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Geriatrie
Schmerztherapie bei älteren Patienten
In klinischen Studien werden Patienten mit einem Alter über 65 Jahren häufig als "älter (elderly)" bezeichnet. Mit dem Begriff "hochbetagt" sind eher Menschen, die über 80 Jahre alt geworden sind, gemeint. Eine scharfe Trennung wird aber häufig in Studien nicht konsequent vollzogen, so dass die Einschlusskriterien unscharf ausfallen können.
In der Bundesrepublik Deutschland zählt ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung zu den "Älteren" und "Hochbetagten". Mit dem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit, eine chronische Erkrankung zu erleiden. Daraus können pharmakologische Behandlungen und Funktionsstörungen einzelner oder mehrerer Organsysteme resultieren. Damit steigt mit dem Alter auch die Wahrscheinlichkeit von unerwünschten Wirkungen und Komplikationen einer medikamentösen Schmerztherapie.
Alltagstaugliche Empfehlungen?
In einer niederländischen Studie wurde die Bedeutung des Apothekers bei der Identifikation von potenziellen Problemen der medikamentösen Behandlung unterstrichen [3]. Gerade bei den nicht verschreibungspflichtigen Analgetika ist die Beratung in der Apotheke die einzige Möglichkeit, Risiken der Anwendung zu erkennen und zu vermeiden.
Um das Risiko, das potenziell von der medikamentösen Schmerztherapie ausgeht, zu minimieren, empfehlen die Autoren der Priscus-Liste die Vermeidung einzelner "potenziell inadäquater Substanzen" [1]. Ist die Umsetzung der Empfehlungen der Priscus-Liste (s. Tab. im Kommentar unten) tatsächlich auch für die Schmerztherapie das geeignete Instrument zur Verbesserung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses einer medikamentösen Schmerztherapie?
Besonderheiten der Schmerztherapie im Alter
Ältere und hochbetagte Patienten haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Krankheiten, die mit chronischen Schmerzen einhergehen können. Dazu zählen z. B. die Postzosterneuralgie, die diabetische Polyneuropathie, Arthrose und Tumorerkrankungen. Die pharmakologische Behandlung dieser Schmerzen ist ein Baustein in der Behandlung, zu der aber auch chirurgische Eingriffe, nicht-pharmakologische Interventionen und Psychotherapie sowie komplementärmedizinische Verfahren gehören können.
Spezifische Erkenntnisse über Besonderheiten der Schmerztherapie bei älteren Patienten werden auf der Grundlage klinischer Studien zusammengefasst. Bei akuten Schmerzen älterer Patienten zeigte sich eine Abnahme der Opioidanforderungen mit zunehmendem Alter [4].
Bei chronischen Schmerzen wurde in mehreren Untersuchungen die Wirksamkeit von Opioiden bei älteren Patienten nachgewiesen. Buprenorphin wird von älteren und alten Patienten offenbar vertragen, ohne dass deutlich mehr Nebenwirkungen in Abhängigkeit vom Alter beobachtet wurden [5, 6]. Likar et al. fanden Hinweise darauf, dass eine Behandlung nozizeptiver Schmerzen mit Tramadol in Abhängigkeit vom Alter mit geringeren Dosierungen gleichwertige Ergebnisse ermöglicht ohne Steigerung häufiger Nebenwirkungen [7]. Die Kombination von Tramadol und Paracetamol war Placebo in der Therapie von Exazerbationen bei Arthritis überlegen [8]. Auch Hydromorphon wurde mit klinisch relevanter Analgesie bei älteren Patienten eingesetzt [9].
Wie bei jüngeren Patienten bekannt führt Piroxicam auch bei älteren Patienten zu Schädigungen der Magenschleimhaut, die ausgeprägter sind als bei Meloxicam [10]. In einer weiteren Untersuchung wurde gezeigt, dass der Cyclooxygenase-2-Hemmer Valdecoxib mit signifikant geringeren Magenschleimhautläsionen assoziiert ist als das NSAR Naproxen [11]. Der bei jüngeren Erwachsenen belegte Vorteil der gastrointestinalen Verträglichkeit scheint offenbar auch bei älteren Patienten nachweisbar. In einer Studie hatten Patienten, die antihypertensiv behandelt wurden, im Trend eine geringere Mortalität und ein höheres Blutungsrisiko, wenn gleichzeitig NSAR eingenommen wurden [12].
