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Was hat das noch mit Pharmazie und Apotheke zu tun?

Peter Ditzel

Wenn Pharmaziestudentinnen und -studenten nach dem zweiten Staatsexamen fürs praktische Jahr in die Apotheke kommen und mit vollem Enthusiasmus und Elan den Versorgungsauftrag erfüllen und ihr Wissen einsetzen wollen, gibt es ein böses Erwachen. Ein Tag im Handverkauf und der Frust ist vorprogrammiert. Die Suche nach dem richtigen Rabattarzneimittel bestimmt das Leben in der Offizin, für Beratungen zum Arzneimittel bleibt wenig Zeit. Was heute "Pharmazie" in der Apotheke bedeutet, zeigen die letzten Tage, Monate und Jahre. Es dreht sich alles nur noch darum, wie Kunden und Krankenkassen Arzneimittel noch billiger bekommen – bis dass die Apotheke auf der Strecke bleibt.

Beispiel Metoprolol. Auch wenn ein Hersteller sein Rabattarzneimittel noch gar nicht im Handel hat, auch wenn es noch gar nicht produziert wurde, darf er dieses Präparat in die Ausschreibung geben und bei Zuschlag einen Rabattvertrag unterzeichnen. Die AOK-Verträge erlauben ihm, erst vier Monate später im Markt zu sein. Da weder Hersteller noch AOK dem Apotheker verraten, ob das Präparat schon auf dem Markt ist, muss er Bestellversuche beim Großhandel unternehmen, der ihm dann mitteilt, dass das Präparat noch nicht lieferbar ist. Der Apotheker muss ein Ersatzpräparat heraussuchen, dem Kunden das Ersatzpräparat schmackhaft machen, um ihn dann gegebenenfalls spätestens nach vier Monaten erneut umzustellen auf das nun endlich im Markt befindliche Präparat. Das ist Pharmazie à la AOK im Jahr 2011. Und sollte der Apotheker das nicht lieferbare und irrtümlich aufs Rezept gedruckte Präparat nicht korrigiert haben (durch Deckweiß und Neubedruckung), drohen ihm Retaxation und sogar eine staatsanwaltschaftliche Verfolgung. Im Fall Metoprolol hat die AOK nun erste Strafanzeigen an Apotheken herausgeschickt.

Dass die AOK nur einmal kurz über mögliche Konsequenzen aus diesem Fall nachdenkt, ist nicht zu erwarten. Die neue und mittlerweile siebte Tranche der Rabattarzneimittel, die nun ausgeschrieben wurde, umfasst gleich 105 patentfreie Wirkstoffe oder Wirkstoffkombinationen. Ausdrücklich weist der AOK-Chefverhandler Hermann sogar darauf hin, dass Unternehmen auch die Möglichkeit haben, Arzneimittel in ihr Angebot aufzunehmen, die sie aktuell noch nicht in ihrem Portfolio führen. Das Rabatt-Tohuwabohu geht also weiter.

Beispiel Abbott und ausländische Versandapotheke. Für Patienten, die am Abbott Care Patientenservice-Programm teilnehmen, bietet Abbott einen "exklusiven und kostenlosen Medikamenten-Lieferservice" nach Hause an und treibt die Patienten zur niederländischen Versandapotheke Europa Apotheek Venlo. In einem persönlichen Anschreiben erläutert Abbott die Vorzüge: Eine Gutschrift (bis zu 15 Euro für ein zuzahlungspflichtiges Arzneimittel), die mit den Zuzahlungen oder der Bestellung von freiverkäuflichen Arzneimitteln verrechnet wird. Außerdem eine Service-Garantie, d. h. Prüfung auf Interaktionen (ganz neue Idee), und eine Liefergarantie (na, wunderbar). Danke, Abbott, das ist ein Schlag ins Gesicht der deutschen Apotheke.

Beispiel OTC in der Freiwahl? Früher war alles klar: Apothekenpflichtige Arzneimittel dürfen nicht im Wege der Selbstbedienung in den Verkehr gebracht werden. Seit es den Versandhandel gibt, der quasi eine Arzneimittel-Selbstbedienung am häuslichen PC darstellt, wackelt dieses Verbot. Mit dem juristischen Winkelzug, dass der Versandhandelskunde – im Gegensatz zum Kunden einer Präsenzapotheke – in der Regel keinen Beratungsbedarf sieht, weil er das Arzneimittel beispielsweise schon kennt, konnte das Verbot bisher aufrecht erhalten werden. Jetzt will es ein Apotheker genau wissen und bot Apothekenpflichtiges in der Freiwahl an mit der Folge, dass der Fall mittlerweile beim Bundesverwaltungsgericht liegt. Diese Richter werden nun prüfen müssen, ob es in Zeiten des Versandhandels mit der Berufsfreiheit und dem Gleichheitsgebot vereinbar ist, dass die Apothekenbetriebsordnung den Verkauf von OTC-Arzneimitteln im Wege der Selbstbedienung verbietet. Sollte das Urteil pro Selbstbedienung ausgehen, könnte dies ein erster Schritt in die Richtung sein, dass OTC in den Drogeriemarkt oder gar in andere Kanäle abwandern. Schlecker, Rossmann und dm warten schon auf das Sortiment der apothekenpflichtigen Medikamente. OTC zusammen mit Pick-up-Stellen – die Apotheke light steht in den Startlöchern.

Beispiel Pick-up-Stellen. Hier bietet die Kooperation Linda gerade Schützenhilfe, Pick up zu etablieren, indem sie allen ihren Mitgliedern das Vorteil24-System schmackhaft machen will: Bald sollen alle Linda-Apotheken ihre Kunden zur niederländischen Montanus-Apotheke schicken dürfen, um dort die Arzneimittel zu bestellen. Der Kunde bekommt einen Bonus, der mit der Zuzahlung oder mit dem OTC-Einkauf in der Linda-Apotheke verrechnet wird. Der Apotheker erhält für seine Vermittlung statt der 6,05 Euro eine ordentliche Provision. Ob das alles rechtens ist? Zwei Verfahren dazu laufen bereits.

Wo ist da noch Platz für Pharmazie? Schöne neue Welt?


Peter Ditzel



DAZ 2011, Nr. 35, S. 3

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