Feuilleton

Animalisches*

Abb. 1: Xanthonfarbstoffe

Bei Farben animalischen Ursprungs mag man zuerst an den Antiken Purpur denken, der aus Purpurschnecken gewonnen wird, oder an Cochenille und Kermes aus Schildläusen oder an die schwarze Tinte des Tintenfischs. Interessant und spannend ist aber auch die Verwendung menschlichen und tierischen Biomülls in der Manufaktur feinsten chinesischen Porzellans oder in der Textilfärberei.

Urin als Ingredienz

Die Qualität und Feinheit des chinesischen Porzellans beruht auf dem Zusatz von Harnstoff, der dem angefeuchteten Ton beigefügt wird. Dies geschieht, indem die in der Porzellanmanufaktur beschäftigten Arbeiter in die zu formende Masse hineinpinkeln. Warum das so ist, habe ich in dem Glossay "Urea" erläutert (DAZ 2007, Nr. 39, S. 99).


Urin-Küpe Lange bevor man die Zusammenhänge durchschauen konnte, hatte man empirisch die Erfahrung gemacht, dass unlösliche Farbstoffe wie Indigo mit faulendem Harn in eine fast farblose, wasserlösliche Form gebracht werden konnten, die auf das zu färbende Gut aufzieht und durch Trocknen an der Luft wieder in die farbige Form zurückverwandelt werden kann. Wenn man die im Wesentlichen aus Harn und Kochsalz bestehende Küpe der Gärung überlässt, entsteht ein reduzierend wirkendes, ammoniakalisches Milieu, also Bedingungen, die Indigo und andere Farbstoffe zu löslichen Leukobasen reduzieren.

Auch das als Orseille bezeichnete farbgebende Prinzip verschiedener Flechten wurde durch Behandeln mit Harn oder Ammoniak sowie Luft gewonnen. Um den Farbstoff zu erhalten, muss die farblose Vorstufe im alkalischen Milieu oxidiert werden.


Kuhkoten Was so anstößig anmutet, ist ein Verfahren zur Vorbehandlung von Textilien, damit sie sich besser oder überhaupt färben lassen. Dazu wird das Färbegut mehrfach mit einer Brühe getränkt, die neben Kuhmist noch Wasserglas und Kreide enthält. Die Wirkung soll auf dem Gehalt an Phosphaten beruhen, die Aluminium- und Eisensalze ausfällen, welche mit geeigneten Farbstoffen Farblacke bilden.

Auf die Verwendung von Schafsmist zur Bereitung des Türkischrotöls wurde schon hingewiesen (DAZ Nr. 26, S. 75).


Indischgelb ist ein Farbmittel, das aus dem Harn indischer Kühe gewonnen wurde, die (fast) ausschließlich mit den Blättern des Mangobaumes (Mangifera indica, Anacardiaceae) gefüttert worden waren. Das Pigment ist zwar ein Produkt eines (pathologischen) tierischen Stoffwechsels; seine Edukte sind aber pflanzlichen Ursprungs. Schließlich wurden früher auch die Blätter und die Rinde des Mangobaumes zum Gelb-Färben von Wolle benutzt. Sie enthalten die Xanthonfarbstoffe Mangiferin und Homomangiferin (Abb. 1). Bei reduziertem Trinken und Nährstoffmangel scheiden die auf Mangoblatt-Diät gesetzten Kühe einen intensiv gelben Harn aus, der durch Erhitzen aufkonzentriert wird. Dabei fällt ein gelber Farbstoff aus, der abgepresst und zu Kugeln geformt wird. Unter den Namen Piuri, Purree u. ä. kam das Pigment in den Handel, das in der Kunstmalerei häufig Verwendung fand. Bei entsprechender Erfahrung im Umgang mit den heiligen Tieren – eine Ironie des bovinen Schicksals – konnte man pro Kuh und Tag etwa 50 g des kostbaren Farbmittels gewinnen. Indischgelb ist das Magnesiumsalz oder ein Gemisch von Mg- und Ca-Salzen der Euxanthinsäure, die ihrerseits ein Glucuronid des Euxanthons darstellt (Abb. 1).

Da die Piuri-Gewinnung als Tierquälerei betrachtet werden musste, wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Fütterung von Kühen mit Mangoblättern untersagt. Ab etwa 1920 wurde Indischgelb vom Markt genommen. Ersatzfarbstoffe sind heute in erster Linie das Indanthrengelb (BASF) und das Cobaltgelb (Kaliumhexanitrocobaltat). Ein natürlicher Farbstoff, der dem Indischgelb in seinen Farbstoffqualitäten nahekommt, ist das Luteolin, das Hauptpigment des Färberwau (Reseda luteola).


Abb. 2: Antiker Purpur (oben) und seine farblose Vorstufe.