Die geringe Datenlage zur Schmerztherapie bei älteren Patienten macht deutlich, dass die Indikation zu einer spezifischen medikamentösen Behandlung in aller Regel auf dem Wirkungsnachweis bei jüngeren Patienten basieren muss. Abgesehen von geringeren Dosierungen, gibt es offenbar keine grundsätzlichen Differenzen der analgetischen Wirksamkeit.
Änderungen der Pharmakokinetik von Analgetika im Alter
Mit dem Alter vermindern sich Organfunktionen des Organismus. Die Zusammensetzung ändert sich zugunsten des Fettgewebes. Albumin und andere Transportproteine können vermindert sein. Die hepatische Metabolisierungsrate und die renale Ausscheidung nehmen ab. Offenbar hat die Reduktion der Nierenfunktion größere Bedeutung für die Elimination von Analgetika als Änderungen der Leberfunktion [13]. Allerdings wird auch eine gesteigerte Response des Zentralnervensystems gegenüber Opioiden diskutiert [13]. Daher ist eine Dosisreduktion bei älteren Patienten angeraten. Gibt es darüber hinaus spezifische Unterschiede zwischen einzelnen Substanzen?
PraxistippErhöhte Bioverfügbarkeit – geringere DosierungMit zunehmendem Alter und bei bekannten Organfunktionsstörungen vor allem von Leber und Nieren brauchen ältere Menschen eine geringere Dosierung von Analgetika als jüngere Erwachsene, weil die Bioverfügbarkeit der Analgetika erhöht wird. Bei einer relativen Überdosierung sind Nebenwirkungen und Komplikationen nicht überraschend. |
Nicht-Opioidanalgetika
Unter den Nicht-Opioidanalgetika werden in Deutschland Diclofenac, Ibuprofen, Metamizol und Paracetamol häufig eingesetzt. Diclofenac wird nach der oralen Gabe rasch resorbiert und im Blut an Albumin gebunden. Die Elimination erfolgt durch Konjugation in der Leber und renale Ausscheidung. Eine Änderung der Pharmakokinetik aufgrund des Alters wurde nicht gefunden [14]. Der Einfluss des Alters auf die Pharmakokinetik von Ibuprofen wurde in einer kleinen Serie untersucht [15]. Dabei zeigte sich eine altersabhängige Abnahme der Elimination bei gleichzeitiger Zunahme der Verfügbarkeit im Serum (gemessen als Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve (AUC)), die aber auch bei älteren Patienten sehr unterschiedlich ausfiel. Der Serum-Kreatinin-Wert, ein klinischer Indikator einer gestörten Nierenfunktion, war in dieser Analyse aber bei allen Patienten im Normbereich [15]. Metamizol wird bei älteren Patienten zwar gut resorbiert und erzielt die gleichen Serumspiegel wie bei jüngeren Patienten, die Eliminationshalbwertszeit ist aber von 2,5 h auf 4,5 h gesteigert [16]. Auch bei Leber- oder Niereninsuffizienz kann die Elimination von Metamizol verzögert werden [17, 18]. Paracetamol wird in Abhängigkeit vom Alter verzögert eliminiert, so dass die Exposition gegenüber der Substanz und seinen Metaboliten bei Hochbetagten um den Faktor 1,5 ansteigen kann [19, 20].
Bei Patienten mit einem erhöhten Risiko für gastro-intestinale Komplikationen einer Behandlung mit sauren nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) ist die Behandlung mit spezifischen Cyclooxygenase-2-Inhibitoren sicherer, weil sie das Risiko von Komplikationen halbieren [21]. Auf dem Markt sind Celecoxib und Etoricoxib verfügbar. Für Celecoxib wurde bei älteren Patienten eine um 40% erhöhte Serumkonzentration und eine verzögerte Elimination beschrieben [22, 23]. Eine Dosisreduktion um 50% scheint sinnvoll [22]. Für Etoricoxib wurde keine Änderung der Pharmakokinetik im Alter gefunden [24].
