Praxis

Sinnvoller Medikationsplan für einen Diabetiker?

Ein 88-jähriger Patient wird laut Medikationsplan (siehe Tabelle) mit mehreren Medikamenten gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes behandelt. Gibt es Interaktionen? Sind die Dosierungen sinnvoll?

Nach Durchsicht der Daten zu den verordneten Medikamenten scheint der Patient unter einer Herzinsuffizienz mit Bluthochdruck und einem Diabetes zu leiden.

Eine Bewertung kann ausschließlich aufgrund der vorliegenden Daten erfolgen, was wegen der fehlenden Kenntnis über Diagnose und klinischer Situation des Patienten nur als Hinweis verstanden werden darf, jedoch keinesfalls als Therapieanweisung.

Situation: 88 jähriger Patient mit Multimedikation für Herz/Kreislauf sowie Diabetes, dessen Diagnosen nicht bekannt sind.

Annahme: Der Patient hat eine Herzinsuffizienz mit erhöhtem Blutdruck und Diabetes mellitus. Möglicherweise liegt zudem eine eingeschränkte Nierenfunktion vor, was bei älteren Patienten über 70 Jahren meist der Fall ist und bei diesem Patienten einen zusätzlichen Risikofaktor für eine Nierenfunktionseinschränkung als Diabetesfolge darstellt.

 

Arzneiversorgungsblatt
Für: Max Mustermann
Geb.: TT.MM.JJJJ

Nepresol 50 mg
Medikamentvor/zu/nach d. Mahlzeitmorgensvormittagsmittagsnachmittagsabendsz. Nacht
Ramipril–CT 10 mg Tab 100 S101
Torem 10 Tab 100 St N3100
Moxonidin – CT 0,4 mg Film FTA 10101
Actraphane 30 Flexpen Fer10 x 3 ml1212
Digimerck 0,1 mg Tab 100 S N3100
Metoprolol Ret Ratio 200 Ret 50 S½0½
Amlodipin (Maleat) Dex 10 mg Tab 10 S½½
ASS Ratiopharm 100 mg Tab 100 S1


Kardiale Medikation und Leitlinienkonformität

Im Folgenden wird der Leitlinien-gerechte Einsatz der verordneten kardialen Medikamente analysiert:

  • ACE-Hemmer (Ramipril) sind bei Herzinsuffizienz Therapie der ersten Wahl

  • Beta-Blocker (Metoprolol) sind zusätzlich bei NYHA II-IV indiziert

  • Schleifendiuretika (Torem®) ist indiziert bei Retention / ausgeprägten Ödemen und/oder Nierenfunktionseinschränkung (GFR < 30 ml/min).

  • Digitoxin (Digimerck®) ist indiziert bei zusätzlichem tachiarrhythmischem Vorhofflimmern, welches auch eine Thrombozytenaggregationshemmung (ASS) notwendig macht.

  • Die zusätzliche Gabe eines Calcium-Antagonisten ist indiziert bei symptomatischer KHK, begleitender arterieller Hypertonie und zur Therapie pektanginöser Beschwerden. Hierbei sind allerdings ausschließlich langanflutende Dihydropyridine (Amlodipin) zu wählen. Andere Calcium-Antagonisten sind kontraindiziert. Aus pharmazeutischer Sicht ist noch darauf zu achten, dass die Tabletten (vor allem nach dem Teilen) lichtgeschützt gelagert werden, da der Wirkstoff unter Lichteinfluss zerstört wird.

Als weitere Medikation ist Moxonidin aufgeführt, ein Präparat zur Behandlung einer leichten bis mittelschweren Hypertonie, meist als Zusatzmedikation zu anderen Bluthochdruckmedikamenten genutzt. Auf dem Arzneiverordnungsplan war zudem noch handschriftlich Nepresol® (Dihydralazin) aufgeführt, ebenfalls eine Zusatzmedikation bei Hypertonie, vor allem bei Nierenbeteiligung. Bei diesem Präparat ist allerdings nicht bekannt, ob es der Patient noch bekommt. Eine Gabe beider Medikamente gleichzeitig wäre abzulehnen wegen synergistisch auftretender Wirkungen und Nebenwirkungen (Schwindel, Mundtrockenheit).

Interaktions-Check

Ein Interaktions-Check der Medikamente zeigt, dass die Medikation sorgfältig zu überwachen ist. Es bestehen Möglichkeiten der Hypoglykämie, sowie Blutdruckabfall und AV-Überleitungsschwierigkeiten. Auch die Kombination von Kaliuretika (Torem®) und Herzglykosiden (Digimerck®) birgt die Gefahr einer verstärkten Wirkung der Herzglykoside, so dass eine regelmäßige Kontrolle der Blut-elektrolyte angezeigt ist.

Überprüfung der Tagesdosierungen

Kritisch zu sehen ist bei den Medikamenten Ramipril und Moxonidin die Überschreitung der empfohlenen Tageshöchstdosen laut Herstellerangaben.

