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Rauschdrogen
"Krokodil" – droht ein Drogen-Tsunami?
Was ist Krokodil?
Krokodil (kurz "Krok") ist Desomorphin (Dihydrodesoxymorphin), ein Opiat, das strukturchemisch mit den bekannten Opiaten Morphin, Codein (Methoxymorphin) und Heroin (Diacetylmorphin) eng verwandt ist (s. Formeln).
Desomorphin wurde 1932 in den USA erstmals synthetisiert. Wegen seines hohen Abhängigkeitspotenzials ist es in Deutschland und Österreich als nicht verkehrsfähiges Betäubungsmittel eingestuft. Seine Verwendung als Rauschdroge ist noch jung. Von Sibirien aus, wo die Substanz 2002 erstmals auftauchte, hat sie sich inzwischen über ganz Russland und einige Anrainerstaaten verbreitet.
Woher kommt der Name Krokodil?
Die mit den Nebenprodukten der Herstellung verunreinigte Droge führt nach Injektionen zu schweren Gewebeschäden, Venenentzündungen und Nekrosen bis zur Gangrän oder Organversagen. Bereits bei der ersten Anwendung können irreversible neurologische Komplikationen, verbunden mit Leber- und Nierenversagen, auftreten. An der Injektionsstelle und ihrer Umgebung kommt es zu grünlich-grauen Verfärbungen der Haut und zu schuppig-schorfigen Läsionen. Dieses Erscheinungsbild ähnelt der Haut eines Krokodils und ist daher namengebend für diese Horrordroge geworden.
Weiterhin passt die Gefräßigkeit des Reptils zu folgendem Phänomen: Bei Gefäßverschlüssen des Krok-Users können ganze Körperteile absterben und müssen amputiert werden. Im Endstadium fällt das Fleisch buchstäblich von den Knochen.
Wie wird Krokodil illegal hergestellt?
Ausgangsprodukt der illegalen Herstellung von Desomorphin ist Codein, aus dem unter Zugabe von rotem Phosphor (z. B. aus Zündholzköpfen), Salzsäure und Iod sowie verschiedenen Lösungsmitteln Desomorphin entsteht.
Wie ist die Wirkung von Krokodil?
Das Wirkungsspektrum von Desomorphin ähnelt dem des Heroins. Es erzeugt vergleichbare Euphorieschübe, die allerdings höchstens zwei Stunden anhalten sollen. Somit steht der Abhängige unter permanentem Druck, sich erneut Desomorphin oder Ersatzdrogen ("Downer") zu beschaffen. Die damit verbundene Beschaffungskriminalität (Raub, Diebstahl u. a.) stellt ein weiteres und besonderes schwerwiegendes Problem dar.
Warum ist Krokodil für viele Drogenabhängige so attraktiv?
Der Missbrauch von Desomorphin ist gegenwärtig auf einige ehemalige Ostblockstaaten (vorwiegend Russland) beschränkt. Dort ist die Ausgangssubstanz Codein leicht zu beschaffen und unterliegt (z. B. als Antitussivum oder Bestandteil von Kombinationsanalgetika) in der Regel nicht der Verschreibungspflicht. Die "Kochrezepte" kursieren im Internet. Angeblich sollen allein im ersten Quartal 2011 in Russland 65 Millionen (!) Dosen Desomorphin sichergestellt worden sein (laut "Focus"). Offizielle Schätzungen gehen von rund 100.000 Süchtigen aus, inoffiziell rechnet man dagegen sogar mit einer Million Abhängigen. Krokodil gilt als Droge der Armen, die sich Heroin finanziell nicht leisten können. Der Preis pro Dosis beträgt nur etwa ein Zehntel einer Dosis Heroin.
Wie kann man den Missbrauch von Desomorphin erkennen und nachweisen?
Konkrete Verdachtsmomente für eine Applikation von Drogen liefert häufig bereits die Auffindungssituation einer Person. So können Medikamentenpackungen und Fixerutensilien, Injektionsstellen oder sogar Narbenstraßen sowie psychophysische Ausfälle direkt darauf hindeuten. Beim Krokodil-User dürften die bereits beschriebenen Hautveränderungen sowie ein allgemeiner körperlicher und geistiger Verfall besonders deutlich auffallen. Weiterhin kann die Opiatwirkung zu engen Pupillen (Miosis) führen, was sich ohne Geräteeinsatz erkennen lässt.