Opioide
Die Pharmakokinetik von Opioiden wurde in einer Übersicht von Freye zusammengefasst [25]: Danach ist die Anwendung von Opioiden im Alter regelmäßig mit einer Intensivierung und Verlängerung der analgetischen Effekte assoziiert. Der Grund für diese gesteigerte Wirkung liegt vor allem in dem verminderten initialen Verteilungsvolumen, das zu einer erhöhten zentralen Verfügbarkeit der Opioide führt. Eine Änderung der hepatischen Metabolisierung und der renalen Exkretion scheint dagegen keine typische altersbedingte Änderung der Opioidwirkungen nach sich zu ziehen. Daher wird empfohlen, mit einer Startdosis von 30 bis 50% der üblichen Angaben zu beginnen [25, 26]. Spezifische Veränderungen der Pharmakokinetik von Opioiden sind aber mit der Insuffizienz von Leber und Nieren als Begleiterkrankung möglich. Störungen der Metabolisierung und Exkretion sind zwar nicht auf ältere Patienten beschränkt, können bei multimorbiden Menschen aber gehäuft gefunden werden.
Leberfunktionsstörungen. Bei Leberfunktionsstörungen wird Tilidin vermindert in den aktiven Metaboliten Nortilidin metabolisiert und ist deshalb schlecht geeignet. Die Elimination kann reduziert sein [27]. Bei Lebermetastasen oder Leberzirrhose kann es zu einer erhöhten Bioverfügbarkeit von Morphin kommen, weil die hepatische Elimination gestört und der First-pass-Effekt vermindert sein können [27 – 30]. Fentanyl weist keine Änderung der Pharmakokinetik bei Leberfunktionsstörungen auf. Erst bei einem weitgehenden Leberversagen ist mit einer Änderung der Kinetik zu rechnen [31]. Methadon wird bei Leberinsuffizienz verzögert eliminiert. Da gleichzeitig eine verminderte Bioverfügbarkeit vorliegt, muss die Dosis nicht unbedingt reduziert werden [31]. Oxycodon weist bei Patienten mit Leberinsuffizienz eine verzögerte Elimination mit einer Verdoppelung der terminalen Eliminationshalbwertszeit auf [31]. Bei Tramadol findet sich eine erhöhte Bioverfügbarkeit und eine Reduktion der terminalen Elimination, so dass eine Dosisreduktion notwendig wird [31]. Für Hydromorphon und Buprenorphin liegen nicht genügend Daten vor [31]. Vermutlich sind beide Substanzen bei Leberfunktionsstörungen unter Dosisanpassung einsetzbar.
Nierenfunktionsstörungen. Die Nierenfunktion zeigt eine Korrelation mit dem Alter: Ab einem Alter von 70 Jahren wurde eine Abnahme der glomerulären Filtrationsrate von 1 ml/ min und Jahr beschrieben; klinisch fällt dies jedoch eher durch einen Anstieg des Serum-Harnstoffes als des Kreatinins auf und kann somit bei Routine Laborkontrollen unterschätzt werden [32].
Besonders Morphin ist bei chronischer Niereninsuffizienz nicht zuverlässig einsetzbar. Es kommt zu einer Akkumulation des aktiven Metaboliten Morphin-6-Glucuronid, was zu einer verzögert auftretenden Atemdepression führen kann [33 – 36]. Tilidin wurde bei Niereninsuffizienz problemlos eingesetzt. Für Tramadol wurde eine verzögerte Elimination beschrieben [31]. Fentanyl könnte vermindert eliminiert werden. Eine Dosisanpassung wird daher empfohlen [31, 37]. Beim Einsatz von Hydromorphon bei Patienten mit Niereninsuffizienz sollte auf eine mögliche Steigerung des neuroexzitatorischen Hydromorphon-3-Glucuronids geachtet werden [37]. Methadon sollte nur sehr zurückhaltend eingesetzt werden, weil die Datenlage bei Niereninsuffizienz unklar ist [31]. Oxycodon kann unter Dosisanpassung eingesetzt werden; die Elimination scheint vermindert zu sein [31].
