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- DAZ 30/2011
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Phytotherapie
Bockshornkleesamen
Die Erkenntnis, dass aus kontaminierten Bockshornkleesamen gezogene Sprossen mit großer Wahrscheinlichkeit für die schweren EHEC-Fälle in Deutschland und Frankreich im Mai und Juni 2011 verantwortlich sind, hat die Aufmerksamkeit auf diese Samen gelenkt. Ihre Bedeutung im Lebensmittelbereich ist beachtlich; zwischen Dezember 2009 und Februar 2011 hat Deutschland allein aus Ägypten 37 Tonnen Bockshornkleesamen importiert [1].
Kultur- und Arzneipflanze
Bockhornklee oder Griechisches Heu (Trigonella foenum-graecum L., Fabaceae) ist ein bis etwa 60 cm hoch werdendes einjähriges Kraut, das vermutlich im östlichen Mittelmeerraum beheimatet ist. Es zählt zu den ältesten Kultur- und Arzneipflanzen; verwendet werden primär die Samen (Abb. 1), aber auch die Blätter. Die Pflanze wird vor allem in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens, in Marokko, China, aber auch in Südfrankreich, Griechenland, der Ukraine, Kalifornien und Argentinien angebaut. Die Hauptlieferländer für die Samen sind heute Indien, China, Marokko, Ägypten und die Türkei [2, 3].
Verwendung als Lebensmittel
Sowohl die Samen als auch die Blätter des Bockshornklees stellen in der asiatischen, nordafrikanischen und südeuropäischen Küche beliebte Zutaten dar und werden vielfältig verwendet, z. B. die Blätter als Gemüse, die gerösteten Samen in Currys und Chutneys, Suppen und Gemüsegerichten, Fisch- und Fleischgerichten, Getränken und als Mehl für Backwaren [2]. Dagegen wird der Großteil der Samen hierzulande in der Lebensmittelindustrie verarbeitet, wobei die Produktion von Sprossen eher von untergeordneter Bedeutung ist.
Eine große Rolle spielt das Samenpulver in der Herstellung von Gewürzmischungen; es ist ein typischer Bestandteil von Currypulvern [4], wird aber auch "pur" als Würzpulver angeboten. Ferner findet man es als Zutat in zahlreichen Senfspezialitäten. Extrakte aus den Samen werden als Geschmacksstoff auch Würzsoßen wie Soja- und Fischsoßen zugesetzt [1]. In Schnittkäse dient der Zusatz von Bockshornkleesamen dazu, dem Käse eine nussige Note zu verleihen. Darüber hinaus sind Erzeugnisse aus Bockshornkleesamen in Tees wie etwa "Stilltees" enthalten und werden zunehmend auch als Nahrungsergänzungsmittel angeboten.
Traditionelle medizinische Anwendungen
Die Nutzung von Bockshornkleesamen für gesundheitliche Zwecke hat in Indien und Nordafrika eine lange Tradition.
Sie reicht von der Anwendung in der Schwangerschaft, Geburtshilfe und Stillzeit über den Einsatz bei Hautleiden, Magen-Darm-Beschwerden, Beinödemen bis hin zur Verwendung als Tonikum, Aphrodisiakum und Mittel gegen Haarausfall [4 – 6]. An den Laien adressierte Beschreibungen wie beispielsweise auf der "Bockshornsamen"-Website [7] lesen sich wie ein Kräuterbuch des Mittelalters; die Droge avanciert zum wahren "Wundermittel", das selbst die Nahrungsergänzungsmittel mit ihren Gesundheitsansprüchen in den Schatten stellt.
In der Ayurveda-Medizin werden Bockshornkleesamen bei Arthritis, Spondylose und als Adjuvans bei Diabetes mellitus and Hyperlipidämie eingesetzt [8].
Im deutschsprachigen Raum wurden Heilwirkungen von Bockshornkleesamen erstmals von Hildegard von Bingen beschrieben. Sebastian Kneipp war von den Wirkungen der Droge überzeugt und hat sich engagiert für ihre medizinische Nutzung eingesetzt. In den letzten 50 Jahren hatten Bockshornkleesamen in der deutschen Phytotherapie jedoch keinen großen Stellenwert, und derzeit gibt es kein die Droge enthaltendes Fertigarzneimittel [5].
In Frankreich, Polen und Spanien hingegen sind Bockshornkleesamenpräparate seit vielen Jahrzehnten als Arzneimittel und in Belgien und Italien als Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt [5].
Sie werden innerlich zur Appetitsteigerung und äußerlich bei Entzündungen der Haut eingesetzt. Nahrungsergänzungsmittel werden zusätzlich als Adjuvanzien bei Diabetes mellitus und Hyperlipidämien angepriesen (s. Kasten).