Im Rahmen von Vorproben kann zunächst auf die für Krokodil charakteristischen Nebenbestandteile wie etwa Metalle, Phosphor, Iod oder bestimmte Lösungsmittel geprüft werden. Übliche Immunoassays auf Opiate erfassen auch Desomorphin, da dieses wegen seiner Strukturähnlichkeit eine ausreichende Kreuzreaktivität für die entsprechenden Antikörper aufweist. Allerdings können die Immunoassays nicht innerhalb der einzelnen Opiate differenzieren, also beispielsweise nicht zwischen dem Arzneistoff Codein und den illegalen Rauschdrogen Desomorphin oder Heroin.
Eine Methode zur zweifelsfreien Identifizierung von Desomorphin ist die Massenspektrometrie. Ein Nachweis im Blut und Urin eines Abhängigen ist dosisabhängig zwar nur innerhalb einiger Stunden (Blut) oder Tage (Urin) möglich. Grundsätzlich ist aber festzuhalten, dass die Nachweismöglichkeiten für Desomorphin ungleich günstiger einzustufen sind als die für "Liquid Ecstasy" (γ-Hydroxybuttersäure, GHB), für das bis heute kein leicht praktikabler Screeningtest existiert.
Wie ist die Situation in Deutschland?
Anfang Oktober 2011 berichtete der leitende Arzt der Krisenhilfe Bochum, dass vier Besucher eines "Drogencafés" anlässlich einer Untersuchung "katastrophale Haut- und Weichteilschäden" aufwiesen, die selbst bei Heroinabhängigen kaum auftreten. Der Verdacht liegt nahe, dass der Missbrauch von Desomorphin inzwischen auch das Ruhrgebiet erreicht hat. Vermutlich wurde der Suchtstoff Abhängigen ohne deren Wissen als Heroin "verdealt", und in der Bochumer Szene herrschte ein "Riesenaufruhr" (laut Polizeiangaben).
Inzwischen hat sich die Lage wieder beruhigt, weil die im Landeskriminalamt Düsseldorf durchgeführte Untersuchung von neun am Bochumer Hauptbahnhof polizeilich beschlagnahmten Heroinproben nicht den Verdacht erhärteten, dass in der Bochumer Drogenszene Krokodil angeboten wird.
Mittlerweile wird allerdings auch über ähnliche Vorkommnisse in Frankfurt am Main berichtet.
Perspektiven
In der Presse zeigte man sich verständlicherweise darüber erleichtert, dass sich die schlimmsten Befürchtungen in Bochum vorerst nicht bewahrheitet haben. Man vertrat sogar die Auffassung, dass Krokodil in der Bundesrepublik Deutschland keine Chance habe, da der Ausgangsstoff Codein bei uns ja der Verschreibungspflicht unterliegt. Diesen Optimismus kann der Verfasser aufgrund seiner über 40-jährigen Berufserfahrung leider nicht ganz teilen. Er hat es erleben müssen, dass die sogenannten Rauschgiftwellen durch keine Grenzen aufzuhalten sind, erst recht nicht in der heutigen Zeit der freizügigen Reisemöglichkeiten.
Autor Prof. Dr. rer. nat. Harald Schütz, Institut für Rechtsmedizin, Frankfurter Str. 58, 35392 Gießen, E-Mail: harald.f.schuetz@forens.med.uni-giessen.de
Literaturtipp
Rechtsmedizin
Zahlreiche zusätzliche Informationen zu Drogen und allen anderen Gebieten der Rechtsmedizin sind in dem 2011 erschienenen und reichhaltig illustrierten Lehrbuch "Rechtsmedizin" von R. Dettmeyer, M.A. Verhoff und H. Schütz enthalten.
295 Seiten, 24,95 Euro
Springer Medizin Verlag, Berlin 2011
ISBN 978-3-642-16650-1
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