Kardiovaskuläre Risiken von Nicht-Opioidanalgetika
Gerade die kardiovaskulären Risiken von Cyclooxygenase-2-Inhibitoren haben in den vergangenen Jahren eine breite Diskussion über deren Nutzen-Risiko-Verhältnis ausgelöst [38, 39]. Diese Diskussion kann an dieser Stelle nur sehr verkürzt dargestellt werden. Im Vergleich zu Placebo sind NSAR und Coxibe mit einem erhöhten Risiko kardiovaskulärer Komplikationen, z. B. Herzinfarkt, Apoplex oder periphere arterielle Verschlüsse, assoziiert [40, 41]. Für Celecoxib lag das Risiko einer schweren kardialen Komplikation bei 10/1000 Patientenjahre im Vergleich zu 12/1000 Patientenjahre bei NSAR [Moore et al., 2007]. Die Rate lag für Etoricoxib bei 9/1000 Patientenjahren im Vergleich zu 8/1000 Patientenjahren bei den verglichenen NSAR [40]. Die Daten für die Einzelsubstanzen lassen sich nur unter dem Vorbehalt vergleichen, dass Diclofenac, Ibuprofen und Naproxen in unterschiedlicher Häufigkeit als Vergleichssubstanz eingesetzt wurden. Dennoch scheint der protektive Effekt der Cyclooxygenase-2-Inhibitoren die kardiovaskulären Risiken zu überwiegen [41, 42]. Unterschiedliche Standpunkte in der Bewertung der vorliegenden Studienergebnisse führen zu mehr oder weniger positiven Bewertungen der Einzelsubstanzen. Ob hier klinisch relevante Unterschiede bestehen, kann heute nicht abschließend bewertet werden. Einigkeit besteht darin, dass NSAR und Coxibe mit einem kardiovaskulären Risiko assoziiert sind. Dabei handelt es sich aber um sehr seltene Ereignisse.
Herzinsuffizienz. Da NSAR und Cyclooxygenase-2-Inhibitoren zu einer Natrium- und Wasserretention führen können, ist die Verschlechterung einer vorbestehenden Herzinsuffizienz eine mögliche Folge der Anwendung dieser Substanzen. Der Einfluss dieser Substanzen wurde kürzlich in einer dänischen Kohortenstudie an über 100.000 Patienten untersucht, die eine akute Dekompensation der Herzleistung überlebt hatten [43]. Unter diesen Patienten wurde die Verschreibung von NSAR und Coxiben mit der Rate von Todesfällen verglichen. Es zeigte sich eine Zunahme tödlicher Verlaufe bei Patienten, denen NSAR oder Coxibe verschrieben worden waren [43]. In einer anderen Untersuchung schnitt Celecoxib besser ab als Rofecoxib [44]. Eine dekompensierte Herzinsuffizienz in der Vorgeschichte sollte eine kritische Prüfung der Indikation von NSAR und Coxiben veranlassen.
Renale Risiken. Bei Patienten ohne renale Vorerkrankung wurde ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines chronischen Nierenversagens ab 100 Tabletten Paracetamol pro Jahr, aber nicht für ASS oder NSAR gefunden [45]. Bei kurzfristigem Einsatz von Paracetamol zur postoperativen Schmerztherapie bei älteren Patienten wurde keine Beeinträchtigung der Nierenfunktion beschrieben [46].
Die regelmäßige Einnahme von Paracetamol oder Acetylsalicylsäure (ASS) bei vorbestehender Nierenerkrankung war mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines chronischen Nierenversagens assoziiert [47]. Bei älteren Menschen kann die langfristige Einnahme von Aspirin die Nierenfunktion beeinträchtigen [48].
In einer aktuellen Kohortenstudie an 19.000 Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz wurde gezeigt, dass die Einnahme von Paracetamol, ASS und klassischen NSAR mit einer Steigerung des Risikos einer terminalen Niereninsuffizienz assoziiert waren; das Risiko war: Paracetamol > Aspirin > NSAR [49]. Offenbar führen NSAR bei vorbestehender Nierenfunktionsstörung, aber nicht bei intakter Nierenfunktion, zu einer Verschlechterung der renalen Funktion [50]. Für Ibuprofen gibt es Hinweise darauf, dass das Risiko eines akuten Nierenversagens bei älteren Patienten erst ab einer Tagesdosis > 1200 mg ansteigt [51].