Inhaltsstoffe und Pharmakologie
Bockshornkleesamen enthalten 23 bis 30% Proteine, 6 bis 10% Lipide und 25 bis 40% Schleimpolysaccharide. Charakteristische Inhaltsstoffe sind 1,2 bis 3,0% Steroidsaponine, die freie Aminosäure 4-Hydroxyisoleucin und 0,2 bis 0,4% Trigonellin. Ferner kommen etwa 0,015% ätherisches Öl und andere sekundäre Metaboliten vor.
Bei den Schleimpolysacchariden handelt es sich um Galaktomannane. Sie sind in den Zellwänden des Endosperms lokalisiert und dienen als Reservestoffe. Ihre Hauptkette besteht aus β-(1→4)-glykosidisch gebundenen D-Mannoseeinheiten, die gelegentlich mit α-(1→6)-glykosidisch gebundenen, kürzeren D-Galaktoseketten verzweigt sind [3]. In diversen Tierversuchen zeigte die Polysaccharidfraktion Blutzucker- und Cholesterinspiegel-senkende Effekte, die vermutlich auf einer verminderten Resorption beruhen [3 – 6]. Dies steht im Einklang mit der Wirkung von Guar, dem zu 80 bis 95% aus Galaktomannanen bestehenden, gemahlenen Endosperm der Guarbohne (Cyamopsis tetragonolobus). Guar Verlan® ist als einziges pflanzliches Arzneimittel für die Zusatztherapie von Diabetes mellitus und Hypercholesterinämie zugelassen.
Untersuchungen mit ethanolischen Extrakten, die frei von Galaktomannan sind, belegen, dass auch die Steroidsaponine, 4-Hydroxyisoleucin oder andere Stoffe wesentlich an den hypoglykämischen und hypolipidämischen Wirkungen beteiligt sind [4].
Genuin liegen die Steroidsaponine als bitter schmeckende bisdesmosidische Furostanolglykoside (z. B. Trigofoenosid A) vor, deren Zuckerbausteine vor allem Glucose und Rhamnose sind (Abb. 2). Ihre beiden häufigsten Aglyka oder Sapogenine (> 95%) sind Diosgenin, das auch in Yamswurzeln (Dioscorea spp.) enthalten ist und als Ausgangsstoff für die industrielle Partialsynthese von Steroidhormonen dient, und dessen 25(–)-Epimer Yamogenin.
Daneben sind die Sapogenine auch mit Peptiden verestert. Foenugraecin ist ein Ester von Diosgenin mit einem Peptid, das hauptsächlich die Aminosäure Isoleucin enthält, denn bei der Hydrolyse fand man zwei Dipeptide mit Isoleucin-Bausteinen und drei isomere Hydroxyisoleucinlactone (Abb. 2).
Dass Sapogenine die Gallensekretion steigern, ist eine plausible, allerdings nicht bewiesene Erklärung für die lipidspiegelsenkende Wirkung ethanolischer Trigonella-Extrakte. Bezüglich der hypoglykämischen Wirkung werden verschiedene Mechanismen und als verantwortliche Komponenten neben den Saponinen zunehmend das 4-Hydroxyisoleucin diskutiert [4 – 6]. Für die β-verzweigte Aminosäure wurden u. a. folgende Effekte nachgewiesen [9]:
Stimulation der Glucose-abhängigen Insulinsekretion durch direkte Wirkung auf die Inselzellen des Pankreas,
Reduktion der Insulinresistenz in Muskeln und Leber durch Aktivierung einer Insulinrezeptor-assoziierten Kinase,
Erniedrigung erhöhter Insulin- und Glucosespiegel,
Reduktion des Körpergewichtes adipöser Mäuse und
Erniedrigung erhöhter Triglycerid- und Gesamtcholesterinspiegel bei Hamstern mit Diabetes.
Lipidextrakte von Bockshornkleesamen zeigten keine relevanten pharmakologischen Effekte.