Bei Ramipril (hier: 20 mg/Tag) gilt eine Tageshöchstdosis von 10 mg, bei Niereninsuffizienz (GFR < 60 ml/min) sogar reduziert auf 5 mg. Diese ist bei diesem Patienten auch unabhängig von der Nierenfunktion deutlich überschritten. Gleiches gilt für den Wirkstoff Moxonidin. Laut Hersteller gilt eine Tageshöchstdosis von 0,6 mg, bei Niereninsuffizienz von 0,4 mg (hier verordnet: 0,8 mg/Tag). Zusätzlich ist bei Moxonidin zu beachten, dass es nicht bei Herzinsuffizienz NYHA II-IV angewendet werden darf und ebenso nicht bei Niereninsuffizienz mit einer GFR < 30 ml/min. Es wäre zu prüfen, ob dieses Medikament korrekt angewendet wird oder ob man es nicht gänzlich weglassen kann, wenn der Zielblutdruck bei etwa 150/80 mmHg liegt, wie für Patienten um 80 Jahre nach Leitlinie gefordert wird (bei Diabetes mellitus Typ II < 130/80 mmHg).

Für Digitoxin (Digimerck®) gibt die Fachinformation eine Erhaltungsdosis für Patienten über 60 Jahre von 0,07 mg an. Im vorliegenden Therapieplan ist mit 0,1 mg eine höhere Dosis verordnet.

Fazit

Zusammenfassend sehen wir eine Medikation, die auf einen herzinsuffizienten Patienten mit gleichzeitiger blutdrucksenkender Therapie bei Diabetes mellitus schließen lässt. Die therapeutischen Maßnahmen erscheinen insgesamt nachvollziehbar und evident unter der Voraussetzung der guten therapeutischen Kontrolle und Überwachung durch den Hausarzt. Die möglichen Wechselwirkungen der Medikamente sollten dem praktizierenden Arzt nicht unbekannt sein.

Die Überschreitung der Tageshöchstdosen bei drei Medikamenten (Ramipril, Moxonidin, Digitoxin) sollte unseres Erachtens nochmals ärztlich überprüft werden. Gleichzeitig empfiehlt sich eine Neubewertung der therapeutischen Maßnahmen, um vielleicht die Polymedikation reduzieren zu können.

Die Antwort kurz gefasst


Mit dem Medikationsplan wurden keine Diagnosen übermittelt, so dass die Überprüfung nur unter der Annahme von Diagnosen möglich war. Die Medikation legt nahe, dass es sich um einen Patienten mit Diabetes mellitus, Herzinsuffizienz und Hypertonie handelt.

  • Die medikamentöse Therapie ist nachvollziehbar.

  • Der Interaktionscheck deutet darauf hin, dass mit Hypoglykämien, AV-Überleitungsstörungen und Blutdruckabfall gerechnet werden muss, was eine engmaschige Kontrolle erfordert.

  • Bei Ramipril, Moxonidin und Digitoxin werden die empfohlenen Tageshöchstdosen überschritten und sollten nochmals ärztlich überprüft werden.

  • Eine Prüfung zur Reduzierung der Polymedikation wird empfohlen.



Literatur

Fachinformation, BPI Service GmbH

Internetrecherche

ABDA-Datenbank

awmf-Leitlinie S3-Leitlinie Herzinsuffizienz 10/2009

Deutsche Hochdruckliga e.V. DHL® – Deutsche Hypertoniegesellschaft: Leitlinien zur Behandlung der arteriellen Hypertonie 6/2008


Autor

Apotheker Tilmann Schöll, Schwarzwald-Baar Klinikum Villingen-Schwenningen GmbH, Vöhrenbacher Str. 23, 78050 Villingen-Schwenningen

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In regelmäßigen Abständen beantworten Apothekerinnen und Apotheker des Regionalen Arzneimittelinformationszentrums der LAK Baden Württemberg, Schwarzwald-Baar Klinikum Villingen-Schwenningen, in der Rubrik "Fragen aus der Praxis" klinisch-pharmazeutische und pharmakologische Fragen. Apothekerinnen des Instituts für Sozialpolitik in Bremen erörtern in dieser Rubrik Probleme, die sich aus den Regelungen zur Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln, Medizinprodukten und Hilfsmitteln für gesetzlich Versicherte ergeben.

Die Rubrik "Fragen aus der Praxis" soll aber darüber hinaus auch ein Forum für DAZ-Leser sein. Gerne können Sie sich mit Fragen an uns wenden, gerne veröffentlichen wir Ihre Antworten zu interessanten Anfragen Ihrer Ärzte und Patienten. Nehmen Sie einfach Kontakt mit uns auf, z. B. mit einer Mail an daz@deutscher-apotheker-verlag.de.



DAZ 2011, Nr. 30, S. 48

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