Für Celecoxib wurde dieser Effekt nicht gefunden [49]. Celecoxib kann zu einer Natrium- und Wasserretention führen [52]. Diclofenac führte bei Patienten zwischen 60 und 80 Jahren ohne Vorerkrankung zu einer Reduktion des Urinvolumens und der glomerulären Filtrationsrate [53], bei akuter perioperativer Gabe dagegen nicht [54].
Hepatische Risiken von Nicht-Opioidanalgetika
Die Risiken der NSAR, Coxibe sowie Paracetamol und Metamizol wurden kürzlich ausführlich besprochen und werden daher hier nicht erwähnt [21]. Eine spezifische Assoziation zwischen hepatischen Risiken und dem Alter ist im Rahmen der Recherchen für diesen Beitrag nicht nachweisbar gewesen.
Gastrointestinale Risiken von Nicht-Opioidanalgetika
Das gastrointestinale Risiko der Anwendung von NSAR und Coxiben wurde ebenfalls erst kürzlich in der DAZ 2011, Nr. 18, S. 48 ff. umfassend dargestellt [21]. Patienten in höherem Lebensalter haben ein erhöhtes Risiko gastrointestinaler Blutungen unter NSAR [55]. Unabhängig vom Lebensalter ist das Risiko für Ibuprofen und Diclofenac deutlich niedriger als von Indometacin, Naproxen und Piroxicam; noch stärker ist das Risiko von Azapropazon und Ketoprofen erhöht [56]. Hier ergibt sich bei äquivalenten Alternativen eine Möglichkeit, Substanzen zu vermeiden, um das Risiko der Schmerztherapie zu minimieren.
Neben den seltenen Komplikationen im Bereich des Herz-Kreislauf-Systems ist das gastrointestinale Risiko tatsächlich die Hauptkomplikation der Nicht-Opioidanalgetika [57]. Dazu zählt auch Paracetamol. Entgegen der verbreiteten Annahme ist Paracetamol aber nicht nebenwirkungsfrei, sondern wird mit einem dosisabhängigen Risiko gastrointestinaler Komplikationen assoziiert [58, 59]. Dem gegenüber steht eine in üblichen Dosierungen unterlegene Wirkung von Paracetamol im Vergleich zu NSAR, die sich nicht sicher von Placebo unterscheidet [60].
Organtoxizität von Opioidanalgetika
Nur wenige experimentelle Daten lassen die Vermutung zu, dass Morphin eine hepatotoxische Nebenwirkung in der Langzeitanwendung haben könnte [61 – 64]. Klinisch sind diese Befunde am Patienten nicht relevant. Eine Störung der Nierenfunktion wurde unter Opioiden bisher im Tierexperiment und einem Einzelfall beschrieben [64 – 66]. Klinisch scheint von Opioiden kein Nieren- schädigendes Potenzial auszugehen.
Analgetika und Frakturen
Knochenbrüche gehen mit starken Schmerzen einher. Da ist es völlig klar, dass Analgetika einen wichtigen Stellenwert in der Behandlung einnehmen. Berichte über eine zurückhaltende Anwendung von Opioiden bei alten Patienten werfen die Frage auf, ob dieses Vorgehen angemessen ist [67, 68]. Die fehlende Schmerztherapie wurde sogar mit einem erhöhten Risiko einer Delirentwicklung assoziiert [69].
Weitgehend unbekannt ist aber die Beobachtung, dass Analgetika das Knochenbruchrisiko und die Heilung beeinflussen könnten [70]. In einer epidemiologischen Untersuchung an über 17.000 Patienten (> 65 Jahre) unter Behandlung mit Opioiden oder Nicht-Opioidanalgetika beobachteten Miller et al. insgesamt 625 Frakturen [71]. Patienten unter Opioiden hatten ein um den Faktor 5 erhöhtes Risiko verglichen mit einer Behandlung mit Nicht-Opioidanalgetika. Das entsprach in dieser Studie einer Frakturrate von 120/1000 Patientenjahre bei den Opioiden und 25/1000 Patientenjahre für die NSAR [71]. Andererseits gibt es auch Berichte über eine Verbesserung der körperlichen Aktivität und der sozialen Kontakte, wenn ältere Patienten Opioide erhalten [79].