Tab.: Indikationen, Anwendungsarten und Dosierungen der Bockshornkleesamen gemäß den Monografien von Kommission E (1. 2. 1990), ESCOP (1999) und HMPC (27. 1. 2011) | |||
Kommission E | ESCOP | HMPC (EMA) | |
Indikationen für innerliche Anwendung | Appetitlosigkeit | 1. Appetitlosigkeit 2. adjuvant bei Diabetes mellitus 3. adjuvant in Verbindung mit Diät bei leichter bis mäßiger Hypercholesterinämie | traditionelle Anwendung*: vorübergehende Appetitlosigkeit |
~äußerliche Anwendung | lokale Entzündungen | Furunkel, Geschwüre, Ekzeme | traditionelle Anwendung*: symptomatische Behandlung kleinerer Hautentzündungen |
Oralia: Zubereitung und Dosierung | zerkleinerte Droge**: 6 g DÄ täglich | gepulverte Droge**: 1. 1–6 g DÄ bis 3-mal täglich mit Wasser vor den Mahlzeiten 2. 25 g DÄ täglich 3. 25 g DÄ täglich | - Teezubereitung: 1–6 g DÄ täglich - FAM mit Trockenextrakt (DEV 4:1, EM Ethanol 20% v/v): 295 mg Extrakt, 2-mal täglich - FAM mit Dickextrakt (DEV 5–6:1, EM Ethanol 60% v/v): 500 mg Extrakt, 2-mal täglich |
Externa: Zubereitung | Dekokt (50 g gepulverte Droge mit 250 ml Wasser 5 min kochen) → feucht-warmer Breiumschlag | Infus der Droge (50 g Droge / 250 ml Wasser) → feucht-warmer Breiumschlag | |
Abkürzungen: DÄ = Drogenäquivalent; FAM = Fertigarzneimittel; DEV = Droge-Extrakt-Verhältnis; EM = Extraktionsmittel * Pflichtangabe: Das Arzneimittel ist ein traditionelles Arzneimittel, das ausschließlich aufgrund langjähriger Anwendung für das Anwendungsgebiet registriert ist. ** oder andere Zubereitungen |
Trigonellin, das Betain der N‑Methylnicotinsäure, ist ein charakteristischer, aber wohl pharmakologisch unwirksamer Inhaltsstoff (Abb. 3). Für den typischen Geruch der Droge sind die geringen Mengen (< 0,01%) an ätherischem Öl verantwortlich, insbesondere das Sotolon genannte 3-Hydroxy-4,5-dimethyl-2(5H)-furanon.
Monografien und klinische Evidenz
Zur medizinischen Anwendung von Bockshornkleesamen existieren drei Monografien, und zwar die der Kommission E von 1990, die der ESCOP (European Scientific Cooperative on Phytotherapy) von 1999 und das "Community Herbal Monograph" des HMPC (Committee on Herbal Medicinal Products of EMA) (HMPC-Monografie) von 2011 (Tab.) [5, 6, 12]. Sie spiegeln den jeweiligen Stand der Wissenschaft wider, zeigen aber auch deutlich, dass bei der Erstellung der offiziellen Monografien der EMA strenge Maßstäbe bezüglich Wirksamkeit und Sicherheit angelegt werden.
Auf der Basis einiger humanpharmakologischer und klinischer Studien aus den 90er Jahren wurden in der ESCOP-Monografie die Indikationen um die adjuvante Therapie bei Diabetes mellitus und bei leichter bis mäßiger Hypercholesterinämie erweitert. In der aktuellen HMPC-Monografie ist nun ein großer Rückschritt zu verzeichnen: Die bis 2010 vorliegende klinische Evidenz zu diesen beiden Anwendungsgebieten wird als nicht ausreichend für einen "well-established use" angesehen; auch das Zugeständnis einer traditionelle Anwendung scheidet aus, da es kein Präparat in der EU gibt, das seit mindestens 30 Jahren entsprechend eingesetzt wird. Für die Anwendung bei Appetitlosigkeit und Entzündungen der Haut existieren keinerlei klinische Studien – sogar die präklinische Datenlage ist dürftig –, allerdings ist hier die lange Tradition eindeutig belegt [5]. Da bei wiederholter Anwendung eine Sensibilisierung erfolgen und zu unerwünschten Hautreaktionen führen kann, ist die topische Anwendung jedoch als kritisch anzusehen.
Es gibt zwar inzwischen eine ganze Reihe von klinischen Studien zur Anwendung von Bockshornkleesamen bei Diabetes mellitus und Hyperlipidämie, aber sie sind allesamt nur klein (meist unter 26, maximal 69 Teilnehmer), häufig methodisch unzureichend (de facto z. B. nur Fallserien), in ihren Studienendpunkten unterschiedlich und selbst bei vergleichbaren Bedingungen in ihren Ergebnissen manchmal widersprüchlich. Da auch die jeweils eingesetzten Zubereitungen und Dosierungen sehr heterogen sind, lassen sich ohnehin keine allgemeinen Schlüsse für die Anwendung ziehen. Folglich wird auch in der wissenschaftlichen Literatur die klinische Evidenz als nicht ausreichend für die adjuvante Anwendung bei Diabetes mellitus und Hyperlipidämie angesehen [4, 13, 14].
