahrstil zeigten, standen 360 unter Arzneimitteleinfluss."
Ulrich Klaus Becker, ADAC-Vizepräsident, berichtete, dass beim ADAC vermehrt Anrufe von Patienten zu verzeichnen seien, die unsicher sind, weil sie vom Arzt nicht über Nebenwirkungen, die sich auf ihre Fahrsicherheit im Straßenverkehr auswirken können, aufgeklärt wurden. Zwar trage jeder Fahrer grundsätzlich selbst die Verantwortung, betonte der Jurist. Dennoch sei jeder Arzt zur Aufklärung über Nebenwirkungen verpflichtet. Auch Apotheker sollten auf Beeinträchtigungen im Straßenverkehr hinweisen, da sie meist die letzte Kontaktperson sind, bevor die Einnahme des Medikaments erfolgt.
Nicht zuletzt wurde auch der Arzneimittelmissbrauch in der Bildungs- und Arbeitswelt thematisiert. Dr. Katrin Jahnsen von der Uni Bochum verwies auf den DAK Gesundheitsreport 2009. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass 4,9 Prozent der befragten DAK-Versicherten schon einmal Medikamente zur Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit oder psychischen Befindlichkeit eingenommen haben, ohne dass hierfür eine medizinische Notwendigkeit bestand. 10,5 Prozent gaben an, eine Person zu kennen, die dies bereits getan hat. Dabei zeigte sich, dass Frauen besonders bei depressiver Verstimmung und insgesamt häufiger "dopen", Männer dagegen eher bei körperlicher Kraftlosigkeit. Auch wenn Doping am Arbeitsplatz derzeit noch kein weitverbreitetes Phänomen sei – Jahnsen zufolge könnte es zukünftig zunehmen, weil die Anforderungen an uns stetig zunehmen, sowohl von außen als auch an uns selbst.
Am Ende stand ein gemeinsames Fazit: Arzneimittelmissbrauch und Doping sind gesamtgesellschaftliche Probleme. Daher müsse auch die Politik einbezogen werden.
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