In einer anderen Analyse waren die Substanzen Morphin, Fentanyl, Methadon, Oxycodon, Tramadol und Codein mit einem erhöhten Risiko von Frakturen assoziiert [72]. Kein erhöhtes Frakturrisiko fand sich in dieser Studie für Buprenorphin, Dextropropoxyphen und Pethidin [72]. Interessant ist die Beobachtung, dass Dextropropoxyphen bei älteren Patienten nicht mit einer erhöhten Sedierung im Vergleich zu jüngeren einherging, weil dadurch ein geringeres Sturzrisiko erklärt werden könnte [73].
Bei Risikopatienten, z. B. mit Osteoporose können aber krankheitsspezifische Faktoren dazu beitragen, das Frakturrisiko zu erhöhen [72]. Kurz gesagt: Die Assoziation zwischen Analgetika und Knochenbruch lässt nicht in jedem Fall auf einen kausalen Zusammenhang schließen.
Experimentelle Daten haben die Gabe von Diclofenac mit einer verzögerten Knochenbruchheilung in Zusammenhang gebracht [74]. Klinisch verwenden Patienten mit gestörter Knochenbruchheilung vermehrt Analgetika; unklar ist indessen, ob die Analgetika Ursache oder Folge der gestörten Knochenbruchheilung sind [75].
Vergleich der Sicherheit von Nicht-Opioidanalgetika und Opioiden
Aus der Sicht des Klinikers werden Nicht-Opioidanalgetika mit einer guten Verträglichkeit assoziiert. Das ist vermutlich der Grund für eine geringe Abbruchrate unter der Therapie mit diesen Substanzen [76]. Opioide scheinen dagegen weniger gut vertragen zu werden, was mit einer höheren Abbruchrate der Behandlung bei Arthrose verknüpft wurde [77]. Andererseits stellt sich die Frage, ob Opioide nicht die Analgetika mit der höheren Sicherheit gerade bei längerfristiger Einnahme sind.
In einer aktuellen epidemiologischen Untersuchung wurden Komplikationen einer Schmerztherapie bei 12.840 älteren Patienten mit Arthritis analysiert [78]. Die Inzidenz von Komplikationen wurde bezogen auf 1000 Patientenjahre ermittelt. Die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse lag für NSAR bei 77 (95%-CI 63 – 92), Coxibe bei 88 (95%-CI 76 – 100) und für Opioide bei signifikant mehr als 122 (95%-CI 106 – 140). Die Inzidenz von Blutungen aus dem Magen-Darmtrakt lag für NSAR bei 21 (95%-CI 14 – 30), für Coxibe bei 12 (95%-CI 8 – 16) und Opioide überraschend bei 21 (95%-CI 16 – 27). Frakturen wurden mit 26 (95%-CI 19 – 36) bei NSAR, 19 (95%-CI 14 – 25) bei Coxiben und mit 101 (95%-CI 87 – 117) bei Opioiden angegeben. Die Gesamtmortalität lag unter NSAR bei 48 (95%-CI 37 – 60), unter Coxiben bei 47 (95%-CI 39 – 57) und unter Opioiden bei 75 (95%-CI 63 – 89). Demnach war der Einsatz von Opioiden in dieser Studie mit einer signifikant höheren Rate von kardiovaskulären Ereignissen, Frakturen und Todesfällen verknüpft als bei NSAR und Coxiben. Eine Reduktion gastrointestinaler Blutung konnte dagegen bei Opioiden nicht bestätig werden [78]. Diese überraschenden Befunde lassen den Schluss zu, dass Risiken unter der Behandlung mit Opioiden bisher nicht angemessen erfasst wurden und möglicherweise höher sind, als erwartet. Darüber hinaus wird ein Problem in der Beurteilung der Sicherheit von Analgetika deutlich: In Studien in denen jede Anwendung, auch die nicht indizierte, falsch dosierte oder inadäquat überwachte Behandlungen eingeschlossen werden, werden Fehler besonders hervorgehoben. Dabei könnte die Rate von Komplikationen nicht nur auf die Substanz, sondern auch auf die fehlerhafte Anwendung zurückzuführen sein. Hier fehlen aber zurzeit noch Daten einer differenzierten und kritischen Analyse der Qualität der Anwendung.