Farbstoffe aus dem Tierreich

Antiker oder Tyrischer Purpur ist ein Gemisch indigoider Farbstoffe mit 6,6’-Dibromindigo als Hauptkomponente (Abb. 2). Er wird von verschiedenen Purpurschnecken (Murex trunculus, M. brandaris, Purpura haemastoma u. a.) produziert, die im Mittelmeerraum leben, und wurde schon 1439 v. Chr. von den Phöniziern (die auch in der Hafenstadt Tyros wohnten) beschrieben. Die Schnecken scheiden im Sekret ihrer Hypobronchialdrüsen farblose 6-Bromindoxylsulfate aus (Abb. 2), die dann unter Einwirkung von Arylsulfatase, Licht und Sauerstoff die farbigen Produkte liefern.

Amerikanische Cochenille ist die Bezeichnung für die getrockneten Körper der weiblichen Nopal-Schildlaus (Dactylopius coccus), die auf Kakteen als Wirtspflanzen lebt. Hauptfarbstoff ist die Karminsäure (Abb. 3).

Neben der amerikanischen gibt es die Polnische Cochenille (Porphyrophora polonica), die auf den Wurzeln des Knäuels (Scleranthus perennis, Caryophyllaceae) lebt. Unter den farbigen Pigmenten, die das Insekt produziert, dominiert ebenfalls die Karminsäure.

Außerdem kennt man die Armenische Cochenille (Porphyrophora hameli), die an den Wurzeln und Halmen bestimmter Gräser lebt. Hauptfarbstoff ist wiederum die Karminsäure.


Abb. 3: Anthrachinonfarbstoffe

Kermes wird aus der getrockneten weiblichen Kermesschildlaus (Kermes vermilio), die auf der Kermeseiche (Quercus coccifera) lebt, gewonnen und zum Färben von Wolle und Seide verwendet. Hauptfarbstoff ist die Kermessäure (Abb. 3). Kermes hat dem Karmin- oder Karmesinrot den Namen gegeben.

Die Lackschildlaus (Kerria lacca) kann auf verschiedenen Bäumen als Wirtspflanzen leben. Das von den Weibchen ausgeschiedene Sekret wird als "Stocklack" gesammelt und ist der Rohstoff für die Herstellung von Schellack. Die farbgebenden Komponenten werden dabei ausgewaschen und dienen als Lack-Lake zum Färben von Wolle. Hauptfarbstoffe sind die wasserlöslichen Laccainsäuren A, B, C, D und E (Abb. 3).


Sepia. Zur Gewinnung des grauschwarzen Farbstoffs wird entweder die Tinte des Gemeinen Tintenfischs (Sepia officinalis) eingetrocknet oder die ganze Anhangsdrüse des Enddarms (Tintenblase) getrocknet und zu Pulver zermahlen. Sepia wird hauptsächlich in der Aquarellmalerei verwendet. Zur Reinigung kann der Farbstoff in verdünnter Kalilauge gelöst, filtriert, mit Salzsäure wieder ausgefällt und getrocknet werden. Wie die Melanine dürfte Sepia aus Tyrosin gebildet werden, das über Zwischenstufen in sauer reagierende Polymere mit Indolstrukturen als Chromophore übergeht.


Beinschwarz wird durch Verkohlen von Säugetierknochen gewonnen und dient in der Malerei als schwarzes Pigment. Wegen seiner porösen Struktur, die zu einer Vergrößerung der Oberfläche führt, wird Beinschwarz (neben der Holzkohle) auch als medizinische Kohle oder Aktivkohle (Carbo activatus) zur Adsorption von Giftstoffen im Magen-Darm-Trakt eingesetzt (Monografie im Europäischen Arzneibuch).


Elfenbeinschwarz wurde aus Elfenbeinabfällen durch Erhitzen auf 800 °C unter Luftausschluss gebrannt. Es war das wichtigste schwarze Pigment vieler alter Meister und hat deshalb heute noch eine gewisse Bedeutung bei der Bildrestaurierung.


Weiterführende Literatur


Pigment/Verfahren
Literatur

Beinkohle und
Elfenbeinkohle

Gewerbemuseum Winterthur (Hrsg.): Farbpigmente – Farbstoffe – Farbgeschichten. 2010

Cochenille und
Indischgelb

Schweppe, H.: Handbuch der Naturfarbstoffe. Landsberg 1993

Kermes

Chem. Unserer Zeit 15, 179 (1981)

Kuhkoten

Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5. Stuttgart/Leipzig 1907, S. 746

Laccainsäuren

Phytochemistry 17, 895 (1978). Tetrahedron Lett. 28, 1199 (1987)

Purpur

Naturwiss. Rundschau 38, 386 (1985). Endeavour 33, 11 – 17 (1974)

Sepia

Ullmann (4.) 11, 116


Autor
Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth, Friedrich-NaumannStr. 33, 76187 Karlsruhe
www.h-roth-kunst.com, info@h-roth-kunst.com



* Herrn Dr. Herbert Pichler in anerkennender und freundlicher Verbundenheit zum 60. Geburtstag gewidmet.




DAZ 2011, Nr. 43, S. 106

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