ArzneibuchmonografieFür die Qualitätsprüfung der in einigen EU-Ländern arzneilich genutzten Droge gibt es die Monografie "Bockshornsamen [!], Trigonellae foenugraeci semen" im Europäischen Arzneibuch. Als offizinell gelten die getrockneten, reifen Samen von Trigonella foenum-graecum L. (Fabaceae). Die dünnschichtchromatografische Identitätsprüfung erfolgt anhand von Trigonellin und der Triglyceride. Bei der Reinheitsprüfung wird die Quellung der Samen durch die enthaltenen Galaktomannane bestimmt (Quellungszahl mindestens 6). Die zuletzt in der Ph. Eur. 6.6 korrigierte Monografie enthält keine Gehaltsbestimmung, da man die pharmakologisch relevanten Inhaltsstoffe nicht kennt. Vor dem Hintergrund der EHEC-Kontamination sei angemerkt, dass Bockshornkleesamen in Arzneibuchqualität auf Abwesenheit von E. coli geprüft sind [10, 11]. |
Arzneimittel versus Nahrungsergänzungsmittel
Das ernüchternde Urteil zur arzneilichen Verwendung von Bockshornkleesamen steht im Kontrast zu "Informationen", die zunehmend im Internet und in den Medien kursieren. Slogans wie "Diabetes: Natürliche Waffe Bockshornklee" [15, 16] veranschaulichen, wie Geschäftemacher den "Health Claim" "Beitrag zur Erhaltung gesunder Blutzuckerspiegel" interpretieren und den Verbraucher in die Irre führen. Leider wird die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zu den "Health Claims" für Bockshornkleesamen keine Stellungnahme abgeben, da die Bewertung der "Health Claims" von "Botanicals" im Oktober 2010 gestoppt wurde. Folglich wird den ungerechtfertigten Wirkansprüchen von Bockshornkleesamen (wie auch von vielen anderen pflanzlichen Zubereitungen) wohl kaum in absehbarer Zeit Einhalt geboten werden können.
Health ClaimsGesundheitsfördernde Wirkungen von Bockshornkleesamen*
* Diese "Health Claims" wurden bei der Europäischen Kommission für die Erstellung der "Liste mit gesundheitsbezogenen Angaben zu ‚allgemeinen Funktionen‘" gemäß Artikel 13 Absatz 1 der "Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel" eingereicht. |
Sicherheitsaspekte
Im Gegensatz zu einer mehr oder weniger stark ausgeprägten lipidsenkenden Wirkung von Bockshornkleesamen ist ein nicht einschätzbarer Effekt auf den Kohlenhydratstoffwechsel durchaus kritisch zu sehen. Denn es ist nicht auszuschließen, dass dadurch die medikamentöse Einstellung eines Diabetikers gestört wird. Außerdem kann die Resorption gleichzeitig eingenommener Arzneimittel durch die in den Samen enthaltenen Polysaccharide beeinträchtigt werden. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass eine appetitanregende Wirkung der Samen für die Anwendung bei den oft übergewichtigen Patienten mit Diabetes mellitus oder Hypercholesterinämie doch wohl eher kontraproduktiv wäre.
Fazit
Zusammenfassend sind Bockshornkleesamen zur adjuvanten Therapie bei Diabetes mellitus nicht zu empfehlen. Bei Diabetes Typ 2 im Frühstadium ist die Kombination aus Diät und Bewegungsprogramm eine bessere Alternative, da sie einer kleinen Doppelblindstudie zufolge [17] ebenso wirksam ist wie Bockshornkleesamen, langfristig aber sinnvoller und sicherer. Im Übrigen sollten Patienten mit Diabetes eine "Selbstmedikation" generell mit dem Arzt absprechen.
Wenn ein Kunde in der Apotheke – aus welchen Gründen auch immer – Bockshornkleesamen wünscht, kann ihm hinsichtlich einer befürchteten EHEC-Kontamination mitgeteilt werden, dass Teedrogen aus der Apotheke Arzneibuchqualität aufweisen und daher nicht mit E. coli belastet sein dürfen, was der Hersteller durch mikrobiologische Prüfungen sicherstellen muss. Zusätzlich sollte der Kunde über die aktuellen Empfehlungen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) (siehe Kasten) informiert werden.
Das BfR empfiehltEHEC-Kontamination – Empfehlungen des BfR zur Risikominimierung [1]:
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Literatur
Autorin
Prof. Dr. Susanne Alban, Pharmazeutisches Institut der Universität Kiel, Gutenbergstr. 76, 24118 Kiel, salban@pharmazie.uni-kiel.de
DAZ 2011, Nr. 30, S. 42
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