Zusammenfassung
Mit dem Alter ist eine Zunahme von Erkrankungen verknüpft, die mit chronischen Schmerzen einhergehen können. Die Indikation einer pharmakologischen Schmerztherapie bei älteren Patienten basiert auf Ergebnissen an jüngeren Patienten, weil Untersuchungen altersabhängiger Besonderheiten weitgehend fehlen.
Pharmakokinetische Überlegungen lassen den Schluss zu, dass bei älteren Patienten geringere Dosierungen erforderlich sind, um eine äquivalente Bioverfügbarkeit von Analgetika zu erzielen. Eine fehlende Dosisreduktion kann daher mit einer relativen Überdosierung einhergehen und die Häufung von Nebenwirkungen und Komplikationen bei älteren Patienten zum Teil erklären.
Funktionsstörungen vor allem von Nieren und Leber können weiter zu einer Verzögerung der Elimination von Analgetika beitragen und müssen bei Indikation und Dosierung beachtet werden. Ebenso sollte das Risiko einer Behandlung mit Analgetika bei der Auswahl geeigneter Substanzen im Einzelfall abgewogen werden. Der Verzicht auf eine adäquate Schmerztherapie ist jedoch keine gute Alternative.
Substanzspezifische Unterschiede sind zwar in einzelnen Untersuchungen erkennbar, umfassende Daten fehlen hier jedoch. Die Vermeidung von Einzelsubstanzen ist dann wichtig, wenn äquivalent wirksame nebenwirkungsärmere Alternativen zur Verfügung stehen.
Bei der pharmakologischen Schmerztherapie im Alter ist daher neben der Beachtung von (relativen) Kontraindikationen eine Dosisanpassung zu beachten.
Das Konzept der Vermeidung potenziell inadäquater Substanzen ist mit dem Problem behaftet, das Einzelsubstanzen mit einem erhöhten Risiko schwer zu erfassen sind. So könnte ein Risiko begünstigt werden, das bei Anpassung der Dosierung vermutlich vermeidbar wäre. Für ältere Patienten gilt auch: Die Dosis macht das Gift. Schmerztherapie bei älteren Patienten beginnt mit geringeren Dosierungen und erfordert eine engmaschigere Überwachung von Nebenwirkungen und Komplikationen.
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Autor
Dr. med. Markus Gehling
Klinikum Kassel GmbH
Mönchebergstr. 41 – 43
34125 Kassel
Kommentar
Die Priscus-Liste und die Konsequenzen für die Schmerztherapie
In der Tabelle sind Analgetika aufgelistet, die aufgrund der Priscus-Liste bei älteren Patienten vermieden werden sollten, weil sie potenziell inadäquat seien. In der Original-Liste sind Begründungen, Therapiealternativen, Maßnahmen bei Verwendung der als potenziell inadäquat eingestuften Substanzen und Hinweise auf Begleiterkrankungen mit erhöhtem Risiko zusätzlich angegeben [1].
Indometacin, Acemetacin, Ketoprofen, Phenylbutazon, Piroxicam und Meloxicam wurden wegen eines erhöhten gastrointestinalen Risikoprofils in die Priscus-Liste aufgenommen. Epidemiologische Daten bestätigen dieses Risiko (nicht nur für ältere Patienten) vor allem für Indometacin, Ketoprofen und Piroxicam. Unbeachtet blieb das ebenfalls mit einem erhöhten gastrointestinalen Risiko assoziierte Naproxen. Die genannten Substanzen können durch Paracetamol ersetzt werden. Dann wird aber regelmäßig eine geringere analgetische Wirkung hingenommen werden müssen [60]. Alternativ werden gerade in Deutschland regelmäßig Diclofenac oder Ibuprofen eingesetzt. Hier ist aber bei älteren Patienten auf eine Begrenzung der Dosierung zu achten, z. B. für Ibuprofen < 1200 mg/d und Diclofenac < 75 bis 100 mg/d.
Der COX-2-Inhibitor Etoricoxib erscheint offenbar in dieser Liste, weil in der Fachinformation darauf hingewiesen wurde, dass auch mit dieser Substanz gastrointestinale Komplikationen auftreten können. Dies trifft im Vergleich zu Placebo zu. Im Vergleich zu klassischen NSAID wird mit Etoricoxib (und auch Celecoxib) jedoch eine signifikante Reduktion der Häufigkeit gastrointestinaler Komplikationen erzielt. Bei älteren Patienten kann das Risiko gastrointestinaler Komplikationen von NSAID aufgrund von Vorerkrankungen erhöht sein. Diese Kontraindikation muss von dem substanzabhängigen Risiko unterschieden und bei der Indikationsstellung beachtet werden. Aus klinischer Sicht können auch für Cyclooxygenase-2-Inhibitoren Dosierungsgrenzen empfohlen werden, z. B. für Celecoxib 200 mg/d und Etoricoxib 30 mg/d.
Unter den Opioiden wurde Pethidin als potenziell inadäquat in die Priscus-Liste aufgenommen. Daten aus aktuellen Studien sprechen dafür, dass Morphin, Fentanyl, Methadon, Oxycodon, Tramadol und Codein aufgrund eines erhöhten Frakturrisikos eher vorsichtig eingesetzt werden sollten. Buprenorphin, Dextropropoxyphen und Pethidin schienen in diesem Zusammenhang weniger Risiken zu bergen. Offenbar sind darüber hinaus Opioide trotz der geringeren Organtoxizität dennoch mit erhöhten Risiken im Vergleich zu NSAID verknüpft. Bestätigen sich die dargestellten Befunde einer erhöhten Mortalität von Patienten unter Opioiden im Vergleich zur Behandlung mit NSAID, unterstreicht dies den abgestuften Analgetikaeinsatz beginnend mit Nicht-Opioidanalgetika.
Dr. Markus Gehling
Tab.: Übersicht: Potenziell inadäquate Analgetika | ||
Indexsubstanz |
Begründung |
vorgeschlagene Alternative |
Indometacin |
erhöhtes Risiko von GI-Blutungen oder Perforationen |
Paracetamol, Opioide, Metamizol, nicht medikamentöse Verfahren |
Acemetacin |
erhöhtes Risiko von GI-Blutungen oder Perforationen |
Paracetamol, Opioide ggf. schwächere NSAID, nicht-medikamentöse Verfahren |
Ketoprofen |
erhöhtes Risiko von GI-Blutungen oder Perforationen |
Paracetamol, Opioide, ggf. schwächere NSAID, nicht-medikamentöse Verfahren |
Phenylbutazon |
erhöhtes Risiko von GI-Blutungen oder Perforationen |
Paracetamol, Opioide, ggf. schwächere NSAID, Metamizol |
Piroxicam |
erhöhtes Risiko von GI-Blutungen oder Perforationen |
Paracetamol, Opioide, ggf. schwächere NSAID, Metamizol |
Meloxicam |
erhöhtes Risiko von GI-Blutungen oder Perforationen |
Paracetamol, Opioide, ggf. schwächere NSAID, Metamizol |
Etoricoxib |
erhöhtes Risiko von GI-Blutungen oder Perforationen, renale und kardiovaskuläre Risiken |
Paracetamol, Opioide, Koanalgetika, Antikonvulsiva bei entsprechender Symptomatik, ggf. schwächere NSAID, Metamizol, nicht-medikamentöse Verfahren |
Pethidin |
erhöhtes Delir-Risiko |
Paracetamol, andere Opioide, z. B. Tilidin/Naloxon, Morphin, Oxycodon, Buprenorphin, Hydromorphon, ggf. schwächere NSAID, Metamizol |
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